Protocol of the Session on April 10, 2019

Umso größer war die Euphorie auch bei uns in der Opposition, als aus dieser Mischung aus Selbstüberschätzung auf der einen Seite und Ambitionslosigkeit auf der anderen Seite

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

plötzlich eine Digitalstrategie geboren werden sollte. Ein Onlinebeteiligungsverfahren wurde angekündigt. Wenn es darum geht, die Bürgerinnen und Bürger einzubinden, dann finden auch wir das natürlich richtig gut.

Was wir Ihnen aber von Anfang an hätten sagen können, ist, dass es dazu nicht reicht, einfach eine Seite online zu schalten und jetzt zu beschließen, dass das das große Beteiligungsverfahren für die Digitalstrategie ist.

Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, da hätten Sie frei nach Christian Lindners Äußerung zu „Fridays for Future“ vielleicht doch mal die Profis fragen sollen. Vielleicht hätten dann mehr als 0,00096 % der nordrhein-westfälischen Bevölkerung bei diesem großen Beteiligungsverfahren mitgemacht.

(Sarah Philipp [SPD]: Das ist aber wenig! Das ist aber wirklich wenig!)

Ich sage Ihnen: Wer Beteiligung so anlegt, wie Sie es getan haben, der zeigt, dass ihm die Meinung der Menschen in diesem Land komplett egal ist. Der nimmt eine einzelne Website einfach nur als Feigenblatt dafür, dass ihm nichts, aber auch wirklich gar nichts anderes einfällt. So macht man keine Politik für Nordrhein-Westfalen. Mit Ihrer Pseudobeteiligung haben Sie die Chance verpasst, eine Strategie zu entwickeln, die tatsächlich von den Menschen her gedacht und nicht einfach nur übergestülpt ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Aber mit Beteiligung scheinen Sie es ja insgesamt nicht so genau zu nehmen. Dass das Parlament die finale Fassung dieser Digitalstrategie …

(Zuruf von Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minis- ter für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie)

Sie möchten sich gleich entschuldigen? Das hätten Sie eben schon machen können, Herr Pinkwart. Ganz blöd gelaufen! Sie haben es gestern der Presse vorgestellt, und wir haben es erst gestern Nachmittag um 15 Uhr bekommen.

Sie zeigen damit, was Sie tatsächlich von direkt und insgesamt von gewählten Abgeordneten halten. Wer das Parlament aber nicht achtet, der tritt auch unsere Demokratie mit Füßen

(Zurufe von der CDU)

und damit die Meinung all der Menschen, die von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht haben. So ist es, liebe Kollegen von der CDU.

(Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU)

Wenn es Ihnen wirklich ernst wäre mit einer Digitalstrategie, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt, dann wären Sie auch mal auf die zugegangen, die sich tagtäglich mit diesem Thema beschäftigen, auf die, deren Arbeitsplatz gerade auf der Kippe steht, weil eine künstliche Intelligenz den Roboter steuert, der sie in Zukunft ersetzen soll.

Dann hätten Sie vielleicht auch mal mit denen gesprochen und wären aktiv auf diejenigen zugegangen – statt einfach eine Seite online zu schalten –, die in der Pflege längst darauf warten, dass digitale

Innovationen ihren Alltag erleichtern, die seit 40 Jahren Menschen ins Bett legen und sie wieder rausheben, sie in den Rollstuhl setzen und ihnen wieder raushelfen, deren Rücken irgendwann einfach nicht mehr kann.

Diese Menschen warten auf digitale Innovationen. Die gibt es endlich. Aber Herr Laumann müsste eben auch mal anwesend sein und entsprechende Maßnahmen anstoßen. Wo ist er denn?

(Daniel Sieveke [CDU]: Unverschämtheit! – Weitere Zurufe von der CDU)

Nein, das ist überhaupt nicht albern. Jetzt ist er nicht hier, während wir über das Thema sprechen.

(Zurufe von der CDU)

Diese Digitalstrategie betrifft das ganze Kabinett und nicht nur Sie, Herr Minister Pinkwart.

(Beifall von der SPD – Zurufe von Bodo Lött- gen [CDU] und Dietmar Brockes [FDP])

Vielleicht hätten Sie dann auch mal mit denen gesprochen, die keine Ahnung davon haben, wie das mit dem Onlinebanking geht, die aber auch niemanden mehr fragen können, weil gerade die letzte Bankfiliale in ihrem Dorf geschlossen hat, die sich von einer Entwicklung überholt fühlen, mit deren Tempo sie irgendwann einfach nicht mehr Schritt halten konnten.

Wir alle brauchen den digitalen Wandel und die vielen großartigen Möglichkeiten, die die Digitalisierung mit sich bringt. Was wir aber nicht brauchen, das ist der naive Fortschrittoptimismus nach dem Motto „Digitalisierung first, Bedenken second“.

Ihr vermeintliches Strategiepapier, das von einem Abgeordneten der regierungstragenden Fraktionen gestern als „Prunkstück der Landesregierung“ bezeichnet wurde, atmet den Geist eines Fortschrittsglaubens, der nichts, aber auch wirklich gar nichts mit dem zu tun hat, was die Menschen in diesem Land gerade bewegt.

Da ist von Entfesselung die Rede, von disruptiven Implikationen und von agilen Planungszyklen. Das sollte aber doch keine Strategie für irgendein Technologie-Start-up sein. Ich dachte immer, Ihre Strategie sollte für die Menschen in diesem Land gedacht sein.

