Protocol of the Session on December 16, 2020

Ich bin sehr froh und sehr dankbar, dass wir in einer lebendigen Demokratie leben. Indem wir über die Wege aus dem Elend der Pandemie diskutieren können, weiß ich zu schätzen, dass uns Demokratinnen und Demokraten ein Ziel eint, nämlich dieses Virus zu besiegen. Das macht uns stärker als das Virus.

Wir verfügen über einen starken Sozialstaat, über einen liberalen Rechtsstaat und über eine hohe Wirtschaftskraft, um diese Probleme angehen zu können.

Wo hingegen Nationalisten und Feinde der Wissenschaft regieren, wütet das Virus noch viel grausamer als bei uns. Das zeigt: Demokraten regieren besser als Nationalisten und Populisten.

(Beifall von der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Zu diesem Wesen der Demokratie gehört es auch, dass wir uns Gedanken über die Zukunft unseres Landes machen. Damit komme ich zum Haushaltsentwurf für das Jahr 2021.

Ein Haushaltsentwurf ist immer auch ein Zukunftsentwurf, und eine Haushaltsdebatte ist immer auch eine Auseinandersetzung über die Zukunft, wie wir unser Land in den nächsten zwölf Monaten und vielleicht sogar darüber hinaus gestalten wollen.

Mit Blick auf den von der Regierung vorgelegten Haushalt muss ich sagen: Das schwarz-gelbe Zukunftsangebot für Nordrhein-Westfalen mündet im Stillstand, wo es eigentlich für Fortschritt sorgen müsste.

(Beifall von der SPD)

Sie hinterlassen in ganz vielen Bereichen Enttäuschung, wo es zuvor Grund für Optimismus gab. Sie werden in den kommenden zwei Jahren über einen Rettungsschirm so hohe Kredite in Anspruch nehmen wie keine andere Landesregierung zuvor: über 10 Milliarden Euro.

Und wofür? – Um den Bürgerinnen und Bürger vorzugaukeln, Sie hätten trotz Rezession einen ausgeglichenen Haushalt hinbekommen. Das glauben Sie ja nicht einmal mehr selbst. Niemand glaubt Ihnen das, weil man Ihnen das auch nicht glauben kann.

(Beifall von der SPD)

Was, bitte, haben Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer und ihre Familien von dem Phantom der Haushaltsnull? – Gar nichts. Die Regierung hätte jetzt die Chance, mit mutigen Zukunftsinvestitionen drängende Probleme zu lösen. Doch da kommt nichts.

Nach drei Jahren sind Sie längst müde und anspruchslos geworden. Egal ob Bildung, Wohnen, Wirtschaft oder Klimaschutz: Sie leben in den Tag hinein. Sie reden Missstände schön und schauen von oben aus dem Regierungsturm mit Unverständnis auf die Zukunftssorgen von Mietern, Eltern und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Sie verlieren den Bezug zur Realität der Menschen in NordrheinWestfalen.

(Beifall von der SPD)

Die schweren Mängel am Haushaltsentwurf belegen Ihnen auch die Sachverständigen. Der Landesrechnungshof kritisiert zum Beispiel ausdrücklich, dass diese Regierung nicht die Möglichkeit der parlamentarischen Kontrolle ausbaut. Hier wird am Parlament vorbeigewirtschaftet.

Der Bund der Steuerzahler wirft Ihnen mangelnde Transparenz vor. Der Deutsche Gewerkschaftsbund betont, dass Nordrhein-Westfalen bei den staatlichen Investitionen auf den drittletzten Platz zurückgefallen ist. In Baden-Württemberg zum Beispiel investiert man pro Kopf 700 Euro, in Bayern sogar 900 Euro und in Nordrhein-Westfalen gerade einmal 400 Euro.

Weiter warnt der Deutsche Gewerkschaftsbund vor den Auswirkungen des Brexits auf Nordrhein-Westfalen. Der Brexit wird die nordrhein-westfälische Wirtschaft massiv betreffen. Je härter er ausfällt, desto härter werden auch die Auswirkungen sein.

Wie gut könnte unser Land jetzt einen Brexitbeauftragten brauchen; aber der bisherige Beauftragte befindet sich im Dauerwahlkampf gegen den Ministerpräsidenten. Die beiden Herren sprechen nicht mehr miteinander, sondern nur noch übereinander. Das ist nicht sonderlich gut.

Die Auswirkungen dieser konservativen Eiszeit wird die Wirtschaft unseres Landes zu spüren bekommen. NRW ist bedauerlicherweise nicht ausreichend auf den Brexit vorbereitet. Wir werden in diesem Hause leider noch viel zu oft über die Auswirkungen dieser Untätigkeit sprechen.

Sprechen müssen wir heute aber auch über die Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen, denn diese Regierung betreibt die Bildungspolitik wie die Pandemiebekämpfung.

Genauso, wie Sie es trotz vieler Warnungen versäumt haben, unsere Schulen und Kitas auf die zweite Coronawelle vorzubereiten, versäumen Sie es jetzt, unsere Schulen und Kitas auf die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten – von der Lö

sung der gegenwärtigen Probleme ganz zu schweigen.

Es fehlen fast 7.000 Lehrerinnen und Lehrer in Nordrhein-Westfalen. Wo ist Ihr Programm zur Bekämpfung des Lehrermangels? – Es gibt keines. Diese Koalition berauscht sich an Lehrerstellen auf dem Papier, die in Wahrheit nur Leerstellen sind.

Es sind Phantom- und Geisterstellen, die für keine einzige Unterrichtsstunde zur Verfügung stehen werden. Auch ohne Corona wird der Unterrichtsausfall in Nordrhein-Westfalen größer und nicht kleiner.

