Protocol of the Session on January 17, 2018

Meine Damen und Herren, diesen Sarkasmus erlaube ich mir nur deshalb, weil die Regierung Laschet mit ihrem Plan, das Sozialticket abzuschaffen, gescheitert ist.

Für die betroffenen Menschen war schon allein dieser Versuch alles andere als witzig. Ich spreche von Menschen wie der 25-jährigen Jennifer aus Attendorn. Ihre Geschichte kann im Übrigen jeder auf „SPIEGEL ONLINE“ nachlesen:

Die alleinerziehende Mutter ist arbeitslos. Aber das will sie nicht bleiben. Deshalb fährt sie mehrmals in der Woche mit Bus und Bahn nach Olpe. Sie holt dort ihren Schulabschluss nach, um im nächsten Jahr eine Ausbildung zur Kinderpflegerin beginnen zu können. Ohne das Sozialticket könnte sie sich die

Fahrt nach Olpe gar nicht leisten – und damit auch nicht den sozialen Aufstieg, an dem sie hart arbeitet.

Deshalb haben SPD und Grüne dieses Ticket vor sieben Jahren eingeführt: für Menschen wie Jennifer aus Attendorn, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

CDU und FDP wollen ihr dieses Sozialticket wieder wegnehmen. Und wofür? Für den Straßenbau, für läppische 4 km neue Landstraße im Jahr. Dafür hätte diese Regierung billigend in Kauf genommen, dass der öffentliche Nahverkehr für Hunderttausende Menschen in Nordrhein-Westfalen unbezahlbar geworden wäre.

Jetzt, nachdem ein Sturm der Empörung diesen kaltherzigen Plan zerfleddert hat, soll alles nicht so gemeint sein. Armin Laschet, zu jeder Zeit – das will ich durchaus einräumen – ein Großmeister der Beschwichtigung und Beschönigung, spricht gar von einem Missverständnis – als hätte seine Regierung zwar „Sozialticket streichen“ gesagt, aber doch eigentlich „Sozialticket behalten“ gemeint. Solch ein Unsinn!

(Beifall von der SPD)

Kaum etwas war in den vergangenen Monaten so unmissverständlich wie Ihr Plan, dieses Sozialticket abzuschaffen. Denn das haben Sie über Jahre hinweg immer gefordert.

(Sarah Philipp [SPD]: Genau!)

Schon bei der Einführung dieses Tickets schwadronierte der CDU-Abgeordnete Henning Rehbaum über eine sozialistische Rolle rückwärts,

(Lachen von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

die seine Fraktion rundweg ablehne. Noch vor zehn Monaten nannte der verkehrspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Klaus Voussem, das Sozialticket einen verkehrspolitischen Irrweg

(Sarah Philipp [SPD]: Das hat er gesagt!)

und finanzpolitischen Unsinn.

(Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)

Das Sozialticket, so der Kollege Voussem unter großem Applaus seiner Fraktion, sei eine rein konsumtive Ausgabe, was im konservativen Milieu ja nichts weiter als ein Codewort für „Verschwendung“ ist. Er und seine Fraktion verlangten die Streichung dieses Sozialtickets und die Umschichtung von 40 Millionen €, die dafür zur Verfügung standen, in den Straßenbau. Genau das hatten Sie jetzt auch vor.

Wo ist denn da das Missverständnis? Sie wollten doch nie ein Sozialticket. Sie wollten es schon immer abschaffen. Das Einzige, was Sie davon abhält, ist die Empörung der Öffentlichkeit. Das Einzige, was Sie bedauern, ist das PR-Desaster, das Ihnen Ihr

Verkehrsminister eingebrockt hat. An Ihrer Überzeugung hat sich nichts geändert.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, aus dem gescheiterten Versuch, dieses Sozialticket abzuschaffen, kann man zwei Dinge über die Regierung Laschet lernen:

Erstens. Das Versprechen auf sozialen Aufstieg wird diese Regierung nicht einlösen.

Zweitens. An das Versprechen, wer hart arbeite, werde auch in Wohlstand leben können, das der Minister ein ums andere Mal wiederholt, glaubt seine Regierung gar nicht. Diese Regierung glaubt nicht an staatliche Programme gegen soziale Ungleichheit. Sie glaubt auch nicht an sozialstaatliche Initiativen für Chancengleichheit oder an Regeln für mehr Leistungsgerechtigkeit. Sie ist davon überzeugt, dass soziale Probleme durch die Kräfte des Marktes gelöst werden – oder eben nicht.

Woran diese Regierung aber sehr wohl glaubt, ist die Macht der Symbole und Images. Weil sie weiß, dass ihre sozial- und wirtschaftspolitischen Überzeugungen in einem toxischen Image münden würden, werden diese getarnt und versteckt. Aus Angst vor Demaskierung versteckt diese Regierung ihre Überzeugungen hinter Maß-und-Mitte-Plattitüden oder einer Aufstiegsrhetorik, die durch keinerlei konkrete Maßnahmen gestützt wird.

