Protocol of the Session on June 26, 2019

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Politiker der CDU, der sich vor vier Jahren getraut hat, einem Kasseler Ableger der Pegida eine klare Ansage und sich für die Errichtung einer Flüchtlingsunterkunft stark zu

machen, ist am 2. Juni vor seinem Haus aus nächster Nähe in den Kopf geschossen worden. Seit heute Morgen wissen wir, dass die schreckliche Tat einen klaren rechtsextremistischen Hintergrund hat. Der Tatverdächtige hat gestanden.

Damit herrscht traurige und zugleich erschreckende Klarheit: In diesem Monat ist mitten in Deutschland in einer Sommernacht ein Politiker und Demokrat für seine politische Meinung hingerichtet worden. Das erinnert uns an die Angriffe und die Morddrohungen gegen andere Politiker. Und es erinnert uns – Frau Schäffer hat eben schon darauf abgezielt – an die schrecklichen Anschläge des NSU, der zwischen 2000 und 2007 zehn Menschen ermordet und weitaus mehr Anschläge verübt hat.

Auch im aktuellen Fall sieht es so aus, als ob der Tatverdächtige – zumindest in der Vergangenheit – bestens in der rechtsextremen Szene vernetzt war. Das müssen wir klären; es sind viele Fragen offen. Ich glaube, das alles muss durchleuchtet werden.

Der Rechtsstaat schuldet den Opfern dieser erschreckenden Tat eine vollständige Aufklärung. Wir schulden den Opfern aber auch eine klare Haltung gegenüber dem Rechtsextremismus.

Es ist unsere Verantwortung – die Verantwortung aller Demokraten in Parlamenten –, dafür zu sorgen, dass die Sicherheitsbehörden und gerade die Verfassungsschutzbehörden bestmöglich für die Bekämpfung von Extremismus aufgestellt sind. Ich möchte, dass wir dieser wirklich widerlichen Szene am besten pausenlos auf den Springerstiefeln stehen. Für ein solches Gedankengut und solche abscheulichen Taten – da darf es wirklich keinen Zweifel geben – ist in Deutschland, ist in Nordrhein-Westfalen kein Raum.

(Beifall von der FDP, der CDU und der SPD sowie von Roger Beckamp [AfD])

Meine Damen und Herren, deswegen ist es gut, dass wir den ersten Schritt gegangen sind und die Sicherheitsbehörden, insbesondere aber auch den Verfassungsschutz in den letzten Jahren personell verstärkt haben.

Das kann aber noch nicht alles gewesen sein; denn wir wissen, dass die rechtsextreme Szene bekanntermaßen hochmobil ist. Wir wissen, dass es Hotspots in Dortmund und anderen Städten gibt. Offenbar gibt es aber auch eine lebendige Szene in Kassel und in Sachsen.

Daher ist es absolut notwendig, dass wir uns hier in Nordrhein-Westfalen und in der ganzen Republik Gedanken machen, wie wir die einzelnen Verfassungsschutzbehörden noch besser strukturieren und miteinander vernetzen können.

Natürlich muss es auch darum gehen, dass rechtsextremistische Einstellungen gar nicht erst entstehen, dass Täter gar nicht erst zu Tätern werden und dass wir nicht zulassen, dass Hass und Hetze, und zwar offline wie online, jemals salonfähig werden.

Innenminister Herber Reul hat am 6. Dezember 2018 im Innenausschuss gesagt, dass es in der rechtsextremistischen Szene aktuell zwei Entwicklungen gibt. Die erste Entwicklung: Ein Teil der Szene radikalisiert sich. Die zweite Entwicklung: Es gibt den anhaltenden Versuch, rechtsextremistische Positionen in die Mitte der Gesellschaft zu tragen.

Beides macht mir große Sorgen; denn wir beobachten seit Längerem, dass sich der gesellschaftliche Diskurs in manchen Teilen durchaus verändert. Die Gangart wird härter. Gerade die Wortwahl mancher Diskutanten im Internet überschreitet alle Grenzen.

