Allerdings mussten die Betroffenen und auch wir schnell lernen, dass dieses Programm zwar auf den ersten Blick gut aussah, aber eben nur auf den ersten Blick. Die Bundesregierung stellte sich nämlich auf den Standpunkt, dass aus diesem Programm nur Betriebskosten, aber keinesfalls die Kosten für den Lebensunterhalt bezahlt werden dürften. Das geht so sehr an der Lebensrealität vorbei, dass man es einfach nicht verstehen kann.
Die Betroffenen haben es nicht verstanden, und 16 Landesregierungen haben es auch nicht verstanden. Sie haben sich gemeinsam an die Bundesregierung gewandt – ein seltener Vorgang. Die Landesparlamente – darunter auch wir – haben sich parteiübergreifend hinter diese Forderung gestellt.
Die meisten der Solo-Selbstständigen arbeiten mit sehr geringen Betriebskosten und erwirtschaften mit den Einkünften ihren Lebensunterhalt. Sie arbeiten in der eigenen Wohnung, nutzen das private Auto. Dabei entstehen vielen von ihnen praktisch keine Betriebskosten. Denn die Wertschöpfung eines Großteils der Solo-Selbstständigen geschieht nicht durch den Einsatz von Maschinen oder kapitalintensive Mittel, sondern durch die Kreativität in ihren Köpfen.
Die Folgen dieser falschen Programmierung sind klar: Die meisten Solo-Selbstständigen werden den größten Teil der ausgezahlten Soforthilfe wieder zurückzahlen müssen. Dass sie es nicht schon mussten, ist nur dem Einschreiten der Länder zu verdanken. Im Klartext: Der Bund holt sich das Geld einfach zurück.
In Nordrhein-Westfalen haben der Wirtschafts- und der Finanzminister dankenswerterweise dafür gesorgt, dass wenigstens 2.000 Euro von diesen 9.000 Euro für März und April zum Lebensunterhalt verwendet werden können. Das kostet das Land NRW 400 Millionen Euro – zu zahlen an den Bund. Ganz ehrlich, liebe Kolleginnen und Kollegen: Das darf doch nicht wahr sein.
Die Antwort des Bundes auf diese Problemlage erschöpfte sich in dem Verweis auf die Grundsicherung. Das ist nicht nur ordnungspolitisch falsch, es ist auch ein Zeichen fehlender Wertschätzung für Selbstständige. Zeitgleich hat Arbeitsminister Hubertus Heil das Kurzarbeitergeld erhöht – mit dem Argument, der Abstand zum normalen Netto dürfe nicht zu groß sein. In den Ohren von Solo-Selbstständigen muss das wie Hohn klingen.
Auf die praktischen Probleme der Grundsicherung ist schon vielfach hingewiesen worden. Trotz Erleichterung sind Vermögenswerte und Bedarfsgemeinschaften ein Problem. Auch die Verpflichtung der Agentur zur Vermittlung ist nicht aufgehoben. Stellen wir uns kurz vor, derartige Ansprüche würden an abhängig Beschäftigte in Kurzarbeit herangetragen. Der Entrüstungssturm wäre gigantisch, und zwar zu Recht.
Für Solo-Selbstständige gilt das alles scheinbar nicht, und das ist eine der längerfristigen Verheerungen dieser Politik: Welches Signal geht davon eigentlich aus an all jene, die versuchen, auf eigenen Beinen zu stehen? Wir brauchen aber diese Menschen. Wir sollten ihnen Mut machen und sie unterstützen, statt sie abzuschrecken.
Wirtschaftsminister Altmaier hat nun die ersten Vorschläge vorgelegt, wie ein Unternehmerlohn auf Bundesebene aussehen könnte. Das Land NRW hat dies in seinen Überbrückungshilfen vorgemacht. Diese Diskussion eröffnet noch einmal die Chance, auch das Thema „Lebensunterhalt für Solo-Selbstständige“ endlich zu lösen – und nicht nur für den Monat November als Ausfallzahlung.
In Ihren Entschließungsanträgen fordern Sie, dass die Rückzahlungen unbürokratisch geregelt werden sollten. Das ist leider wohlfeil. Der Bund hätte die Bedingungen nie so ausgestalten dürfen, wie er es gemacht hat. Jetzt haben wir den Salat hier im Land und werden das irgendwie lösen müssen.
Überhaupt empfinde ich Ihre Entschließungsanträge als bedauerlich kurz gesprungen. Sie nutzen dieses Thema zur parteipolitischen Profilierung und verlassen leider die Länderphalanx gegenüber dem Bund.
Die Grünen schreiben dann im schönsten Selbstwiderspruch auch noch darüber, das Schwarze-PeterSpiel solle beendet werden.
