Norbert Römer

Appearances

17/6 17/7 17/9 17/11 17/18 17/21

Last Statements

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An den Beginn dieser Debatte gehört eine unmissverständliche Feststellung: Die belgischen Atomreaktoren in Tihange und Doel müssen abgeschaltet werden – besser heue als morgen.
Denn sie sind in einem derart schlechten Zustand, dass ihr Betrieb nicht länger zu verantworten ist.
Deshalb war es richtig, dass der Ministerpräsident die Atomkraftwerke zum Thema seiner Konsultationen mit der belgischen Regierung gemacht hat. Er wollte die Regierung in Brüssel dazu bewegen, diese Reaktoren schnell – sofort – stillzulegen. Doch noch am Tag seines Besuchs war klar: Der Ministerpräsident hat nichts und niemanden bewegt. Er ist mit seinem Versuch gescheitert. Die Kraftwerke werden noch mindestens vier bis fünf Jahre weiterlaufen. Auch der Wirtschaftsminister konnte daran nichts mehr ändern, wie wir seit gestern Abend wissen.
Dass diese Verhandlungen, meine Damen und Herren, einfach werden würden, war ebenso wenig zu
erwarten wie schnelle Erfolge. Die Position der belgischen Regierung war ja bekannt, und deshalb wären im Vorfeld leise und umsichtige Sondierungen notwendig gewesen, um Interessen abzuwägen, Kompromissmöglichkeiten auszuloten. Stille Diplomatie übrigens auch in enger Kooperation mit der Bundesregierung wäre die einzig seriöse und im Übrigen auch erfolgversprechende Strategie gewesen.
Stattdessen entschied sich der Ministerpräsident für eine Medienoffensive. Mit der Braunkohle im Gepäck werde er das Problem Tihange jetzt lösen, so lautete seine Botschaft. Als ihm dann zu Ohren gekommen war, dass die Belgier Braunkohlestrom gar nicht wollen, sagte er nur lapidar, dem Strom sehe man doch nicht an, aus welcher Quelle er komme. – Spätestens da, meine Damen und Herren, musste man in Brüssel glauben, für dumm verkauft zu werden.
Herr Ministerpräsident, haben Sie wirklich allen Ernstes geglaubt, Sie könnten diplomatische Verhandlungen über Presseinterviews führen? Haben Sie wirklich geglaubt, Sie könnten über deutsche Medien Einfluss auf die belgische Energiepolitik nehmen? Herr Laschet, das war wirklich amateurhaft, was Sie da geleistet haben.
Und peinlich war es, meine Damen und Herren, wie der Ministerpräsident im Dezember den Eindruck erwecken wollte, er würde mit der belgischen Regierung schon Gespräche führen. Das behaupteten Sie, Herr Laschet, am 16. Dezember im „Kölner Stadt-Anzeiger“. Aber das war schlicht die Unwahrheit, meine Damen und Herren.
Daran ändert auch die nachgeschobene Ausrede nichts, mit Belgien sei nur der belgische Botschafter gemeint. Sie haben in dem Interview, Herr Laschet, einen anderen Eindruck erweckt, und genau das wollten Sie auch.
Herr Laschet, das war nicht das erste Mal, dass Sie sehr lässig mit der Wahrheit umgegangen sind. Doch, Herr Ministerpräsident, mit solchen Schwindeleien muss jetzt ein für alle Mal Schluss sein. Auf das Wort eines Ministerpräsidenten muss man sich verlassen können, meine Damen und Herren!
Ja, der Belgien-Besuch des Ministerpräsidenten war dramatisch schlecht vorbereitet. Er ist mit leeren Händen aus Brüssel zurückgekehrt, weil er mit leeren Händen dorthin gefahren ist. Er hatte keinen Plan, keine Strategie, schon gar keinen Lösungsvorschlag, der für die belgische Seite auch nur diskussionswürdig gewesen wäre.
Eine naheliegende Lösung ist ja tatsächlich die Lieferung von deutschem Strom nach Belgien. Allerdings muss man der belgischen Regierung dann auch überzeugend darlegen können, wie die benötigten Strommengen transportiert werden sollen. Doch genau das, Herr Ministerpräsident, konnten Sie nicht, weil Ihre Regierung es versäumt hat, schlüssige Antworten auf berechtigte Fragen zu entwickeln.
Wir wissen es doch: Die Kapazität der Trasse ALEGrO 1 wird nicht ausreichen, um die benötigte Strommenge zu transportieren, und eine mögliche Trasse ALEGrO 2 gibt es bisher nur auf dem Papier. Das alles weiß doch selbstverständlich auch die belgische Regierung. Deshalb war es ihr ja auch ein Leichtes, die unausgegorenen Ideen ihres unvorbereiteten Gastes vom Tisch zu wischen.
Herr Ministerpräsident, durch Ihren diplomatischen Dilettantismus haben Sie die Verhandlungsposition Deutschlands, die Verhandlungsposition NordrheinWestfalens geschwächt!
Ihre Reise brachte keine Fortschritte. Im Gegenteil: Es war ein Rückschlag.
Eine schnelle Abschaltung der Reaktoren – und nur das würde ja die berechtigten Sorgen und Nöte der Menschen in der Region beseitigen – ist nach den Verhandlungen dieser Regierung noch unwahrscheinlicher, als sie es vorher war. Dabei gibt es ja durchaus bedenkenswerte Lösungsansätze. Mein Kollege Schultheis wird das nachher noch darstellen.
Meine Damen und Herren, am vergangenen Montag erschien ein Artikel, in dem der Journalist, der ihn geschrieben hat, klagte, ich sei zu seinem Ministerpräsidenten viel zu oft viel zu gemein und solle doch liebenswürdiger auftreten.
Der Journalist fand es gemein, dass ich den Ministerpräsidenten „Plaudertasche“ oder „Prahlhans“ genannt habe. Andere sehen das anders; die finden das zutreffend. Aber gut.
Herr Ministerpräsident, ich versuche es mal mit einem freundlichen Rat:
Lieber Herr Ministerpräsident, bisher haben Sie immer nur versucht, die Öffentlichkeit mit vollmundigen Ankündigungen zu beeindrucken, um anschließend kleinlaute Erklärungen hinterherzuschieben, warum es mal wieder nicht geklappt hat. Versuchen Sie es
einmal umgekehrt. Üben Sie sich mal in professioneller Zurückhaltung und beeindrucken Sie die Öffentlichkeit anschließend mit echten Ergebnissen und Erfolgen.
