Protocol of the Session on January 23, 2019

(Beifall von der CDU)

Lieber Kollege Remmel, Sie haben leider wieder nur Fragen gestellt. Sie stellen gerne Fragen. Gute Opposition würde allerdings irgendwann über das Fragen hinauskommen und eigene Lösungsvorstellungen, eigene Optionen in die Debatte einbringen –

(Marlies Stotz [SPD]: Wo sind denn Ihre?)

auch in einer Aktuellen Stunde und gerade dann, wenn es keine Fragestunde ist.

Was können andere tun?

Was kann Brüssel tun? Das haben wir in den letzten Monaten erlebt: ein Angebot für eine zugegeben konsequente, aber unter Wahrung der Interessen aller anderen Beteiligten auch faire Trennung vorschlagen.

Dass es dafür in Großbritannien keine Mehrheit gibt, kann man auch anders interpretieren, als der Kollege Tritschler es getan hat. Möglicherweise wird den Bri

ten erst jetzt deutlich, dass sie den falschen Weg eingeschlagen haben. Sie finden nur leider nicht den Weg zurück.

(Beifall von der FDP)

Was kann Deutschland tun? Weiter daran mitwirken, sich auf die absehbaren Folgen vorzubereiten – von Wirtschaft über Arbeitsmarkt, Hochschulen und Landwirtschaft bis hin zu Steuer-, Finanz- und Zollsystem.

Was können wir in NRW tun? Wir sind nun einmal eingebunden. Wir sind zwar das größte Bundesland, aber in alles das eingebunden, was die Bundesrepublik Deutschland – auch in Brüssel, auch mit den Briten – verhandelt. Wir werben hier, wie der Ministerpräsident das immer getan hat, weiter um den Verbleib der britischen Freunde in der EU. Sollte das nicht gelingen, brauchen wir erst recht eine möglichst enge Partnerschaft zu unserem Patenonkel. Unsere Hand bleibt jedenfalls ausgestreckt.

Der Antrag der AfD disqualifiziert sich schon von ganz alleine. Boris Johnson, der nachweislich vor dem Referendum mit Falschaussagen durchs Land gezogen ist, als Quelle heranzuziehen, ist an Peinlichkeit eigentlich nicht mehr zu überbieten.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD – Zuruf von der AfD)

In der Sondersitzung des Europaausschusses am vergangenen Montag hat die Landesregierung sehr deutlich gemacht, in welcher Weise und an welchen Stellen sie sich darauf vorbereitet – auch im Zusammenhang mit der Wirtschaft unseres Landes und vielen anderen Akteuren –, und die Szenarien dargestellt.

Man kann sich aber auch nur auf Szenarien vorbereiten – es sei denn, Herr Kollege Remmel, Sie hätten hier eine nachvollziehbare Deutung der Konzeption von Theresa May anzubieten. Denn alle anderen Beteiligten haben diese bisher nicht. Wir haben noch nicht verstanden, was sie wirklich will und wie sie dafür eine Mehrheit bekommen möchte. Sollte es der Fall sein, dass Sie davon eine Idee haben, wäre es gut, das in der zweiten Runde vorzutragen.

(Zuruf von Johannes Remmel [GRÜNE])

Die gestern vorgestellte Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft im Auftrag des NRW-Wirtschaftsministeriums hat deutlich gemacht, dass sich die große Mehrzahl der Unternehmen in NordrheinWestfalen auf sehr unterschiedliche Szenarien des Brexits vorbereitet.

Insofern lautet das Fazit hier: Sie haben eine Fragestunde probiert. Sie haben versucht, Empörung über angeblich mangelnden Einsatz der Landesregierung – oder von wem auch immer – zu generieren. Das ist eine reine Showveranstaltung und hilft in der Sache nichts.

