Protocol of the Session on July 12, 2018

Leistungsprinzip und humanes Handeln schließen sich eben nicht aus, sondern bedingen sich geradezu gegenseitig. Und dass dies gelingt, dazu trägt insbesondere die Mehrgliedrigkeit unseres Schulsystems mitsamt der Förderschule bei. In diesem Sinne bitte ich das Ministerium und die Regierungsparteien, dringend auf den Weg der Menschlichkeit zurückzukehren, den die letzte Regierung unter Löhrmann und Kraft verlassen hat, weil sie irgendeiner ideologischen Wahnidee gefolgt ist. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Danke, Herr Abgeordneter Seifen. – Für die Landesregierung spricht jetzt Frau Ministerin Gebauer.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Beer, Sie haben mit Ihren Beiträgen heute wieder einmal gezeigt, wie ideologisch Sie beim Thema „Inklusion“ aufgestellt sind.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD)

Es erschüttert mich und es stimmt mich traurig, dass Sie aus der Vergangenheit leider doch nichts gelernt haben.

(Beifall von der CDU, der FDP und Alexander Langguth [fraktionslos])

Für die sachliche Diskussion, zu der wir hoffentlich wieder zurückkehren werden, lege ich Ihnen die „Empfehlungen zu zentralen Fragestellungen bei der Umsetzung des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes“ ans Herz, die der „Fachbeirat inklusive schulische Bildung“ herausgegeben hat. Auf dieser Grundlage können wir uns unter Berücksichtigung unserer Eckpunkte noch einmal verständigen und schauen, was wir alles auf den Weg bringen, um die Qualität der Inklusion an den Schulen zu implementieren.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Und das jetzige Schul- jahr, was wird damit?)

Lieber Herr Ott, Sie haben gesagt, Inklusion sei auch eine Haltungsfrage. Ja, Inklusion ist auch eine Haltungsfrage; da stimme ich Ihnen zu. Aber Haltung alleine sorgt nicht dafür, dass unsere Kinder – mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf – so gut wie möglich an unseren Schulen gefördert werden; vielmehr bedarf es dazu auch personeller Ressourcen.

Ich habe bereits ausgeführt, dass wir bis zu 6.000 Stellen für die Sekundarstufe I zur Verfügung stellen. Sie haben gesagt, wir wären in der Vergangenheit untätig gewesen, was diese Stellen anbelangt. Da muss ich Ihnen allerdings widersprechen und möchte ich meinen herzlichen Dank an Frau Pfeiffer-Poensgen ausrichten. Wir haben nämlich 250 neue Studienplätze...

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: 2.500 hatten wir!)

Moment, ich komme gleich dazu, Frau Voigt-Küppers –... rechtzeitig zum Wintersemester zur Verfügung gestellt. Ja, es ist richtig, Sie haben in 2014 pro Semester 500 Studienplätze...

(Zuruf von Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])

Ja, insgesamt, aufwachsend natürlich. Moment! Es bleibt ja auch nicht bei den derzeit 250 Plätzen. Man muss schon die ganze Wahrheit verkünden. Wir waren jedenfalls nicht untätig.

Eines muss ich Ihnen sagen: Viele Kolleginnen und Kollegen haben vor der überhasteten Einführung der Inklusion gewarnt. Sie haben auch davor gewarnt, dass keine Qualitätsstandards gesetzt wurden. Frau Beer, Sie haben die Brandbriefe angesprochen. Sie können sicher sein, dass ich ihnen nachgehen werde. Ich war in den vergangenen Jahren bei einigen Veranstaltungen zugegen. Eine davon betraf eine Gesamtschule in Köln, die von der Inklusion unter Rot-Grün damals „zu Grabe getragen“ wurde.

Das ändern wir jetzt, indem wir Qualitätsstandards setzen, die schon die ganze Zeit gefordert worden sind.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Warum erst im nächs- ten Jahr?)

Wenn Sie, liebe Frau Beer, von der Zuteilung sprechen, wie sie jetzt an den Schulen stattfindet, dann entgegne ich Ihnen: Die Bezirksregierungen handeln noch nach alten Erlassen, die unter Rot-Grün auf den Weg gebracht worden sind. Das ist der Ist-Zustand. Deswegen werden wir hier tätig. Wir werden die Inklusion ändern. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU, der FDP und von Ale- xander Langguth [fraktionslos])

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Ott noch einmal das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Sträßer, auch ich bin katholisch, und ich sehe mich selbst als gläubigen Christen. Ich sage Ihnen aber ganz offen: Es ist kein christliches Privileg, über dieses Thema zu sprechen, sondern dieses Privileg steht auch anderen Religionen zu.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Dies gilt auch in Ihrer Fraktion. Es gilt ebenso für unsere Gesellschaft. Vor allem ist dieser Grundsatz in unserem Grundgesetz verankert.

Ich möchte noch auf eines hinweisen: Nach 1945 wurde in der Bundesrepublik Deutschland ein Förderschulsystem ausgebaut, das in der Welt seinesgleichen sucht.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: So ist das!)

Es ist entstanden aus einer besonderen Verantwortung heraus.

(Bodo Löttgen [CDU]: Genau!)

Politische Geister wie die, die sich gerade zu Wort gemeldet und von vermeintlicher Inklusion gesprochen haben, haben durch ihre Vorstellungen davon, wer zu selektieren war und wer nicht, zum größten Verbrechen der letzten Jahrtausende – so muss man schon fast sagen – beigetragen. Menschen wurden aussortiert, weil sie schwach waren, weil sie andersdenkend waren. Um dem entgegenzuwirken, wurde beschlossen, alles dafür zu tun, um eine größtmögliche Förderung zu gewährleisten.