Dann hätten Sie mal die Überraschung auf Ihrer Seite, Herr Ministerpräsident, anstatt die Verantwortung für enttäuschte Hoffnungen. Dann würden Sie auch tatsächlich den Beweis liefern, endlich ernsthaft die berechtigten Sorgen und Nöte der Menschen in der Region zu vertreten. Das wünsche ich Ihnen. Also, gehen Sie in sich, machen Sie es mal umgekehrt. Das wird Ihnen helfen. – Vielen Dank fürs Zuhören, meine Damen und Herren.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! „Versprechen sind Gefängnisse aus Worten“, bemerkte einmal die deutsche Autorin Sulamith Sparre. Wie recht sie damit hatte, beweist diese Koalition. CDU und FDP hatten vor der Wahl allen alles versprochen. Und jetzt, meine Damen und Herren von CDU und FDP, sind Sie von Ihren Versprechen überfordert und sitzen in Ihrem Gefängnis gebrochener Versprechen fest.
Die Liste ist so lang, dass ich sie heute nicht noch einmal in voller Länge aufzählen will.
Sie reicht von der Senkung der Grunderwerbsteuer, die nicht kommen wird, über die Verbesserung der Betreuungsquote an Universitäten, die Sie nicht finanzieren wollen, bis hin zur Reduzierung der Staus, die Sie auf den 1. Weihnachtsfeiertag des Jahres 2036 verschoben haben.
Ihr erster Haushalt genügt weder den Ansprüchen, die Sie zu Oppositions- und Wahlkampfzeiten selbst
erhoben haben, noch genügt er den Anforderungen einer modernen Investitionspolitik.
Die Investitionsquote des Landes steigt nicht, sie sinkt.
Sie verteilen in 75 Änderungsanträgen kleine Geschenke an jeden Wahlkreis, kürzen beim Mietwohnungsbau und scheuen gezielte Ausgaben für Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit.
Diese schwarz-gelbe Koalition entlarvt sich als das, was dieses Bündnis schon immer war: eine profane Mitte-rechts-Regierung,
die mit dem Ideologiebaukasten der 90er-Jahre ans Werk gegangen ist.
Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion wird diesen Haushalt ablehnen.
Der Ministerpräsident hatte in seiner Regierungserklärung die Redewendung von Maß und Mitte zum Leitmotiv seines Kabinetts erhoben. Er und seine Regierung hätten darüber hinaus den Anspruch, Politik aus einem Guss zu machen.
Nun sind das eigentlich derart müde und abgegriffene Floskeln der politischen Rede, dass sie nur noch dazu taugen, die Aufmerksamkeit des Publikums in den Stand-by-Modus zu knipsen.
Wer hätte da ahnen können, meine Damen und Herren, welch kongeniale Regierungszusammenarbeit aus diesen Phrasen erwachsen würde? Wer hätte das ahnen können? Der Verkehrsminister plant die Abschaffung des Sozialtickets, und im Gegenzug will der Justizminister dafür sorgen, dass Schwarzfahren nicht mehr strafbar ist: Politik aus einem Guss, Maß und Mitte im NRW des Armin Laschet.
Meine Damen und Herren, diesen Sarkasmus erlaube ich mir nur deshalb, weil die Regierung Laschet mit ihrem Plan, das Sozialticket abzuschaffen, gescheitert ist.
Für die betroffenen Menschen war schon allein dieser Versuch alles andere als witzig. Ich spreche von Menschen wie der 25-jährigen Jennifer aus Attendorn. Ihre Geschichte kann im Übrigen jeder auf „SPIEGEL ONLINE“ nachlesen:
Die alleinerziehende Mutter ist arbeitslos. Aber das will sie nicht bleiben. Deshalb fährt sie mehrmals in der Woche mit Bus und Bahn nach Olpe. Sie holt dort ihren Schulabschluss nach, um im nächsten Jahr eine Ausbildung zur Kinderpflegerin beginnen zu können. Ohne das Sozialticket könnte sie sich die
Fahrt nach Olpe gar nicht leisten – und damit auch nicht den sozialen Aufstieg, an dem sie hart arbeitet.
Deshalb haben SPD und Grüne dieses Ticket vor sieben Jahren eingeführt: für Menschen wie Jennifer aus Attendorn, meine Damen und Herren.
CDU und FDP wollen ihr dieses Sozialticket wieder wegnehmen. Und wofür? Für den Straßenbau, für läppische 4 km neue Landstraße im Jahr. Dafür hätte diese Regierung billigend in Kauf genommen, dass der öffentliche Nahverkehr für Hunderttausende Menschen in Nordrhein-Westfalen unbezahlbar geworden wäre.
Jetzt, nachdem ein Sturm der Empörung diesen kaltherzigen Plan zerfleddert hat, soll alles nicht so gemeint sein. Armin Laschet, zu jeder Zeit – das will ich durchaus einräumen – ein Großmeister der Beschwichtigung und Beschönigung, spricht gar von einem Missverständnis – als hätte seine Regierung zwar „Sozialticket streichen“ gesagt, aber doch eigentlich „Sozialticket behalten“ gemeint. Solch ein Unsinn!
Kaum etwas war in den vergangenen Monaten so unmissverständlich wie Ihr Plan, dieses Sozialticket abzuschaffen. Denn das haben Sie über Jahre hinweg immer gefordert.
Schon bei der Einführung dieses Tickets schwadronierte der CDU-Abgeordnete Henning Rehbaum über eine sozialistische Rolle rückwärts,
die seine Fraktion rundweg ablehne. Noch vor zehn Monaten nannte der verkehrspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Klaus Voussem, das Sozialticket einen verkehrspolitischen Irrweg
und finanzpolitischen Unsinn.
Das Sozialticket, so der Kollege Voussem unter großem Applaus seiner Fraktion, sei eine rein konsumtive Ausgabe, was im konservativen Milieu ja nichts weiter als ein Codewort für „Verschwendung“ ist. Er und seine Fraktion verlangten die Streichung dieses Sozialtickets und die Umschichtung von 40 Millionen €, die dafür zur Verfügung standen, in den Straßenbau. Genau das hatten Sie jetzt auch vor.
Wo ist denn da das Missverständnis? Sie wollten doch nie ein Sozialticket. Sie wollten es schon immer abschaffen. Das Einzige, was Sie davon abhält, ist die Empörung der Öffentlichkeit. Das Einzige, was Sie bedauern, ist das PR-Desaster, das Ihnen Ihr
Verkehrsminister eingebrockt hat. An Ihrer Überzeugung hat sich nichts geändert.
Meine Damen und Herren, aus dem gescheiterten Versuch, dieses Sozialticket abzuschaffen, kann man zwei Dinge über die Regierung Laschet lernen:
Erstens. Das Versprechen auf sozialen Aufstieg wird diese Regierung nicht einlösen.
