Diese besondere demokratische Legitimation sollten wir nicht nur von Abgeordneten verlangen, sondern auch weiterhin von unseren Bürgermeistern und von jedem Landrat. Ein guter und beliebter Bürgermeisterkandidat hat immer die Möglichkeit, im ersten Wahlgang die 50 % zu übertreffen. Bei mehreren guten Kandidaten bieten die zwei Wochen bis zur Stichwahl die Möglichkeit, das Profil zu schärfen und noch einmal intensiv für die eigenen Standpunkte zu werben.
Für die AfD ist das System der Stichwahl vermutlich von Nachteil, da wir davon ausgehen können, dass sich bei einer Stichwahl mit einem AfD-Vertreter alle anderen Parteien wie üblich gegen uns zusammenschließen würden.
Dies ist zum Beispiel in Österreich bei der letzten Bundespräsidentenwahl geschehen. Dort lag der FPÖ-Kandidat mit 35 % im ersten Wahlgang deutlich in Führung. Bei der Stichwahl unterstützten die anderen Parteien dann den Kandidaten aus dem grünen Establishment. Demokratisch ist dies völlig legitim, es benachteiligt in einer Stichwahl aber tendenziell Parteien und Gruppen, die nicht zum Establishment gehören.
Stichwahlen mögen uns als Parteien nicht dienlich sein, allerdings dienen sie der direkten Demokratie. Deswegen ist die AfD für die Stichwahl.
Im Übrigen sind wir genauso dafür, dass jede Partei im Präsidium eines Landtages vertreten sein sollte, und zwar unabhängig davon, ob uns die jeweilige Partei gefällt oder nicht. Vom Volk in ein Parlament gewählte Parteien nicht in die Gremien des entsprechenden Parlaments zu lassen, ist ähnlich fragwürdig wie die Abschaffung der Wahl.
Warum will die CDU die Stichwahl eigentlich abschaffen? In einem Artikel der „Rheinischen Post“ werden Argumente für die Abschaffung merkwürdigerweise nur in einem Halbsatz angesprochen. Zum
einen wird die geringe Wahlbeteiligung bei Stichwahlen eingeräumt, zum anderen werden die Kosten genannt.
Die geringe Wahlbeteiligung lässt sich in Zahlen nachweisen. Eine geringe Wahlbeteiligung sollte allerdings kein Argument gegen eine Wahl sein; denn sonst hätten wir die EU-Wahl schon vor langer Zeit abschaffen müssen. Seit 1999 hatte jede EU-Wahl in Deutschland eine Wahlbeteiligung von unter 50 %.
Das Kostenargument lässt sich offensichtlich nicht mit genauen Daten belegen. Laut Presseberichten gibt es keine aktuellen Zahlen. Experten sehen die Kosten im einstelligen Millionenbereich; rund 40 Stichwahlen gab es in den Städten und Kreisen 2014. Die Legitimation von Wahlen von ihren Kosten abhängig zu machen, halte ich für falsch; da bin ich voll und ganz bei Herrn Höne.
Es bleibt die Frage: Warum will die CDU die Stichwahl abschaffen? Die „Rheinische Post“ berichtet ausführlich über eine These, welche vermutlich kein CDU-Vertreter offiziell äußern würde. Die CDU hatte in der Vergangenheit Nachteile durch die Stichwahl. In der Landeshauptstadt Düsseldorf beispielsweise wäre heute sonst Herr Elbers Oberbürgermeister. In der Stichwahl ist es dann Herr Geisel geworden. Nehmen wir beides zusammen, stellen wir fest, dass Herr Geisel auch mit der Stichwahl in absoluten Zahlen mehr Stimmen hatte. Damit hat er auch die größere Legitimation.
Für die CDU mögen Stichwahlen häufiger von Nachteil sein, für die SPD häufiger von Vorteil. Alle Abgeordneten sollten sich jedoch immer daran orientieren, was für die direkte Demokratie von Vorteil ist – egal, welches Parteibuch ein Kandidat in der Tasche hat, oder ob er überhaupt eines hat. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich erteile nun dem fraktionslosen Abgeordneten Herrn Pretzell das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Bedauerlicherweise werfen sich hier wieder mal alle Seiten vor, bessere bzw. schlechtere Demokraten zu sein. Ich denke, das ist an dieser Stelle nicht die Frage. Sowohl das Prinzip der Stichwahl als auch das Prinzip einer Entscheidung im ersten Wahlgang ist demokratisch, es sind bloß andere demokratische Systeme.
