Protocol of the Session on September 2, 2015

Ob das 30.000, 40.000 oder 50.000 sind: Herr Laschet, diese Zahlen bringen uns überhaupt nicht weiter. Im Ziel sind wir uns, denke ich, einig. Das heißt, wir brauchen diese Strukturen. Sie werden so schnell nicht ausgebaut – weder auf Landesebene noch auf kommunaler Ebene. Das ist so. Das sollten wir gemeinsam und ehrlich den Menschen sagen.

Aber – und jetzt kommt die gute Nachricht – das sagen nicht nur wir Grünen, sondern das sagen uns alle Statistiker – ich zitiere eine Überschrift gestern aus dem „Pressespiegel“ –: Die Asylsuchenden von heute sind die Steuerzahler von morgen.

Ja, wir brauchen diese Menschen, und zwar alle. Wir können sie sehr gut gebrauchen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Demografie-Enquetekommission hat uns das schwarz auf weiß, im Übrigen interfraktionell – was will man mehr? –, als Erkenntnis geliefert: wenn – das können wir tatsächlich als Chance begreifen – wir politisch die richtigen Weichen stellen.

Herr Laschet, 2006 haben Sie etwas ganz Kluges gesagt – ich habe es noch einmal gegoogelt; das kann man alles nachlesen –, nämlich:

„Die Union sollte sich von der These verabschieden, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Diese These war schon immer falsch. Das war eine Lebenslüge.“

Herr Laschet, heute stellen Sie sich hierhin und sagen: Ja, und wir brauchen auch ein Einwanderungsgesetz. Herzlichen Glückwunsch zu dieser Einsicht! Nur dieser Einsicht folgt keine reale Politik durch Ihre Partei. Das ist doch das Problem.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ihre Kanzlerin, Ihre Vorsitzende hat jetzt zu der aktuellen Debatte gesagt: Einwanderungsgesetz ist für uns kein aktuelles Thema. – Dann setzen Sie sich bitte mit dieser Einsicht in der CDU durch. Denn leider haben Sie außer dieser Rhetorik nicht viel Durchsetzungsvermögen, muss ich feststellen,

denn Ihre Partei verschanzt sich.

Stichwort: „Lebenslüge“ von damals: Sie begehen den Fehler, dass Sie sich hinter einer neuen Lebenslüge verschanzen, nämlich dass man – Herr Kuper hat es gerade wiederholt – diesen neuen Migrationsbewegungen nur mit dem Asylrecht begegnen kann, ansonsten gäbe es nichts. Und wer hier nicht unter das Asylrecht fällt, den – siehe Abschreckungsrhetorik – schieben wir schnell wieder ab. Dann ist das Problem gelöst.

So funktioniert es eben nicht. Das Asylrecht ist keine Antwort auf die Probleme, die wir auf dem Westbalkan haben. Aber vielleicht – ich habe heute Morgen den Reden bei der Trauerfeier für Wilhelm Lenz sehr aufmerksam zugehört – brauchen wir in der CDU ein bisschen mehr Modernisierungswillen wie den eines Wilhelm Lenz, der in den 70er-Jahren sehr wegweisende Erkenntnisse hatte. Vielleicht hätte er zu dieser ganzen Frage eine etwas pragmatischere Ansicht als das, was die CDU derzeit zu bieten hat.

Wir brauchen weniger Zaudern und Zögern, weniger Ja-aber-Politik, Herr Laschet, sondern mehr Lösungen. Mit „ja, aber“ meine ich: Ja, die sollen hier arbeiten, nach drei Monaten dürfen sie arbeiten, aber Deutschkurse kriegen sie nicht.

(Armin Laschet [CDU]: Wer sagt denn das? Wer erzählt denn so einen Quatsch?)

Deutschkurse sind aber notwendig, damit sie überhaupt einen Arbeitsplatz bekommen. Während des Asylverfahrens – das dauert leider gerade sehr lange; siehe BAMF-Problematik – haben Flüchtlinge in unserem Land keinen Anspruch auf einen Deutschkurs. Das ist so. Alle Anträge mit diesen Forderungen, die wir im Bundesrat mit Nachdruck gestellt haben, wurden abgelehnt. Oder: Ja, arbeiten sollen sie auch, aber die bürokratische Barriere Vorrangprüfung bleibt – 15 Monate.

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Haben Sie schon einmal einen Flüchtling gefragt, was das heißt, wie so eine Vorrangprüfung abläuft, wenn er einmal einen Arbeitsplatz gefunden hat? – Das dauert vier Wochen, dann ist der Arbeitsplatz meistens weg.

Ja, die jungen Flüchtlinge sollen hier eine Lehre machen. Ja, das haben Sie im Bundestag endlich zugestanden. Aber danach, selbst wenn der Arbeitgeber sagt, wir brauchen diesen jungen Menschen, soll, wenn der Asylantrag abgelehnt wurde, der junge Mensch mal ganz schnell wieder verschwinden.

(Armin Laschet [CDU]: Stimmt doch gar nicht, ist doch alles Quatsch!)

Das ist das Gegenteil von pragmatischer Einwanderungspolitik, die Sie hier rhetorisch anmahnen, Herr Laschet.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das sind Fakten, Herr Laschet.

(Armin Laschet [CDU]: Das sind keine Fak- ten!)

Mit denen müssen Sie sich konfrontieren lassen. Natürlich sind das Fakten. Ihre Fraktion hat im Bundestag den Antrag abgelehnt, dass jugendliche Flüchtlinge, die hier erfolgreich eine Lehre abschließen, aber keinen anerkannten Asylstatus haben, danach nicht abgeschoben werden. Sie haben es nicht zugestanden, dass diese Flüchtlinge hier ein Bleiberecht bekommen.