Zweitens. An das Versprechen, wer hart arbeite, werde auch in Wohlstand leben können, das der Minister ein ums andere Mal wiederholt, glaubt seine Regierung gar nicht. Diese Regierung glaubt nicht an staatliche Programme gegen soziale Ungleichheit. Sie glaubt auch nicht an sozialstaatliche Initiativen für Chancengleichheit oder an Regeln für mehr Leistungsgerechtigkeit. Sie ist davon überzeugt, dass soziale Probleme durch die Kräfte des Marktes gelöst werden – oder eben nicht.
Woran diese Regierung aber sehr wohl glaubt, ist die Macht der Symbole und Images. Weil sie weiß, dass ihre sozial- und wirtschaftspolitischen Überzeugungen in einem toxischen Image münden würden, werden diese getarnt und versteckt. Aus Angst vor Demaskierung versteckt diese Regierung ihre Überzeugungen hinter Maß-und-Mitte-Plattitüden oder einer Aufstiegsrhetorik, die durch keinerlei konkrete Maßnahmen gestützt wird.
Doch immer dann, wenn sich diese Regierung sicher fühlt, schlägt sie zu, und zwar in Form ihrer sogenannten Entfesselungspakete, die in Wahrheit Entrechtungspakete sind, meine Damen und Herren.
Durch ihre Bundesratsinitiative gegen das Arbeitszeitgesetz und erst recht durch die Ausweitung der Ladenöffnungszeiten in Nordrhein-Westfalen nimmt diese Regierung gerade Arbeitnehmerinnen wichtige Schutzrechte. Denn es sind vor allem Frauen, die im Einzelhandel arbeiten und die durch diese Koalition einer gnadenlosen Flexibilisierung von Arbeitszeiten ausgesetzt werden.
Es hat doch Gründe, meine Damen und Herren, warum 40 % der alleinerziehenden Mütter Hartz IV beziehen müssen. Das hat doch Gründe. Es liegt auch an ultraflexiblen Arbeitszeiten in Dienstleistungsbranchen, die mit der Betreuung von kleinen Kindern unvereinbar sind.
Durch Ihre Entrechtungspolitik drängen Sie alleinerziehende Mütter vom Arbeitsmarkt. Es gibt doch kein Kitaangebot, das in der Lage wäre, zusätzliche
Sonntagsschichten, Arbeitszeiten bis 24 Uhr oder Siebentagewochen aufzufangen. Das gibt es nicht. Und Sie werden ein solches Angebot überhaupt nicht zustande bringen, meine Damen und Herren. Sie doch nicht!
Kurzum: Ihre Politik ist frauenfeindlich, sie ist familienfeindlich, und sie ist im Übrigen auch verfassungswidrig, was die schon anrollende Klagewelle gegen Ihr Gesetz beweisen wird, meine Damen und Herren.
Ein außerordentlich düsteres Kapitel der Entfesselungs- und Entrechtungspolitik dieser Koalition wird der Mieterschutz sein. CDU und FDP sind nach wie vor fest entschlossen, die Mietpreisbremse abzuschaffen, die Umwandlung von Miet- in Ferienwohnungen zu erleichtern und die Kündigungsfristen bei Eigenbedarfsklagen zu verkürzen.
Mehr als 10 Millionen Menschen in Nordrhein-Westfalen werden davon betroffen sein. Viele von ihnen werden bald noch höhere Mieten zahlen müssen.
Zu viele von ihnen werden sich das Leben in ihren Wohnungen nicht mehr leisten können. – Sie können ruhig lachen. Aber das ist so. Und das droht längst nicht mehr nur Geringverdienern, sondern mittlerweile auch Familien aus der Einkommensmitte in Düsseldorf, in Köln, in Münster und in vielen anderen Städten unseres Landes.
Durch die geplante Entrechtung von Millionen Mietern in Nordrhein-Westfalen wird doch keine einzige neue und bezahlbare Wohnung entstehen. Im Gegenteil: Die Wohnungsnot wird noch größer werden.
Aber was antwortete der Ministerpräsident, als er von Anne Will vor einem Millionenpublikum auf die geplante Abschaffung der Mietpreisbremse angesprochen wurde?
Rechtfertigte er die Pläne seiner Koalition? Nein, er leugnete sie. Niemand in NRW habe die Absicht, die Mietpreisbremse abzuschaffen.
Er sagte die Unwahrheit. Die Aufzeichnung vom 27. August 2017 ist immer noch in der ARD-Mediathek abrufbar.
Ab Sendeminute 55 kann man mit ansehen, wie aus Ängstlichkeit um Ruf und Image plötzlich Panik wird.
Vor Armin Laschet saß im Übrigen eine alleinerziehende Mutter, die sich ihre Wohnung nicht mehr leisten kann und schon bald mit ihren Kindern ausziehen muss, aber keine neue Wohnung findet.
Da kann man – das gebe ich gerne zu – mit der Abschaffung von Mieterrechten natürlich nicht punkten.
Trotzdem, Herr Laschet: Von einem Ministerpräsidenten muss man erwarten, dass er aufrecht und ehrlich seine Politik rechtfertigt. Was Sie sich da geleistet haben, war Ihres Amtes nicht würdig, Herr Ministerpräsident.
Meine Damen und Herren, die Mietwohnungspolitik der Koalition hat gravierende Auswirkungen auf die Heimat und das Heimatgefühl der Menschen in Nordrhein-Westfalen.
Diese Regierung rühmt sich, für Heimat ein eigenes Ministerium geschaffen zu haben. Aber was versteht denn Ihre Ministerin unter Heimat? Und noch wichtiger: Was versteht sie unter Heimatpolitik?
Wenn man zusammensucht, was sie in den letzten Monaten dazu gesagt und auf den Weg gebracht hat, findet man fast ausschließlich Reminiszenzen an die gute alte Zeit: Förderprogramme für Denkmalschutz und Traditionspflege, Straßenschilder in Plattdeutsch, die geplante Show „Promis erzählen von früher“, nicht zuletzt das große Lob für Mutters Bohneneintopf.
Ich suche die Ministerin.
Ich will ihr nämlich Folgendes sagen – man kann es ja an sie weitergeben –: Die Ministerin wäre die ideale Direktorin eines Freiluftmuseums. Aber ihr bisheriges Wirken qualifiziert sie nicht für das Amt der Heimatministerin.
Für das, was da erzählt wird, was sie vorhat, gilt: Das kann man ja alles machen – am Rande. Aber das darf doch nicht im Zentrum stehen. Wenn Heimat zu einem Museum wird, gibt es sie nicht mehr. Heimat muss doch Zukunft bedeuten. Politik für die Heimat der Menschen ist Politik für öffentliche Lebensqualität, für lebenswerte Städte, für Gemeinden und Wohnviertel mit ansehnlichen Straßenzügen,
mit guter ÖPNV-Anbindung, mit guten Schulen und Kitas, die schnell erreichbar und gebührenfrei sind, mit fußläufig erreichbaren Ärzten und Einkaufsmöglichkeiten.
