Protocol of the Session on June 5, 2014

Das sind FDP- und CDU-Fraktion. Wer stimmt dagegen? –

(Jochen Ott [SPD]: Alle!)

Bündnis 90/Die Grünen, die SPD-Fraktion und die Piraten. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Dann ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Antrag Drucksache

16/4551 abgelehnt. Ich schließe den Tagesordnungspunkt 7.

(Unruhe)

Gibt es irgendetwas zu diskutieren? – Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt

8 Vertrauen ist beschädigt, Kontrolle ist not

wendig: Die Landesregierung muss eine „Task Force“ zur Überprüfung der Speicherung personenbezogener Daten durch den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz

einsetzen

Antrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/5961

Ich eröffne die Aussprache. Für die antragstellende Fraktion der Piraten bekommt Herr Kollege Herrmann das Wort.

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen, die im Saal verblieben sind! Verehrte Bürgerinnen und Bürger im Saal und im Stream! Wir sprechen in unserem Antrag von Vertrauen. Wir werden gleich vermutlich zu hören bekommen, wir Piraten hätten kein Vertrauen in die Sicherheitsbehörden, würden ständig kritisieren und dramatisieren.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Sie haben keine Ahnung, Herr Herrmann!)

Ich sage Ihnen eines: Wir Piraten haben großes Vertrauen, zum Beispiel in unser Grundgesetz, welches unter Hinweis des Bundesverfassungsgerichts schon mehrfach den Regierungen des Bundes und auch dieses Landes ihre Grenzen aufgezeigt hat. Wir haben großes Vertrauen in unsere Landesverfassung, die explizit den Anspruch der Bürgerinnen und Bürger auf den Schutz ihrer Daten als Grundrecht festschreibt. Wir haben ebenfalls großes Vertrauen in unsere Bürgerinnen und Bürger selbst, dass sie sich durch stetig stärker werdenden Widerstand den ausufernden Überwachungsplänen unserer jeweiligen Regierungen entgegenstellen.

Ganz besonderes Vertrauen haben wir in unser Land als Ganzes; denn wir, die Bundesrepublik Deutschland mit all ihren Menschen, sind mit unseren bereits zweifach gemachten Erfahrungen der Auswirkungen eines Überwachungsstaates das richtige und wohl auch das wichtigste Land weltweit, um der globalen Überwachung, geprägt durch die NSA, aufgedeckt durch Edward Snowden, entgegenzutreten. Dass wir, gerade auch aufgrund unserer Geschichte, den Menschen, denen wir die Aufdeckung dieses riesigen Überwachungsapparates zu verdanken haben, einen sicheren Aufenthalt bieten müssen, versteht sich daher von selbst. Ob Sie das hier jetzt aufgrund kleingeistiger Zwänge ablehnen oder nicht – unabhängig von irgendwessen Zuständigkeiten wird die Frage des Aufenthalts sicher von den Menschen in unserem Land beantwortet werden, die mit Mut für ihre und unsere Freiheit, die Freiheit unserer Kinder und Kindeskinder eintreten.

(Beifall von den PIRATEN)

Vertrauen kann man nicht einfordern, Vertrauen muss man sich verdienen. Deshalb wiegt es schwer, wenn Vertrauen enttäuscht worden ist. Das ist im letzten Herbst in Niedersachsen geschehen. Der Landesverfassungsschutz dort hat in seiner Amtsdatei journalistisch tätige Personen nur aufgrund ihrer Tätigkeit ohne verfassungsbrechende Absichten rechtswidrig abgespeichert.

Aber, meine Damen und Herren, es kommt noch schlimmer: Die daran anschließende Überprüfung der Datenbestände deckte eine immense Anzahl

von Fehlspeicherungen auf. Die eingesetzte Arbeitsgruppe legte in ihrem Abschlussbericht nahe, nahezu 40 % der gespeicherten Personendaten zu löschen. Ansatzlos wurden Minderjährige, Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Bürgerprotesten, Moscheebesucherinnen und -besucher und Menschen, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren, gespeichert. Das lässt sich nicht auf ein individuelles Fehlverhalten bei den Speicherungen zurückführen, sondern es handelt sich offensichtlich um ein Organisationsversagen des niedersächsischen Verfassungsschutzes.

