Protocol of the Session on October 8, 2020

Das große Grummeln nach der Kommunalwahl – der gefälschten Kommunalwahl – im Mai 1989 und die Montagsdemonstrationen im Herbst 1989 in der DDR waren Voraussetzung für die friedliche Revolution. Mutige Menschen sind damals für Presse-, Meinungs- und Reisefreiheit und gegen ein menschenverachtendes Regime auf die Straße gegangen – und auch für freie, geheime und gleiche Wahlen.

Manchmal wünscht man sich, das Bewusstsein um den Wert von freien Wahlen wäre bis heute in den deutschen Köpfen so präsent. Dann hätten wir auch wieder höhere Wahlbeteiligungen und weniger Wegwerfen von Stimmen bei Wahlen.

(Beifall von der CDU und der SPD)

30 Jahre nach der deutschen Einheit wachsen Ost und West weiter zusammen, und das erfolgreich, wenn auch nicht überall so schnell wie gewünscht. Das freut mich auch ganz persönlich als jemand, der 1990 im Vorfeld der einzigen freien Volkskammerwahlen in der DDR für die „Allianz für Deutschland“ in Thüringen tätig war.

Das war für viele in den heute mit 30 Jahren ja auch nicht mehr ganz so neuen Bundesländern mit harten Prüfungen und oft persönlich sehr schwierigen Situationen verbunden: Schließlich brach auf allen Ebenen das Gewohnte weg. Hoher Respekt dafür!

Erwähnt werden müssen meines Erachtens bei diesem Thema auch immer die sehr wichtigen Rollen des damaligen Papstes Johannes Paul II. und der Solidarność in Polen, die beide längst vor Gorbatschows Politikwechsel aktiv waren und Strukturen im Ostblock aufbrachen. Dass gerade Polen so zentrale Impulse für die Einheit gab, ist nicht hoch genug anzurechnen. Damit waren die Polen übrigens auch mehr Stütze Deutschlands als etwa Thatcher und Mitterrand in der damaligen Zeit. Das halte ich für sehr bemerkenswert. Deshalb gratuliere ich an dieser Stelle auch ganz bewusst zu 40 Jahren Solidarność in Polen.

Ich freue mich sehr darüber, dass wir den Antrag heute zu viert einbringen. Dass SPD und Grüne mit dabei sind, ist schließlich keine Selbstverständlichkeit, da es in den 80er-Jahren bekanntlich bei dem Thema „deutsche Einheit“ durchaus harte Auseinandersetzungen gab. Erinnert sei auch an die Themen „Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft“ und „Erfassungsstelle in Salzgitter“ und an die Zusammenarbeit mit Parteien und Personen in der DDR.

Johannes Rau hat dies dankenswerterweise Ende Februar 1990 bei seinem Vortrag in der Leipziger Nikolaikirche bedauernd bestätigt. Sein „Mea culpa“, dieses Eingeständnis, dass Zweistaatlichkeit und deren Akzeptanz falsch waren, wurde im Osten sehr, sehr positiv aufgenommen und soll hier nicht unerwähnt bleiben.

Meine Damen, meine Herren, lassen Sie uns Revue passieren: 45 Jahre nach Kriegsende, 40 Jahre nach Gründung zweier Staaten in Deutschland, 36 Jahre nach dem Aufstand in der DDR, 29 Jahre nach Bau einer menschenverachtenden Mauer und einer innerdeutschen Grenze trauten sich die Menschen in Mitteldeutschland gegen die scheinbar übermächtige Diktatur samt Stasi aufzustehen.

Dass das nur fünf Jahre nach von Weizsäckers Rede im Bundestag geschah, wo bekanntlich erstmals von der Befreiung Deutschlands die Rede war, ist mehr als bemerkenswert und zeigt, wie stark der Paradigmenwechsel in dieser Zeit war. 30 Jahre Einheit in Frieden und Freiheit sind mehr als ein Grund zu feiern; denn das vereinte Deutschland heute ist besser als seine zwei Teile vorher es je waren.

Trotzdem gibt es immer noch Parteien, die spalten wollen. Die Linke schwadroniert, dass es im StasiSozialismus besser war, und die Rechten hetzen, schüren Ängste, wecken Sozialneid und erklären wieder einmal die Fremden und das Andere für schuldig und bedienen sich gleichzeitig nazistischen Vokabulars. Darüber kann auch ein seichter Entschließungsantrag nicht hinwegtäuschen: Erst Feuerchen legen, dann die verständnisvolle Feuerwehr heucheln – freilich immer, ohne jemals löschen zu wollen. Unglaublich!

