Protocol of the Session on December 16, 2020

Doch was ist seitdem geschehen? – Nichts, im Gegenteil: Wenn Armin Laschet das durchsetzen kann, was er und seine Regierung in einer Bundesratsinitiative fordern, wird das Leben dieser Leistungsträgerinnen und Leistungsträger nicht leichter, sondern noch viel schwerer.

In seiner Bundesratsinitiative fordert Armin Laschet die Ausweitung von Zeitarbeit, die Anhebung von Schwellenwerten im Arbeitsbereich und im Sozialrecht, die Ausweitung flexibler Beschäftigungsformen und die sogenannte Entbürokratisierung von Arbeitszeiterfassung oder Datenschutz. In Wahrheit ist die Entbürokratisierung die Entrechtung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Diese Bundesratsinitiative hat es tatsächlich in sich: Armin Laschet will nämlich nichts anderes als eine Ausweitung des Niedriglohnsektors, mehr befristete Arbeitsverhältnisse, weniger Kündigungsschutz und Mitbestimmung in kleinen und mittleren Betrieben. Faktisch längere Arbeitszeiten und weniger Datenschutz, natürlich nur zulasten der Arbeitnehmerseite und nicht etwa in Steuersachen; da ist Datenschutz Ihnen zumindest heilig.

Das ist in Wahrheit das Wirtschaftsprogramm von Armin Laschet. Dieses Programm wird auf den erbitterten Widerstand der Sozialdemokratie stoßen.

(Beifall von der SPD)

Wir stehen an der Seite der Beschäftigten. Wir wollen starke Gewerkschaften. Wir wollen mehr Mitbestimmung. Wir streiten für allgemein verbindliche Tarifverträge, für einen armutssicheren Mindestlohn und für mehr Arbeitnehmerrechte.

Wir werden Nordrhein-Westfalen, das Land der christlichen und sozialdemokratischen Arbeiterbewegung, nicht neoliberalen Experimenten ausliefern; darauf können sich die Beschäftigten in NordrheinWestfalen mit uns verlassen.

(Beifall von der SPD)

In der CDU werden gerade aber noch andere sehr interessante und spannende Vorschläge diskutiert. Gestern habe ich von Vorschlägen innerhalb der CDU gehört, nach denen Sie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk privatisieren wollen.

Ich konnte es kaum glauben, als ich das gelesen habe, aber unter der Leitung des CDU-Generalsekretärs werden solche Vorschläge für das Wahl

programm der Bundes-CDU erarbeitet, und das in Zeiten von Corona, in denen wir alle froh sein können, dass wir ARD, ZDF und Deutschlandfunk haben und nicht etwa Fox News.

Ich stelle ausdrücklich klar: Die SPD-Landtagsfraktion lehnt diese Privatisierungsvorschläge ganz entschieden ab. Da machen wir nicht mit, und ich hoffe, Sie erklären das gleich auch.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Ich erwarte von einem Ministerpräsidenten, der zudem CDU-Bundesvorsitzender werden möchte, dass er diesem Vorschlag des Fachausschusses Wirtschaft, Arbeit und Steuern der CDU Deutschlands eine klare Absage erteilt. Das können wir nicht machen.

Solche Vorschläge sind wir bislang nur von anderen politischen Akteuren gewohnt, und diese Gesellschaft sollten auch Sie nicht suchen, Herr Laschet. Beenden Sie diese Diskussion hier und jetzt. Schluss mit den Privatisierungsspielchen. Hände weg von ARD und ZDF.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich habe mir vor dieser Debatte die Frage gestellt: An welches Projekt der Landesregierung werden sich die Menschen in Nordrhein-Westfalen vielleicht auch noch in zehn Jahren erinnern können? Das mag jetzt jeder für sich persönlich entscheiden; da wird es sicherlich unterschiedliche Schwerpunkte geben.

Ich befürchte, eine Tatsache wird in Erinnerung bleiben: Ich spreche vom Verlust der Stahlindustrie in Nordrhein-Westfalen, vom Verlust von 100.000 und mehr Arbeitsplätzen in den Werken, in den Zulieferbetrieben und in den anschließenden Wertschöpfungsketten.