Nicht zuletzt geht es um gute und bezahlbare Wohnungen. Damit bin ich wieder beim Thema. Sie schaffen nicht nur Mieterschutzrechte ab; sie kürzen auch den öffentlich geförderten Mietwohnungsbau, und zwar drastisch, nämlich um fast 30 %, meine Damen und Herren. Gerade in einer Zeit, in der die Wohnungsnot immer schlimmer wird, reißen Sie Dämme gegen Mieterhöhungen nieder und verknappen absichtlich das Angebot an neuen mietpreisgebundenen Wohnungen.
Das ist alles so falsch, so verrückt und so ideologiegesteuert, dass ich mich frage, ob Sie Wohnungsnot überhaupt für ein Problem halten, um das sich eine Regierung kümmern müsste. Ich glaube das nicht mehr. Ihnen scheint das Problem egal zu sein, meine Damen und Herren.
Fest steht jedenfalls eines: Diese Marktentfesselungsideologie dieser Mitte-rechts-Regierung wird scheitern. Mit ihr wird diese Regierung scheitern. Allerdings werden sich bis dahin zu viele Menschen in NordrheinWestfalen ihre Wohnungen und schlimmstenfalls auch ihre Heimatorte nicht mehr leisten können. Das wird das zweifelhafte Vermächtnis dieser Heimatministerin sein.
Meine Damen und Herren, die beiden Regierungsparteien haben ihren Wahlkampf vor allem mit den Themen „Bildung“ und „innere Sicherheit“ bestritten. Sie haben mit großem Erfolg den Eindruck erweckt, als hätten sie durchdachte Konzepte in den Schubladen, die nur darauf warteten, verwirklicht zu werden.
Jetzt, nach einem halben Jahr Schwarz-Gelb, müssen wir feststellen: Dem ist gar nicht so. „Learning by Doing“ lautet das Motto. Improvisation gilt jetzt als Regierungskunst.
In der Schulpolitik wurden bisher nur hehre Ziele verkündet, aber keine Konzepte vorgestellt: kein Konzept für Bildungsgerechtigkeit, kein Konzept für einen reibungslosen Übergang zu G9 und erst recht kein Konzept gegen den Lehrermangel. Frau Ministerin Gebauer, Sie laufen Gefahr, Ihre Energien für Schein- und Übergangslösungen zu verschwenden. Den Lehrermangel werden Sie weder durch Seiteneinsteiger noch durch halbherzige Werbekampagnen beheben.
Es hat doch seinen Grund, warum das Lehramtsstudium lang und anspruchsvoll ist.
Die Kinder in Nordrhein-Westfalen brauchen Lehrerinnen und Lehrer mit der bestmöglichen Ausbildung.
Aus diesem Grund werden Sie zwei grundlegende Entscheidungen treffen müssen.
Erstens: eine qualitative und quantitative Lehrerausbildung in Nordrhein-Westfalen mit mehr Studienplätzen und einer besseren Betreuung der Studierenden.
Zweitens: gleiche Besoldung für die gleiche Ausbildung,
und zwar unabhängig von der Schulform. Das bedeutet: A13 auch für Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer.
Frau Ministerin, eine Spitze kann ich Ihnen nicht ersparen. Sie betrifft den Unterrichtsausfall. Zu Ihren Oppositionszeiten haben Sie uns immer erzählt, im Zeitalter der Digitalisierung sei nichts einfacher als die schulscharfe Erfassung des Unterrichtsausfalls;
dazu müsse man nur einen Knopf drücken; das ließe sich doch ratzfatz einrichten.
Diesen Knopf gibt es nach 204 Tagen Schwarz-Gelb immer noch nicht.
Was es aber gibt, sind 183 neue Stellen allein zur Erfassung des Unterrichtsausfalls –
183 Beamte und Angestellte, um einen Knopf zu drücken.
Frau Ministerin, ich weiß ja nicht, wer sich das bei Ihnen ausgedacht hat. Aber es muss ein großer Loriot-Fan gewesen sein.
Noch unterhaltsamer ist freilich die Posse, die diese Regierung mit der sogenannten Bosbach-BaumKommission zur inneren Sicherheit aufgeführt hat. Dabei hätte man doch glauben können, dass die CDU, die innere Sicherheit ihre Kernkompetenz nennt, eine solche Kommission überhaupt nicht nötig hätte.
Umso erstaunter ist man, wenn man den Themenkatalog der Kommission gelesen hat: Aufgaben der Polizei, Ausstattung der Polizei, Personalbedarf der
Polizei, nationale und internationale Zusammenarbeit der Polizei und vieles mehr. Das ist deshalb so erstaunlich, weil das Land schon seit Längerem eine Organisation mit Expertinnen und Experten für diese Themen hat. Sie nennt sich Innenministerium.
Die Fragen, um die sich Ihre eigenartige Kommission nun kümmern soll, sind eigentlich das Alltagsgeschäft des Innenministeriums. Irgendwann gegen Ende der Legislaturperiode soll die Kommission ihre Ergebnisse vorlegen. Womit sollen sich in der Zwischenzeit der Innenminister und seine Beamtinnen und Beamten beschäftigen? Etwa mit so peinlichen PR-Clownerien wie den sogenannten Sicherheitspartnerschaften zwischen Regierung und Taxifahrern?
„Vorgegaukelte Sicherheit“ nennt der WDR das.
„Augenwischerei“ nennt es die „Neue Westfälische“, und einen „PR-Gag“ nennt es das „Westfalen-Blatt“. Die „Rheinische Post“ schrieb gar von „Sicherheitspolitik auf Pfadfinder-Niveau“. Ich habe dem nichts hinzuzufügen, meine Damen und Herren.
Die Wahrheit über die Bosbach-Baum-Kommission ist indes banal: Sie war ein Wahlkampf-Gag. Jetzt, nach der Wahl, ist sie nur noch lästig. Sie hängt Ihnen zwischen den Zähnen wie ein sehniges Schnitzel.
Deshalb wurde sie mit derart vielen Themen und Aufgaben überfrachtet, dass sie im Regierungsalltag nicht mehr stören kann. Die Bosbach-Kommission ist eine „Man-müsste-mal“-Kommission ohne praktische Relevanz.
Gerhart Baum hat das schnell erkannt. Dafür war ihm seine Zeit zu schade. Ich kann das gut verstehen, meine Damen und Herren.
Nach sechs Monaten im Amt deutet sich also einmal mehr an, dass diese Koalition auch in der inneren Sicherheit mehr versprochen hat, als sie halten kann.
Die Wirtschafts- und Industriepolitik ist ein weiteres Feld, auf dem sich die vollmundigen Versprechungen dieser Regierung so schnell auflösen wie Frühnebel in der Morgensonne.