Wir haben in Deutschland traditionell ein Mehrparteiensystem. Wir haben ein System, das alle Parteien in den Parlamenten repräsentativ abbildet. Das ist anders, als wir es aus den USA oder Großbritannien kennen. Bei den Wahlen von Oberbürgermeistern hingegen laufen wir genau auf dieses System zu,
Wenn wir in Deutschland aber ein Mehrparteiensystem und kein Zweiparteiensystem haben, wird ein System, das bei dieser Wahl ohne Stichwahl auskommt, dazu führen, dass sich Blöcke bilden werden. Es wird eine Weile dauern, aber das wird automatisch passieren. Wir werden hier einen Block sehen, wir werden dort einen Block sehen, und dann werden wir vielleicht noch unabhängige Kandidaten sehen. Erst einmal ist das scheinbar völlig unkritisch.
Ich sage Ihnen aber voraus, dass etwas passieren wird, was Sie jetzt schon beobachten können – und deswegen wird es Ihnen allen schaden –: Es wird die Auswahlmöglichkeit für den Wähler reduzieren. Es wird die niedrige Wahlbeteiligung bereits in den ersten Wahlgang transportieren, weil Sie am Ende nur noch zwei Kandidaten mit Aussicht auf Erfolg präsentieren werden. Das wird zulasten von Ihnen allen passieren.
Irgendwann wird auch Folgendes geschehen – da können Sie sich alle zusammentun, bereits heute können Sie das in einzelnen Landstrichen in Deutschland beobachten –: Kandidaten haben nur noch dann eine Chance, wenn sie von keiner Partei vorgeschlagen werden. Das wird auf Dauer – das sage ich Ihnen voraus – der Effekt sein.
Auf lange Sicht wird das für die Demokratie gerade auf kommunaler Ebene gar nicht schädlich sein; es wird aber insgesamt die Parteiendemokratie, die wir in Deutschland haben, weiter beschädigen, weil wir eben kein Zweiparteiensystem haben. Das kann eigentlich in niemandes Interesse sein.
Egal welche taktischen Überlegungen dahinterstehen – und es ist ja relativ offenkundig, dass dahinter taktische Überlegungen stehen, auch wenn das gerne geleugnet wird –: Überlegen Sie sich, was Sie damit langfristig in dieser Republik anrichten. Sie werden den Verdruss mit den Parteien weiter steigern. Ich denke, das sollten wir unterlassen. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht darf ich mit einer persönlichen Vorbemerkung starten – das lädt mich ein, weil ich bei diesem Thema auch eine eigene politische Vergangenheit habe –: Wenn ich heute solche Formulierungen höre wie „die einzige Möglichkeit, mehr Demokratie zu wagen“ oder „die Demokratie ist gefährdet, wenn man A oder B macht“, dann erinnere ich mich noch gut daran, wie
hier die Abschaffung der Doppelspitze behandelt wurde und wie es war, als die Direktwahl eingeführt wurde. Damals war ich Generalsekretär der CDU.
Die regierende Mehrheitspartei war absolut dagegen, dass so etwas wie Direktwahlen überhaupt in Gang kommt. Damals hatte der Generalsekretär einer Oppositionspartei ein Volksbegehren angedroht. Erst dann kam die Mehrheitspartei in die Gänge.
Es hat sich dann ein System entwickelt, weil ich und viele andere davon überzeugt waren, dass man mit diesem System mehr Bürgerbeteiligung hinbekommen kann. Mich erschreckt heute außerordentlich – das ist für mich das Motiv, darüber nachzudenken –, wie es sich entwickelt hat. Es hat sich leider nicht so entwickelt, wie wir uns das alle erhofft hatten. Das gehört zur Wahrheit dazu.
Sie sollten einfach mal ruhig und nüchtern versuchen, darüber zu reden. Dann kommt man in der Sache vielleicht auch weiter.
