Protocol of the Session on June 27, 2019

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Jo- sef Hovenjürgen [CDU]: Unglaublich! Was ha- ben Sie die ganze Zeit gemacht, als Sie an der Regierung waren? – Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

Ich habe ein bisschen länger, weil die Regierung überzogen hat.

Wie bekannt, sind rund 50 % der Haushalte in unseren Großstädten aufgrund der Einkommenslage berechtigt, einen Wohnberechtigungsschein zu erhalten. Deshalb ist Ihre Bilanz niederschmetternd.

Wie ist die Mietpreisentwicklung? – Laut Wohnungsmarktbericht: Neubaumieten in NRW seit 2010 um 29 % gestiegen, die Mieten im Bestand im selben Zeitraum um 23 %. Die Preissteigerung betrug 11,5 %, der Zuwachs der Reallöhne 11 %. – Meine sehr verehrten Damen und Herren von CDU und FDP, Sie verschließen davor Ihre Augen.

Das hat massive Auswirkungen auf die Menschen. So hat die Hans-Böckler-Stiftung 2017 eine Untersuchung über die Wohnverhältnisse in 77 Städten aus ganz Deutschland vorgelegt, erstellt von der Humboldt-Universität und der Goethe-Universität, also Berlin und Frankfurt. Im Untersuchungsfeld Mietbelastungsquoten finden sich im Ranking auf den Plätzen 1 bis 4 nur Städte aus Nordrhein-Westfalen: Bonn, Neuss, Köln, Düsseldorf – alle an der Rheinschiene in Nordrhein-Westfalen. Das macht deutlich, über welche Situation wir hier reden und dass Sie auf der völlig falschen Fährte sind.

Die Caritas hat im Jahre 2018 deutlich gemacht: Für 76 % der Befragten ist bezahlbares Wohnen ein äußerst, ein sehr wichtiges Thema.

(Zurufe von der CDU)

Für die Menschen mit niedrigem Einkommen von bis zu 2.000 Euro liegt der Wert bei 97 %. Die Sicherung der Wohnung als elementares Grundbedürfnis wird weit überwiegend gesehen, insbesondere bei Menschen unter 30 und über 50 Jahren. Für über 79 % der Befragten stellen laut Caritas hohe Wohnkosten ein hohes Armutsrisiko dar – nachteilig für Kinderentwicklung, Trennung von Arm und Reich, drohenden Wohnungsverlust, kein Raum, um Besuch empfangen zu können, usw.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, von der Politik erwartet werden die Förderung des sozialen Wohnungsbaus und preiswerter Wohnraum für benachteiligte Personengruppen. Das sind die zentralen Forderungen.

Man kann der Caritas wirklich nicht vorwerfen, sie sei eine radikale Organisation.

Der über Jahre geführte Kampf der CDU gegen geförderten und sozialen Wohnungsbau vor Ort wird bildhaft an der legendären Aussage des Düsseldorfer Oberbürgermeisters a. D. Elbers, die Assis sollten doch im Ruhrgebiet wohnen bleiben.

Der insbesondere im Rheinland vehement geführte Kampf von Schwarz-Grün – oft mit den Mehrheitsunterstützern der FDP – zur Verhinderung von Wohnungsbauprojekten vor Ort sorgt dafür, dass man aus Angst vor den Nachbarn, die dann vielleicht nicht

mehr wählen, nicht bereit ist, den Wohnungsbau voranzutreiben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie tragen die Verantwortung für die Radikalisierung, die wir in der Wohnungspolitik im Moment alle beklagen.

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

Deshalb haben wir dafür zu sorgen, dass diese Radikalisierung beendet wird. Sie müssen da endlich Zeichen setzen.

Heute, jetzt zu dieser Stunde werden Tausende von Unterschriften übergeben. An den Unterschriften des Bündnisses „Wir wollen wohnen!“ sehen Sie, dass wir der Radikalisierung entgegenwirken können, wenn wir politisch vernünftig handeln. Nehmen Sie deshalb endlich die Mehrheit der hart arbeitenden Menschen mit Durchschnittseinkommen in den Blick, die preiswertes Wohnen braucht! Dann können wir gemeinsam die Wohnungsnot in diesem Land bekämpfen und Obdachlosigkeit in Zukunft verhindern. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Ott. – Jetzt hat Herr Kollege Beckamp von der AfD-Fraktion das Wort.

Vielen Dank, Herr Ott – das war mein Stichwort: Radikalisierung in der Wohnungspolitik. Da fühle ich mich direkt angesprochen.