Erst vor zwei Tagen hat thyssenkrupp bekannt gegeben, dass das Grobwalzwerk in Duisburg nun endgültig schließen wird. Eine schlimme Nachricht, nicht nur für Duisburg, sondern für unsere gesamte Wirtschaft. Mit dem Verlust von industrieller Wertschöpfung verlieren wir auch Zukunftstechnologien sowie gute und sichere Arbeitsplätze für die nächste Generation.

Stahl ist keine veraltete Technologie aus dem 19. Jahrhundert. Stahl ist Innovationsträger für die Spitzentechnik des 21. Jahrhunderts – für Wasserstofftechnologie, für Rohstoffkreisläufe und auch für digitale Produktionsprozesse. Aus Stahl wird Fortschritt gemacht – und Klimaschutz.

Noch haben wir die große Chance, Nordrhein-Westfalen zu einem Spitzenstandort für klimaneutrale Industrie zu machen. Dazu brauchen wir aber das Wissen, die Erfahrung und die Leistung der Facharbeiter und Ingenieure aus den Werkshallen und an den Hochöfen. Dazu brauchen wir thyssenkrupp.

Es besteht die reale Gefahr, dass dieser Konzern pleitegeht oder die Stahlsparte verkauft und zerschlagen wird. Beides liefe auf das Gleiche hinaus: eine wirtschaftspolitische Katastrophe.

Doch noch haben wir die Chance, den Konzern durch eine Staatsbeteiligung zu stabilisieren. Wir haben die Chance, ihn vor der Zerschlagung zu schützen und zu einem erfolgreichen europäischen Champion ökologischer Industrie zu machen.

Wenn wir jetzt allerdings nicht den Mut haben, in der Industriepolitik neue Wege zu gehen, werden wir diese Chance verspielen.

Ich weiß, dass den Koalitionsparteien eine Staatsbeteiligung aus ideologischen Gründen gegen den Strich geht. Insgeheim weiß die Regierung aber doch selbst, dass nur eine Staatsbeteiligung Sicherheit verspricht und alles andere ein wirtschaftspolitisches Vabanquespiel wäre. Springen Sie über Ihren Schatten, und lassen Sie sich auch in zehn Jahren noch dafür feiern, dass Sie die nordrhein-westfälische Stahlindustrie gerettet haben. Tun Sie etwas in diesem Bereich.

(Beifall von der SPD)

Aber nicht nur die Stahlindustrie ist gerade bedroht. Auch die chemische Industrie baut Tausende von Arbeitsplätzen in Leverkusen und Wuppertal ab. Sogar die Forschung wird in Nordrhein-Westfalen geschlossen. Das ist in diesen Zeiten ganz besonders dramatisch.

In Hagen droht die Schließung der Batteriefabrik von Hawker, die wir noch als Varta kennen. Letzte Woche war ich dort und habe mit den Beschäftigten der Gewerkschaft und dem Betriebsrat sprechen können.

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

Wir schließen in diesen Zeiten Batteriefabriken, obwohl wir aufgrund der Umstellung auf E-Mobilität mehr Batterien denn je brauchen. Was für ein Irrsinn! Helfen Sie auch da. Unternehmen Sie etwas. Eine solche Zukunftstechnik muss in Nordrhein-Westfalen bleiben. Da darf man nicht tatenlos zusehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD)

Herr Pinkwart weiß doch selbst, dass Marktentfesselung keine moderne Industriepolitik mehr ist. Das verrät ja schon Ihr eigener Zehn-Punkte-Plan für den Stahl. Aktuell hilft er leider überhaupt nicht gegen die Krise. Mittelfristig enthält er aber durchaus vernünftige Ansätze, die wir an der einen oder anderen Stelle auch unterstützen können.

Ihr Zehn-Punkte-Plan besteht fast ausschließlich aus staatlichen Investitionen und Interventionen. Marktentfesselung kommt darin überhaupt nicht vor. Sie hilft in diesem Bereich auch nicht. Denn ganz gleich, ob es

um Wasserstofftechnologie, Kohleausstieg oder ökologischen Stahl geht: Um Strukturwandel zu gestalten, um neuen Technologien zum Durchbruch zu verhelfen oder um neue Märkte zu erschließen, braucht es eine starke öffentliche Hand, die Regeln setzt und in Forschung, Wissenschaft, Infrastruktur und Menschen investiert.

