Protocol of the Session on December 18, 2014

Der Chef der Staatskanzlei hat mit Schreiben vom 18. Dezember 2014 mitgeteilt, dass die Landesregierung beabsichtigt, zu diesem Thema zu unterrichten. Die Unterrichtung erfolgt durch Frau Ministerin Löhrmann. Ich erteile ihr nun gerne für die Unterrichtung das Wort.

Vielen herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Egal, worüber wir in Schulfragen diskutieren, egal in welcher Intensität, egal mit welcher öffentlichen Beachtung – wir sollten uns immer klarmachen, auf wen unsere Entscheidungen die meisten Auswirkungen haben. Das sind die Schülerinnen und Schüler. Sie sind es, für die wir hier debattieren, streiten und entscheiden.

Denn nicht nur das Leben, sondern auch die Politik ist immer konkret.

Lassen Sie uns die Debatte heute mit dieser Stoßrichtung führen. Bei aller Auseinandersetzung in der Sache geht es ganz konkret um unsere Schülerinnen und Schüler. Sie sollen gerne und gut lernen, und sie sollen ganzheitlich gebildet werden. Dieser Anspruch gilt für alle Schülerinnen und Schüler in Nordrhein-Westfalen. Dieser Anspruch gilt selbstverständlich auch für die Schülerinnen und Schüler, die an den Gymnasien in einem achtjährigen Bildungsgang lernen.

(Beifall von den GRÜNEN)

In diesem Sinne, meine Damen und Herren, werde ich Sie jetzt über Verlauf, Stand und Ergebnisse des „Runden Tisches zur Schulzeitverkürzung“ informieren und natürlich auch über das weitere Vorgehen der Landesregierung.

Zunächst ein kurzer Rückblick: Vor einem Jahr hätte kaum jemand nochmals eine solche grundsätzliche Diskussion um den achtjährigen Bildungsgang am Gymnasium erwartet. Denn 2013 hatte der erste vollständige Jahrgang es geschafft, diesen Bildungsgang zu absolvieren, und zwar erfolgreich.

Dabei hatten die Schülerinnen und Schüler – das will ich hier schon noch einmal sagen – schwierige Startbedingungen. CDU und FDP haben die Schulzeitverkürzung auch nach der Einschätzung vieler Beteiligter erstens unnötigerweise massiv verändert – Kürzung in der Sekundarstufe I statt in der Sekundarstufe II – und dieses dann zweitens überhastet und unvorbereitet umgesetzt. Ich erinnere daran. Die Beschlussfassung war kurz vor der Sommerpause. Die Umsetzung erfolgte dann zum August danach.

Dennoch – das zeigen die Abiturergebnisse des ersten G8-Jahrgangs 2013 – haben die G8Schülerinnen und -Schüler sogar minimal besser abgeschnitten als die Schülerinnen und Schüler mit neunjährigem Bildungsgang, wohlgemerkt bei der gleichen Abiturprüfung. Dafür ein großes Lob den Gymnasien, den Schülerinnen und Schülern und ihren Lehrerinnen und Lehrern, die das so gemeistert haben!

(Beifall von den GRÜNEN)

Trotz dieser Ergebnisse ist das Thema nicht befriedet. Das liegt zum einen an berechtigter Kritik an der Umsetzung, zum anderen an der Entwicklung in anderen Bundesländern, insbesondere in Niedersachsen.

Aber, meine Damen und Herren, zwischen unserem Bundesland und vielen anderen gibt es einen fundamentalen Unterschied. Nordrhein-Westfalen hat überaus vielfältige Wege zum Abitur. Ich bin Herrn Lindner dankbar, dass er das in einem Interview auch gesagt hat. So eine breite, vielfältige Schullandschaft, wie wir sie haben, mit Wegen zum Abitur

gibt es in keinem anderen Bundesland in Deutschland. In dieser Feststellung sind wir uns ausnahmsweise mal einig.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Sie müssen sich nicht erschrecken, Herr Lindner.

(Christian Lindner [FDP]: Nein, nein, nein!)

Die Schulen des längeren gemeinsamen Lernens, aber auch unsere Berufskollegs ermöglichen das Abitur nahezu flächendeckend in unserem Land nach neun Jahren.

Die Debatte über G8 wurde in Ländern mit geringeren oder ohne diese Möglichkeiten stärker und schärfer geführt, und dort wurde mitunter eine teilweise oder eben, wie in Niedersachsen, eine vollständige Rückkehr zu einem neunjährigen gymnasialen Bildungsgang beschlossen. Aber auch längst nicht alle Bundesländer haben Rückkehroptionen beschlossen. Viele bleiben auch dabei, insbesondere die Länder in Ostdeutschland.

