Protocol of the Session on September 29, 2018

Ich darf auch in diesem Zusammenhang, Herr Engstfeld, einen Fehler korrigieren. Ich habe gestern gesagt, dass die Gesundheitsakte auch beschlagnahmt worden sei. Das war ein Fehler. Die Gesundheitsakte war verschlossen bei den Ärzten. Auch sie haben wir am 9. erst zu Gesicht bekommen, sodass Sie die Informationen gestern teilweise hatten, teilweise auch nicht.

Diese Landesregierung hat sich vorgenommen und hält das eisern durch – der Kollege Reul macht es, ich mache es –: Alles, was wir wissen, können Sie von uns erfahren. Wir haben uns gestern noch darauf verständigt. Weil Sie sagten, einige Fragen sind nicht vollständig beantworten, habe ich Ihnen angeboten: Bitte sagen Sie, was Sie noch wissen wollen, und wir

berichten alles nach, aber erst dann, wenn wir die Informationen selbst erhalten können. Das haben wir getan.

Damit Sie jetzt zu den beiden Bereichen Suizidrisiko und Brandursachen noch ein bisschen mehr erfahren, will ich mich gar nicht weiter mit dem Procedere aufhalten, sondern Sie informieren, was wir nach dem 9. jetzt auch aus der Gesundheitsakte wissen. Die am 9. Oktober gesichtete Gesundheitsakte des Gefangenen hat folgende Erkenntnisse gebracht:

In den Justizvollzugsanstalten Geldern und Kleve fand jeweils die Zugangsuntersuchung durch den Anstaltsarzt statt. Hierbei wurden neben einer körperlichen Untersuchung auch anamnestische Daten abgefragt. Es erfolgte im Verlauf auch die Behandlung einer Sportverletzung. Der Gefangene war gelegentlich in medizinischer Behandlung, unter anderem wegen einer Sportverletzung oder Sodbrennen.

Folgende Diagnosen wurden ärztlicherseits festgehalten: THC-Abhängigkeit, schädlicher Konsum von Alkohol, Persönlichkeitsstörung (Dauerdiagnose: Anpassungsstörung), Zustand nach oberflächlichen Schnittverletzungen rechter Unterarm (selbst beige- bracht vor der Inhaftierung, Linkshänder), Sodbrennen, Hautabschürfung linker Unterschenkel und Kleinzeh (Sportverletzung).

(Zuruf von Sven Wolf [SPD])

Die Schnittverletzungen sind aufgrund ihres Erscheinungsbildes – so der Arzt –

(Sven Wolf [SPD]: Ich kann mitlesen, Herr Mi- nister!)

nicht in Kontext mit einer mutmaßlichen Suizidalität zu bringen, sondern sind eher vergleichbar mit psychisch entlastenden Schnittverletzungen im Rahmen einer Borderline-Persönlichkeitsstörung.

In Bezug auf eine Suizidgefahr wurde vom Arzt Folgendes vermerkt: Zunächst erfolgte eine Unterbringung im besonders gesicherten Haftraum. Dann wurde im Verlauf aufgrund der vermuteten Suizidgefährdung eine 15-minütliche Beobachtung vom Anstaltsarzt angeordnet. Am 2. August wurde diese Beobachtung bei nicht mehr erkennbarer Gefährdung vom Anstaltsarzt in Kleve nicht mehr für notwendig erachtet. Somit wurde bereits seitens des Anstaltsarztes am 2. August keine suizidale Gefährdung mehr gesehen.

Darüber hinaus vermerkt der Anstaltsarzt Folgendes: Bekannte Cannabisabhängigkeit, somit aus hiesiger Sicht mutmaßlich Raucher. – Einzelne Gesprächsinhalte wurden nicht dokumentiert, jedoch Vermerke niedergelegt, wann Kontakt mit dem Arzt oder auch mit der Krankenabteilung gewesen ist.

Zu dem Eintrag des Anstaltsarztes, vor allem „Persönlichkeitsstörung, Anpassungsstörung, soweit in

der Untersuchungssituation im besonders gesicherten Haftraum eruierbar“, wird angemerkt, dass hier eine psychiatrische Störung vermutet wird, die nicht einer gesonderten psychiatrischen Behandlung bedarf.

(Zurufe von der SPD)

Der JVA Kleve soll im Anschluss an die Obduktion des Gefangenen mitgeteilt worden sein, dass dieser an einer nicht offenen Tuberkulose erkrankt gewesen sei.

