Protocol of the Session on November 17, 2017

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie alle zu unserer heutigen, 13. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen herzlich willkommen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne und an den Medien sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich sechs Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Ich rufe auf:

1 Kann der Multilobbyist Friedrich Merz die Inte

ressen von Nordrhein-Westfalen beim Brexit vertreten?

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/1159

Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 13. November 2017 gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu der genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden Fraktion der SPD Herrn Abgeordneten Kutschaty das Wort. Bitte schön.

Guten Morgen! Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einmal mehr haben wir der Presse entnehmen müssen, dass die Landesregierung Verantwortung auslagert. Einmal mehr mussten wir erleben, dass die schwarz-gelbe Landesregierung die Interessen unseres Landes in die Hände von Lobbyisten gibt. Einmal mehr zeigt diese Landesregierung, dass sie wirklich jede Art von Fingerspitzengefühl vermissen lässt, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Der Ministerpräsident verkündet stolz: Friedrich Merz soll Brexit-Beauftragter unseres Landes werden.

Die Öffentlichkeit fragt sich zu Recht: Warum bedarf es eigentlich eines solchen Beauftragten? Die Notwendigkeit erschließt sich von alleine ja erst einmal nicht.

Mehr noch: Diese Benennung ist ein fatales Signal. Die Folgen des Austritts von Großbritannien aus der Europäischen Union stellen natürlich auch Nordrhein-Westfalen vor große Herausforderungen. Eine

Frage mit dieser Bedeutung für unser Land muss allerdings Chefsache in den Ministerien sein und darf nicht an Externe delegiert werden, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Aber ganz offensichtlich lässt sich da ein System ableiten. Bereits die konzeptionelle Ausrichtung der inneren Sicherheit wurde dem zuständigen Minister entzogen und an die sogenannte Bosbach-Kommission delegiert – eine nur schemenhafte Gestalt, über deren Arbeit die Bürgerinnen und Bürger sowie das Parlament so gut wie nichts erfahren.

Das erweckt den Eindruck, als wolle man sich generalstabsmäßig der Beteiligung des Parlaments und der Information der Öffentlichkeit durch die wiederholte Auslagerung von Kernzuständigkeiten der Regierung entziehen.

(Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU)

Aber vielleicht, meine Damen und Herren von der Landesregierung, ist es vor diesem Hintergrund einfach nur folgerichtig und ein ehrlicher Ausdruck ihrer politischen Grundüberzeugungen, dass Sie einen Beauftragten benannt haben, der als hartnäckiger Transparenzverweigerer in die Geschichte des Deutschen Bundestages eingegangen ist.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Friedrich Merz war es, der gemeinsam mit acht anderen Bundestagsabgeordneten 2006 gegen die Transparenzregeln für Politikergehälter geklagt hat.

Das zeigt aber auch, dass der Ministerpräsident seinen Ministern schlichtweg die Kompetenz für diese wichtige Fragestellung nicht zutraut. Probleme dieser Größenordnung müssen gelöst werden, und zwar vom Kabinett.

In der Pressemitteilung vom 7. Oktober 2017 hat der Ministerpräsident deutlich gemacht, dass – ich darf zitieren – nur eine erfahrene, gut vernetzte und durchsetzungsstarke Persönlichkeit mit politischer Expertise für dieses Amt in Betracht komme.

Anscheinend fehlt ihm in seiner Landesregierung diese Fachexpertise für die großen gesellschaftlichen und finanzpolitischen Fragen der Europäischen Union, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Nach dem Innenminister wird nun auch der Europaminister in seinen Kompetenzen beschnitten, obwohl Sie ja, lieber Herr Kollege Dr. Holthoff-Pförtner, ein bisschen mehr Zeit gewonnen haben, nachdem Ihnen ein Aufgabenbereich ja schon genommen worden ist.

Wie sieht die bisherige personalpolitische Bilanz dieser Landesregierung aus? – Ein Medienminister, der als Medienmiteigentümer wegen Befangenheit von

dem Posten abgezogen werden musste; ein Innenminister, der sein Mandat im Europaparlament erst eine Woche nach seiner Ernennung zum Minister niederlegte; eine Landwirtschaftsministerin, die sich dem Vorwurf ausgesetzt sieht, politische Forderungen auf ihrem familiären Hof nicht ganz so genau zu nehmen; ein Justizminister, der erst nach starkem Druck der Opposition sein rechtlich unzulässiges Kreistagsmandat niederlegt.