Aber die Diskussionen bei uns waren wieder entfacht, weshalb ich am 5. Mai zu einem weiteren runden Tisch mit dem Thema „Schulzeitverkürzung“ eingeladen habe mit folgenden Zielen:

Erstens. Wie steht es um die seinerzeit breit getragene Grundsatzentscheidung zur Schulzeitverkürzung in NRW?

Zweitens. Austausch über den aktuellen Stand der Umsetzung des von mir seit 2011 eingeleiteten und erarbeiteten Handlungskonzepts zur Optimierung.

Drittens. Erörterung weiterer Möglichkeiten zur Optimierung, insbesondere mit Blick auf Entlastungen für Schülerinnen und Schüler, die sich jetzt schon in G8 befinden.

An diesem runden Tisch waren alle unmittelbar im Bereich der Schulform Gymnasium organisierten Eltern- und Lehrerverbände, die Schulleitervereinigungen sowie die Landesschülerinnenvertretung beteiligt. Darüber hinaus waren weitere Elternverbände, die kommunalen Spitzenverbände, die Kirchen als Schulträger, außerschulische Partner und weitere eingeladen, natürlich auch die Bürgerinitiative „G-IB-8“ und die Elterninitiative „G9 jetzt in NRW“.

Meine Damen und Herren, Sie wissen, dass der runde Tisch am 5. Mai 2014 im Ergebnis in der Sache kein einheitliches Meinungsbild hatte. Aber alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben sich – ich betone – einvernehmlich auf einen Arbeitsprozess mit folgenden drei Themenfeldern verständigt:

Erstens: das Gleichgewicht von Schulzeit und Freizeit.

Zweitens: weitere Entlastungsmöglichkeiten im

achtjährigen Bildungsgang.

Drittens: gesicherte Erkenntnisse durch die Wissenschaft als Basis für Grundsatzentscheidungen.

Dem folgend sind in insgesamt sieben Sitzungen Vorschläge für die zehn Empfehlungen von Expertinnen und Experten sowie von Betroffenen erarbeitet worden. Herr Laschet – das wollte ich Ihnen noch einmal nach der gestrigen Debatte sagen –, Sie tun so, als könnte man mal eben auf den Knopf drücken und alles in Gang setzen, und dann liefe das schon. Hier haben Expertinnen und Experten intensiv gearbeitet, um verbindliche Grundlagen für die weitere Arbeit zu schaffen. Das ist eben qualitatives Herangehen an solche sensiblen Fragestellungen. Schulentwicklung braucht Zeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Lassen Sie mich an dieser Stelle allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern für die intensive Arbeit und das große Engagement, das dadurch zum Ausdruck gekommen ist, ausdrücklich danken. Das sind ja ehrenamtlich Tätige aus der Zivilgesellschaft, die sich da auch eingebracht haben, und denen das Ganze so wichtig war, dass sie das sehr ernsthaft gemacht haben.

Ich erlaube mir, auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meines Hauses hier in den Dank einzuschließen, insbesondere Herrn Fleischhauer, der, wie mir unisono berichtet wurde, mit großer Geduld und fair diesen schwierigen Diskurs geführt hat. Der Prozess war, wie mir viele aus unterschiedlichen Blickwinkeln versicherten, anstrengend – nicht verwunderlich, weil damit auch viele Emotionen verbunden sind.

Der abschließende runde Tisch am 3. November 2014 hat dann die in den Arbeitsgruppen erstellten Vorlagen diskutiert, und zwar ergebnisoffen, wie ich auch hier noch einmal ausdrücklich betonen möchte. Das zeigt sich schon daran, dass verschiedene Beteiligte die Vorlage des runden Tisches weiter verändert haben und vor allem auch erst in jener Sitzung die abschließenden Voten zu den Ergebnissen erfolgt sind.

Da ist bis zum Schluss gerungen worden. Und das Abschlussergebnis – auch das will ich unterstreichen – zeugt von hoher Verantwortung. Alle Verbände, bis auf die Vertreterinnen und Vertreter der Bürgerinitiativen, haben sich hinter die erarbeiteten Empfehlungen gestellt. Und das haben sie getan, obwohl sie im Detail damals dagegen waren – mich inbegriffen. Sie haben es getan, weil ihnen die Entwicklungsarbeit jetzt so wichtig ist. Sie haben es getan, weil sie nicht wollten, dass die Entwicklungsarbeit, die in den Schulen bereits stattgefunden hat, quasi durch eine Rolle rückwärts konterkariert würde. Das war das stärkste Motiv in der Diskussion.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich finde, das ist ein hohes Gut, und das zeugt von der Qualität der Diskussion – geprägt von unserer

Dialogorientierung –, die wir mit den Verbänden eingeleitet haben. Da waren Verbände wie die Landeschülerinnenvertretung oder die GEW beteiligt, die gesagt haben: Wir haben eigentlich ganz andere Reformvorstellungen, aber worauf es jetzt ankommt, ist, dass wir hier zusammenstehen, dass wir diesen Schulentwicklungsprozess nicht unterbrechen und die Gymnasien in eine völlig neue Linie und Strukturentwicklung wieder hineintreiben. Das ist das, was wichtig ist, und das hat eine große Rolle gespielt.