Das dürfen wir nicht zulassen. Machen Sie mir mein Vaterland nicht schlecht! Dafür haben die Menschen vor 30 Jahren im Osten nicht ihr Leben riskiert, während wir – nichts tuend – in unseren Westwohnzimmern im Warmen saßen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Bergmann. – Jetzt spricht Frau Kollegin Gödecke für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als wir im Oktober letzten Jahres über 30 Jahre friedliche Revolution debattierten, haben wir in großer Übereinstimmung festgestellt, dass wir alle uns gut an den 9. Oktober und noch viel mehr an den 9. November 1989 erinnern können. Beide Tage haben sich nämlich als die entscheidenden Wendepunkte der gesamtdeutschen Geschichte in unser Gedächtnis eingebrannt. Mit beiden Tagen verbinden sich daher viele Emotionen.

Der 3. Oktober, unser Nationalfeiertag, ist dagegen für viele etwas weniger emotional besetzt und sogar oftmals mit weniger konkreten Erinnerungen verbunden. Als am 3. Oktober 1990 der Einigungsvertrag in Kraft trat, wurde die deutsche Einheit nach den langen Jahren der Trennung vollendet. Seitdem feiern

wir diesen Tag als den Tag der Wiedervereinigung. Er ist aber nicht ganz automatisch zum Nationalfeiertag der Herzen geworden.

Der 3. Oktober erinnert uns vielmehr in jedem Jahr daran, dass wir uns mit dem Prozess der deutschen Einheit, dem, was gelungen ist, und jenem, was noch vor uns liegt, beschäftigen müssen. Der 3. Oktober erinnert uns deshalb an die fortdauernde politische Gestaltungsaufgabe.

In unserem gemeinsamen Antrag „30 Jahre Deutsche Einheit“ machen wir deutlich, dass es um die Einheit in Freiheit und Vielfalt geht, dass Freiheit und Demokratie untrennbar zueinander gehören. Gerade deshalb müssen wir uns heute, im Jahr 2020, vergewissern, wie es denn um die Wertschätzung und Akzeptanz der Demokratie in unserem Land steht, macht doch unsere eigene deutsche Geschichte deutlich, dass Demokratie nicht von alleine kommt und vor allen Dingen auch nicht automatisch bleibt. Demokratie muss mit Leben gefüllt werden, sie muss gelernt und sie muss wertgeschätzt werden, und sie muss, falls notwendig, auch immer wieder verteidigt werden.

(Beifall von der SPD)

30 Jahre deutsche Einheit ist in der Tat schon ein besonderes Jubiläum, das wir gerne auch miteinander gefeiert hätten. Bundespräsident Steinmeier hat am Samstag mit Blick auf die coronabedingten Einschränkungen festgestellt:

„Auch wenn das große Fest entfällt: Die Bedeutung des Tages bleibt.“

Die Bedeutung des Tages bleibt, weil er den Schlusspunkt der Entwicklungen und der friedlichen Revolution hin zur Wiedervereinigung markiert, aber auch deshalb, weil der 3. Oktober Jahr für Jahr deutlich macht, dass wir nach 30 Jahren noch immer vor größeren Herausforderungen stehen. Die Vollendung der inneren Einheit und die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in ganz Deutschland bleiben daher auf unserer politischen Agenda. Dazu sind wir vor allem den mutigen Frauen und Männern der DDR verpflichtet, ohne die es 1989 keine friedliche Revolution gegeben hätte.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Wiedervereinigung fußt aber genauso auf einer ganzen Reihe von Ereignissen und Entwicklungen Ende der 80er-Jahre, die der Bundespräsident folgendermaßen beschrieben hat:

„Ohne die Friedensabkommen mit Polen und der damaligen Sowjetunion, ohne die völkerrechtliche Anerkennung der Oder-Neiße-Linie, ohne Helsinki-Prozess, ohne NATO, ohne Europäische Union hätte die Wiedervereinigung nicht stattgefunden.“

(Beifall von der SPD)

Die wichtige Rolle der USA mit ihrem Einsatz für eine starke und respektierte Nachkriegsordnung sowie mit ihrer Unterstützung der europäischen Integration darf auch nicht vergessen werden.

Deshalb fordert unser Antrag uns auf, zu erkennen, wie wertvoll und wichtig eine internationale Ordnung ist, die sich für Frieden, Freiheit und Demokratie starkmacht. Daher will ich zwei Punkte aus unserem gemeinsamen Antrag noch einmal besonders betonen.