Wir Piraten wollen deshalb nun einmal mehr, dass auch die Datenbestände in Nordrhein-Westfalen geprüft werden. Der Verfassungsschutz hat hier ca. 34.000 Personen in seiner Amtsdatei gespeichert. Bei einer solchen Datenmenge sind Fehler schnell passiert. Die Forderung nach einer Prüfung bedeutet aber nicht, dass wir von einem Organisationsversagen in den Ausmaßen von Niedersachsen ausgehen. Wir wissen, dass es Unterschiede in den Verfassungsschutzgesetzen aus Niedersachsen

und Nordrhein-Westfalen gibt. Wir wissen auch, dass in Niedersachsen zum Beispiel Minderjährige unter anderen Voraussetzungen gespeichert werden dürfen als in Nordrhein-Westfalen.

Können Sie aber wirklich wegen dieser Unterschiede Fehlspeicherungen ausschließen? Ich denke, nicht. Oder haben Sie trotz aller Skandale der letzten Jahre, an denen nicht zuletzt auch der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen beteiligt war, uneingeschränktes Vertrauen? Wir haben das Vertrauen spätestens seit dem NSU- und dem NSASkandal in großen Teilen verloren. Wir wollen nicht riskieren, dass Personen in den Dateien gespeichert sind, die darin nichts zu suchen haben.

Wollen Sie einen weiteren Vertrauensverlust riskieren, wenn durch irgendeinen Zufall ähnliche Rechtsverletzungen wie in Niedersachsen ans Tageslicht kommen? Ich denke, nicht.

Zum Schluss möchte ich noch einmal appellieren: Es gibt viel zu wenig Kontrolle und viel zu viele Skandale. Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz hat jahrelang zugelassen, dass sich die Naziszene vor allem im Ruhrgebiet stark organisiert und vernetzt hat und dass sie immer gewaltbereiter wurde. Zugleich wurde der rechtsterroristische und menschenfeindliche Hintergrund von Anschlägen und Morden nicht erkannt und nichts von unserer Totalbespitzelung durch ausländische Geheimdienste gewusst.

Diesen enormen Vertrauensverlust haben die letztjährige Verfassungsschutzreform und einige öffentliche PKG-Sitzungen unserer Meinung nach nicht entkräften können. Deshalb brauchen wir die Taskforce nach dem Vorbild Niedersachsens. Lassen Sie eine Überprüfung der Dateien zu. Andere Innenminister haben ganz von selbst eine Überprüfung angeordnet.

(Zuruf von Verena Schäffer [GRÜNE])

Treffen Sie eine Entscheidung ohne Vorurteile und denken Sie nicht daran, dass dieser Antrag von uns Piraten kommt. – Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Herrmann. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Körfges.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich tue mich ein wenig schwer, sachlich zu bleiben, insbesondere, weil ich eigentlich dem verehrten Vorredner persönlich und menschlich nicht zu nahe treten möchte. Aber wer hier das Grundgesetz und die Landesverfassung zur Begründung zur Begründung für krude Verschwörungstheorien heranzieht, muss sich die Frage gefallen lassen, ob er seine Aufgabe tatsächlich ernst nimmt. Das, was Sie zur Begründung Ihres Antrags vorgetragen haben, ist faktenfreier Blödsinn.

(Beifall von Gordan Dudas [SPD])

In Ihrem Antrag steht, dass der Verfassungsschutz über Jahre Daten von publizistisch und journalistisch tätigen Personen rechtswidrig gespeichert hat, und das ist zufällig entdeckt worden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn das tatsächlich der Fall ist, dann hat man ein Problem – Klammer auf – in Niedersachsen – Klammer zu. Wenn man ein solches Problem hat, schafft die Einrichtung einer Taskforce sicherlich die Möglichkeit, dem zweckmäßig und angemessen entgegenzuwirken.