(Armin Laschet [CDU]: Das hat die SPD ge- macht!)

Das Umswitchen im Kopf ist das, was bei Ihnen fehlt; es fehlt das Umdenken, dass ein Asylsuchender auch tatsächlich ein Einwanderer sein kann und vielleicht auch für unsere Gesellschaft ein Gewinn sein kann.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es ist nach wie vor für einen Asylsuchenden unmöglich, von seinem Asylantrag, der abgelehnt wird, zu einem Einwanderer zu werden und vielleicht einen Einwanderungsantrag zu stellen. Ich könnte weitere Beispiele dieser Ja-aber-Politik aufzählen. Sie verweigern sich nach wie vor diesem Gedanken. Sie erhalten diese neue Lebenslüge weiterhin aufrecht: Hier darf keiner rein.

Asyl ja – aber der Rest bleibt bitte vor den Toren, auch wenn wir sie gebrauchen können, und auch, wenn wir diesen Migrationsdruck haben.

Zusammenfassend lässt sich sagen:

Erstens. Beim Asyl brauchen wir schnellere Entscheidungen. Es kann nicht sein, dass wir Menschen jahrelang – und es sind inzwischen Jahre! – auf ihre Entscheidung warten lassen. So können diejenigen, die bleiben dürfen, nicht integriert werden; und diejenigen, die gehen müssen, haben keine sichere Perspektive, was mit ihnen passiert. Dann ist nachher die Abschiebung umso brutaler.

Ja, wir brauchen schnellere Entscheidungen durch das Bundesamt, und wir brauchen endlich Integration von Anfang an. Das heißt, mit der Asylantragstellung muss geschaut werden: Was kann dieser Mensch? Was braucht er? Welche Bedarfe hat er? Was bringt er mit? Da muss sofort ein Integrationsplan erstellt werden, und dann müssen die entsprechenden Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.

Zweitens: Westbalkan. Ja, hier liegt die Anerkennungsquote bei unter 1 %. Aber die Realität sieht doch so aus: Die Menschen werden sich diese Wege weiter bahnen – als sicher eingestufte Herkunftsländer hin oder her. Wir sollten diese Einwanderung nicht leugnen, sondern wir sollten sie steuern und gestalten. Wir sollten sie außerdem als Chance für uns nutzen und diesen Menschen legale Wege nach Deutschland und nach Europa aufzeigen.

Das sollte uns nicht davon abhalten, vor der Tür der Europäischen Union einmal auf die Fluchtursachen zu schauen. Die Innenausschusssprecher waren in diesem Sommer mit dem Innenminister im Kosovo. Dort haben wir uns sehr eindrücklich informieren können, was denn die Fluchtursachen eigentlich sind.

Viele Flüchtlinge wissen sogar, dass sie nicht hierbleiben können. Aber angesichts der absoluten Perspektivlosigkeit in ihren Ländern sagen sie: Wir versuchen es mal. Ich möchte für meine Kinder eine andere Zukunft haben. Wenn auch nicht für mich, so möchte ich für meine Kinder eine Perspektive aufzeigen.

Warum? – Weil dort nach wie vor keine staatlichen Strukturen existieren, weil dort nach wie vor eine hohe Arbeitslosigkeit herrscht. Die EU bekommt vielleicht so etwas wie Bankenkrisen in den Griff, aber direkt vor ihrer Haustür verhandelt sie mit Beitrittskandidaten und schafft es nicht, diese Kandidaten – ich sage es mal so – dazu zu zwingen, ihre Beitrittsperspektiven nicht nur unter der Bedingung eines ausgeglichenen Haushalts zu stellen. Vielmehr müsste die Beitrittsperspektive für die Westbalkanländern auch darin bestehen, dort die Korruption effektiv zu bekämpfen,

(Armin Laschet [CDU]: Was soll das denn jetzt?)

dort die Menschenrechte durchzusetzen und Minderheiten nicht zu diskriminieren.

Auch hier hat die EU noch eine Menge Hausaufgaben zu erledigen, die sie bislang noch nicht angepackt hat.

(Armin Laschet [CDU]: Beschimpfen Sie hier doch nicht die EU!)

Herr Laschet, mehr Pragmatismus!

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Wir brauchen das alles, aber nicht mit neuen Lebenslügen, die Sie hier aufbauen. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der Regierungsbank)

Vielen Dank, Frau Kollegin Düker. – Für die Piratenfraktion erteile ich Herrn Kollegen Herrmann das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Saal und zu Hause! Ganz kurz zum Thema „sichere Herkunftsstaaten“: Herr Kuper, Herr Laschet, zu Ihrem Antrag nur so viel: Wir haben einen Entschließungsantrag dazu gemacht. Ich denke, da steht alles drin. Lesen Sie sich ihn bitte durch. Ich möchte mich jetzt nicht weiter zu dem auslassen, was Sie geschrieben haben. Sichere Herkunftsstaaten gibt es nicht. Frau Düker hat gerade auf unseren Besuch im Kosovo hingewiesen. Insofern: Lesen Sie bitte unseren Antrag. Ich erwarte übrigens nach den Äußerungen von Herrn Körfges und Frau Düker auch die Zustimmung zu unserem Entschließungsantrag.

(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])

Frau Düker, Herr Körfges, Ihre Reinwaschungen, die wir jetzt die ganze Zeit gehört haben, sind schwer zu ertragen.

(Beifall von den PIRATEN – Zurufe: Oh!)

Das meiste von dem, was Sie in ihrem achtseitigen Entschließungsantrag fordern und was Frau Ministerpräsidentin Kraft hier vorgetragen hat, ist gut und richtig. Aber das hätten Sie schon vor zwei Jahren niederschreiben und umsetzen müssen.