Ich finde, das ist ein starkes Signal, auch an die Verantwortlichen in der Landespolitik, über dieses Ergebnis nicht einfach hinwegzugehen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich habe unserer Landtagspräsidentin die Empfehlungen übergeben, damit der Landtag sie beraten kann. Folgende Aspekte sind aus meiner Sicht besonders wichtig: eine veränderte stärker individuell ausgerichtete Nutzung von Ergänzungsstunden; die Entlastung von Schülerinnen und Schülern durch klarere Regelungen für Hausaufgaben, Lernzeiten und Klassenarbeiten; die Begrenzung des verpflichtenden Nachmittagsunterrichts, um jungen Menschen größere Freiräume zu ermöglichen; eine bessere Abstimmung mit außerschulischen Partnerinnen und Partnern, um eine bessere Balance von Schulzeit und Freizeit zu erreichen; eine stärkere Unterstützung der Gymnasien bei der Entwicklung schulinterner Lehrpläne; eine bessere Nutzung von Entlastungsmöglichkeiten in der gymnasialen Oberstufe und die verbindliche Umsetzung der Empfehlungen sowie die wissenschaftliche Erforschung von Gelingensbedingungen.

Meine Damen und Herren, wie gesagt: Es gab im Detail unterschiedliche Ansätze – das ist aus dem Dokument auch ablesbar. Ich möchte mich trotzdem für das Ringen um diese Empfehlungen ausdrücklich noch einmal bei allen Beteiligten bedanken.

(Beifall von den GRÜNEN – Beifall von Norbert Römer [SPD])

Ich bin sicher, dass dieses Zehn-Punkte-Programm Entlastungen für die Schülerinnen und Schüler bringt und eines verstärken wird – und das ist das Entscheidende –: Das, was seit 2005 im Schulgesetz steht – nämlich die individuelle Förderung – muss noch stärker zum Prinzip in unseren Gymnasien werden. Außerdem sollte die innere Qualitätsentwicklung noch weiter vorangebracht werden.

Ja, es ist richtig: Etliche dieser Punkte sind nicht völlig neu. Aber sie sind offenbar nicht überall und nicht in Gänze an unseren Schulen umgesetzt worden. Die nun formulierten Empfehlungen sind daher konkreter als bisher. Sie beinhalten quantitative, aber sie beinhalten vor allem qualitative Entwicklungsprozesse – und das ist, glaube ich, das Entscheidende, dass wir viel stärker auf die Qualität der Schulentwicklung schauen müssen als allein auf

quantitative Fragestellungen. Das ist das, was uns auch die Expertinnen und Experten aus der Schulforschung bestätigen.

Die Ergebnisse zielen vielfach darauf, dass die Gestaltungsspielräume in den Schulen vor Ort einvernehmlich genutzt werden, damit alle an einem Strang ziehen, also eine Verständigung besteht zwischen Lehrerkollegium, Elternschaft und den Schülerinnen und Schülern auf der Basis klar definierter Anforderungen und Erwartungen.

Die durch die Landesregierung wieder eingeführte Drittelparität an den Schulkonferenzen ist dafür eine wichtige Grundlage.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Empfehlungen geben also im Sinne der Eigenverantwortlichkeit der Schulen einen verbindlichen Rahmen vor. Viele Gymnasien haben viele der Punkte bereits erfolgreich realisiert, etwa die Schulen, die sich im Projekt Lernpotenziale mit Lernzeiten befassen, oder die „Ganz-In“-Gymnasien, die ihren Ganztag optimieren.

Ich habe bei meinen vielen Schulbesuchen, die ich mache, vielfach von den Gymnasien gehört: Bitte, Frau Löhrmann, bleiben Sie dabei! – Aber trotzdem mussten wir die Stimmung ernst nehmen, die auch in der Elternschaft vorhanden ist. Die Frage ist: Ist das der richtige Weg?

Insbesondere mit Blick auf die Nutzung von Ergänzungsstunden sollen nun alle Gymnasien die Handlungsspielräume erweitern. Ergänzungsstunden