Der Gefangene befand sich nicht in regelmäßiger psychologischer Betreuung. Der psychologische Fachdienst der Justizvollzugsanstalten Geldern und Kleve war im Zusammenhang mit der Einschätzung der Suizidalität mit dem Gefangenen befasst. Bei der Einlieferung in die JVA Geldern am 06.07.2018 äußerte der Gefangene im Erstgespräch akute Suizidgedanken und hat als besondere Merkmale vermerkt: verschiedene Narben am Körper. Er war zunächst bis zum 09.07. in einem besonders gesicherten Haftraum untergebracht.

Im elektronischen Wahrnehmungsbogen ist ein Gespräch des Gefangenen mit dem psychologischen Fachdienst der JVA Geldern vermerkt, das seine persönliche und psychische Situation betraf. Eine akute Suizidgefahr hat sich nicht bestätigt. Eine Personenverwechslung oder eine fehlerhafte Inhaftierung durch den Gefangenen ist nicht vermerkt.

Im elektronischen Wahrnehmungsbogen hat der psychologische Fachdienst unter „Texte zum Gefangenen“ am 09.07.2018 im Zusammenhang mit einem Gespräch in Anwesenheit des Abteilungsleiters, des Anstaltsarztes und von Bediensteten des allgemeinen Vollzugsdienstes Folgendes vermerkt:

Er scheine in Deutschland weitgehend ohne soziale Bildungen zu sein. Er sei alleine aus Syrien nach Deutschland gekommen, habe aber Anschluss an eine deutsche Familie gefunden. Er befinde sich zum ersten Mal in Haft.

Es wurden keine aktuellen Alkohol- oder Drogenproblematiken festgestellt. Derzeit wegen Diebstahls inhaftiert. (Er ist eines Sexualdelikts verdächtigt, die Vernehmung durch die Kripo wird aber erst morgen stattfinden. Da in dieser Angelegenheit noch ermittelt wird, wurde sie nicht angesprochen. Herr Amed sprach jedoch von sich aus davon, dass er Ärger mit einem Mädchen hatte.) Keine Suizidversuche in der Familiengeschichte, aktuell wird eine suizidale Tendenz verneint. Keine lebensbedrohlichen Krankheiten oder chronischen Schmerzen. Er verneint aktive Suizidgedanken und habe sie auch in der Voranstalt nicht gehabt. Er sei mit der Unterbringung mit anderen Gefangenen einverstanden.

Herr Amed wirkte gefasst und beherrscht. Symptome einer vorliegenden psychiatrischen Störung waren nicht erkennbar und wurden auch nicht berichtet. Die

Beteiligten waren damit einverstanden, dass Herr Amed zunächst in eine zuverlässige Gemeinschaft vorzugsweise mit Gefangenen mit ähnlichem kulturellem Hintergrund verlegt werden kann. Es wurde jedoch auch angemerkt, dass unmittelbar nach der Vernehmung durch die Kripo eine erneute Evaluierung stattfinden muss, da zu dem jetzigen Zeitpunkt nicht sicher ist, ob und wie die Kripo ihm das ihm vorgeworfene Sexualdelikt mitteilen und wie er darauf reagieren wird.

Das sind die Situationen ganz aktuell. Ich könnte jetzt noch etwa zwei weitere Seiten vorlesen. Ich habe Ihnen zugesagt, dass Sie all die Informationen bekommen werden. Wir werden sie nachliefern. Wenn Sie dann weitere Fragen haben: Stellen Sie sie! Wir haben nichts zu verbergen. Wir werden nichts verbergen. Wir legen alles offen. Nur, Sie sollten uns einen Gefallen tun: Lassen Sie uns zumindest ein paar Stunden Zeit,

(Zuruf von Lisa-Kristin Kapteinat [SPD])

damit wir die Sachen vernünftig zusammenstellen können, und behaupten Sie bis dahin nicht, wir wollten nichts offenlegen. Wir sind transparent.

Das können Sie auch an einem anderen Beispiel feststellen: Ich habe eben gesagt, dass die Gesundheitsakte bei den Ärzten war. Wir haben gestern noch geklärt – das war auch eine Frage, die offen blieb –, inwieweit eine Kontaktaufnahme zur konsularischen Vertretung erfolgt ist. Aus der uns gestern wieder zugänglichen Gefangenenpersonalakte ist nicht ersichtlich, dass der Gefangene bei der Aufnahmeverhandlung die Einschaltung der konsularischen Vertretung verlangt hat.