So erklärte der Ministerpräsident in den „Westfälischen Nachrichten“:
„Wir brauchen eine Wirtschaftspolitik, die auch den energieintensiven Industriesparten Stahl, Aluminium, Chemie, Glas und Papier einen zukunftssicheren Standort in Deutschland, nicht zuletzt in Nordrhein-Westfalen, bietet.“
So weit ist das richtig, Herr Ministerpräsident. Allerdings brauchen wir dafür auch eine Landesregierung, die mit vollem Einsatz für einen zukunftssicheren Industriestandort arbeitet. Aber die haben wir seit Juni nicht mehr.
Was wir haben, das ist eine Landesregierung, die mit vollem Einsatz in politische PR-Ballons pustet – mit vollem Einsatz! Diese Regierung schafft es ja noch nicht einmal – das ist doch peinlich –, einen Stahlgipfel zuwege zu bringen. In einer Zeit, in der Tausende Beschäftigte in Duisburg, in Mülheim, in Mönchengladbach und in vielen anderen Städten Angst um ihre Arbeitsplätze haben müssen, laden Sie zu einem Gipfel ein, um über allgemeine Leitlinien der Industriepolitik zu diskutieren.
Gleichzeitig verweigern Sie den eingeladenen Vertretern der IG Metall und den Betriebsräten ein Gespräch über einen Beitrag der Landesregierung zur Rettung bedrohter Industriearbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen. Sie wollten mit den Gewerkschaften und den Betriebsräten noch nicht einmal reden.
Diese Landesregierung wollte noch nicht einmal zuhören. Als Komparsen für einen PR-Gipfel waren Ihnen die Arbeitnehmervertreter willkommen, aber nicht als Gesprächspartner, die Sorgen vortragen und kritische Fragen stellen,
und das in Nordrhein-Westfalen, dem Mutterland der Sozialpartnerschaft. Was würde wohl Karl Arnold darüber denken? Er würde sich für seine Partei schämen, meine Damen und Herren. Schämen würde er sich!
Niemand kann doch den Gewerkschaften verdenken, dass sie sich nicht als Staffage für eine PRVeranstaltung benutzen lassen wollen.
Der Ministerpräsident hatte in seiner Regierungserklärung versprochen, unter seiner Führung werde Nordrhein-Westfalen einen nie gekannten Einfluss auf die Bundespolitik ausüben.
Wie groß sein Einfluss tatsächlich ist, war dann im Vorfeld des ersten Dieselgipfels zu beobachten. Nach dem Motto „fordern, was ohnehin kommen wird“ gab er bereits von anderen ausgehandelte Ergebnisse des Gipfels als knallharte NRW-Forder
ungen aus. In Berlin – das haben wir ja alle gemeinsam erlebt – hat man darüber gelacht, weil jeder wusste, welchen Anteil der NRW-Ministerpräsident an dem ausgehandelten Maßnahmenpaket hatte – nämlich gar keinen.
Für unser Land hat der Ministerpräsident nichts erreicht – bis heute nicht. Dabei hat der Dieselskandal kein Bundesland härter getroffen als NordrheinWestfalen. Das gilt sowohl für die Gesundheitsgefahren durch überhöhte Stickstoffemissionen als auch für die Anzahl der Städte, in denen nun Fahrverbote drohen. Und noch immer hat diese Landesregierung keine Maßnahmen durchsetzen können, die die Gesundheit der Menschen schützen und Fahrverbote abwenden würden.
Schlimmer noch: Sie haben noch nicht einmal einen Plan dafür. Ihre einzige Hoffnung ist das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, das in letzter Sekunde die Fahrverbote stoppen könnte. Das ist der Strohhalm, an den sich die Regierung klammert. Wenn dieser Strohhalm aber umknickt, dann, verehrte Kollegen Laschet und Wüst, werden die unausweichlichen Fahrverbote auch Ihre Fahrverbote sein. Denn Sie haben nichts dagegen getan, meine Damen und Herren.
Die Jamaika-Sondierungen waren dann die nächste große Bewährungsprobe für den bundespolitischen Einfluss des Ministerpräsidenten. Und tatsächlich hatte er für sich eine Hauptrolle vorgesehen: Für die Interessen Nordrhein-Westfalens und seiner Industrie werde er in Berlin einen Krach anfangen, wenn es sein müsse. Schließlich gehe es um Zehntausende Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen, je nachdem, wie real oder irreal man glaubt, die Energiepolitik ordnen zu müssen, so Armin Laschet im Vorfeld der Jamaika-Verhandlungen.
Schon als Oppositionsführer – das haben wir noch gut in Erinnerung – sparte er beim Thema „Energie und Braunkohle“ nicht mit Pathos. Wäre er Ministerpräsident, so Armin Laschet in der Debatte zum Haushalt 2015, dann würde er – Zitat – „für den letzten, den allerletzten und für jeden einzelnen Arbeitsplatz im Bereich der Braunkohle kämpfen.“ Denn das diene unserem Land.
Doch dann konnte man am 27. November in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ nachlesen, was es konkret bedeutet, wenn Armin Laschet für die Interessen Nordrhein-Westfalens einen Krach anfängt, um für den letzten, den allerletzten und für jeden einzelnen Arbeitsplatz zu kämpfen. Da kann man das nachlesen.
An einem späten Mittwochabend diskutierte er bei einem Glas Wein mit der Bundeskanzlerin und ihrem Kanzleramtschef über die deutschen Klimaschutz
ziele und die Zukunft der Braunkohle. Die Bundeskanzlerin wollte den Grünen anbieten, die Leistung der Kohlekraftwerke um 7 GW zu reduzieren. Das hätte in der Folge nicht nur zu höheren Stromkosten geführt und die Versorgungssicherheit gefährdet, sondern das hätte auch Tausende Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen bedroht – nicht nur im Energiesektor. – Das war allen klar, auch Ihnen, Herr Laschet.
Für den NRW-Ministerpräsidenten wäre das ja der Zeitpunkt gewesen, um einen Krach anzufangen, um endlich Einfluss zu nehmen. Doch was tat der Ministerpräsident? Er sagte: Okay, dann bieten wir eben 7 GW an. – Das war alles. Das war sein Kampf für die Interessen unseres Landes.
Herr Ministerpräsident, wie lange hat denn dieser Kampf gedauert? Ein Glas Wein oder zwei Gläser? Ein halbes Stündchen oder ein ganzes? Ganz gleich, wie lange: Der Ministerpräsident war doch bereit.
Ich zitiere:
Den Industriestandort Nordrhein-Westfalen vorsätzlich zu schwächen, das ist das bittere Fazit, das Christian Lindner nach den Jamaika-Sondierungen ziehen musste.