Zuerst möchte ich aber Herrn Laumann für den Bericht danken. Was Sie an Vorhaben dargestellt haben – diese 3 Millionen Euro mit Blick auf eine soziale Begleitung bzw. Betreuung –, halte ich in der Tat für sehr sinnvoll.

Ich halte es auch für sinnvoll, dass Sie als Staat den Unternehmen Geld geben, um diese Aufgabe wahrzunehmen; denn die haben dadurch einen Mehraufwand. Dieser ist am Wohnungsmarkt untypisch und muss abgegolten werden, damit er geleistet werden kann. Insofern ist das sinnvoll. Es ist nicht die direkte Aufgabe der Unternehmen; dann passiert es nämlich leider oft nicht. So ist der Markt eben. Das muss man einsehen.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Herr Laumann, was Sie als Handlungskonzept angekündigt haben, ist mitnichten umfassend. Es hat von meiner Warte aus bis heute niemand hier im Raum umfassend benannt; denn umfassend wäre gewesen, auch die Probleme zu benennen.

Herr Laumann – und Herr Neumann genauso –, Sie haben insbesondere die Themen „Sucht“ und „Fehlverhalten“ in den Vordergrund gestellt. Ja, einige Leute haben massive persönliche Probleme und sind

deswegen nur bedingt am Wohnungsmarkt vermittelbar bzw. wohnfähig.

Mit Verlaub, nach aktuellen Statistiken der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe ist die Wohnungslosigkeit in den letzten fünf Jahren aber um 150 % gestiegen. Es ist völlig unplausibel, dass das Gros dieser Menschen wegen Fehlverhalten oder Sucht wohnungslos geworden ist.

Vielmehr reden wir – Sie haben das nur am Rande getan – über drei wesentliche Ursachen bzw. Faktoren; damit kommen die Punkte, die Herr Ott nie benennt und Herr Mostofizadeh nicht mal sieht: die Zuwanderung, aber genauso die Fehlbelegung im sozialen Wohnungsbau sowie – da sind die Grünen ganz vorne mit dabei – die Gentrifizierung. Dies sind die drei wesentlichen Merkmale, warum für bestimmte Bevölkerungsgruppen der Zugang zu Wohnungen kaum noch oder nur erschwert möglich ist.

Wenn wir diese benennen – und das ist natürlich nicht Ihre alleinige Aufgabe im Ministerium für Soziales –, dann kommen wir der Problemlösung näher, indem wir beispielsweise das Problem „Fehlbelegung“ – wir hatten es ja letzten Monat – angehen. Da sitzen nämlich viele Leute in den sozial geförderten Wohnungen, die gar nicht dort hineingehören und viel besser verdienen als diejenigen, die dort wohnen könnten.

Zum Thema „Zuwanderung“ – Sie sagten es – : Die Gemeinden mieten Wohnungen und Einfamilienhäuser an. Halten Sie den Satz „Es wird niemandem etwas weggenommen.“ aufrecht? Würden Sie das so sagen? – Ich glaube nicht. Und genau das ist ein wesentliches Problem, das wir benennen müssen. Wir benennen das, aber von Ihnen hat das heute leider niemand getan.

Herr Neumann sprach von der Spaltung der Gesellschaft – ja, insbesondere in dem Bereich. Es ist nämlich die Verdrängung durch die Leute, die Sie alle reingeholt haben, und die stets und ständig genau die Segmente, den günstigen Wohnraum vom Markt nehmen. Diese Verdrängung findet statt.

Das letzte Ende der Kette ist dann die Wohnungslosigkeit. Es ist kein zahlenmäßig massives Problem von Sucht und Fehlverhalten, sondern von Verdrängung aufgrund einer zu großen Nachfrage – fein ausgedrückt: Fernwanderungsgewinne, die Sie ins Land geholt haben und die die eigenen Leute verdrängen. Das ist ein wesentliches Problem, das zur Sprache kommen muss.

Wenn Sie dann vielleicht noch überlegen, wie viel Geld Sie einsetzen. Sie sprachen von 3 Millionen Euro für die soziale Betreuung, glaube ich. Soweit ich weiß, waren es im Haushalt insgesamt 6,5 Millionen Euro.

(Zuruf von Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales)

Setzen Sie das ins Verhältnis zu dem Geld, das tagtäglich ausgegeben wird. Nur ein Beispiel aus Köln – es ist ein bisschen älter; Herr Ott, vielleicht erinnern Sie sich –: 2016 hat die Stadt Köln meines Wissens rund 12.000 oder 13.000 Flüchtlinge untergebracht. Von diesen wurden von der Stadt Köln ca. 2.500 in Hotels und Pensionen untergebracht. Auch die gelten damit als wohnungslos; denn das ist ja nicht ihr eigener Vertrag.

