Protocol of the Session on June 5, 2014

Wir müssen junge, pfiffige Leute dazu kriegen, sich selbstständig zu machen, Firmen zu gründen.

Ich habe Ihnen das schöne Beispiel einer frisch gegründeten GmbH in Düsseldorf mitgebracht. Der erste Gruß von Vater Staat verlangt unter anderem die Vollmacht für einen Steuerberater – wo steht geschrieben, dass man den braucht? –, den Vertrag über Pensionszusagen und Tantieme-Verein

barungen mit dem Geschäftsführer. Wenn Sie einmal in die Gründerszene gucken: Tantieme-Vereinbarungen, Pensionszusagen – ich bin nicht sicher, ob wirklich jeder versteht, was das überhaupt ist. Unten drunter steht schwarz gedruckt, dick unterstrichen, also offensichtlich wirklich wichtig: „Unbedingt erforderlich: Kopie des Mietvertrages der Büro- und Geschäftsräume und des Büro-ServiceVertrags“. – Das sei ganz, ganz wichtig.

Das ist der Gruß, den Vater Staat einem Unternehmensgründer und zukünftigen Steuerzahler entbietet. Ich glaube, da geht weniger. Da geht mehr Positives, mehr Hilfe als dies als ersten Hinweis vom Staat.

Nehmen wir als zweites Beispiel die monatliche Umsatzsteuervoranmeldung, normalerweise erst fällig ab 7.500 € Umsatzsteuer. Ausnahme, dies monatlich tun zu müssen, bitte für Existenzgründer in den ersten zwei Jahren unabhängig von der Höhe der Umsatzsteuer. Denn gerade bei Existenzgründern sind die Summen am Anfang in der Regel viel kleiner.

Das ist Bürokratie vom Anwender her gedacht, von denen, die es betrifft, denen wir eigentlich helfen sollten, nicht ausgehend von den großen parlamentarischen Debatte um das Tariftreue- und Vergabegesetz, das Nichtraucherschutzgesetz etc. Deswegen sollte unser Anspruch nicht lauten, Mittelmaß bei der Bürokratie zu sein, sondern wir sollten an der Spitze dabei stehen, auf Bürokratie zu verzichten, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Warum entsteht all diese Bürokratie? – Das liegt in der Regel daran, dass wir alle einmal in die Politik gegangen sind, um die Welt besser zu machen. Wenn etwas Schlimmes passiert oder wir Anlass haben, zu befürchten, dass etwas passiert, dann erfinden wir ein Gesetz, um das Übelste zu verhindern. Im Extrem artet das in Misstrauen aus, was am Ende völlig kontraproduktiv ist.

Wir kennen alle die Beispiele aus der Pflege, wo am Ende viel zu wenig Zeit ist, wirklich Hand anzulegen, Mensch in der Pflege zu sein, das zu tun, was man erwartet, auch einmal ein nettes Wort zu sprechen, sich um den Pflegebedürftigen zu kümmern, weil da viel zu viel Bürokratie anfällt, viel zu viele Fragebogen ausgefüllt werden müssen, und, und, und. Das ist für mich das schlimmste Beispiel dafür, wie Bürokratie das Richtige will, am Ende aber das Falsche auslöst.

Bürokratie ist kein Selbstzweck. Bürokratieabbau ist nicht nur gut für Unternehmen, für Gründer, er ist auch gut für das genannte Beispiel aus der Pflege. Es wäre auch gut, wenn Lehrer durch Bürokratieabbau mehr an der Tafel stünden und weniger Bürokratiearbeit leisten müssten.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Er wäre gut, dass Polizisten mehr auf der Straße sein können und weniger Akten bearbeiten müssen. Es wäre gut, dass Straßen.NRW mehr Straßen baut und weniger verwaltet.

Kurzum: Ich glaube, dass es sich lohnt, über diesen Antrag im Ausschuss ernsthaft zu diskutieren. Ich glaube, die Idee ist es wert, über Prozesse nachzudenken – nicht über ganze Pakete von Einzelmaßnahmen, sondern Prozesse –, die uns immer wieder darüber nachdenken lassen, ob wirklich jede Regelung notwendig ist. Ich freue mich auf die Beratung. – Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Wüst. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Schneckenburger.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir diskutieren heute wieder einmal über einen Antrag der FDP-Fraktion, bei dem es im Kern darum geht, die Stichworte „Nichtraucherschutzgesetz“ sowie „Tariftreue- und Vergabegesetz“ hier im Plenum fallen zu lassen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das ist wahrscheinlich die Suchbewegung, die Ihre Fraktion ständig vornimmt.