Liebe SPD, was meinen Sie denn damit, wir wollten bisherige Landesleistungen auf den Bund abwälzen? Wir sind mit den schon erwähnten 400 Millionen Euro – und jetzt noch 300 Millionen für die „NRW Überbrückungshilfe Plus“ – in die Bresche gesprungen und kompensieren das Versagen des Bundes. Sie versuchen, die Sache auf den Kopf zu stellen. Den SoloSelbstständigen in unserem Land erweisen Sie damit einen echten Bärendienst.
Meine Damen und Herren, unsere Solo-Selbstständigen sind ein wesentlicher und wichtiger Teil unseres Gesellschafts- und Wirtschaftssystems. Sie be
dürfen unserer besonderen Unterstützung und verdienen unseren Respekt und unsere Wertschätzung. Das gilt auch für Fragen der Existenzsicherung in Krisenzeiten.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Deutsch. – Als nächster Redner hat nun für die Fraktion der SPD Herr Abgeordneter Bialas das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich schicke einmal das Gute vorweg: Ich denke, wir sind uns in vielem einig. In einigen Dingen sind wir uns noch nicht ganz nah. Aber der Konsens überwiegt. Auch beim Kern der Forderungen sind wir uns einig. Wir haben auch begriffen, dass wir querbeet alle zusammen Druck ausüben und an der Seite der SoloSelbstständigen stehen müssen. Das tun wir auch.
Ich darf ein bisschen ausholen. Unsere Kultur, also unser bewusstes, geordnetes Zusammenleben, hat wesentlich etwas damit zu tun, dass Menschen sich begegnen und treffen wollen, dass sie zusammenkommen möchten, dass sie sich nah sein wollen und sich durchaus auch berühren möchten, dass Mensch mit Mensch zusammenkommt. Das ist eine Grunderfahrung unserer Sozietät.
In der Regel findet dies aber nicht mehr statt, indem man auf eine Wiese oder in den Wald geht, sich auf einen Holzblock setzt und sich miteinander unterhält. Vielmehr geht man ins Lokal oder ins Kino oder trifft sich in Parks mit zusätzlichen Angeboten, auf Weihnachtsmärkten und bei Schützenfesten. Man trifft sich bei Konzerten, im Theater, auf Tanzveranstaltungen, in Klubs, bei Lesungen oder im Karneval. Ihre Fantasie reicht mit Sicherheit aus, diese Liste noch sehr lange fortzusetzen. Das heißt, dass unsere Begegnungen in einem spezifischen Setting stattfinden.
Um das Treffen der Menschen herum hat sich eine Angebotsstruktur und damit einhergehend eine Veranstaltungswirtschaft – wenn man sie so nennen möchte; auch andere Formen und Anbieter gibt es – gebildet, übrigens von enormer Größe.
Aber der Mensch bedarf nicht nur der sozialen Komponente. Er bedarf auch der Komponente der Bildung, der Selbstvergewisserung, der Reflexion und der Plattformen bei der Suche nach Sinn und Bedeutung. Dafür bedarf es der Lehranstalten, der Orte der Religionsausübung, aber eben auch der Orte der Kultur. Gerade in säkularisierten Staaten übernehmen die Kunst und die ihr inneliegende Kraft unter
anderem auch diese Formen der Reflexion und Selbstvergewisserung, gerade auch in Krisenzeiten. Kulturorte sind dann eben nicht in eine Reihe von Amüsierbetrieben und Freizeitangeboten einzuordnen. Sie sind Bildungsorte, und sie sind Orte von Sinnfindung.
Wie man auf die Idee kommen kann, gerade in einer Krisenzeit die gesellschaftspolitischen Komponenten der Kultur infrage zu stellen, ist mir wahrlich schleierhaft. Mir ist ebenso schleierhaft, wieso man dann auch keine grundlegenden Kriterien beim Lockdown anlegt, beispielsweise für Bildungsorte – dann sind Schulen genauso zu behandeln wie Musikschulen – oder auch Kultusorte. Und wenn man die Frage stellt, ob die Kirchen und Religionsorte geöffnet bleiben, sind auch die Kulturorte hinzuzuziehen. Man kann also nicht nur solche „Schließungshaufen“ nennen, wo wir möglichst viel Bewegung von vielen Menschen ausschließen, sondern muss die dahinter liegenden grundlegenden Gedanken angeben können und berücksichtigen. Ich halte das für äußerst wichtig.
Wie gerade grob skizziert, bedarf der Mensch all dessen. Und diese zahlreichen Angebote werden in der Regel von dem großen Heer der Solo-Selbstständigen sichergestellt. Das merken wir derzeit gerade in der Krise. Vorher wussten wir eigentlich gar nicht, in welchen Verhältnissen diese Menschen gelebt haben; Hauptsache, sie haben ihr Angebot zur Verfügung gestellt.