Wir könnten diese Debatte besser nutzen, wenn wir tatsächlich noch einmal darüber nachdenken würden, ob Sie bessere Ideen haben, wie Land und Bund möglicherweise dazu beitragen können, dass der Brexit entweder nicht oder jedenfalls geordnet kommt.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und hoffe, dass wir in Zukunft hier in Aktuellen Stunde mehr über Lösungen als über Fragenstunden reden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Für die SPD erteile ich nun der Kollegin dos Santos Herrmann das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Entscheidung für den Brexit – mein Vorredner hat es schon angedeutet – beruht auf Populismus, auf Halbwahrheiten und auf tatsächlichen Lügen, die entsprechend Irrungen und Wirrungen nach sich ziehen.

Das Parlament in Großbritannien tut sich enorm schwer, damit umzugehen. Das liegt daran, dass eben nicht die Wahrheit gesagt wurde, dass eben nicht eine auf Fakten beruhende Diskussion stattgefunden hat und dass eben nicht sorgfältig abgewogen wurde, was eigentlich die Vor- und Nachteile einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union sind.

Dass sich das Parlament in London so schwertut, macht deutlich, wie eng wir inzwischen miteinander verbunden sind: wirtschaftlich, sozial, politisch, kulturell und wissenschaftlich. Es fällt sehr schwer, wieder auseinanderzugehen und dabei einen vernünftigen Weg einzuschlagen. – Das als Vorbemerkung.

Für mich und meine Fraktion ist es deswegen umso wichtiger, auf der Grundlage belegbarer Fakten über die Folgen des Brexits für unser Bundesland zu debattieren. Wir betrachten natürlich die unterschiedlichen Interessen. Dabei begnügen wir uns aber nicht allein mit den wirtschaftlichen Interessen, sondern wir werfen auch einen Blick auf diejenigen, die wissenschaftlich oder kulturell tätig sind, die soziale Verbindungen nach Großbritannien haben, die nicht zuletzt durch ihre Arbeit auf die eine oder andere Weise mit Großbritannien verbunden sind. Wir achten also auch auf die Rechte und die Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.

Natürlich hat ein Land wie Nordrhein-Westfalen, eine wichtige Industrieregion in Europa, letztlich ein eigenes Gewicht und eine Mitverantwortung für das Gelingen des Friedensprojekts, das gestern in einem anderen Zusammenhang in Aachen besonders gefeiert wurde.

Das Vereinigte Königreich hat als Patenland für Nordrhein-Westfalen immer noch eine besondere Bedeutung – Herr Optendrenk hat es schon erwähnt –, und es liegt an uns, darauf zu achten, dass wir auch nach einem Ausscheiden in besonderer Weise und respektvoll mit diesem Land umgehen.

Dennoch muss ich acht Wochen nach der ersten Aktuellen Stunde zu diesem Thema feststellen, dass es keinerlei Fortschritt in der Frage gibt: Was passiert in und mit Nordrhein-Westfalen nach einem Ausscheiden des Vereinigten Königreichs? Die Landesregierung verschläft leider weiter die Entwicklung und bereitet unser Land eben nicht auf den Brexit vor.

(Beifall von der SPD)

Schauen wir auf andere Bundesländer – an der Stelle wiederhole ich mich; Sie sehen es mir bitte nach –, bemerken wir sehr wohl Aktivitäten ganz anderer Art. Dort begnügt man sich nicht damit, zu fragen: Wie sieht die Gesetzeslage aus? Wir machen ein Screening und stellen fest: 98 % sind Aufgabe des Bundes.

Andere Bundesländer fragen sich: Was können wir proaktiv tun, um Unternehmen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Studierenden, Wissenschaftlern dabei zu helfen, ihre Arbeit auch nach einem Austritt Großbritanniens aus der EU fortzusetzen und ihre Interessen zu wahren?

Niedersachsen informiert die Bezirksregierungen und Kommunen regelmäßig und umfassend.