Erstens. Deutschland ist ein weltoffenes Land, das Schutzbedürftige aufnimmt, das offen für Zuwanderung ist, das weltweit für Menschenrechte eintritt und das die Demokratie und ihre Werte überall gegen ihre Feinde von außen und innen verteidigt.

(Beifall von der SPD)

Wenn wir genau das heute miteinander bekräftigen und beschließen, dann muss jedem klar sein, dass sich daraus auch ganz konkrete Verpflichtungen und Handlungsaufträge ergeben.

Zweitens. Der Geist der friedlichen Revolution darf zu keinem Zeitpunkt von nationalistischen und antidemokratischen Kräften und Parteien vereinnahmt und damit missbraucht werden.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU, der FDP und den GRÜNEN – Zuruf von der AfD)

Sollte sich jetzt zum wiederholten Male jemand in diesem Parlament angesprochen fühlen, dann scheint man sich zu Recht angesprochen zu fühlen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der November 1989 hat den Bürgerinnen und Bürgern der DDR die langersehnte und friedlich erkämpfte Freiheit und Demokratie gebracht, der 3. Oktober 1990 die deutsche Einheit. Beide Daten machen deutlich: Demokratie und Freiheit sind untrennbar miteinander verbunden.

Deshalb ist der Tag der Deutschen Einheit, der 3. Oktober, zugleich der Tag der Demokratie. Für mich persönlich ist der Tag der Deutschen Einheit gerade mit Blick auf die Entwicklungen der jüngeren und jüngsten deutschen Geschichte auch der Tag der kollektiven Absage – der kollektiven Absage an Demagogen, Reichsbürger, Verschwörungstheoretiker, Verirrte, die Reichskriegsflaggen schwingen, hetzende und spaltende Rechtspopulisten, demokratiegefährdende Gruppierungen und an all diejenigen, die sich erdreisten, die mutigen Menschen der Jahre 1989 und 1990 zu verhöhnen, indem sie „Wir sind ein Volk“ skandieren.

(Beifall von der SPD)

Die Botschaft der friedlichen Revolution zu missbrauchen, ist nicht nur eine politische Instrumentalisierung und übelster Populismus, sondern eine

geschichtsvergessene Verhöhnung. Das lassen wir gemeinsam nicht zu – heute nicht, morgen nicht, nie.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Fraktion der FDP spricht unsere Kollegin Freimuth.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1990 wurde der aus dem Jahr 1949 stammende Auftrag der Präambel unseres Grundgesetzes, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden, erfüllt.

Es ist richtig und wichtig, dass wir heute, gut 30 Jahre später, jenen Respekt und Anerkennung zollen, die ihr politisches Leben aktiv auf die Einheit unseres Landes hingearbeitet haben – zum Beispiel Willy Brandt, Dr. Helmut Kohl, Hans-Dietrich Genscher und viele andere mehr.

Hans-Dietrich Genscher hat einmal seine Zuversicht und Überzeugung wie folgt zusammengefasst:

„Keine Macht der Welt kann Menschenwürde und Freiheit auf Dauer stoppen.“

Insbesondere zollen wir aber jenen mutigen Menschen Respekt, die mit ihrem Wunsch nach und Protest für Freiheit und Reformen in einer friedlichen Revolution das System der Unterdrückung, Überwachung, Diktatur und Unfreiheit der DDR überwanden.

Vieles scheint heute eine Selbstverständlichkeit: ein Rechtsstaat ohne Tyrannei, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, Kunstfreiheit, Wissenschaftsfreiheit, Berufsfreiheit und, wie schon erwähnt wurde, freie Wahlen – und, wenn wir die Pandemie überwunden haben, ganz sicher auch wieder die Reisefreiheit.

Die Demonstranten riskierten damals viel. Sie erreichten aber auch viel: die Überwindung der Teilung Deutschlands und insbesondere auch die Überwindung der Teilung Europas.

Vor 30 Jahren brachten die Menschen der damaligen DDR unserem Grundgesetz und den demokratischen Institutionen Vertrauen entgegen, indem sie dem Geltungsbereich des Grundgesetzes beitraten.

Umso nachdenklicher macht es uns und gleichzeitig umso entschlossener ist unser Engagement, wenn antiliberale Kräfte des Rückschritts von rechts genauso wie von links die Werte unseres Grundgesetzes hier und andernorts bedrohen und das Erbe der wechselvollen deutschen und europäischen Freiheitsgeschichte abwickeln wollen,