Protocol of the Session on January 23, 2019

Wir haben nicht mehr viel Zeit. Legen Sie das endlich vor!

Die Menschen draußen im Land – an den Schulen, wo Lehrerinnen und Lehrer unterrichten, beim Zoll, an den Flughäfen, in den Reisebüros, bei den Vereinen und an den Hochschulen – fragen: Was passiert nach dem 29. März 2019 in diesem Land? Was wird mit uns und unseren Lebensverhältnissen sein?

Da können Sie natürlich sagen, dafür sei der Bund zuständig, etwa für die Frage der Freizügigkeit. Aber Sie können sich nicht herausreden, weil Sie zurzeit auch Vorsitzender einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe sind. Sie sitzen doch mit am Steuerrad. Hier ist „auf dem Platz“. Hier müssen Sie sich erklären.

Deshalb noch einmal die Aufforderung: Kommen Sie endlich mit Ihrer Strategie herüber, wie Sie einen ungeordneten Brexit hier in Nordrhein-Westfalen administrierend begleiten wollen. Wie wollen Sie sich kümmern? Da ist der Ministerpräsident an erster Stelle gefragt, sich hier und heute zu erklären.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren, zum Schluss noch etwas Selbstkritisches, aber auch Kritisches in Richtung Landesregierung: Wann waren Sie, Herr Ministerpräsident, in Ihrer Amtszeit eigentlich einmal in London?

(Michael Hübner [SPD]: Er hat das Büro in London nicht gefunden!)

Das frage ich uns selber auch. Es ist ja richtig, der deutsch-französischen Freundschaft einen hohen Stellenwert beizumessen. Das tun wir auch. Aber ich glaube, dass wir in der Vergangenheit alle gemeinsam, aber jetzt in erster Linie diese Regierung, vernachlässigt haben, an der deutsch-britischen

Freundschaft zu arbeiten. Vielleicht ist es ein Auftrag für die Zukunft, hier mehr zu tun. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die AfD hat nun der Abgeordnete Herr Tritschler das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jetzt kommt die „böse Schlange“. Ich muss Ihnen in nur einem Punkt widersprechen. Meiner Fraktion und mir ist es eigentlich egal, wer an dieser Stelle die Ideenlosigkeit der Landesregierung in der Brexit-Frage kommunizieren darf und ob der Herr Ministerpräsident da ist oder nicht; denn wir werden dasselbe hören, was wir in den letzten Monaten schon die ganze Zeit gehört haben, und das ist, wie gesagt, Ideenlosigkeit.

Die Debatte um den Brexit, liebe Kollegen, wirft ein gleißendes Licht auf all diejenigen, die sich immer stolz als glühende Verfechter der EU hervortun. Sie zeigt überdeutlich, dass es mit den vor sich hergetragenen Werten von Frieden, Freiheit, Demokratie und vor allem Völkerverständigung nicht besonders weit her ist, wenn es um den Brüsseler Klub geht.

Wäre die Europäische Union ein Verbund von Personen und nicht von Staaten – das haben wir in den letzten Monaten gelernt –, dann wäre sie wahrscheinlich eine Sekte, und man bräuchte ein Aussteigerprogramm. Jedenfalls ist der Austritt vergleichbar schwierig. Auch die Verehrung, die ihr viele hier entgegenbringen, kann allenfalls als religiös und nicht mehr als rational bezeichnet werden.

Das britische Volk hat 2016 etwas getan, was in Ihrer Vorstellungswelt offenbar keinen Platz hat. Es hat nach langer und ausführlicher Diskussion in einer freien und fairen Abstimmung entschieden, dass es die EU verlassen möchte.

Drei Faktoren haben für die Menschen im Vereinigten Königreich dabei eine zentrale Rolle gespielt.

Erstens: die ungezügelte Migration sowohl innerhalb als auch von außerhalb der EU.

Zweitens: die ständigen, vornehmlich aus Berlin und Paris stammenden Zentralisierungsbestrebungen.

Drittens: die ständige Rolle des Vereinigten Königreichs als Nettozahler, dem auf der Habenseite ein im weltweiten Vergleich schrumpfender europäischer Markt entgegensteht.

