Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, Sie haben gestern der Digitalisierung sehr viele Seiten Ihrer Regierungserklärung gewidmet. Aber Sie haben nicht mehr gesagt als das, was jeder Landespolitiker, jede Landesministerin oder jeder Ministerpräsident in Deutschland zu diesem Thema derzeit so sagt. Über ermunternde, warnende, mahnende Allgemeinplätze eines Elder Statesman sind Sie nicht hinausgekommen.
Mit welchen konkreten Maßnahmen, Programmen und Projekten will Ihre Regierung den Aufbruch in die digitale Ökonomie denn einleiten? Was ist das Neue, das Innovative Ihrer Politik? Das ist nach wie vor ein Geheimnis. Das Energieland Nordrhein-Westfalen, insbesondere das Ruhrgebiet, wäre doch der ideale
Ort für ein Internet der Energie, für virtuelle Kraftwerke und intelligente Stromnetze, die Energieerzeuger und -verbraucher auf neue Art vernetzen.
Nordrhein-Westfalen wäre der ideale Ort für ein Internet der Mobilität, das alle öffentlichen und privaten Verkehrsangebote digital vernetzt – das Internet der Mobilität konzentriert und nutzbar in einer App. Man könnte für jede beliebige Strecke zu jedem beliebigen Zeitpunkt den schnellsten Weg, die optimale Verknüpfung von Verkehrsmitteln berechnen.
Das sind nur zwei konkrete Projekte für digitalen Fortschritt in Nordrhein-Westfalen – ehrgeizige, aber realistische Projekte, die im Übrigen auf dem aufsetzen würden, was wir bereits begonnen haben. Für Sie ist aber beides überhaupt kein Thema. Leider!
Noch einmal meine Frage: Was ist das Neue und Innovative Ihrer Politik? Ihr sogenanntes Entfesselungspaket? Ist das Ihre Initialzündung für den Aufbruch in die Wirtschaft der Zukunft? Die Abschaffung der Hygieneampel? Die Entfristung des IHKGesetzes? Die elektronische Zusammenführung von Formularen? Vier verkaufsoffene Sonntage gegen Internethandel und Amazon? Jetzt ganz ehrlich, Herr Laschet: Einen Tiger wollten Sie reiten. Aber dann haben Sie nur ein kleines Kätzchen gestreichelt.
Meine Damen und Herren, dass Nordrhein-Westfalen schnelle Breitbandnetze bekommen soll, ist auch kein neuer Plan.
Bis 2026 wollte Rot-Grün für ein flächendeckendes Gigabitnetz sorgen. Schwarz-Gelb will es nun bis 2025 schaffen. Ein Jahr Unterschied. Ist das Ihr neuer Ehrgeiz?
Meine Damen und Herren, selbstverständlich brauchen wir eine engere Vernetzung von Wirtschaft und Wissenschaft, eine noch bessere Förderung von Startups und mehr universitären Technologietransfer in kleine und mittelständische Unternehmen. Wir haben mit „it’s OWL“, mit PatentScouts und mit sechs Digital-Hubs die Grundlagen dafür geschaffen. Darauf können Sie jetzt aufbauen. Einen neuen Ansatz, eine neue Idee haben Sie aber nicht. Zumindest haben Sie sie uns gestern nicht genannt.
Über die Arbeit der Zukunft in einer digitalen Wirtschaft haben Sie abgesehen von ein paar Maß-undMitte-Plattitüden ebenfalls nichts gesagt; denn dann müssten Sie ja über Regeln sprechen. Sie müssten darlegen, wie man die Regeln der sozialen Demokratie in das Zeitalter der digitalen Ökonomie überführt und auch durchsetzt; denn ohne Regeln gibt es keine Rechte, meine Damen und Herren – weder für Unternehmen noch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Ich habe den Verdacht, dass Sie das deshalb nicht zugeben können, weil Ihnen das Ihre Marktentfesselungsideologie verbietet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, am Beispiel des Ruhrgebiets will ich aufzeigen, wie eine Strategie für Prosperität, Lebensqualität und sozialen Aufstieg aussehen könnte und aussehen müsste; denn im Ruhrgebiet entscheidet sich die Zukunft Nordrhein-Westfalens.
Einerseits ist das Ruhrgebiet ein internationales Vorbild für erfolgreichen, gelungenen Strukturwandel. Es hat heute die dichteste Hochschullandschaft in ganz Europa. Es ist ein europäisches Zentrum für Wissenschaft, Bildung und Kultur, für Logistik und Maschinenbau, für Chemie und Energie. Seit einigen Jahren wächst die Wirtschaft im Ruhrgebiet wieder stärker als im Bundesdurchschnitt. Das zeigt, dass wir schon viel erreicht haben, meine Damen und Herren. Wir haben schon viel erreicht. Die Menschen im Ruhrgebiet wissen das. Sie sind stolz darauf, dass wir dies gemeinsam mit ihnen erreicht haben.
Andererseits leiden viele Städte und Stadtteile noch immer unter Langzeitarbeitslosigkeit, Bildungsarmut und sozialer Ungleichheit. Das macht deutlich, dass wir noch viel zu tun haben. Ja, viel erreicht, aber auch noch viel zu tun. Die Trennlinie zwischen Licht und Schatten verläuft quer durch die Städte, zum Teil sogar durch einzelne Stadtteile. Im Süden des Ruhrgebiets ist die Gestaltung des Strukturwandels erfolgreich gelungen, aber im Norden noch nicht.
Was wir brauchen, ist eine Konzentration von öffentlichen Investitionen in diesen schwachen Städten und Vierteln. Unsere Strategie für ein prosperierendes Ruhrgebiet steht auf fünf Pfeilern.