Es gibt also den Zuckerwatteverkäufer genauso wie die Geigenspielerin, die Gastronomin genauso wie den Tänzer. Es sind die Technikerinnen, Bühnenbauer, Fahrerinnen und Transporteure. Ich gehe nicht auf alle ein. Es sind natürlich auch die Anbieterinnen im Sport- und Gesundheitssektor. Es sind aber auch die Anbieter im Beauty- und Wellnessbereich und, und, und. Bisher haben die Redner, unter anderem Herr Rehbaum, gewisse Aufzählungen vorgenommen. Auch hier reicht unsere Fantasie aus, um diese Liste fortzuführen. Sie wird wahrscheinlich
nicht vollständig sein. Insofern hoffen wir, dass sich diejenigen, die wir nicht erwähnt haben, jetzt nicht ausgeschlossen fühlen. Nein, auch sie gehören dazu.
Noch eines ist wichtig: Die Menschen an sich sind systemrelevant, nicht nur ihre Funktionen. Das sind doch keine Menschen, die sich Extrawürste braten lassen wollen. Es geht meistens um Brot und Wasser. Genau dabei dürfen wir sie nicht sitzen lassen.
Übrigens: Gerade die Künstlerinnen und Künstler, aber auch die anderen Solo-Selbstständigen sind sehr vernünftig, verantwortungsbewusst und diszipliniert mit der Krise und den sie betreffenden katastrophalen Rahmenbedingungen umgegangen. Sie sind
bereit, ihren Beitrag zu leisten und ihre Bürde zu tragen, so wie alle anderen auch. Dann haben sie meiner Meinung nach aber auch ein Anrecht darauf, in puncto Unterstützung so behandelt zu werden wie alle anderen auch.
Wer den Schutz von allen und von Einzelnen besonders einfordert, der muss den entstehenden Schaden dann auch solidarisch tragen und darf die Betroffenen nicht einfach alleine stehen lassen; denn sonst funktioniert Solidarität nicht.
Die Solo-Selbstständigen treffen in der Pandemie auf eine Situation, die ihnen erstens ihre Einnahmequelle abhandenkommen lässt und ihnen zweitens derzeit noch keinen angemessenen und dauerhaft verlässlichen Ersatz dafür bietet.
Sie selbst bieten eine Ware an – Herr Deutsch hat es bereits gesagt –, die Nachfrage erzielen und Einnahmen für sie generieren würde. Aber die Coronaschutzverordnungen unterbinden und verbieten ihnen einen Rahmen, in dem sie ein angemessenes Einkommen erzielen könnten. Sie sind also nicht ein zu alimentierender Notfall, sondern durch staatliches Handeln arbeitslos gestellt. Die Auflagen führen auch auf unabsehbare Zeit dazu, dass es den meisten unmöglich ist, wirtschaftlich zu arbeiten.
Daher ist dies immer sehr stark damit verknüpft, welche Einschränkungen für wen beschlossen werden, aber auch damit, ob für diejenigen dann eine Kompensation als Ersatz für Einnahmeausfälle angesetzt wird. Das ist sicher eine der derzeitigen Kernfragen der Gerechtigkeit.
Deshalb sprechen wir auch nicht primär über soziale Absicherung, die der Staat zu leisten hat, sondern über angemessene Kompensationszahlungen, die der Staat zu leisten hätte, zumindest eine angemessene Grundversorgung jenseits des ALG.
Warum ist das ALG nicht passend? Die Gründe sind vielfach genannt, auch in den Diskussionen und in den Anschreiben. Die Höhe des Schonvermögens, die Anrechnung der Bedarfsgemeinschaften, die Zuverdienstproblematik und die Rettung der Altersvorsorge, aber auch die Arbeitsvermittlungspflicht der Jobcenter spielen hier eine Rolle. Letzteres würde nämlich bedeuten, dass die Jobcenter eigentlich dazu verpflichtet wären, die Künstler in einer Krisenzeit umzuschulen. Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen. Mindestens aber steuerrechtliche und versicherungstechnische Fragen kommen on top hinzu.
Es geht daher eben nicht um die Zugangsbreiten zum ALG. Es geht im Minimum um ein Äquivalent zum Kurzarbeitergeld.
Außerdem geht es um eine sofortige Unterstützung sowie um eine langfristige Absicherung und Einpflege in unser Sozialsystem. Corona hat diese Lücken geradezu aufgerissen und aufgezeigt. Die
Vorstellung der Arbeitslosigkeit von Solo-Selbstständigen war für uns bisher noch nicht unbedingt prägnant. Das heißt: Auch hier muss dauerhaft etwas geschehen.
Sind für die solo-selbstständigen Künstlerinnen und Künstler – ich nehme jetzt einmal diese Gruppe heraus – bereits die Absicherung für das Alter, also die Rentenversicherung, und die Absicherung gegen Krankheit, also die Krankenversicherung, möglich, gibt es für sie keine Absicherung gegen Arbeitslosigkeit, da diese, wie gesagt, zunächst einmal systemfremd erscheint.
Diese langfristig zu lösenden Fragen haben wir im Ausschuss für Kultur und Medien bereits zu diskutieren angefangen. Wir wünschen uns eine noch breitere und weitere Ebenen umfassende Diskussion hierzu. Das ist in der Tat jeglichen Schweiß wert.