(Zuruf von Ralph Bombis [FDP])

Interessanter für uns wäre, ehrlich gesagt, Herr Bombis, die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der FDP-Fraktion für diese Legislaturperiode kennenzulernen. Aber vielleicht kommt das noch irgendwann. Wir sind auch erst bei der Hälfte der Legislaturperiode.

Lieber Herr Bombis, es gibt einen ganz grundlegenden ordnungspolitischen Unterschied zwischen der FDP und uns. Wir sind der Auffassung: Marktwirtschaft muss sozial sein und Marktwirtschaft braucht auch Leitplanken. Sie stellen sich auf eine völlig andere Position, indem Sie einem „BürokratieabbauRadikalismus“ frönen, der im Grundsatz die Linie verfolgt: Wir wollen keine Regeln.

Vorschriften dienen aber der Rechtssicherheit. Gesetze dienen der Rechtssicherheit. Sie haben den Menschen und auch den Unternehmen zu dienen. Darum schütten Sie mit Ihrem Antrag – die Kollegin sagte es schon – das Kind mit dem Bade aus.

Jedes Gesetz, jede staatliche Regelung immer unter ein Auslaufdatum zu stellen, heißt dann auch, Bürokratieabbau in der Landtagsverwaltung nicht mehr im Blick zu haben. Warum sollen wir Gesetze, die in der Sache begründet sind, die unstrittig sind, grundsätzlich unter ein Auslaufdatum stellen und damit den ganzen Mechanismus der Evaluation, Neuverabschiedung des Gesetzes und so weiter aufmachen? Macht das denn wirklich Sinn für ein Landesparlament? Oder macht es Sinn, sich von Fall zu Fall zu fragen, ob gesetzliche Regelungen für eine befristete Dauer sinnvoll sind, ob neue gesetzliche Regelungen evaluiert und im Lichte der Evaluierung gegebenenfalls verändert werden müssen? Diese zweite Suchbewegung ist aus unserer Sicht absolut richtig. Die erste macht jedenfalls überhaupt keinen Sinn.

Zweiter Punkt: Viel von dem, was Herr Wüst eben aufgezählt hat, betrifft gesetzliche Regelungen auf Bundesebene. Die CDU kann diese auf Bundesebene angehen und dafür Sorge tragen, dass der gewünschte Bürokratieabbau auf Bundesebene so

stattfindet. Viel hatten Sie auch in der Hand, als Sie hier die schwarz-gelbe Landesregierung gestellt haben.

Ich glaube, dass es hier im Parlament im Grunde genommen doch einen sehr breiten Konsens gibt, wenn notwendig, Gesetze zu befristen, Gesetze zu überprüfen, Regelungen zu evaluieren. Das ist gute und geübte Praxis dieser Landesregierung. Das müssten Sie eigentlich auch wissen, Herr Bombis.

Ein letzter Satz noch, vielleicht in Richtung von Herrn Wüst, zum Thema Vergabegesetz, weil auch er immer gern darüber spricht. – Ich weiß nicht, mit welchen Unternehmerfrauen aus dem Handwerk Herr Wüst gesprochen hat. Ich möchte hier erwähnen: Wir als Fraktionen – jedenfalls 80 % der Fraktionen – im Landtag hatten in der letzten Woche die Gelegenheit, einen Preis vonseiten des Handwerks entgegenzunehmen. Ich habe am Rande die Gelegenheit genutzt, ein Gespräch über das Vergabegesetz zu führen. Die klare Rückmeldung war – ich erwähne das, um mit anderen Behauptungen auch hier in dieser Runde aufzuräumen –: Beim Tariftreue- und Vergabegesetz drückt uns nicht der Schuh.

(Ralph Bombis [FDP]: Was!)

Das ist in aller Klarheit gesagt worden. Darüber können wir gern noch einmal reden, Herr Bombis. Das Handwerk anerkennt, dass ein Tariftreue- und Vergabegesetz die Arbeitsbedingungen des Handwerks in Nordrhein-Westfalen schützt, und zwar aus verschiedenen Gründen: weil es zum Beispiel bei den Steinmetzen die Einsicht gibt, dass Kinderarbeit in ihren Produkten nicht gewünscht ist, weil es beim Handwerk insgesamt die Einsicht gibt, dass Tariflöhne und Mindestlöhne die Arbeitsbedingungen und Produktionsbedingungen im Handwerk gegen „Schmutzkonkurrenz“ schützen. Insofern lautet die grundlegende Rückmeldung: Da drückt uns nicht der Schuh. Nicht einmal bei § 19 TVgG NRW drückt uns der Schuh.

