Protocol of the Session on May 21, 2015

Man kann aber – auch das kann man in der UNBehindertenrechtskonvention nachlesen – nur dann von einem inklusiven System sprechen, wenn die sonderpädagogische Förderung in die allgemeine Schule strukturell einbezogen wird und man gleichzeitig die trennenden Strukturen überwindet. Genau das ist der Prozess, vor dem wir auch in NordrheinWestfalen stehen. Das bedeutet aber auch, dass die sonderpädagogische Förderung systematisch in die allgemeine Schule verlagert wird und gesonderte Strukturen der Förderung schrittweise auslaufen werden.

In Nordrhein-Westfalen ist mit dem ersten Gesetz zur Inklusion, das wir 2014 in Kraft gesetzt haben, eine umfassende Anpassung des Schulrechts in Richtung einer inklusiven Schule unternommen worden. Wir haben langsam mit den Klassen 1 und 5 begonnen. Wir sind jetzt im zweiten Jahrgang bei den Klassen 2 und 6. Das Gesetz schreibt eine individuelle Förderung vor, ermöglicht zieldifferenzierten Unterricht, regelt die Grundzüge der sonderpädagogischen Förderung in Diagnose und Beratung und trifft Regelungen zur Berücksichtigung eines inklusiven Schulangebotes innerhalb der Schulentwicklung.

Meine Damen und Herren, die wesentliche Forderung, die der VBE mit seiner Forsa-Umfrage untermauert hat – Frau Gebauer ist darauf auch eingegangen –, bezieht sich auf mehr Lehrerstellen. Der VBE leitet 7.000 Lehrerstellen aus seiner ForsaUmfrage ab. Ich sage dazu nur: Eine gleiche Forde

rung gibt es von der GEW auch ohne ForsaUmfrage.

Die Erfüllung der Forderung nach der Doppelbesetzung ist weder organisatorisch leistbar noch ist sie pädagogisch sinnvoll und erforderlich. Das zeigen uns übrigens auch andere Systeme. Wir haben an dieser Stelle schon häufiger über diese Situation diskutiert. Es ist aber eine temporäre Doppelbesetzung mit unterschiedlichen Professionen in der Schule erforderlich. Das stellt sozusagen eine Veränderung des Schulalltags durch das Zusammenarbeiten von unterschiedlichen Menschen im Sinne von Kindern und Jugendlichen dar. Und genau in diesem Prozess befinden wir uns.

Die Begrenzung der Klassengrößen in inklusiven Klassen ist aufgrund von steigenden Schülerzahlen in einigen Regionen nicht immer möglich. Ich persönlich halte das nicht für gut. Wir haben aber gestern einen Nachtragshaushalt eingebracht, mit dem wir auf die steigenden Schülerzahlen reagieren. Es wäre also wünschenswert, wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, dem Haushalt zustimmen und uns eine zügige Beratung ermöglichen würden, damit wir mehr Lehrerinnen und Lehrer in die Schulen hineinbringen können, um auch bei steigenden Schülerzahlen die Anforderungen unserer eigenen Gesetze erfüllen zu können.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Nach dem kommunalen Leistungsgesetz, das sich gerade in der Evaluation befindet, erhalten die Kommunen jährlich 35 Millionen €. Frau Gebauer hat von einer aus ihrer Sicht zu späten Umsetzung gesprochen. Die Evaluation des Gesetzes läuft zurzeit und wird in Kürze den Landtag erreichen. Dann werden wir uns, denke ich, über die Ergebnisse noch einmal austauschen, die dann möglicherweise doch noch eine Perspektive nach vorne aufzeigen.

Insgesamt, meine Damen und Herren, haben wir eine Menge an Ressourcen in dem System hinterlegt. Frau Gebauer hat eben schon auf die zusätzlichen 3.200 Stellen hingewiesen. Wir haben den Grundstellenbedarf erhöht und Fortbildung ausgewiesen.

Meine Damen und Herren, am Ende geht es darum, dass wir Widerstände überwinden müssen. Das zeigen uns auch andere Systeme wie etwa die in Kanada oder in Skandinavien. Wir haben einen langen Weg vor uns. Wir befinden uns in einem Prozess, bei dem wir die Menschen mitnehmen müssen. Die 41 %, die die Inklusion ablehnen, sind für mich nicht so dramatisch, weil ich glaube, dass man diese Menschen auf den Weg mitnehmen kann. Mit dem gestern eingebrachten Nachtragshaushalt beweisen wir erneut, dass wir berechtigte Forderungen aus dem System ernst nehmen. Wir suchen das Gespräch mit den Beteiligten.