Doch immer dann, wenn sich diese Regierung sicher fühlt, schlägt sie zu, und zwar in Form ihrer sogenannten Entfesselungspakete, die in Wahrheit Entrechtungspakete sind, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD – Lachen von der CDU – Zurufe von der CDU: Oh! – Henning Höne [FDP]: Das Recht auf Spionage wollen wir streichen!)

Durch ihre Bundesratsinitiative gegen das Arbeitszeitgesetz und erst recht durch die Ausweitung der Ladenöffnungszeiten in Nordrhein-Westfalen nimmt diese Regierung gerade Arbeitnehmerinnen wichtige Schutzrechte. Denn es sind vor allem Frauen, die im Einzelhandel arbeiten und die durch diese Koalition einer gnadenlosen Flexibilisierung von Arbeitszeiten ausgesetzt werden.

(Henning Rehbaum [CDU]: Haben Sie sie mal gefragt?)

Es hat doch Gründe, meine Damen und Herren, warum 40 % der alleinerziehenden Mütter Hartz IV beziehen müssen. Das hat doch Gründe. Es liegt auch an ultraflexiblen Arbeitszeiten in Dienstleistungsbranchen, die mit der Betreuung von kleinen Kindern unvereinbar sind.

Durch Ihre Entrechtungspolitik drängen Sie alleinerziehende Mütter vom Arbeitsmarkt. Es gibt doch kein Kitaangebot, das in der Lage wäre, zusätzliche

Sonntagsschichten, Arbeitszeiten bis 24 Uhr oder Siebentagewochen aufzufangen. Das gibt es nicht. Und Sie werden ein solches Angebot überhaupt nicht zustande bringen, meine Damen und Herren. Sie doch nicht!

(Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU)

Kurzum: Ihre Politik ist frauenfeindlich, sie ist familienfeindlich, und sie ist im Übrigen auch verfassungswidrig, was die schon anrollende Klagewelle gegen Ihr Gesetz beweisen wird, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Ein außerordentlich düsteres Kapitel der Entfesselungs- und Entrechtungspolitik dieser Koalition wird der Mieterschutz sein. CDU und FDP sind nach wie vor fest entschlossen, die Mietpreisbremse abzuschaffen, die Umwandlung von Miet- in Ferienwohnungen zu erleichtern und die Kündigungsfristen bei Eigenbedarfsklagen zu verkürzen.

Mehr als 10 Millionen Menschen in Nordrhein-Westfalen werden davon betroffen sein. Viele von ihnen werden bald noch höhere Mieten zahlen müssen.

(Henning Rehbaum [CDU]: Weil Sie keine Wohnungen gebaut haben!)

Zu viele von ihnen werden sich das Leben in ihren Wohnungen nicht mehr leisten können. – Sie können ruhig lachen. Aber das ist so. Und das droht längst nicht mehr nur Geringverdienern, sondern mittlerweile auch Familien aus der Einkommensmitte in Düsseldorf, in Köln, in Münster und in vielen anderen Städten unseres Landes.

Durch die geplante Entrechtung von Millionen Mietern in Nordrhein-Westfalen wird doch keine einzige neue und bezahlbare Wohnung entstehen. Im Gegenteil: Die Wohnungsnot wird noch größer werden.

Aber was antwortete der Ministerpräsident, als er von Anne Will vor einem Millionenpublikum auf die geplante Abschaffung der Mietpreisbremse angesprochen wurde?

(Marc Herter [SPD]: Das war ein Highlight!)

Rechtfertigte er die Pläne seiner Koalition? Nein, er leugnete sie. Niemand in NRW habe die Absicht, die Mietpreisbremse abzuschaffen.

(Lachen von der SPD – Sarah Philipp [SPD]: Guter Mann!)

Er sagte die Unwahrheit. Die Aufzeichnung vom 27. August 2017 ist immer noch in der ARD-Mediathek abrufbar.

(Nadja Lüders [SPD]: In der „heute-show“!)

Ab Sendeminute 55 kann man mit ansehen, wie aus Ängstlichkeit um Ruf und Image plötzlich Panik wird.

Vor Armin Laschet saß im Übrigen eine alleinerziehende Mutter, die sich ihre Wohnung nicht mehr leisten kann und schon bald mit ihren Kindern ausziehen muss, aber keine neue Wohnung findet.

Da kann man – das gebe ich gerne zu – mit der Abschaffung von Mieterrechten natürlich nicht punkten.

Trotzdem, Herr Laschet: Von einem Ministerpräsidenten muss man erwarten, dass er aufrecht und ehrlich seine Politik rechtfertigt. Was Sie sich da geleistet haben, war Ihres Amtes nicht würdig, Herr Ministerpräsident.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)