Es ist aber überhaupt keine Rede davon, was Sie für diejenigen tun, die gerade um ihren Arbeitsplatz fürchten. Wissen Sie, wie viele Beschäftigte gerade verunsichert sind, weil jede Woche neue Zahlen durchs Land getrieben werden, die vielleicht zeigen, dass sie möglicherweise die nächsten sind, die ihren Job verlieren?

Wissen Sie, was es für die Menschen bedeutet, in eine vollkommen unsichere Zukunft hineinzuleben, in der vieles, was immer ganz selbstverständlich war,

ganz plötzlich keine Gültigkeit mehr besitzt? Denen hilft keine Landesregierung, die so, wie Sie das gerade wieder getan haben, immer nur auf ihre Vorgänger zeigt und ruft: Sie haben es ja auch nicht besser gemacht. – Sie stehen jetzt in der Verantwortung, und Sie müssen dieser Herausforderung auch gerecht werden.

(Beifall von Christian Dahm [SPD])

Die Zeit, in der Politik zeigen wollte, dass das Thema „Digitalisierung“ jetzt auch in selbiger angekommen ist und – Achtung! – kein Neuland mehr ist, ist vorbei. Jetzt ist die Zeit, in der die Menschen Antworten erwarten.

Wer in Ihrer Strategie nach Antworten sucht – Herr Pinkwart, ich habe mir wirklich Mühe gegeben und bin da extrem objektiv rangegangen, wie Sie sich vorstellen können;

(Lachen und Zurufe von der CDU)

da gibt es überhaupt nichts zu lachen –,

(Moritz Körner [FDP]: Da müssen Sie selber lachen! – Unruhe – Glocke)

der sucht tatsächlich die Nadel im Heuhaufen. Das wird den vielen arbeitenden Menschen in NordrheinWestfalen ganz bestimmt nicht gerecht. Es ist wirklich unverantwortlich, dass Sie an dieser Stelle keinen Schwerpunkt in Ihrer Strategie setzen.

(Beifall von der SPD)

Aber schauen wir uns die Strategie, die Sie hier als großen Erfolg verkaufen, einmal genauer an. Schließlich kann ja nicht alles schlecht sein.

Wir stellen fest: In den Zielen sind wir uns ganz oft einig, zum Beispiel wenn es darum geht, NordrheinWestfalen für Gründer so attraktiv wie möglich zu machen. Toll wäre es auch, wenn Sie mal was für Gründerinnen machen würden. Sie stehen nur hinter 15,1 % der Gründungen insgesamt. Das heißt, da ist noch ganz viel Luft nach oben. Dazu finde ich in dieser Strategie leider ziemlich wenig.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Woran es fehlt, ist ein Konzept mit Maßnahmen – das ist wirklich ein grundsätzlicher Fehler der Strategie –, wie diese Ziele tatsächlich erreicht werden sollen. Deshalb ist es so dermaßen lächerlich, dass Sie Ihre Digitalstrategie heute als Erfolg verkaufen wollen.

Ihre vermeintliche Strategie ist nichts weiter – und jeder, der sie gelesen hat, wird das bestätigen – als ein Sammelsurium von Einzelmaßnahmen, die zum großen Teil schon in unserer Regierungszeit auf den Weg gebracht wurden.

(Lachen von der FDP)

Schauen Sie sich das doch mal an! Ich denke nicht, dass Sie es selbst gelesen haben. Die neuen Gedanken, die Sie in diese Strategie einbringen, kann man an einer Hand abzählen. Ich möchte Ihnen natürlich Beispiele dafür geben. Sehen wir uns Ihren großen Maßnahmenkatalog einmal an.

Erstens. Beim Thema „Start-up“ nennen Sie die Digital Hubs, die schon unter Gerald Duin ins Leben gerufen wurden.

Die zweite von Ihnen angekündigte Maßnahme ist der Beirat Digitale Wirtschaft. Ja, wissen Sie denn nicht, dass dieser Beirat schon im Jahr 2015 bestand und die Strategie „Digitale Wirtschaft NRW“ entwickelt hat? Glauben Sie wirklich, dass ein Beirat, der fast ausschließlich aus Männern besteht, für ein modernes und zukunftsoffenes Nordrhein-Westfalen stehen kann?

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wenn sich Ihre Ideen laut Digitalstrategie darin erschöpfen, dass Start-ups ihr Gewerbe jetzt auch online anmelden können, dann sollten Sie in Zukunft vielleicht etwas bescheidener daherkommen oder sich von dieser Strategie verabschieden. Die ist nämlich nichts weiter als heiße Luft. Ich bin mir ziemlich sicher, dass viele, die daran glauben, viel Besseres verdient haben.

Besonders enttäuschend ist die Digitalstrategie – jetzt ist Frau Gebauer auch weg – im Bildungsbereich. In der Überschrift, dass Bildung ein Schlüssel zur digitalen Zukunft ist, sind wir uns noch einig. Wer aber nach Maßnahmen sucht, wie das erreicht werden kann, wird bitter enttäuscht. Das, was Frau Gebauer in zwei Jahren umgesetzt hat, ist gemessen an dem, was sie vor zwei Jahren propagiert hat, wirklich null Komma gar nichts, meine sehr verehrten Damen und Herren.