Aber für die Landesregierung – so hat es zumindest der Ministerpräsident dargelegt – erschöpft sich die Tätigkeit des Brexit-Beauftragten ganz offensichtlich darin, die Beziehungen zu Großbritannien zu stärken. So sagte es zumindest Herr Laschet in öffentlichen Äußerungen.

Das greift bei dieser wichtigen politischen Fragestellung aber deutlich zu kurz; denn die Interessen von Nordrhein-Westfalen beim Austritt von Großbritannien aus der Europäischen Union müssen auch durchaus kontrovers verhandelt werden.

Für Nordrhein-Westfalen wird es beim Brexit insbesondere zwei große Problemfelder geben, die einer Antwort bedürfen.

Erstens steht die Frage im Raum, welche Rechte Bürgerinnen und Bürger, aber auch Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen zukünftig in Großbritannien haben werden. Im Umkehrschluss gilt natürlich auch die Frage, welche Rechte die Briten hier in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen haben werden.

Die zweite Frage betrifft die Finanzen der Europäischen Union. Für den EU-Haushalt wird es erhebliche Auswirkungen haben, wenn der zweitgrößte Geldgeber demnächst wegfallen wird. Übrigens kann es dadurch auch Auswirkungen auf NordrheinWestfalen geben, die die Regionalfördermittel hier für unser Bundesland betreffen.

Beide Punkte liegen allerdings nicht in der ausschließlichen Entscheidungskompetenz von Nordrhein-Westfalen. Man muss sich auf höchster Bundesebene dafür einsetzen, die Europäische Union mit angemessenen Finanzmitteln auszustatten, von denen wiederum auch Nordrhein-Westfalen profitieren kann.

Mit starker Stimme und Legitimation muss hier von der höchsten Regierungsebene Lobbyarbeit für Nordrhein-Westfalen gemacht werden.

Dass nun Nordrhein-Westfalen stattdessen die Arbeit für Lobbyisten macht, zeigt, dass die Dramatik der Situation bei der Landesregierung noch nicht angekommen ist, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Aber – Herrgott noch mal! – wenn schon einen BrexitBeauftragten, liebe Landesregierung, warum dann ausgerechnet Friedrich Merz?

(Zuruf von der CDU)

Bei allem Respekt vor der Arbeitsleistung von Herrn Merz: Er hat sich seinerzeit bewusst gegen die Politik und für eine privatwirtschaftliche Karriere entschieden. Teils frustriert, teils gedemütigt war das eine ganz bewusste Entscheidung gegen die Politik von Angela Merkel.

Wie soll sich nun ein solcher Friedrich Merz bei der Bundeskanzlerin Angela Merkel für Nordrhein-Westfalen im Zusammenhang mit dem Brexit einsetzen? Die Zeiten, in denen er Briefe mit „Liebe Angela“ begonnen hat, dürften doch vorbei sein.

(Hannelore Kraft [SPD]: Aber dafür wird er dann Aufsichtsrat!)

Fraglich und schwer zu trennen ist dann auch, wer denn für Nordrhein-Westfalen am Verhandlungstisch sitzt. Der Brexit-Beauftragte? Der deutsche Chefaufseher von BlackRock? Der Anwalt mit nicht näher benannten Mandanten im Hintergrund? Kann er diese Interessen überhaupt in Einklang bringen?

Nicht zuletzt die Panama und Paradise Papers haben gezeigt, dass die Interessen der Global Player nicht immer deckungsgleich mit den Interessen unseres Landes sind.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Freundlich ausgedrückt!)

Hemmungslos vermarktet die internationale Finanzindustrie Steueroasen und entzieht den Staaten Gelder in Milliardenhöhe – Gelder übrigens, die nachher auch der Europäischen Union fehlen.

Nun soll der Vertreter eines Finanzdienstleisters, der weltweit 4,7 Billionen Dollar verwaltet, die Interessen von Nordrhein-Westfalen vertreten? Meine Damen und Herren von der Landesregierung, mit dieser Entscheidung haben Sie doch den Bock zum Gärtner gemacht!

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Herr Merz war ja schon einmal für die Landesregierung von Herrn Rüttgers tätig, um im Bankenbereich zu vermitteln und zu verhandeln. Damals hat er Tagessätze von 5.000 € bekommen. Jetzt soll er offensichtlich ehrenamtlich arbeiten. Das ist schon einmal ein Fortschritt. Vielleicht soll dadurch ja die Aufblähung des Beamtenapparats in den Ministerien verdeckt werden.