Und er fügte hinzu:
„Ganz NRW wäre von dieser Jamaika-Politik betroffen gewesen. Bei sieben Gigawatt weniger Kohlestrom wäre es im rheinischen Braunkohlenrevier zu ‚echten Strukturbrüchen‘ und sozialen Verwerfungen gekommen.“
Wohlgemerkt, die Rede ist von einem Ministerpräsidenten, der einst beteuert hatte, für jeden Industriearbeitsplatz kämpfen zu wollen. Das war das Ergebnis des Abends bei einem Glas Wein mit der Bundeskanzlerin.
„Die Wahrheit ist, dass Armin Laschet NRWIndustriearbeitsplätze auf dem schwarz-grünen Koalitionsaltar geopfert hätte.“
Auch das sind nicht meine Worte. Das ist das vernichtende Urteil von Johannes Vogel, dem Generalsekretär der NRW-FDP. Es ist das vernichtende Urteil, Herr Ministerpräsident, Ihres eigenen Koalitionspartners in Nordrhein-Westfalen. So viel zu Ihrem Durchsetzungsvermögen im Bund, meine Damen und Herren.
Nach gut sechs Monaten im Amt steht fest: Für Nordrhein-Westfalen kämpft der Ministerpräsident nur in Interviews. Er ist ein Held des Wortes, aber schwach in der Tat.
Ja, Herr Ministerpräsident Laschet, ich muss Ihnen das sagen: Sie sind ein schwacher Ministerpräsident.
Ihre Aufbruchsrhetorik wirkt gekünstelt, Ihr Optimismus aufgesetzt, Ihr sozialpolitisches Mitgefühl bloß ausgestellt. Sie wollten ein Ministerpräsident sein, der das Selbstbewusstsein eines stolzen NordrheinWestfalens verkörpert.
Nun sind Sie ein Ministerpräsident, der Fehlentscheidungen, Misserfolge und Blamagen zu verantworten hat – politische und personelle im Bund und im Land. So viel als Fazit zu Ihrer ersten Zeit.
Und jetzt rufen Sie die Sozialdemokratie zur Hilfe. „In der Industriepolitik setze ich auf die SPD“, haben Sie gesagt. Jetzt sollen wir Ihnen aus der Patsche helfen.
Jetzt sollen wir über die Bundespolitik für Weichenstellungen und Investitionen sorgen, die Sie selbst nicht zustande gebracht haben – in der Industrie- und Energiepolitik, beim Wohnungsbau oder bei Investitionen in ein besseres und gerechteres Bildungssystem. Tatsächlich – ja, ich gebe es zu – hat die SPD in den fünf Tagen der Sondierungen in Berlin mehr für Nordrhein-Westfalen erreicht als der Ministerpräsident in den wochenlangen und schließlich gescheiterten Jamaika-Verhandlungen. Ja, das ist so.
Die Wahrheit tut weh; ich weiß das.
In ihrer Not greift die Regierung des Ministerpräsidenten jetzt in der Landespolitik selbst auf sozialdemokratische Rezepte zurück, indem sie die industriepolitischen Leitlinien der Regierung Kraft übernehmen will. Das ist auch nicht falsch; das ist gut und richtig für unser Land.
In den letzten fünf Jahren unserer Regierungszeit sind in Nordrhein-Westfalen mehr als 700.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstanden, allein 400.000 in den letzten zwei Jahren. In Nordrhein-Westfalen gibt es ein robustes Wirtschaftswachstum und einen Gründerboom, und nichts, aber auch gar nichts davon geht auf das Konto dieser Koalition, meine Damen und Herren.
Halten wir das einmal fest: Bei der Schaffung von Arbeitsplätzen steht es zwischen Rot-Grün und Schwarz-Gelb – Stand heute – 700.000 zu null. Den Rückstand müssen Sie erst einmal aufholen.
Nein.
Gleichwohl weiß ich, dass die vielen Arbeitsplätze, die im Dienstleistungssektor entstanden sind, bei Weitem nicht so gut bezahlt sind und weniger soziale Sicherheit bieten als die Arbeitsplätze in der Industrie. Ich weiß auch, dass die Menschen, die dort Arbeit gefunden haben, nicht das Gefühl haben, ihnen sei irgendetwas geschenkt worden.
Zu viele Menschen, die ihr Leben lang hart gearbeitet haben, müssen befürchten, dass ihre Rente trotzdem nicht reichen wird oder dass ihre Kinder nicht die Aufstiegschancen haben, die sie verdienen. Sie befürchten, dass Bildung, Aufstieg und soziale Sicherheit ein Nullsummenspiel sind: Deine Chancen gehen zulasten meiner Chancen. – Doch das darf und muss auch nicht sein.
Wir haben in unserer Regierungszeit vieles auf den Weg gebracht, um dieses Nullsummenspiel zu beenden. Wahrscheinlich war das nicht genug – ich weiß das –; denn wenn wir alles richtig gemacht hätten, hätten wir die Wahl nicht verloren. Das ist völlig klar.
Ja, wir haben das durchaus begriffen, und das arbeiten wir jetzt auf.
CDU und FDP haben ihren Erfolg nicht begriffen. Sie glauben, Sie könnten mir Ihrer Marktentfesselungsideologie einfach dort weitermachen, wo Sie 2010 aufhören mussten.
Diese Landesregierung wollte die Menschen glauben machen, sie hätte einen Zauberstab, mit dem sie die Probleme des Landes lösen könnte. Doch dem ist nicht so. Das Einzige, was sie anzubieten hat, ist das Programm einer profanen Mitte-rechts-Regierung: Deregulierung und Marktentfesselung. Das ist das Einzige, was Sie anzubieten haben.
Diese Regierung kann nicht zaubern. Sie ist inzwischen schon entzaubert. Bereits nach fünf Monaten war die Regierung Laschet – ich habe es vorhin einzeln nachgewiesen –
eine Regierung gebrochener Versprechen. Nach fünf Jahren wird sie eine Regierung der enttäuschten Hoffnungen sein.
Für mehr Gerechtigkeit, für Innovation, für soziale Sicherheit bedarf es auf Dauer neuer Mehrheiten, und zwar jenseits der Union in Deutschland, in NordrheinWestfalen. – Vielen Dank für das Zuhören. Glück auf für unser Land, meine Damen und Herren!
Das ist zwar unüblich, aber in Ordnung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir nehmen unsere Verantwortung als Opposition wahr. Ich gehe davon aus, dass CDU und FDP als Regierungskoalition dies genauso handhaben. Das ist gerade in meiner Rede deutlich geworden. Ich bin gespannt, wie Sie darauf reagieren werden.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Regierungsverantwortung zu übernehmen bedeutet immer auch, ein Erbe anzutreten. Wir wissen das.