Ich rechne es Ihnen noch einmal vor: Der Lehrermangel in Nordrhein-Westfalen kostet uns jeden Tag 34.000 Stunden Unterricht, individuelle Förderung und Betreuung, und die Situation wird nicht besser.

Sich selbst aber hat die Landesregierung in den letzten drei Jahren 772 neue Stellen nur für die Ministerialverwaltung gegönnt, und man staune: Diese Stellen sind natürlich alle schon besetzt. 772 Stellen – das ist bundesweiter Rekord. Das hat es noch nie gegeben. Das ist übrigens der einzige Bereich, in dem Nordrhein-Westfalen ganz vorne liegt.

Wenn es denn wenigstens nützen würde, hätte ich ja noch Verständnis dafür. Aber wo ist denn das Programm zur Bekämpfung des Personalmangels in unseren Kitas? – Fehlanzeige. Dabei fehlen nach den Berechnungen der Bertelsmann Stiftung nicht weniger als 16.000 Erzieherinnen und Erzieher.

Doch diese Regierung ignoriert das Problem einfach; da kommt nichts. Stattdessen ziehen Sie lieber Kitagebühren von Eltern ein, deren Kinder gar nicht betreut werden können. Das muss aufhören.

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

Es muss der Grundsatz gelten: keine Leistung, keine Gebühren. Sie können die Eltern nicht auffordern, ihre Kinder aus den Kitas herauszuhalten, und anschließend noch die Gebühren dafür kassieren. Stellen Sie das unverzüglich ab.

(Beifall von der SPD)

Die nächste große Bildungsbaustelle ist der Offene Ganztag, sind unsere Offenen Ganztagsgrundschulen. Ab dem Jahr 2025 – das ist nicht mehr so lange hin, wenn man politisch planen und handeln muss – wird jedes Grundschulkind einen Anspruch auf Ganztagsbetreuung haben.

Das heißt nichts anderes, als dass wir in den nächsten fünf Jahren zusätzlich 300.000 Plätze für den Offenen Ganztag schaffen müssen. Wo ist Ihr Programm, um Gebäude zu bauen und herzurichten?

Wo ist Ihr Programm, um die benötigten 20.000 Pädagoginnen und Pädagogen auszubilden und anzuwerben?

Wo ist Ihr Plan, um die Betreuungsgarantie für Grundschulkinder umzusetzen? – Es gibt keinen. Dabei brauchen Familien in unserem Lande so dringend eine klare Perspektive.

(Beifall von der SPD)

Fehlende Perspektive ist auch genau die richtige Überschrift für ein besonders trauriges Kapitel der schwarz-gelben Regierungsgeschichte: Die Wohnungsnot in Nordrhein-Westfalen wird von Jahr zu Jahr schlimmer, auch im Coronajahr 2020.

Die steigenden Mieten fressen in Köln und Münster, aber nicht nur da eigentlich gute Lohnerhöhungen wieder auf. Die Lage ist ernst. In manchen Orten sind die Menschen sogar regelrecht verzweifelt.

Was aber macht die Landesregierung? – Sie will nicht einmal das Problem wahrhaben. Je schlimmer die Lage wird, desto öfter lässt sie mit Gefälligkeitsgutachten die Lage schönrechnen.

Fakt ist doch, dass in Ihrer Regierungszeit der soziale Wohnungsbau um 40 % eingebrochen ist. Wie konnte das passieren? Was wollen Sie jetzt dagegen tun? – Keine Antwort dazu in Ihrem Haushaltsentwurf.

(Beifall von der SPD und von Arndt Klocke [GRÜNE])

Was haben Sie in den vergangenen Monaten stattdessen gemacht? – Nur ein paar Wochen, nachdem wir den Heldinnen und Helden des Alltags hier mit Applaus gedankt haben, haben Sie deren Mieterrechte beschnitten – still und heimlich im Coronasommer, wahrscheinlich damit es nicht so viele mitbekommen.

Fakt ist doch: Dank Ihrer Politik wird es nun erheblich leichter, der Erzieherin oder dem Pfleger die Miete zu erhöhen und ihre Einkommen weiter zu drücken.

Das werden wir von nun an allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sagen. Sie werden die Wahrheit erfahren: Diese Landesregierung steht nicht auf der Seite der 11 Millionen Mieterinnen und Mieter; sie steht auf der Gegenseite, und das soll in diesem Land auch jeder wissen.

(Beifall von der SPD und von Arndt Klocke [GRÜNE])

Das Land geht heute wieder in den Lockdown: Geschäfte schließen, Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehen ins Homeoffice.

Genauso viele Frauen und Männer werden das aber nicht tun: Sie werden weiter dafür sorgen, dass wir etwas zu essen kaufen können, dass unsere Angehörigen gepflegt werden, dass wir Pakete erhalten und versenden können und dass wir auch weiterhin mit Bus und Bahn fahren können.

Es sind übrigens die gleichen Menschen wie im Frühjahr, die jetzt wieder ihre Frau und ihren Mann ste

hen, das Land am Laufen halten und das für oft beschämend kleine Löhne und Gehälter.

Hatten wir ihnen nicht versprochen, dass wir ihre Leistungen endlich auch materiell anerkennen, dass wir sie und ihre Arbeit nicht mehr einfach für selbstverständlich halten, sondern für das, was sie immer schon war, nämlich unentbehrlich und unabkömmlich? – Das hatten wir.

Doch was ist seitdem geschehen? – Nichts, im Gegenteil: Wenn Armin Laschet das durchsetzen kann, was er und seine Regierung in einer Bundesratsinitiative fordern, wird das Leben dieser Leistungsträgerinnen und Leistungsträger nicht leichter, sondern noch viel schwerer.