So fehlen einem beispielsweise bei manchen Kommentaren, die als Reaktion auf die Nachricht der Ermordung von Dr. Walter Lübcke erfolgten, einfach nur noch die Worte. Man mag es kaum zitieren: „Ein toter Widerling mehr!“ – „Der fehlt gar kein kleines bisschen.“ – „Eine Wanze weniger!“ – „Endlich ist er erschossen worden.“

Solche Kommentare werden im Netz auch noch vielfach gelikt. Als Bürger, als Politiker bleibt man dann nur erschüttert zurück und fragt sich, wie es eigentlich sein kann, dass so über die Ermordung eines Menschen gesprochen wird.

Ich glaube, es ist kein Geheimnis, dass wir als Freie Demokraten die Digitalisierung vor allem als Chance begreifen. Wir lieben das Internet und die Freiheit im Internet. Genau deswegen müssen wir das Internet auch verteidigen. Es darf keine Propagandamaschine für rechte Hetze, für menschenverachtende Äußerungen und für Gewaltfantasien sein.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Auch hier müssen wir die Sicherheitsbehörden weiter befähigen und fit für die Verfolgung von Taten machen; denn in seinem blinden Hass vergisst mancher User ganz offenbar, dass schon die Androhung einer schweren Straftat oder gar eines Mordes im Internet eine Straftat ist. Ich wünsche mir, dass alle, die meinen, ihre hasserfüllten Kommentare täglich im Netz und anderswo loswerden zu müssen, bei jeder sich bietenden Gelegenheit demnächst die volle Funktionsfähigkeit des Rechtsstaates zu spüren bekommen. Auch im Netz muss wieder gelten: Achte auf deine Gedanken; denn sie werden zu Worten. Achte auf deine Worte; denn sie werden zu Taten.

(Beifall von der FDP und der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, für uns Freie Demokraten ist jedenfalls sonnenklar: In Nordrhein-Westfalen herrscht

Toleranz für Vielfalt und für jeden, der sich an die Regeln hält. In Nordrhein-Westfalen herrscht aber zugleich null Toleranz für Rechtsextremisten und Nazis. Rechter Hetze und Gewalt treten wir hier in Nordrhein-Westfalen geschlossen und absolut entschieden entgegen. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP, der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank; Herr Kollege. – Für die SPD-Fraktion hat nun der Abgeordnete Herr Kutschaty das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer wissen will, was die Weimarer Republik von der Bundesrepublik unterscheidet, der kann es heute erfahren. Vier demokratische Fraktionen hatten unabhängig voneinander den Willen, ein Zeichen gegen rechtsextremistischen Terror zu setzen. Heute tun wir es gemeinsam, und das ist gut!

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Das ist im Übrigen auch der Unterschied zwischen Weimar und der Bundesrepublik. Es ist der demokratische Wille der überwältigenden Mehrheit in diesem Parlament, und das zeigt die Macht und die Kraft unserer Demokratie.

Der rechtsextremistische Mordanschlag auf Walter Lübcke macht uns betroffen. Doch wir wanken nicht. Die zentrale Botschaft des heutigen Tages ins Land hinaus muss daher sein: Wir sind stärker als der rechte Terror.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Der Christdemokrat Walter Lübcke gehörte zu den Millionen von Menschen, die jeden Tag die Werte unseres Landes verteidigen – durch Verantwortungsbewusstsein, Mitmenschlichkeit und Hilfsbereitschaft. Wahrscheinlich genau deshalb ist er am 2. Juni dieses Jahres von einem Rechtsextremisten ermordet worden.

Walter Lübcke – so sagen es seine Freunde – war ein konservativer Patriot. Dass er den Hass der Rechtsextremisten auf sich gezogen hat, beweist vor allem eins: Rechtsextremisten sind keine Patrioten. Sie lieben unser Land nicht, sondern sie überziehen es mit Gewalt und Mord.