Erbe kann eine Belastung sein, auch eine Befreiung, aber zu erben ist in keinem Fall eine Leistung und erst recht keine Tugend, wie uns der Finanzminister das 43 Minuten lang weismachen wollte, meine Damen und Herren. Das ist es nicht.
Die neue Mitte-rechts-Koalition von CDU und FDP
hat von ihrer rot-grünen Vorgängerregierung
ein robustes Wirtschaftswachstum und solide Finanzen, Steuereinnahmen auf Rekordniveau und die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 25 Jahren geerbt. Hinzu kommt das historisch niedrige Zinsniveau, auch nicht Ihr Verdienst, Herr Minister. Das sind die Gründe, warum Sie, Herr Lienenkämper, der zweite Finanzminister seit 1973 sind, der aller Voraussicht nach ein Haushaltsjahr ohne neue Kredite abschließen wird. Der erste war Norbert Walter-Borjans.
Dass Sie Ihrem Vorgänger nacheifern, das ist gut, das ist richtig. Dass Sie sich mit seinen Erfolgen schmücken können, ist unser Pech, Ihr Glück, aber mit Sicherheit nicht Ihre Leistung, Herr Lienenkämper, mit Sicherheit nicht Ihre Leistung.
Weil Sie immer wieder dazwischenrufen, will ich eine grundsätzliche Bemerkung dazu machen. Jetzt kommen Sie mir wieder mit Ihrer Wahlkampfgeschichte: Unsere Wirtschaftspolitik sei erfolglos gewesen, weil sich schlechte Wirtschaftspolitik – na klar! – schon immer durch sinkende Arbeitslosenzahlen, durch sinkende Haushaltsdefizite und durch stetig steigende Steuereinnahmen ausgezeichnet hat. Das ist Volkswirtschaftslehre auf allerhöchstem Niveau, meine Damen und Herren, auf allerhöchstem Niveau.
Dass man Ihnen für diese Theorie noch nicht zu einem Nobelpreis verholfen hat, ist wahrlich ungerecht. Bewerben Sie sich doch einfach mal mit Ihrer Theorie ganz proaktiv bei der schwedischen Reichsbank. Da wird man beeindruckt sein. Also im Ernst: Mit diesem Unsinn blamieren Sie sich bis auf die Knochen. Lassen Sie es sein, das hilft Ihnen, hilft allen. Lassen Sie es sein!
Meine Damen und Herren, ich will ausdrücklich anerkennen: Uns wurde ein Haushaltsentwurf ohne neue Kreditermächtigung vorgelegt. Und selbstverständlich hat auch der Finanzminister seinen Anteil an der Null. Immerhin hat er Ausgabenkürzungen in Höhe von sage und schreibe 131 Millionen € in seinem Entwurf vorgesehen, 131 Millionen € in einem Gesamtetat von 75 Milliarden €. Damit lässt sich der Beitrag des Ministers für den ausgeglichenen Haushalt 2018 bis auf die Nachkommastellen berechnen.
Es sind 0,1759 % oder 1,76 Promille – ein beeindruckender Wert, aber nur bei einer Alkoholkontrolle, meine Damen und Herren.
„Mancher unterschätzt seine Leistungen, weil er seine Fähigkeiten überschätzt.“ Das schrieb einst der Allianz-Manager Maximilian Eichbaum. Bei Herrn Lienenkämper besteht da keine Gefahr; er überschätzt seine Fähigkeiten nicht. Er hat gerade für sich und für seine 0,176 % Eigenleistung eine vor Selbstrührung triefende Messe gelesen.
Dieses für Ihre Regierung typische Größenverhältnis zwischen Eigenleistung und Eigenlob verrät im Übrigen viel über Ihren haushaltspolitischen Ehrgeiz.
Tatsächlich plant der Finanzminister mittelfristig mit deutlich geringeren Haushaltsüberschüssen als sein Vorgänger. Allein für die Jahre 2019 und 2020 rechnet er mit fast 3 Milliarden € weniger – und das, obwohl er von gleich hohen Steuereinnahmen ausgeht wie Norbert Walter-Borjans, dem Sie, Herr Minister, übrigens noch vor einem Jahr vorgeworfen haben, er rechne sich die Einnahmen schön.
Was sollen wir jetzt davon halten? Rechnet sich der neue Finanzminister auch die Einnahmen schön? Und wenn nicht, warum streben Sie dann geringere Haushaltsüberschüsse an als die rot-grüne Vorgängerregierung? Entweder erwarten Sie deutlich weniger Steuereinnahmen, weil Sie insgeheim nicht an den Erfolg Ihrer Wirtschaftspolitik glauben. Oder Sie glauben nicht an den Konsolidierungswillen Ihrer Kolleginnen und Kollegen und planen deshalb mit deutlich höheren Ausgaben.
Aber das sind Fragen, die ja nur dann relevant wären, wenn Sie tatsächlich den haushaltspolitischen Ehrgeiz hätten, den Sie uns jahrelang vorgespielt haben. Und jetzt halten Sie schon das Nötigste für eine herausragende Leistung.
So hielt der Ministerpräsident, meine Damen und Herren, seine Ankündigung, Schwarz-Gelb werde in den kommenden Jahren die Verfassung beachten, für eine derart sensationelle Nachricht, dass man glauben konnte, er rechne ernsthaft mit Sondersendungen auf allen Kanälen.
Diese jähe Ehrgeizlosigkeit dieser Regierung lässt sich ja auch an Ihren Forderungen nach mehr Geld aus Berlin ablesen.
Noch in seiner Regierungserklärung hatte der Ministerpräsident verkündet, Landespolitik besteht – Zitat – „nicht darin, immer dann, wenn es schlecht ist, nach Geld beim Bund zu rufen“. Wenige Wochen später reist er dann zu den Sondierungsverhandlungen nach Berlin, im Gepäck nicht weniger als 42 Wünsche seiner Ministerien nach mehr Bundesgeld,
unter anderem für die Kitabetreuung, für die Sozialarbeit an Schulen, für die Ganztagsschulen, für Schulen im Allgemeinen, für die Integration von Geflüchteten, für den sozialen Wohnungsbau usw.
Die Forderungen dieser Landesregierung sind so hoch und vielseitig, dass seinem Parteifreund Eckhardt Rehberg, dem haushaltspolitischen Sprecher der Unionsfraktion, der Kragen platzte. Der nannte nämlich die Forderungen des NRW-Ministerpräsidenten eine Dreistigkeit, einen Affront und eine Realitätsverweigerung.
Lassen wir einmal, meine Damen und Herren, die Frage beiseite, ob diese Forderungen gerechtfertigt sind oder nicht. Wer von den Ankündigungen des Ministerpräsidenten zum Boden seines Handelns gelangen will, der braucht nicht weniger als ein TiefseeU-Boot, nicht weniger als ein Tiefsee-U-Boot.