Raten Sie mal, was die Stadt Köln nur für diesen Bruchteil der Menschen jeden Tag ausgegeben hat – nur für die Unterkunft; davon hatten sie noch kein Stück Brot. – Die Stadt Köln gab damals jeden Tag für die rund 2.500 Flüchtlinge in Hotels und Pensionen 76.000 Euro aus – jeden Tag. Rechnen Sie das mal auf das Jahr hoch und setzen Sie das ins Verhältnis zu dem Geld, das Sie jetzt ausgeben. Das sind wahnsinnige Gefälle durch Verdrängungseffekte, die Sie nicht sehen, nicht benennen. Es wäre die erste Aufgabe für Sie und andere Ministerien, das anzugehen. Wir benennen das. – Danke.

(Beifall von der AfD)

Vielen Dank, Herr Kollege Beckamp. – Für die Landesregierung hat jetzt Frau Ministerin Scharrenbach das Wort.

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Öffentliche Wohnraumförderung. Sehr geehrter Herr Abgeordneter Ott, Sie haben eben der CDU, der FDP und der Landesregierung vorgeworfen, wir würden die Gesellschaft in der Frage der Wohnungsraum- und Wohnungsbaupolitik radikalisieren. Überlegen Sie zum einen, ob das ernsthaft die richtige Wortwahl war, und zum anderen, ob Sie sich nicht vielleicht selber meinen; denn der Einzige, der in diesen Fragen radikalisiert, sind Sie. Erstens.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Zweitens. Die Landesregierung gibt in diesem Jahr 1,3 Milliarden Euro für die öffentliche Wohnraumförderung aus – für Bevölkerungsgruppen, die sich aufgrund eines geringen Einkommens selbst nicht ausreichend am Markt versorgen können. 1,3 Milliarden Euro – davon entfallen 100 Millionen Euro auf Eigentum. Der Rest entfällt vollständig auf den Mietwohnungsbau – Neubau, Modernisierung, Studierendenwohnheime usw.

Sie können mir nicht die Frage beantworten, warum Sie als SPD und Grüne jungen Familien den Traum vom Eigenheim nicht ermöglichen wollen und diese Gruppen permanent gegeneinander ausspielen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Jochen Ott [SPD]: Machen wir gar nicht!)

Auch junge Familien haben in Nordrhein-Westfalen das Recht, Eigentum zu bilden. Und wissen Sie, was das Bezeichnende ist?

(Jochen Ott [SPD]: Das ist Popanz! Das macht gar keiner! – Gegenruf von Dr. Ralf Nolten [CDU])

In der Zeit Ihrer Wohnraumförderpolitik haben Sie 80 Millionen Euro für Eigentumsmaßnahmen zur Verfügung gestellt. Als aber CDU und FDP zu Beginn der Legislaturperiode 80 Millionen Euro zur Verfügung gestellt haben, war das auf einmal ein Paradigmenwechsel in der öffentlichen Wohnraumförderpolitik – Merken Sie eigentlich, wie schräg Ihre Argumentation inzwischen ist?

(Beifall von der CDU und der FDP)

Was wir gemacht haben – das gebe ich zu –, ist, in der Wohnraumförderrichtlinie für Eigentum Sorge dafür zu tragen, dass die Menschen diese Förderrichtlinie tatsächlich in Anspruch nehmen können. Das ist übrigens dieselbe Zielgruppe wie diejenige, für die wir Mietwohnungsbau und Modernisierung betreiben. Sie haben die Förderrichtlinien so gestaltet, dass junge Familien gar keine Möglichkeit hatten, das Geld in Anspruch zu nehmen. Deshalb ist es nicht abgeflossen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Heike Gebhard [SPD])

Wenn Sie hier schon immer wieder die Zahlen anführen, was 2016, 2017 oder 2018 fertiggestellt wurde, dann seien Sie dabei doch ehrlich. Herr Ott, Sie sind doch, glaube ich, Aufsichtsratsvorsitzender der größten kommunalen Wohnungsbaugesellschaft in Nordrhein-Westfalen, der GAG.

(Jochen Ott [SPD]: Habe ich ja eben gesagt! – Helmut Seifen [AfD]: Hört, hört! – Marc Herter [SPD]: Was denn „Hört, hört“? Hat er doch ge- rade selber gesagt!)