(Sven Wolf [SPD]: Welche denn? Mali oder Syrien?)

Die Prüfung, ob die Belehrung wie vorgeschrieben erfolgt ist, dauert noch an.

(Berivan Aymaz [GRÜNE]: Sollte er sich jetzt vom Assad-Regime vertreten lassen? Er ist davor geflohen! – Weitere Zurufe)

Nun regen Sie sich nicht auf. Stellen Sie die Fragen, Sie bekommen alle Antworten.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Sie sind kein Sachbearbeiter, Sie sind der Minister!)

Hier laut hereinzurufen, bringt überhaupt nichts, junger Mann.

Wenn Sie mich danach fragen, ist das doch ganz einfach. Sie haben mich gefragt: Was ist denn Verantwortung? – Ich habe es jetzt schon mehrfach mitgeteilt. Verantwortung bedeutet für mich: Fehler klar zu benennen, sie aufzuarbeiten und Verbesserungen in der Praxis durchzusetzen. Das ist die Aufgabe, und die werde ich erfüllen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister. Die Landesregierung hat ihre Redezeit um 3:50 Minuten überzogen. Dementsprechend würden wir bei weiteren Wortbeiträgen und weiterem Bedarf den anderen Fraktionen diese Zeit hinzugeben.

Für die SPD-Fraktion darf ich jetzt Frau Bongers bitten.

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Erwin, Herr Lürbke, proaktive Aufklärung, so wie Sie beide es eben nannten, sieht anders aus.

(Beifall von der SPD)

Erst gestern in der Fragestunde entgegnete Minister Biesenbach auf meine Frage, warum er nichts von der Selbstmordgefährdung in der Aktuellen Viertelstunde des Rechtsausschusses gesagt hat: Danach haben Sie nicht konkret gefragt. – Das ist also proaktive Aufklärung.

(Beifall von der SPD – Rainer Schmeltzer [SPD]: Genau!)

So weit, so gut. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrter Herr Präsident, der Bürgerkrieg in Syrien ist eine der grausamsten menschlichen Tragödien, die momentan auf dieser Welt stattfinden. Viele von uns haben die Bilder der zum größten Teil zerstörten Stadt Aleppo aus den Medien vor den Augen. Man stelle sich nun vor, dass ein junger Mann, 26 Jahre alt, aus genau dieser Stadt flieht, um Leib und Leben zu retten. Dieser junge Mann ist Amed A. Dann kommt Amed A. nach Monaten der Flucht und der Ungewissheit in Deutschland an. Er hofft auf einen Neuanfang. Vielleicht hat er schon ganz gut Deutsch gelernt, vielleicht hofft er auf eine Arbeit, aber mit Sicherheit hofft er auf Unversehrtheit an Leib und Leben.

Was passiert stattdessen? – Er wird unschuldig inhaftiert. Das allein ist schon schrecklich genug. Das allein wäre für uns alle, für die allermeisten Menschen das Schlimmste, was passieren kann: Man sucht beim Staat Hilfe und Unterstützung, und stattdessen landet man hinter Schloss und Riegel. – Ein entsetzlicher Albtraum, aber es war kein Traum, sondern entsetzliche Realität.

Aber damit nicht genug der Ungerechtigkeit. Denn wir sind Amed A. jetzt die Aufklärung dieser schrecklichen Vorgänge schuldig – transparent, schonungslos und vor allen Dingen ehrlich. Aber so haben wir gerade Minister Biesenbach nicht erlebt. Hier sprach kein betroffener, um Aufklärung ringender Staatsnotar. Hier sprach jemand, der mit aller Gewalt versucht, sich aus der Verantwortung zu stehlen,

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

jemand, der bis heute der Familie des Opfers eine persönliche Erklärung verweigert. Das war und ist erbärmlich.

(Beifall von der SPD)

Ich werde jetzt gegenüber Peter Biesenbach nur Peter Biesenbach mit Erlaubnis des Präsidenten zitieren. Ihre Sammlung Ihrer alten Pressemitteilungen auf Ihrer Homepage ist eine wahre Schatztruhe. Ich zitiere: Solange der Minister

„diesen Sachverhalt nicht klarstellen kann, muss sein Vorgehen als Lüge gegenüber dem Parlament gewertet werden.“

(Matthias Kerkhoff [CDU]: Was? – Weitere Zu- rufe von der CDU)

15. April 2014, ein weiteres Zitat: Der Minister