Protocol of the Session on September 30, 2015

Was macht diese Landesregierung zurzeit? Es wird einfach keine Aktivität entfaltet, um dieses Problem anzugehen. Wir finden keine zusätzlichen finanziellen Mittel im Haushalt. Es gibt keinen Gesetzentwurf, der das auf den Weg bringt. Es wird noch einmal das Angebot von der Opposition wahrgenommen, gemeinsam diesen Weg zu gehen und die Träger dabei zu unterstützen.

(Beifall von der FDP)

Auf der anderen Seite werden für 160 Millionen € die Elternbeiträge für das dritte Kindergartenjahr abgeschafft – ein Wahlversprechen, das SPD und Grüne zu Recht umsetzen.

Aber die Frage ist doch: Wo liegen die Prioritäten in diesem Land? Wollen wir nicht erst einmal einen vernünftigen U3-Ausbau gewährleisten? Wollen wir nicht erst einmal schauen, dass die Qualität an den Kitas stimmt und die Finanzierung sichergestellt ist, bevor wir in einem hoch verschuldeten Land wie Nordrhein-Westfalen eine Beitragsfreiheit einführen? Deswegen halte ich das für eine falsche Prioritätensetzung.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, wir können das Thema auch noch weiterspinnen. Wenn man über Kitas hinausschaut, stellen wir fest, dass in der Kindertagespflege viel vom Glück abhängt, wo sich die Tagesmutter oder der Tagesvater gerade selbstständig macht. Wir haben eine komplett unterschiedliche Landschaft in Nordrhein-Westfalen. In den letzten fünf Jahren wurde die Situation sogar verschärft, indem das Zuzahlungsverbot ohne Kompensation eingestellt wurde. Die Tagesmütter und Tagesväter

berichten von schwierigen Situationen. Vertreter aller Fraktionen haben vor Kurzem in Köln an einer spannenden Diskussion dazu teilgenommen. Angesichts der bestehenden Herausforderungen, die dort deutlich geworden sind, erwarte ich von einer Landesregierung, dass diese Probleme aktiv angegangen werden.

(Beifall von der FDP)

Noch eine letzte Anmerkung – das ist ein Appell an die neue Ministerin, aber insbesondere auch an das Parlament und die regierungstragenden Fraktionen –:

Wenn man Familienpolitik machen möchte, dann muss man das, was dieser Landtag beschlossen hat, regelmäßig überprüfen. Wir geben Steuergelder in Millionen- und Milliardenhöhe aus. Insofern muss man familienpolitische Leistungen evaluieren – darauf hat der Steuerzahler einen Anspruch – und schauen, ob diese Leistungen auch wirklich da ankommen, wo sie hingehören.

Ich finde es unverantwortlich, dass Sie sich in diesem Landesparlament solchen Maßnahmen verweigern, und würde mir wünschen, dass Sie hier zur Einsicht kommen und das auf den Weg bringen, was der Steuerzahler erwartet, nämlich die Evaluation familienpolitischer Leistungen, um zu sehen, wo dieses Geld wirklich vernünftig eingesetzt wird.

(Beifall von der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich freue mich auf die weiteren Debatten in diesem Haus zum Thema „Familienpolitik in den nächsten Jahren“.

(Beifall von der FDP)

Danke, Herr Kollege Hafke. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Asch.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach 25 Jahren legt diese Landesregierung einen Familienbericht vor. Frau Ministerin Schäfer danke ich ausdrücklich dafür, dass sie das angepackt hat. Ich möchte ihr auch ausdrücklich dafür danken, dass sie das unter großer Beteiligung der Familien getan hat. In diesem Bericht wird nämlich nicht nur über Familien gesprochen und nicht nur ihre Situation beschrieben. Vielmehr kamen die Familien selber zu Wort und haben ihre Bedürfnisse, ihre Wünsche geäußert. Ich glaube, das ist der gute Stil, den wir als Rot-Grün pflegen, dass wir Beteiligte … dass wir Betroffene zu Beteiligten machen.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Beteiligte zu Be- troffenen! So ist das richtig!)

Danke, Frau Schäfer, dass Sie das auch in diesem Punkt umgesetzt haben!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Lutz Lienenkämper [CDU]: Beteiligte zu Be- troffenen! So ist das!)

In diesen letzten 25 Jahren hat sich Familie deutlich geändert. Familien sind heute bunt und vielfältig. Wir haben Patchworkfamilien. Es gibt viele Alleinerziehende. Die Regenbogenfamilien kommen hinzu. Ein großer Teil der Familien mit Kindern hat einen Migrationshintergrund. Und noch etwas hat sich geändert: Es gibt ein Verständnis von Familie, das sehr viel weiter gefasst ist – nämlich, dass Familie überall dort ist, wo Menschen füreinander verbindlich Verantwortung übernehmen.