Befristungsmanagement ist übliche Praxis in der Landesregierung. Beim Befristungsmanagement

wird selbst evaluiert. Es läuft bis zum 31.12.2016. Dann gibt es die Chance, grundsätzlich auf das Befristungsmanagement zu gucken. Es ist richtig, das gemeinsam zu tun. Wir vertreten grundlegend die Auffassung: Bürokratieabbau überall da, wo sinnvoll, möglich und notwendig; Regelungen aber auch bitte dort, wo eine Marktwirtschaft und insbesondere eine soziale Marktwirtschaft sie brauchen. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schneckenburger. – Für die Fraktion der Piraten spricht der Kollege Schwerd.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte bürokratiegebeutelte Bürger auf der Tribüne und am Stream! In jeder Bürokratie gibt es den Trend, zu viele Regeln aufzustellen und mit einer Flut von Normen das Leben der Bürger unnötig zu erschweren.

Früher litten wir an Verbrechen, heute an Gesetzen – stellte der römische Historiker Tacitus im ersten Jahrhundert nach Christus fest. Deutschland mit seiner Vorliebe zur Feinregulierung ist in dieser Hinsicht ein negatives Beispiel.

Um diesen Automatismus, immer mehr Regeln und Normen aufzustellen, alte Gesetze aber nicht abzuschaffen, zu durchbrechen, bedarf es heute immer noch gezielter Anstrengungen. Das hat sich mittlerweile sogar bis nach Brüssel herumgesprochen, was wir nur begrüßen können.

In Nordrhein-Westfalen wurde 2004 und 2005 durch die Einführung eines Befristungssystems ein Instrumentarium dagegen entwickelt. Wir sind der Ansicht, dass sich das bewährt hat. Seitdem wurden viele Gesetze, Verordnungen und Rechtsnormen auf ihre Notwendigkeit durchleuchtet und einer zeitlichen Befristung unterworfen. Nach einigen Jahren sind diese Befristungen ausgelaufen und mussten nach eingehender Prüfung erneuert werden. Es fand also eine Beweisumkehr statt. Statt mühsam Argumente finden zu müssen, warum Gesetze überflüssig geworden sind, müssen nun Argumente gefunden werden, warum die Rechtsnormen weiter bestehen sollen. Dieses Programm zum Bürokratieabbau hatte Erfolg. Mehr als 250 Rechtsnormen wurden auf dem Prüfstand dieser Praxis wieder abgeschafft.

Seit dem Jahr 2011 rückt die Landesregierung von dieser Befristungsgesetzgebung leider wieder ab. Dieser gegenläufige Trend zur Entfristung ist nach Ansicht der Piraten grundfalsch.

(Beifall von den PIRATEN und Ralph Bombis [FDP])

Neben dem Ziel des Bürokratieabbaus gibt es einen weiteren Effekt des Befristungssystems: Die bestehenden Rechtsnormen werden regelmäßig auf Aktualität, Effizienz und Effektivität geprüft. Alle, die eine wissensbasierte, sachorientierte Politik anstreben, müssen sich also für das Fortbestehen dieser Befristungsregelung aussprechen; denn zu oft bleiben Gesetze unverändert. Ideologie- und Beharrungskräfte sind zu stark, obwohl sich die Gesetze in der Praxis nur ungenügend bewährt haben und Experten eine Reform empfehlen.

Aus diesem Grund fordern wir Piraten beispielsweise die Einführung einer zeitgemäßen Evaluierungskultur in der Wirtschaftsförderung. Zu unserem Antrag wird es nach der Sommerpause eine Anhörung im Wirtschaftsausschuss geben.

Sie können also davon ausgehen, dass wir Piraten den vorliegenden Antrag im federführenden Ausschuss wohlwollend prüfen wollen. Auch die weiteren Punkte des vorliegenden Antrags, zum Beispiel die Einrichtung eines Normenkontrollrates der Länder, sind eine Debatte wert.

Lassen Sie mich auch noch eines sagen: Wir folgen dem FDP-Antrag dort, wo unnötige Bürokratie abgebaut wird, wo Bürger und Unternehmen von wuchernder Regulierung gelähmt werden.

Allerdings folgen wir die FDP dort nicht – das betone ich ausdrücklich –, wo unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus die Demontage von sozialen, ökologischen und anderen Standards betrieben wird. Dafür stehen wir Piraten nicht zur Verfügung.

(Beifall von den PIRATEN – Zuruf von Ralph Bombis [FDP])

Der französische Soziologe Pierre Bourdieu wurde nach den größten Errungenschaften des 20. Jahrhunderts gefragt. Er benannte den Aufbau des Sozialstaats in Europa. Daran zu erinnern, ist heute leider aktueller denn je.

Mit diesem Vorbehalt stimmen wir der Überweisung des Antrags an den federführenden Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk zu. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schwerd. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.

Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bombis, dieser Antrag erinnert mich ein bisschen an meine eigene Kindergartenzeit. Die ist sehr viel länger her als bei Ihnen.

(Zuruf von den PIRATEN: Und sie hat auch sehr viel länger gedauert!)