Dem aufmerksamen Betrachter wird dabei nicht entgehen, dass diese Kritikpunkte mehr oder weniger eins zu eins auch aus deutscher Perspektive gelten könnten. Aber sei es drum!

Die Briten haben nach Abwägung der Vor- und Nachteile mit Mehrheit entschieden, dass sie der EU nicht mehr angehören wollen. Als Demokrat muss man eine solche Entscheidung des Volkes ohne Wenn und Aber anerkennen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der AfD)

In Brüssel bei der EU – einer Institution, deren gesamte Gründungsidee schon zutiefst antidemokratisch ist – sah man das aber naturgemäß anders.

Das Ergebnis des Referendums war kaum bekannt gegeben, als die Ersten schon eine erneute Abstimmung forderten.

Dieses Modell hat man übrigens schon öfters praktiziert. Die Iren mussten über die Verträge von Nizza und Lissabon so lange abstimmen, bis das gewünschte Ergebnis herauskam. Schon beim Maastricht-Vertrag waren die Dänen ausgeschert; auch hier wurde die Abstimmung einfach wiederholt.

In Großbritannien ist die Bully-Strategie aber nicht aufgegangen – vielleicht auch deshalb nicht, weil sich 66 Millionen Briten nicht so leicht einschüchtern lassen wie 6 Millionen Dänen oder 4 Millionen Iren.

Die Verantwortlichen in Großbritannien nahmen den Auftrag des Volkes jedenfalls ernst und setzen den Austrittsprozess nach Art. 50 in Gang – und damit eine zweijährige Frist, die im März 2019 ablaufen wird.

Von britischer Seite wurde nun versucht, ein für alle Beteiligten erträgliches und gesichtswahrendes Austrittsabkommen zu entwickeln – eines, das Großbritannien wieder zu einem vollwertigen und souveränen Staat machen würde, ohne aber die Handelsbeziehungen, insbesondere die Beziehungen zum Kontinent, zu kappen.

Aber Sie dachten nicht daran. Weder in Brüssel noch in Berlin noch hier in Düsseldorf, wo laut Koalitionsvertrag besonders gute Beziehungen über den Kanal herrschen sollten, dachte jemand daran, den Briten ein faires und gesichtswahrendes Angebot zu machen.

Wir haben das bei jeder Gelegenheit angemahnt, bekamen aber beispielsweise vom Europaminister immer wieder zu hören, dass es keine sogenannte Rosinenpickerei geben dürfe. Der großartige Brexit-Beauftragte der Landesregierung erklärte sogar, dass eine irgendwie geartete Sondervereinbarung mit dem Vereinigten Königreich gleich die ganze EU infrage stellen würde.

Meine Damen und Herren, was ist das denn für ein erbärmliches Konstrukt, das seine eigene Existenz nur durch Erpressung erhalten kann?

(Beifall von der AfD)

Sie haben sich aber alle verzockt. Das Abkommen, das Theresa May dem Unterhaus nach zähen Verhandlungen vorgelegt hat, ist dort krachend mit Zweidrittelmehrheit gescheitert. Das ist auch kein Wunder; denn es hätte das Vereinigte Königreich zu einem Vasallenstaat gemacht, und mit dem sogenannten Backstop hätte es sogar verhindert, dass die Briten diesen Zustand selbst beenden können.

Der Plan B, den Frau May am Montag vorgestellt hat, erinnert verdächtig an den Plan A. Er enthält keine wesentlichen Verbesserungen. Man darf davon ausgehen, dass auch er scheitern wird.

Aus Brüssel wird nun verlautbart, dass man an Nachverhandlungen nicht denkt. So stehen wir dank europäischer Kanonenbootpolitik an der Schwelle zu einem Hard Brexit.