Im Laufe der Jahre ist deutlich geworden, dass in diesem System viel Gutes gelungen ist; deshalb müssen die guten Dinge auch erhalten bleiben. Weder ich noch andere Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die ich kenne, haben jemals gesagt, das Förderschulsystem sei überflüssig. – Das ist totaler Quatsch!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zu- rufe von der CDU: Das haben Sie aber ge- sagt!)

Das ist wieder der faktenfreie Diskurs. Das ist ein echtes Problem, wenn er die Volkspartei CDU erfüllt hat. Das ist ein echtes Problem.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Es geht doch um die Frage, wie wir das, was wir im Grundgesetz und in der UN-Menschenrechtskonvention verabredet haben, nämlich die Selbstbestimmung, möglich machen können. Herr Sträßer hat von Selbstbestimmung gesprochen. Selbstbestimmung heißt aber, dass man tatsächlich die Chance haben muss, selbst zu bestimmen.

Haben Sie die Tränen in den Augen der Eltern gesehen, die verzweifelt versucht haben, ihr Kind an eine Schule zu bringen, dies aber nicht konnten?

(Zurufe von der CDU)

Viele Eltern setzen alle Hebel in Bewegung, damit ihr Kind die Möglichkeit erhält, mit ein bisschen Förderung einen guten oder sehr guten Schulabschluss – nicht nur an der Förderschule, sondern auch im Regelschulsystem – zu erreichen und einen Freundeskreis aufzubauen. Wenn wir diese Chance nicht ermöglichen, dann ist das christliche Bekenntnis nichts wert.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Ralph Bombis [FDP]: Aber wir machen es doch! – Zurufe von der CDU)

Bleiben Sie doch ganz entspannt!

(Unruhe – Glocke)

Ich rede über Haltung. Wir bewegen uns hier ganz klar auf dem Boden der Verfassung, auf dem Boden der UN-Menschenrechtskonvention. Und diese Haltungsfrage beantworten Sie durch Redebeiträge nach dem Motto: Wir verwandeln jetzt noch was. – Damit betreiben Sie im Grunde genommen Wahlkampf. Ich halte das für falsch.

(Zurufe)

Ich sage Ihnen auch, warum. Ich bin der festen Überzeugung, dass unser System jetzt seiner Verantwortung nachkommen muss, indem die demokratischen Parteien jetzt zeigen, dass sie den aktuellen Herausforderungen gemeinsam begegnen können. Alle Menschen draußen, alle Zuschauer auf der Tribüne wissen ganz genau, dass die Antwort auf die Herausforderungen nicht schwarz-weiß ausfallen kann. Alle wissen ganz genau, dass es nicht mehr den einen Guten gibt, der immer recht hat. Das wissen alle Menschen in diesem Land.

Deshalb ist es absolut absurd, eine Debatte zum Thema „Inklusion“ in einer solchen Art und Weise zu führen, wie manche das heute getan haben.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Das bestürzt mich zutiefst. Das wird nicht dazu beitragen, das Vertrauen in das demokratische System zu stärken.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich hätte mir sehr gewünscht, dass die Schulministerin bei der Debatte gestern viel stärker auf das Bundesteilhabegesetz eingegangen wäre. Da will ich Minister Laumann beispringen. Im Zusammenhang mit dem Bundesteilhabegesetz und den Schulhelfern und Inklusionshelfern hätte man sehr gut sagen können: Wenn drei oder vier Erwachsene hinten in der Klasse sitzen, dann regeln wir das mit der Schule und sorgen dafür, dass diese Ressource genutzt werden kann. – Stattdessen geht das jetzt an alle Kommunen. Wir wissen schon heute, dass das Ganze in jeder Kommune unterschiedlich geregelt wird.

Wir haben kein richtiges Konzept, und das weiß der Kollege Laumann auch. Es gibt so viele andere Themen, die nicht nur rot, grün oder gelb sind. Das sind Themen, die die Zukunft unserer Gesellschaft betreffen. Ich frage mich, warum wir mehr als ein Jahr nach der Landtagswahl nicht endlich damit anfangen können, diese Themen gemeinsam zu bearbeiten. Wir stehen dazu bereit, in den Fachausschüssen diese Debatte zu führen.

Liebe Frau Ministerin, ich sage Ihnen zu, dass ich Sie in der Auseinandersetzung mit dem Finanzminister und mit den Universitäten unterstützen werde. Wenn nach dem jetzigen Erkenntnisstand kein massiver Ausbau von Studienplätzen erfolgt, dann werden all die Ressourcen, die Frau MüllerRech beschworen hat, gar nicht erst besetzt. Das Geld wird am Ende an das Land zurückgehen, weil Sie die Stellen nicht besetzen können. Spätestens in einem Jahr werden Sie die Fragen erneut beantworten müssen.

Wer das nicht sieht und wer nicht sieht, dass es in solch großen Fragen nur gemeinsam geht, der hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Deshalb bitte ich Sie bei allem Streit in der Sache von Herzen: Lassen Sie uns in diesen wichtigen Fragen einen gemeinsamen Weg finden, damit die Volksverhetzer nicht am Ende vorne liegen. – Herzlichen Dank.