Dieser Bericht zeigt uns ein sehr detailliertes Bild von der Situation und den Bedürfnissen der Familien in Nordrhein-Westfalen. Und eines zeigt er in aller Deutlichkeit – meine Vorrednerinnen haben das zum Teil aufgegriffen –: Er zeigt, dass Familien vielfach in der Zeitfalle sitzen.

Familien und Eltern fehlt es vor allen Dingen an Zeit. 55 % der Befragten gaben an, zu wenig Raum für die Familie zu haben. 68 % nennen als Grund dafür, dass sie zu lange arbeiten müssen und zu unflexiblere Arbeitszeiten haben; das lasse ihnen zu wenig Raum für die Familie und insbesondere für die Kinder. Gerade die jungen Väter – das ist ein bemerkenswerter Wandel im Rollenverständnis – wünschen sich, mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen zu können.

Das zeigt den Rollenwandel. Aber auch noch eine andere Zahl macht deutlich, dass junge Menschen aus diesen traditionellen Rollenbildern ausbrechen wollen; denn 45 % der befragten Eltern wünschen sich, dass beide Elternteile erwerbstätig sind und sich gemeinsam um Haushalt und Familie kümmern. Das ist doch eine sehr positive Erkenntnis, die Anlass zu Hoffnung gibt.

Allerdings halten die Bedingungen der Arbeitswelt diesen Wünschen nicht stand. Die Wirklichkeit sieht anders aus. In einem Drittel der Familien sind die Männer immer noch die Alleinverdiener. Die Erwerbsquote von Frauen in Paarfamilien liegt heute immer noch bei insgesamt nur 64 %.

Die Zahl der Familien, in denen die Väter oder beide Elternteile in Teilzeit arbeiten, ist mit 3 % verschwindend gering. Auch die Anzahl der Väter, die in Elternzeit gehen, ist übrigens sehr gering. Wir haben immer noch den großen Anteil der Zweimonatsväter, die diese zwei Monate zusätzlich nehmen und bei ihren Kindern zu Hause bleiben, aber danach die Sorgearbeit wieder den Müttern überlassen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier sind Wirtschaft und Politik gefordert, Arbeitszeitmodelle zu entwickeln, um Raum und Zeit für das Miteinander in der Familie und die Sorgearbeit für Kinder, aber auch die Sorgearbeit für zu pflegende Angehörige zu ermöglichen.

Dazu gibt es Modelle, die eine Reduzierung der Arbeitszeit oder eine flexible Ausgestaltung der Wochenarbeitszeit in bestimmten Zeitfenstern vorschlagen. Sie liegen auf dem Tisch.

Es liegt im eigenen Interesse der Arbeitgeber und der Wirtschaft, sich solchen Vorschlägen nicht zu verschließen. Sie dienen nämlich auch der Fachkräftesicherung. Last, but not least dienen sie dem Erhalt von motivierten, glücklichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Was kann sich ein Arbeitgeber Besseres wünschen?

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, erfreulich ist, dass seit 2008 der Anteil der erwerbstätigen Mütter von Kindern im Alter von einem Jahr um immerhin 4,3 % und von Kindern im Alter von zwei Jahren um 4,7 % gestiegen ist. Das ist natürlich der gestiegenen U3Betreuungsquote zu verdanken, die – wir wissen es – für die Ein- und Zweijährigen in NordrheinWestfalen bei 54,9 % liegt. Wir arbeiten weiter daran, dass wir da noch besser werden und noch mehr dem Bedarf von jungen Eltern gerecht werden.

Wir setzen in der Kita aber nicht nur auf Quantität, sondern insbesondere auf den qualitativen Ausbau. Da freue ich mich besonders über einen Punkt, der in dem Familienbericht enthalten ist und den Frau Ministerin Schäfer bereits erwähnt hat. 76 % der Eltern von Kindern in einer U3-Betreuung bewerten die Betreuungsqualität als sehr gut oder gut. Das zeigt, dass wir mit unserer rot-grünen Politik erfolgreich sind. Rot-Grün wirkt für die Kinder und für die Familien.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sehen diese positive Resonanz auch als Ansporn und werden weiterhin die Qualität der frühkindlichen Bildung in den Mittelpunkt stellen.

Herr Hafke, Sie brauchen sich gar nicht zu sorgen. Die Haushaltsberatungen stehen bevor. Dann werden wir sehen, welche Fraktion welche substanziellen Vorschläge auf den Tisch legt. Hier sollten wir nicht vorgreifen.