Ein Rückgang der Wahlbeteiligung insbesondere bei Stichwahlen ist doch zumindest ein Grund, darüber nachzudenken, ob das System klug und vernünftig ist und ob es das gebracht hat, was wir alle am Ende gewollt haben, nämlich dafür zu sorgen, dass mehr Bürgerbeteiligung in der Politik, im kommunalpolitischen Rahmen stattfindet.
Erstens. Eine rechtliche Verpflichtung zur Aufrechterhaltung der Stichwahl besteht nicht. Das heißt, wir sind nicht dazu gezwungen, sondern es ist eine politische Entscheidung. Die kann man so oder so treffen. Das Verfassungsgericht hat 2009 eine Entscheidung getroffen. Ich will das nicht wiederholen, weil es schon vorgetragen worden ist; die Zeit können wir uns sparen. Also, das ist durchaus denkbar.
Zweitens. Es gibt natürlich ernsthafte Argumente – dabei habe ich auch zugehört –, denen zufolge die Stichwahl die Legitimation eines Bürgermeisters, Oberbürgermeisters oder Landrats stärken kann. Man darf aber doch nachdenklich werden, wenn man sich die Ergebnisse von Kommunalwahlen ansieht.
Drittens. Eine Auswertung der kommunalen Direktwahlen von 2014/2015 zeigt, dass die Wahlbeteiligung bei einer Stichwahl in der Regel geringer ist als bei der Ausgangswahl. Wo ist das Problem, darüber nachzudenken, dass dies ein Problem ist, ohne dass die Demokratie direkt in Gefahr ist? Das kann man
sich ganz nüchtern anschauen. Man kann doch wirklich in Zweifel ziehen, ob bei einer erheblich geringeren Wahlbeteiligung immer ein nennenswerter Zuwachs an demokratischer Legitimation für den jeweiligen Sieger gegeben ist.
Es kann auch festgestellt werden, dass bei den Wahlen 2009 lediglich ein geringer Teil der Gewählten ein Wahlergebnis unterhalb von 40 % vorzuweisen hatte. Diese Wahlen haben ohne Stichwahl stattgefunden.
Viertens. Ein wichtiger Aspekt ist der mit den Stichwahlen verbundene erhebliche organisatorische und finanzielle Aufwand. Das darf man schon benennen. Wir alle, die in Parteien engagiert sind, wissen doch, welchen Kostenaufwand das bedeutet. Es ist ein Organisationsaufwand bei Kreisen und Kommunen, für die Bewerberinnen und Bewerber, aber auch für Wählergruppen, für Parteien und für alle anderen. Denn es muss in kürzester Frist ein weiterer Wahltermin einschließlich des Briefwahlverfahrens organisiert werden. Ich finde es einfach vernünftig und klug, darüber einmal in Ruhe nachzudenken.
Die Landesregierung hat Ihnen einen Vorschlag zur Novellierung des Kommunalwahlgesetzes vorgelegt, der die Möglichkeit offenhält, die Stichwahl abzuschaffen oder nicht. Ich werbe jetzt dafür, die Argumente, die heute sehr sachlich vorgetragen worden sind, zu werten und zu würdigen und nicht direkt wieder in den Krieg über mehr oder weniger Demokratie bzw. die Abschaffung der Demokratie zu verfallen. So kompliziert ist es nicht.
Es ist eigentlich ein einfacher Sachverhalt, den man nüchtern miteinander besprechen sollte, dem vielleicht sogar die große Mehrheit des Hauses zustimmen könnte. Ich werbe dafür – das sage ich als jemand, der wirklich mit aller Macht dafür gekämpft hat, dieses System so einzuführen –,
(Beifall von der CDU und der FDP – Christian Dahm [SPD]: Ich hätte mir einen Beitrag der Landesregierung gewünscht, nicht des Gene- ralsekretärs! – Michael Hübner [SPD]: Die Doppelspitze abzuschaffen, war falsch!)
ganz Ihrer Meinung: Wir müssen uns das in aller Ruhe anschauen und die Argumente ganz nüchtern und sachlich austauschen. – Aber sagen Sie das bitte freundlicherweise auch den Vertretern der Fraktion, der Partei, der Sie angehören.
Mein Kollege Christian Dahm hat doch hier in aller Ruhe unsere Position und seine Sorgen dargestellt. Als Antwort kam von Herrn Frieling zu Beginn seiner Rede: Heute ist Vorlesetag.