Sie mögen sich alle einreden, dass das den Briten weher täte als uns. Ich bin mir da nicht so sicher. Zehntausende von Arbeitsplätzen und Existenzen in NRW hängen unmittelbar an unseren Handelsbeziehungen nach Großbritannien. Alleine bei mir zu Hause wird bei Ford in Köln ein Drittel der Fahrzeuge für den britischen Markt produziert. Das sind 18.000 Arbeitsplätze. Dazu kommen unzählige Arbeitsplätze in der Zulieferindustrie, in der chemischen Industrie und nicht zuletzt bei kleinen und mittelständischen Unternehmen.

Sie alle spielen mit diesen Existenzen. Sie haben zwei Jahre lang die gefährliche Verhandlungslinie der EU unterstützt und gefordert. Daher sind Sie für die verfahrene Lage zumindest mitverantwortlich.

Herr Holthoff-Pförtner, Herr Laschet, es ist an der Zeit, Ihren Einfluss – wie groß er auch sein mag – in Berlin und Brüssel einzusetzen, ihn im Interesse unserer Bürger zu nutzen und sich für Nachverhandlungen und ein faires Austrittsabkommen starkzumachen, bevor es für die Arbeitsplätze in NRW zu spät ist.

(Beifall von der AfD)

Danke schön. – Für die CDU erteile ich nun dem Abgeordneten Herrn Dr. Optendrenk das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Überschrift der von den Grünen beantragten Aktuellen Stunde kommt eher wie eine Kleine Anfrage an die Landesregierung daher. Das wundert auch nicht so sehr. Denn in der Sache sind sich die meisten Abgeordneten dieses Landtags ja einig. Um dann doch noch einen möglichen Dissens zu produzieren, muss man mindestens mal wieder Fragen stellen. Wenn ich es richtig weiß, ist das inzwischen das Lieblingshobby von Herrn Remmel.

Und um Ihre wichtigste Frage zu beantworten: Der Ministerpräsident ist hier. Er ist im Plenarsaal.

(Beifall von der CDU und der FDP – Michael Hübner [SPD]: Das ist ja großartig! Das erwar- ten wir auch, Herr Kollege!)

Der Brexit ist und bleibt bedauerlich und ist aus unserer Sicht in der Sache eine ganz schlimme Fehlentscheidung. Gleichwohl müssen wir die – wenn auch sehr knappe – Entscheidung des britischen Volkes akzeptieren. Sie ist eine Entscheidung gegen die eigenen Interessen des britischen Volkes. Sie scha

det aber auch dem Projekt Europa, das auf dem Fundament von Frieden, Freiheit und offenem Binnenmarkt beruht.

Zudem ist es beklemmend, zu sehen, wie die politische Elite eines Landes, das mit als Wiege der modernen Demokratie anzusehen ist, in einer schwierigen Situation wie der heutigen kollektiv versagt.

Zunächst haben unverantwortliche Politiker die Zukunft des Landes aus rein parteipolitischen Gründen aufs Spiel gesetzt. Damals hat eine hoch polarisierte Debatte mit wenig sachlichen Argumenten, die sich kurze Zeit später überwiegend als Lügen herausgestellt haben, eine Mehrheitsentscheidung der Bevölkerung in einem Referendum herbeigeführt. Dann erst haben die Bürger in Großbritannien tendenziell mehrheitlich festgestellt, dass die Entscheidung vielleicht doch problematisch ist, dass sie gegen ihre eigenen Interessen ist.

Jetzt schafft es die politische Führung durch alle Parteien und Fraktionen nicht, eine geordnete Mehrheitsbildung für etwas zustande zu bringen, weder für einen geordneten Brexit noch für irgendeine andere Option, geschweige denn für die Option, den Irrtum möglicherweise noch einmal zur Abstimmung, zur Korrektur, zu stellen.

Das ist übrigens eine der ganz großen Lehren für die Frage: Was ist Demokratie, und wie funktioniert Demokratie eigentlich?

Eine repräsentative, auf parlamentarischen Regeln beruhende Demokratie hat offenbar doch einen Vorteil. Wir machen alle Fehler. Aber Parlamente können Fehler korrigieren. Deshalb ist die parlamentarische Demokratie unseres Musters nicht die schlechtere Demokratie, sondern offensichtlich die stabilere und im Interesse des Volkes die bessere.

(Beifall von der CDU)