Ein Aspekt ist mir noch wichtig. Frühkindliche Bildung wirkt präventiv gegen Armut. 18 % Kinderarmut in Nordrhein-Westfalen – das ist eine Herausforderung, die wir gemeinsam mit dem Bund bewältigen müssen. Wir haben die plusKITA eingeführt. Wir haben einen wichtigen Schritt gemacht, um die Armutsspirale, in der sich Kinder und Familien befinden, zu stoppen.

Aber hier ist auch der Bund gefragt. Es geht auch um materielle Armut. Der materiellen Armut können wir letztendlich nur begegnen, indem wir eine Kindergrundsicherung einführen, damit Kinder in Deutschland für Eltern nicht weiter ein Armutsrisiko sind.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir leben heute in einem Bundesland mit 19 % Alleinerziehenden. Das ist eine hohe Zahl. Gerade diese Frauen sind besonders armutsgefährdet. Hier zeigt sich, dass wir darauf noch einmal ein großes Augenmerk legen müssen und eine besondere Unterstützung anbieten müssen.

Meine Damen und Herren, der Familienbericht ist eine gute Grundlage, an die wir für unsere Politik für Kinder und Familien in Nordrhein-Westfalen anknüpfen können. Ich freue mich, dass die scheidende Familienministerin Ute Schäfer angekündigt hat, dass der Bericht weiter fortgeschrieben wird. Ich hoffe, dass ihre Nachfolgerin das auch aufgreifen wird.

Frau Schäfer, Ihre Nachfolgerin hat ja schon angekündigt, dass der Familiengipfel, den Sie vorgeschlagen haben, umgesetzt wird. Das ist wichtig und richtig; denn wir brauchen starke Partnerinnen. Wir brauchen auch ein Umdenken in der Wirtschaft. Es ist wichtig, dass die Unternehmen da mit am Tisch sitzen, um Familie in Nordrhein-Westfalen stark und lebbar zu machen.

Zum Schluss, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, erlauben Sie mir, dass ich mich bei der Frau bedanke, die in den letzten fünf Jahren in Nordrhein-Westfalen die Familienpolitik geprägt hat. Das ist Ute Schäfer. Liebe Ute, ich möchte mich ausdrücklich für unsere gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit bedanken. Wir haben gemeinsam viel auf den Weg gebracht und manche schwierige Herausforderung in sehr gutem Einvernehmen miteinander bewältigt. Ich danke dir ausdrücklich und sehr für deine große Leistung, die du für Familien und für Jugendliche und Kinder in NordrheinWestfalen erbracht hast.

Als du 2010 dieses Ressort übernommen hast, gab es ganz viel Misstrauen im Lande gegenüber der Landespolitik und auch gegenüber dem Ministerium. Du hast es geschafft, dass neues Vertrauen in die Politik des Landes entstehen konnte. Das ist eine sehr große Leistung, die nicht hoch genug zu bewerten ist. Du hast in vielen Gesprächen und Veranstaltungen Menschen zugehört und Beteiligung – wie wir auch jetzt am Familienbericht sehen – möglich gemacht.

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

Die ganz große Herausforderung, den U3

Rechtsanspruch zu gewährleisten, hast du gegen alle Kassandrarufe zum Erfolg gebracht. Ich glaube, mit diesem Meilenstein wird auch dein Name weiter verbunden bleiben.

Ich wünsche dir alles Gute für deine Zukunft. Genieße die Zeit, die du jetzt mehr haben wirst. Danke schön für alles!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Asch. – Für die Piraten hat Herr Kollege Düngel das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin Schäfer! Ich komme gleich ganz zum Schluss noch einmal dazu und werde auch ein paar persönliche Worte an Sie richten. Dem Jubelschrei, den Frau Kollegin Asch gerade ausgerufen hat, kann ich mich natürlich nicht ganz anschließen. Ich bin mir auch unsicher, ob für eine scheidende Familienministerin der Familienbericht, also sozusagen Familienpolitik in der Retrospektive, die richtige Themenwahl ist, weil es ja tatsächlich sehr viele kritische Punkte gibt, die auch ganz klar aus diesem Familienbericht hervorgehen.

Wir ziehen also heute Bilanz Ihres familienpolitischen Wirkens im Land. Frau Ministerpräsidentin Kraft hat für Ihren Bereich den Wahlkampf eingeläutet. Das Ministerium wird verjüngt. Die digitale Revolution zieht ins Familienministerium ein – so hoffen wir Piraten jedenfalls.

(Zuruf von den PIRATEN: Mal sehen!)