Lassen Sie mich mit einem Zitat von Franz Kafka schließen: „Wege entstehen dadurch, dass man sie

geht.“ Wir gehen den Weg des Umbaus in ein inklusives Schulsystem zuhörend, ruhig, unaufgeregt und zielführend. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Hendricks. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Kaiser.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der „Aachener Zeitung“ konnte man lesen: „Überhastet eingeführt – Inklusion wird den betroffenen Kindern nicht gerecht“. – Ebenfalls dort stand: „Lehrer überfordert – Umfrage: Inklusion stellt Pädagogen vor Probleme“. Im „Kölner Stadt-Anzeiger“ war zu lesen: „Lehrer fühlen sich schlecht auf Inklusion vorbereitet“. Die „NRZ“ schreibt: „Lehrerumfrage: In NRW fährt die Inklusion vor die Wand – Hauptkritikpunkte: zu große Klassen, fehlende Sonderpädagogen, mangelnde Fortbildung“. Und die „Rheinische Post“ schreibt: „Inklusion überfordert die Lehrer“.

Von daher hat Udo Beckmann vom VBE recht: So fahren Sie, Frau Löhrmann, die Inklusion in NRW vor die Wand.

(Beifall von der CDU)

Das, was wir Ihnen als Opposition prognostiziert haben, ist jetzt Alltag in den Schulen. Das Problem dabei ist: Die Kinder werden quasi zu Versuchskaninchen, weil sie in Schulen geschickt werden, die ihren Erwartungen in vielen Fällen gar nicht entsprechen können. Es liegt nicht am guten Willen der Lehrerinnen und Lehrer. Das Gegenteil ist der Fall. Die grundsätzliche Bereitschaft zur Inklusion ist für eine Mehrheit der Lehrerinnen und Lehrer gegeben; denn immerhin befürworten 54 % der befragten Lehrer den gemeinsamen Unterricht. 54 % der Lehrerinnen und Lehrer sind dafür! Da kann man keinesfalls von einer Blockadehaltung sprechen. Vielmehr ist das für einen Reformprozess eine Bereitschaft, mitzumachen, die man in dieser Breite selten findet.

Aber diese Bereitschaft wird von Ihnen nicht wertgeschätzt. Durch schlechte Bedingungen und schlechte Unterstützungen wird eher das Gegenteil erreicht. Sie werden eben nicht mitgenommen, sondern sie werden alleingelassen, und das bringt diese Umfrage eindeutig gut zum Ausdruck.

(Beifall von der CDU)

Es ist eben nicht das übliche Klagen, auch wenn Frau Hendricks versucht, es so darzustellen, indem sie sagt: Ist das repräsentativ? Die Lehrerverbände und Gewerkschaften wollen das ja sowieso immer.

Liest man diese Umfrage aber genau, ist es eben nicht das übliche Klagen der Verbände, wenn hier

der VBE einen Hilferuf sendet. Wenn 86 % der Lehrerinnen und Lehrer in Nordrhein-Westfalen – ich betone: 86 % – angeben, dass sie nicht gut oder weniger gut auf die Inklusion und den gemeinsamen Unterricht vorbereitet worden sind, dann ist das eine Bankrotterklärung für das Handeln dieser Landesregierung.

(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)

Man kann Ihnen den Vorwurf nicht ersparen: In Nordrhein-Westfalen werden die Lehrerinnen und Lehrer nicht den Anforderungen entsprechend auf diese tiefgreifende Veränderung unserer Schulen vorbereitet. Gesundbeten, Frau Hendricks, hilft übrigens in keiner Weise, weil man die Realität wahrnehmen muss.

(Beifall von der CDU und den PIRATEN)

Ich frage Sie, Frau Löhrmann: Wie definieren Sie Qualität im gemeinsamen Unterricht? Es ist doch unbestritten, dass kleine Klassen dem Unterricht insbesondere der Kinder mit emotionalen und sozialen Problemen entgegenkommen und dass zu diesem Erfolg der kleinen Klassen auch unbedingt die Fachlichkeit der Sonderpädagogen gehört.

Wenn dann aber in Regelklassen mit mehreren Kindern mit emotionalem und sozialem Förderbedarf die Schülerzahl regelmäßig bei 29 liegt und die Lehrerinnen und Lehrer ohne zusätzliche Unterstützung durch einen Sonderpädagogen auskommen müssen, selbst aber nicht genügend vorbereitet sind, dann weiß man: Hier stimmt die Qualität nicht, und die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf werden nicht so gefördert und unterstützt, wie sie es verdient haben und wie wir es nach der UN-Menschenrechtskonvention alle wollen.