(Beifall von der SPD, der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Walter Lübcke ist der erste Politiker in der Geschichte der Bundesrepublik, der einem rechtsextremistischen Attentat zum Opfer gefallen ist. Er ist aber nicht das erste Opfer. Nach Angaben der Bundesregierung sind seit dem Jahre 1990 bereits 85 Menschen von Rechtsradikalen ermordet worden. Die Amadeu Antonio Stiftung, die sich dem Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus verschrieben hat, zählt sogar knapp 200 Taten, alleine 26 bei uns in Nordrhein-Westfalen.

Darüber hinaus werden jeden Tag Menschen und ihre Familien von Rechtsextremisten beleidigt, bedroht und oft genug auch angegriffen. Besonders gefährdet sind Menschen, die geflüchtet sind oder eine eigene Migrationsgeschichte haben. Zu den Opfern zählen aber auch Flüchtlingshelferinnen, ehrenamtlich Aktive, Vereinsmitglieder und Kommunalpolitiker. Das sind alles Menschen, die den Werten unserer Verfassung jeden Tag aufs Neue Geltung verschaffen.

Aber wie viele von ihnen haben wir möglicherweise schon verloren, weil sie die Bedrohungen nicht mehr aushalten konnten, weil auch ihre Familien bedroht wurden? Wie viele von ihnen wir möglicherweise schon verloren haben, wissen wir nicht. Sie sind ungezählt; denn der Bruder der Angst ist das Schweigen.

Aber auch das muss eine Botschaft des heutigen Tages sein: Wir dürfen in diesem Lande keinen einzigen Demokraten mehr verlieren!

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und Oliver Keymis [GRÜNE])

Deswegen müssen wir auch jene Menschen, die zu den Stützen unserer Zivilgesellschaft zählen, besser schützen – auch vor Worten. Denn Worte sind auch Taten. Jedes politische Verbrechen wird ausgesprochen, bevor es begangen wird. Dabei müssen Sprecher und Täter nicht identisch sein. In der Regel sind sie es sogar noch nicht einmal. Nichts ist einfacher, als konservative Patrioten von rechtsradikalen Banden zu unterscheiden – ganz gleich, wie gut die Anzüge sitzen oder wie bildungsbürgerlich sie sich tatsächlich geben. An ihren Worten kann man sie erkennen.

Wer sich vor einem Attentat an Lynchjustiz und Bürgerkriegsfantasien berauscht, begeht Verrat an den Werten unseres Landes, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Oft heißt es, politischer Extremismus sei ein politisches Problem; deswegen müsse er auch politisch bekämpft werden. Das ist sicherlich nicht falsch. Ja, Extremismus muss politisch bekämpft werden. Wir in Nordrhein-Westfalen machen schon sehr viel zur po

litischen Bildung. Es wäre schön, wenn wir uns gemeinsam darauf verständigen könnten, da zukünftig noch mehr zu tun.

Aber es gibt eine Grenze, an der alle demokratischen Diskurse, Dispute und Aufklärungsversuche enden müssen, und das ist die Grenze zur Gewalt, zur Androhung von Gewalt und zur Aufforderung zu Gewalt. Wird sie überschritten, muss die Repression beginnen.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Ich spreche dabei selbstverständlich von der Repression des demokratischen Rechtsstaats.

Erich Kästner schrieb einst über die Machtergreifung der Nazis:

„Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus einem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf …“

Meine Damen und Herren, es wird Zeit, dass der gewalttätige Rechtsextremismus die Macht der wehrhaften Demokratie zu spüren bekommt, und zwar noch härter und stärker, als es in diesem Lande bislang der Fall ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Ver- einzelt Beifall von der FDP)

Ich weiß, dass das leichter gesagt als getan ist. Ich weiß auch, dass die Erwartungen an Polizei, Justiz und Sicherheitsbehörden immer größer geworden sind. Sie müssen Organisierte Kriminalität bekämpfen, sie müssen islamistische Terroristen aufspüren und ihre Anschläge verhindern, und sie werden in Zukunft mehr denn je gewalttätigen Rechtsextremismus bekämpfen.

Allen Frauen und Männern bei Polizei, Justiz und Verfassungsschutz sage ich: Für ein Leben in Freiheit ist Ihre Arbeit unverzichtbar. Wir brauchen Sie mehr denn je, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)