Hessen hat eine Stabsstelle mit drei klar umrissenen Aufgabengebieten eingerichtet – wohlgemerkt, Hessen ist ein CDU-geführtes Bundesland; wenn Sie nicht nach Niedersachsen schauen wollen, dann blicken Sie doch bitte nach Hessen –, die nicht beim Standortmarketing stehen bleibt, sondern insbesondere Grundsatzfragen betrachtet und klar formuliert, was aus Sicht Hessens Richtung Berlin und Brüssel gegeben werden muss. Das fehlt in Nordrhein-Westfalen leider völlig.

Berlin steht als Beispiel für die wissenschaftliche Kooperation, die bereits vor einem Jahr vertraglich abgesichert worden ist.

Der Brexit-Beauftragte in NRW hat verkündet oder verkünden lassen: Wir haben einige Treffen organisiert. – Die Überprüfung der Gesetze und Verordnungen habe ich eben schon erwähnt.

Auf der Strecke bleiben nach meiner Auffassung jedoch die Sorgen vieler Menschen in NRW um ihren Arbeitsplatz, um ihre Tätigkeit. Das Beispiel Ford sei hier als Pars pro Toto erwähnt. Aber das ist nur ein Beispiel, es betrifft sicher viele Menschen.

Noch nicht diskutiert wurde über diejenigen – und da ist mindestens so viel zu tun –, die in kleinen und mittelständischen Unternehmen arbeiten. Kleine und mittelgroße Selbstständige verkaufen Waren und

Dienstleistungen nach Großbritannien und wissen nicht, wie es weitergeht, ob sie nach dem 29. März noch eine Perspektive haben. Auch daran hängen viele Arbeitsplätze, und wir haben bisher keine Antwort.

Nicht zuletzt: Was ist mit den Britinnen und Briten, die bei uns leben und arbeiten? In der Sondersitzung des Europaausschusses am Montag ist, wie mir scheint, ein sehr prägnantes Beispiel genannt worden. Eine britische Hebamme, die hier arbeitet, hat vielleicht ab dem 30. März von heute auf morgen keine Möglichkeit mehr, ihre Tätigkeit auszuüben.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Und es ist nicht nur das. Wenn es nur um diese Person ginge, könnte man vielleicht noch sagen: Ja, so etwas passiert. – Doch es geht eben nicht allein um diese Person, sondern auch um diejenigen, für die sie arbeitet. In diesem Fall geht es sogar ganz konkret um menschliches Leben. Wer das nicht beachtet, der macht sich schuldig.

(Sven Werner Tritschler [AfD]: Wollten Sie nicht Fakten nennen?)

Das ist ein Fakt.

(Beifall von der SPD – Unruhe – Glocke)

Schließlich und endlich ist es unsere Verantwortung, dafür zu sorgen, dass wir bei den Fragen rund um den Brexit nicht allein auf die wirtschaftlichen Interessen schauen – die müssen wir auch berücksichtigen. Genauso wichtig ist es, darauf zu achten, dass soziale Standards und Arbeitnehmerschutzstandards weiterhin gelten. Dazu haben wir noch keinerlei Antwort erhalten.

Von der Landesregierung eines großen Industrielandes wie Nordrhein-Westfalen erwarte ich, dass sie klare Interessen und Ziele formuliert und diese dann Richtung Berlin gibt. All das ist bisher nicht passiert. Das ist ein Versäumnis, und das muss klar benannt werden. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Danke, Frau Kollegin. – Für die FDP erteile ich dem Abgeordnetenkollegen Körner das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Zu Beginn meiner Rede zu dieser von Grünen und AfD beantragten Aktuellen Stunde möchte ich sagen: In den Berichten über den Brexit wird immer von dem Projekt EU, von dem Projekt Europa geschrieben, das jetzt ein Stück weit am Scheideweg stehe.

Für meine Generation ist Europa kein Projekt, aus dem man wieder austreten kann, das man rückabwickeln muss. Für meine Generation ist Europa eine Tatsache. Für meine Generation ist Europa die Zukunft. Für uns – ich spreche zumindest für diesen Teil des Plenums – ist Europa eine Herzensangelegenheit, und dafür werden wir uns einsetzen.