Was indes einen wirtschaftlichen und ökologischen Fortschritt in Nordrhein-Westfalen behindert, sind bürokratische Kleinkriege gegen neue Technologien, wie Sie sie zum Beispiel drei Jahre lang gegen die Windenergie geführt haben. Sie haben Investitionen verhindert und Investoren verunsichert. Für ein modernes Nordrhein-Westfalen ist das schlecht gewesen.

(Beifall von der SPD)

Das war und ist nicht nur kurzsichtig, sondern auch viel zu schädlich für unser Land. Grüner Wasserstoff wird in Zukunft dort hergestellt, wo grüner Strom zur Verfügung steht. Moderne, ökologische Industrie wird sich dort ansiedeln, wo sie ausreichend ökologischen Strom bekommt.

NRW muss bei den erneuerbaren Energien auf die Überholspur. Denn Klimaschutz durch Windenergie bringt nicht nur Fortschritt, sondern auch Jobs – bei VULKAN in Herne, wo Kupplungen für Windräder gefertigt werden, bei Flender in Bocholt, wo die Getriebe gefräst werden, oder beim Erndtebrücker Eisenwerk, wo die Türme gebaut werden.

Wir brauchen mehr erneuerbare Energiequellen. Wir brauchen auch mehr Windenergie. Fortschritt gelingt nur durch eine aktive Industriepolitik in unserem Land.

(Beifall von der SPD)

Ihre Entfesselungspolitik ist hingegen eine reine Ideologieproduktion. Noch schlimmer: Hier im Land ist sie ein ideologisches Gebräu aus wenig appetitlichen Zutaten, meistens wirkungslos und leider auch zu oft schädlich.

Sie reden von Entfesselung und erzeugen nur Verunsicherung. Sie versprechen Bürokratieabbau, erzeugen damit aber nur Chaos.

Am Beispiel verkaufsoffener Sonntage lässt sich das ganz deutlich darstellen. Verkaufsoffene Sonntage sind ein Herzstück Ihrer Entfesselungspolitik. Das allein zeigt schon, wie kläglich der ganze Ansatz der Entfesselungspolitik ist.

Wie oft haben Sie schon versucht, zusätzliche verkaufsoffene Sonntage einzuführen, und wie oft sind Sie damit schon vor Gericht gescheitert? Verkaufsoffene Sonntage wurden seit Ihrer Regierungsübernahme mindestens 20 Mal von Gerichten verboten – 20 Mal ein beispielloser Vorgang im Umgang einer Landesregierung mit der Justiz.

Zuletzt versuchte die Regierung sogar, mehrere verkaufsoffene Sonntage mit Infektionsschutz zu begründen. Das kann man natürlich nur machen, wenn man vorher jede intellektuelle Selbstachtung aufgegeben hat.

(Beifall von der SPD)

So ähnlich steht das auch in den Urteilen, die Sie alle kassiert haben, die Sie aber ganz offensichtlich nicht ausreichend bis zur Begründung und einschließlich der Begründung gelesen haben.

Dem Oberverwaltungsgericht ist bereits im September dieses Jahres der Kragen geplatzt, als es schon wieder eine Reihe von Sonntagsöffnungen verwerfen musste. Wörtlich heißt es in dem Beschluss des 4. Senats vom 24. September 2020 – Zitat –:

„Ebenso wenig entspricht es rechtsstaatlichen Grundsätzen, wenn das zuständige Landesministerium an einem Erlass festhält, der fortlaufend weitere Städte und Gemeinden zu verfassungswidrigen Entscheidungen verleitet und viele davon abhält, offenkundig rechtswidrige Verordnungen von sich aus aufzuheben.“

Mit anderen Worten: Das Oberverwaltungsgericht wirft der Landesregierung nicht weniger als Anstiftung zum Rechts- und Verfassungsbruch vor.

Was ist aus Ihrer einst so stolzen Rechtsstaatspartei geworden, liebe Kolleginnen und Kollegen?