(Beifall von der CDU und den PIRATEN)

Hier werden die Lehrkräfte komplett überfordert. Sie werden es anhand der Krankenstände feststellen. Die Lehrergesundheit ist auf Dauer gefährdet, weil eine Überlastung stattfindet, die nicht als trivial einzustufen ist.

Das ist keine Übertreibung. Lassen Sie sich die entsprechenden Schilderungen vorlegen. Es mag sein, dass bei den Oppositionspolitkern die Schilderungen authentischer sind als bei der Regierungskoalition. Jedenfalls habe ich es selten erlebt, dass unisono so fundiert beschrieben wird, welche Probleme konkret auftreten.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: So ist es!)

Das muss man ernst nehmen. Wer versucht, das durch Gesundbeten wegzuwischen, der kommt in dieser Frage nicht weiter. Es wird ein Rollback geben und das Gegenteil von dem erreicht, was wir alle wollen, nämlich mehr Inklusion und bessere Betreuung von Kindern mit und ohne Behinderung.

(Beifall von der CDU)

Deshalb, Frau Löhrmann, müssen Sie endlich Qualitätsstandards definieren. Einen Fortschritt im Rahmen der Inklusion kann es nur so weit geben, wie Sie die entsprechenden finanziellen Mittel bereitstellen, damit diese Qualitätsstandards eingehalten werden.

Sie werfen mit unendlichen Zahlen herum, mit Millionenbeträgen und Tausenden von Lehrerstellen. Das soll vielleicht ein bisschen trösten. Die Wirklichkeit ist aber immer sehr konkret. Ist der Förderschullehrer in der Klasse vertreten, in der die Förderschulkinder sind und in der sie gefördert werden müssen? Diese Frage ist zu beantworten.

(Beifall von der CDU und den PIRATEN – Armin Laschet [CDU]: So ist es!)

Es tröstet uns nicht, wenn Sie hier Tausende von Stellen hin und her schieben.

Was die Haushaltsplanberatungen betrifft, Frau Hendricks, möchte ich Ihnen Folgendes sagen: Wenn Sie da mehr wollen – es geht schließlich auch immer um die Refinanzierung –, verweise ich auf das, was Herr Optendrenk in diesem Zusammenhang gelegentlich sagt und mit dem er immer recht hat.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD: Oh!)

Wenn ich Ihnen berichte, dass Eltern nicht wissen, dass ihr Kind, das sie an einem Gymnasium angemeldet haben und das zieldifferent unterwegs ist, nicht das Abitur erreichen wird, dann wird doch eines deutlich: Die Betroffenen, sprich: die Eltern, sind nicht vernünftig beraten worden.

Eine unserer Kernforderungen war immer: Wir müssen die Eltern neutral beraten. Wir wissen alle, dass eine Beratung für bestimmte Schulformen, um sie am Leben zu erhalten, nicht richtig sein kann. Aber die Eltern müssen neutral beraten werden. In dieser Hinsicht findet jedoch nichts statt.

Der Mindestgrößenerlass berücksichtigt die gesamte demografische Entwicklung im Prinzip nicht. Aufgrund des Mindestgrößenerlasses können Sie, Frau Löhrmann, hier immer wohlfeil sagen: Wir schließen auf Landesebene keine Schule. Das ist klar. Durch die Anwendung des Fördererlasses sind die Kommunen jedoch gezwungen, dies zu tun. Sie zerstören damit eine Förderschullandschaft, die dringend gebraucht wird.

(Beifall von der CDU und den PIRATEN)

Deshalb fordere ich Sie auf: Beenden Sie die Inklusion mit der Brechstange. Definieren Sie Standards zu Klassengröße, Lehrerversorgung und Unterstützungssystemen. Führen Sie endlich die neutrale, unverbindliche Elternberatung ein. Erhalten Sie eine Förderlandschaft, sodass die Betroffenen wirklich die freie Wahl haben. Schaffen Sie ausreichende Fortbildungsangebote. Sorgen Sie für eine ausrei

chende Anzahl an Förderpädagogen in den nächsten Jahren. Handeln Sie nach dem Prinzip „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“. Und machen Sie die Schrittfolge so, wie Sie die Ressourcen mitliefern können! Das ist im Interesse unserer Kinder.

Die Redezeit.

Wenn Sie jetzt keine Umkehr in Ihrer Inklusionspolitik betreiben, werden Sie scheitern, und die Opfer werden die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf sein, die es besonders verdient haben, dass wir uns um sie kümmern. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Kaiser. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Beer.