Meine Damen und Herren von CDU und FDP, ich würde Ihnen gern meinen kostbaren Spott vorenthalten. Aber das kann ich nicht machen; dafür haben Sie ihn sich einfach zu redlich verdient.
Was haben Sie uns zu Ihrer Oppositionszeit nicht alles vorgeworfen? Von strukturellen Haushaltsdefiziten in Milliardenhöhe war da die Rede. Ein Sparpaket in Höhe von mindestens 2 Milliarden € müsse her. Herr Laschet forderte globale Stellenstreichungen im öffentlichen Dienst in Höhe von 1,5 % jedes Jahr. Herr Optendrenk wollte allein 300 Millionen € im Schuletat streichen. Das wären 6.000 Lehrerstellen gewesen. Und in jedem Fall – so hieß es im CDUWahlprogramm – werde man neue Aufgaben konsequent durch Kürzungen an anderer Stelle ausgleichen. Das sei auch kein Problem; denn die CDU habe ja durchgerechnete Sparvorschläge in der Schublade, 140 an der Zahl.
Und nun? Was ist denn aus all Ihren Anträgen, Beschlüssen und Positionspapieren geworden? Das Letzte, was man von Ihren Finanzkonzepten gehört hat, war die Toilettenspülung im Büro des Finanzministers, und zwar am Tag seiner Amtsübernahme, meine Damen und Herren.
Nur, damit Sie mich nicht falsch verstehen: Dass Ihre Oppositionskonzepte den Weg in die Kanalisation nehmen mussten, ist nicht weiter schlimm; die gehören da auch hin. Notwendige Zukunftsinvestitionen müssen immer Vorrang haben vor unnötig hohen Überschüssen. Das war immer unsere Überzeugung. Das bleibt auch so. Ich freue mich, dass es langsam auch Ihre Überzeugung zu werden scheint.
Aber trotzdem gilt doch, eines festzuhalten: Durch den Haushaltsentwurf der neuen Regierung werden
die Finanzkonzepte der alten Opposition der Lächerlichkeit preisgegeben, meine Damen und Herren.
Ja, Sie geben sie der Lächerlichkeit preis. Denn im Hinblick – das wurde gerade in der Rede des Finanzministers deutlich – auf die Haushaltskonsolidierung tun Sie nichts von dem, was Sie jahrelang von uns gefordert haben, nichts. Das allein wäre kein Problem – im Gegenteil: In den meisten Fällen ist das auch besser so.
Ihr Problem ist, dass Sie vor der Wahl so hohe Erwartungen geweckt und so viele Versprechen abgegeben haben,
von denen Sie wussten, dass Sie die niemals einhalten können. Meine Damen und Herren, das ist Ihr Problem!
Ein Beispiel ist die Pauschale des Bundes zur Integration von Flüchtlingen, die Integrationspauschale.
Es war Armin Laschet, der als Oppositionsführer immer und immer wieder forderte, jeder Cent der 434 Millionen € müsse an die Kommunen weitergeleitet werden; alles andere sei unverantwortlich. Jetzt sind Sie in der Verantwortung. Und was tun Sie? Wie viele Euro leiten Sie an die Kommunen weiter? – Keinen einzigen!
Im Gegenteil: Sie kürzen sogar 17 Millionen € bei der sozialen Flüchtlingsberatung. „Versprochen – gebrochen“.
Ein zweites Beispiel ist der Pensionsfonds für die Beamtinnen und Beamten des Landes. Wir hatten die Zuweisungen aus dem Landesetat auf 200 Millionen € pro Jahr festgesetzt. Was haben Sie getobt und gezetert! Es müssten mindestens 700 Millionen € pro Jahr mehr sein! Was die rot-grüne Regierung da mache, sei eine unverantwortliche Trickserei, schimpfte Armin Laschet in der Debatte zum Haushalt 2016.
Und an dieser Stelle vermerkten die Protokollanten dann einen Zwischenruf des Abgeordneten Lienenkämper. „So ist es!“, hat er gerufen. „So ist es!“ – Tatsächlich, Herr Lienenkämper? Ist das so? Dann schauen wir doch mal, wie hoch Ihre Zuweisungen
an den Pensionsfonds sind. Es sind gerade mal 80 Millionen €, die Sie überweisen wollen. Rechnet man schon getätigte Vorauszahlungen großzügig hinzu, dann landen Sie wieder bei den 200 Millionen € Ihres Vorgängers.
Jetzt würde mich mal interessieren, wie Sie diese 200 Millionen € heute nennen. Für Ihren Ministerpräsidenten ist das eine „verantwortungslose Trickserei“.
Und welche Bezeichnung bevorzugen Sie, Herr Finanzminister? Ich bin mal gespannt auf Ihre Antwort!
Mein drittes Beispiel ist die Hochschullehre.
Herr Laschet hat als Oppositionsführer vollmundig versprochen, als Ministerpräsident würde er für die beste Betreuungsquote aller Bundesländer sorgen – also für die geringste Anzahl an Studierenden pro Dozent. Wir erwarten ja gar nicht, dass Sie dieses ehrgeizige Ziel innerhalb von einem oder zwei Jahren erreichen. Was wir nach Ihren vollmundigen Versprechungen aber erwarten, ist ein Konzept. Was wir erwarten, sind erste Schritte, die sich auch in den Haushaltsmitteln niederschlagen.
Doch all das gibt es nicht – weder ein Konzept noch erste Schritte. Ihre Ministerin verweist lediglich auf die Mittel des Hochschulpakts und setzt ansonsten alle Hoffnungen auf die Hochschulvereinbarungen der rot-grünen Vorgängerregierung: 250 Millionen € mehr Grundmittel für bessere Lehre bis 2021.
Also: Rot-Grün soll es im Nachhinein noch richten. Das ist Ihre Hoffnung – und das war es dann auch.
Ach ja! Eines will ich nicht vergessen: Dann soll es ja noch Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer geben, was im Grunde nichts anderes ist als eine Strafsteuer für international vernetzte Universitäten und ein Gebührenzaun gegen zukünftige Fachkräfte.
Ihr Vorbild ist Baden-Württemberg. Erst hieß es, die zu erwartenden Einnahmen – 100 Millionen € sollten es sein – würden in die Verbesserung der Lehre fließen. Dann hieß es: Vielleicht investieren wir das Geld doch lieber in die Digitalisierung.
Mittlerweile ist völlig unklar, ob diese Gebühren überhaupt kommen; denn der Wissenschaftsministerin ist das Projekt ein wenig peinlich. Sie will diese Gebühren mittlerweile nur noch dann einführen, wenn es in Baden-Württemberg nicht zu einem Einbruch der Studierendenzahlen und der Gebühreneinnahmen kommt. Doch genau das ist dort nun eingetreten. Die