Ich freue mich immer darüber, wenn Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gelobt werden. Das gilt auch für den Kollegen Pistorius in Niedersachsen. Nur, Sie sind in Ihrer gesamten bedeutungsschweren Rede jeglichen Nachweis dafür schuldig geblieben, dass es auch nur im Ansatz vergleichbare Vorgänge in unserem Bundesland gibt. Insoweit kann ich Ihnen nur sagen: Das ist nichts anderes als der Versuch, eine Mücke aufzublasen, und eben ist hier am Rednerpult der Elefant geplatzt.

Darüber hinaus habe ich – das sage ich Ihnen ganz deutlich – wenig Verständnis dafür, dass man sich mit den realen Fakten in unserem Bundesland offensichtlich kein bisschen auseinandersetzt. Sie weisen zu Recht darauf hin, dass in Niedersachsen Organisationsverschulden festgestellt worden ist. Als Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums für den Verfassungsschutz darf ich sagen: Wenn Sie sich mit den bekannten und öffentlich zu diskutierenden Regeln über die Arbeit des Verfassungsschutzes in Nordrhein-Westfalen inhaltlich auch nur ein wenig auseinandersetzen würden, würden Sie sofort feststellen, dass Dinge, die in

Niedersachsen beklagenswerterweise vorgekommen sind, in Nordrhein-Westfalen in dieser Art und Weise nicht vorkommen können.

Ich nenne Ihnen nur ein Stichwort – das darf ich hier sagen; ich habe mich heute Morgen noch abgesichert –: Das System der Wiedervorlage personenbezogener Daten, die gespeichert worden sind, das System des regelmäßigen Kontrollierens und die Möglichkeit, innerhalb unseres Kontrollgremiums jederzeit all das zu hinterfragen, wird von Mitgliedern dieses Kontrollgremiums regelmäßig genutzt. All das, was Sie an Verdachtspunkten aus Niedersachsen abgeleitet haben, ist insoweit an den Haaren herbeigezogen.

Wenn es eines letzten Nachweises bedurft hätte, dass wir so eine Taskforce nicht brauchen – vielleicht wird das in Ihrer Fraktion nicht diskutiert –, darf ich darauf hinweisen, dass wir infolge der schrecklichen Ereignisse des NSU die Arbeit des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, der Abteilung 6 des MIK, haben überprüfen lassen …

Herr Kollege Körfges.

… durch einen Sonderbeauftragen, den ehemaligen Staatssekretär

Schubmann-Wagner, der sich auch mit dieser Frage auseinandergesetzt hat. Ich will hier nicht aus den Beratungen des PKG berichten, weil sie in nichtöffentlicher Sitzung erfolgt sind.

Herr Kollege Körfges.

Ich lasse die Zwischenfrage gleich zu.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das, was Herr Schubmann-Wagner festgestellt hat, was kritisch hinterfragt worden ist, lässt gerade keinerlei Zweifel an den Fragen zu, die Sie aufgeworfen haben. Insoweit entbehrt dieser Antrag jeglicher Grundlage. Wir hätten Ihnen das gerne in einer ausführlichen Beratung im zuständigen Fachausschuss im Detail nachgewiesen. Leider haben Sie uns die Gelegenheit nicht gegeben. – Jetzt lasse ich gerne eine Zwischenfrage zu.

Mittlerweile sind es sogar zwei. Die erste würde Ihnen gerne Herr Kollege Kern von den Piraten stellen, die zweite Herr Kollege Herrmann. Möchten Sie beide zulassen?

Herr Kollege Kern.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank Herr Kollege Körfges, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben quasi eine Ehrenerklärung zugunsten des nordrheinwestfälischen Verfassungsschutzes abgegeben und ihm gleichsam die Absolution erteilt. Wir wissen, dass es höchstwahrscheinlich auf Initiative der Piraten mit Unterstützung der CDU – dankenswerterweise – einen NSU-Untersuchungsausschuss geben wird.

Wenn es sich im Rahmen dieses Ausschusses erweisen sollte, dass es entgegen Ihren Erwartungen doch zu Verfehlungen und Versäumnissen des Verfassungsschutzes gekommen sein sollte, legen Sie dann Ihre Ämter nieder?

Ich glaube, die Zwischenfrage knüpft nahtlos an die Qualität Ihres Antrags an, lieber Kollege Kern.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Nicolaus Kern [PIRATEN]: Danke, reicht!)