Erstens: die gezielte Ansiedlung von neuen, innovativen Unternehmen. Wer ins Ruhrgebiet kommt, muss von der dichtesten Hochschullandschaft und von der besten digitalen Infrastruktur profitieren können. Der Gigabitausbau muss auch in Duisburg, Essen, Oberhausen, Gelsenkirchen, Bochum und Dortmund beginnen.
Zweitens: Investitionen in die öffentliche Lebensqualität, in die Modernisierung und Verschönerung von Häusern und Straßenzügen. Jede Stadt und jeder Stadtteil können Heimat sein, bleiben oder wieder werden, und zwar für tatendurstige Menschen aus der ganzen Welt. Deshalb bauen Sie doch bitte keine Gebührenmauer für Studierende aus der ganzen Welt auf! Das ist dumm, und das ist schädlich für unser Land, meine Damen und Herren.
Drittens: eine vorbeugende Bildungs- und Sozialpolitik. Jede Stadt und jedes Stadtviertel müssen durch eine enge Vernetzung von Kitas und Schulen mit der Jugend-, der Kinder- und der Familienhilfe zu einer
Bildungslandschaft werden. Warum wollen Sie nur 30 Schulen besonders fördern? Wir brauchen doch keine Eliteschulen, sondern Exzellenz in der Breite, meine Damen und Herren.
Viertens: Investitionsfreiheit für alle Kommunen. Lassen Sie uns also die Städte durch einen Altschuldentilgungsfonds entlasten und einen Strukturwandelbonus einführen –
einen Strukturwandelbonus des Bundes, um unsere Städte von Kosten für Sozialleistungen zu entlasten. Das müssten wir doch gemeinsam wollen. Das haben wir hier im Landtag schon einmal gemacht. Das müssten wir doch gemeinsam wollen.
Nach dem Auslaufen des Solidarpakts 2019 brauchen wir ein neues Fördersystem des Bundes für strukturschwache Regionen in ganz Deutschland. In ganz Deutschland, meine Damen und Herren! Diese Programme müssen aufgestockt und vor allem verstetigt werden. Dann profitiert davon nicht nur das Ruhrgebiet oder das Bergische Land, sondern alle strukturschwachen Regionen in ganz Deutschland können davon profitieren.
Lassen Sie uns das gemeinsam machen, Herr Laschet. Dann können wir auch da für die Menschen erfolgreiche Arbeit nachweisen, meine Damen und Herren.
Fünftens: ein sozialer Arbeitsmarkt gegen Langzeitarbeitslosigkeit. Wem das Leben aus den Händen gleitet, der verdient eine zweite und eine dritte Chance. Wir wollen Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren. Gemeinnützige Aufgaben, die der Allgemeinheit zugutekommen, aber bisher liegen bleiben, gibt es doch reichlich.
Genauso reichlich gibt es Menschen, über die der Strukturwandel hinweggegangen ist, die keine Chance mehr auf dem Arbeitsmarkt haben. Sie wollen aber dennoch etwas leisten, und sie können das auch. Geben wir diesen Menschen doch eine Perspektive! Das hilft ihnen, und das hilft uns, meine Damen und Herren, in Nordrhein-Westfalen weiter nach vorne zu kommen. Es kommt darauf an, die Menschen in diesem Prozess mitzunehmen.
Wir gewinnen die Zukunft aber nicht mit PRKonferenzen oder mit Allgemeinplätzen über die Chancen und Risiken der Digitalisierung. Wir gewinnen die Zukunft mit ganz konkreten Initiativen für Menschen und für ihre Heimat.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Herr Laschet, Sie wollen eine Regierung für die kommenden 20er-Jahre des 21. Jahrhunderts führen. An Ihren Ideen und Konzepten – soweit sie überhaupt vorhanden sind – haftet aber der Staub der neoliberalen 90er-Jahre des 20. Jahrhunderts.
Neu – das gebe ich gerne zu – ist nur Ihre Sprache: die Neuinterpretation, die Aushöhlung von Begriffen.
Wenn Sie über Aufstieg durch Bildung oder über qualitatives Wachstum sprechen, dann produzieren Sie nur Wortartefakte, die zu Staub zerfallen, sobald man sie in die Hand nimmt. Sie sind mit keiner einzelnen konkreten Maßnahme hinterlegt.
Wenn Sie hingegen von Versöhnung und von Ausgleich sprechen, dann müssen sich Gewerkschaften, Mieter, Mieterinnen und Umweltverbände auf harte Konflikte einstellen.
In Ihrem Denken sind Sie immer noch in der kalten Privat-vor-Staat-Ideologie gefangen, die schon 2005 ein Anachronismus war, meine Damen und Herren. Daran hat sich nichts geändert.
Meine Damen und Herren, ich habe zu Beginn meiner Rede gesagt, dass wir als stärkste Oppositionsfraktion mit Ihnen als Regierungskoalition in den Wettbewerb um konkrete Lösungen für die Probleme der Menschen in unserem Land eintreten und um die besten Ideen streiten werden – fair im Umgang, hart und klar erkennbar in der Sache.
Nach dieser mittelmäßigen und die Erwartungen vieler Menschen enttäuschenden Regierungserklärung gibt es dafür ein weites Feld. Wir werden das nutzen – das versprechen wir Ihnen – für ein starkes und modernes Nordrhein-Westfalen mitten in Europa: weltoffen, tolerant und gerecht, sozial und solidarisch. Dafür werden wir arbeiten. Glück auf! – Vielen Dank fürs Zuhören.