Protocol of the Session on June 5, 2014

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich begrüße Sie alle ganz herzlich zu unserer heutigen, der 61. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich acht Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden wir in das Protokoll aufnehmen.

Ich rufe auf:

1 Zwei Wirtschaftsforschungsinstitute aus

Nordrhein-Westfalen rügen Finanzplanung der Landesregierung – Finanzminister

Dr. Walter-Borjans riskiert erneut einen Verfassungsbruch durch Nichteinhaltung der Schuldenbremse und schlägt Warnungen der Institute in den Wind

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/6024

Die Fraktion der FDP hat mit Schreiben vom 2. Juni dieses Jahres gemäß § 95 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung zu einer aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden Fraktion Herrn Kollegen Witzel das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Finanzminister, Sie haben einen Verfassungsauftrag, den Landeshaushalt enkelfit zu gestalten. Nach aktueller Expertenbegutachtung stehen die Chancen dafür leider immer schlechter, je mehr Zeit ohne ernsthaftes Sanierungskonzept verstreicht.

Das kann man auch auf Seite 194 in dem aktuellen Jahresbericht des Landesrechnungshofs nachlesen – ich darf das hier zitieren –:

„Auch unter Einbeziehung einer Konjunkturkomponente … sind – ausgehend von den Nettoneuverschuldungen 2011 und 2012 (Ist- Ergebnisse) – die in die Haushalts- und Finanzplanung bis 2016 eingeflossenen Konsolidierungsbeiträge nach den Berechnungen des LRH nicht ausreichend, um auf einem kontinuierlichen Weg das Ziel des Nulldefizits im Jahr 2020 zu erreichen.“

Noch deutlicher steht es auf Seite 45 des Berichts des Landesrechnungshofs:

„Der LRH hat Zweifel, ob die von der Landesregierung bisher unternommenen Schritte zur Eindämmung der Verschuldung ausreichen, um das Finanzierungsdefizit bis zum Jahr 2020, dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der ‚Schuldenbremse‘, auf null zu senken.“

Dieser Auffassung sind nun auch zwei renommierte Institute. Das RWI sagt:

„Zu Beginn dieses Jahrzehnts kam der Abbau des strukturellen Defizits im nordrhein

westfälischen Landeshaushalt trotz der günstigen gesamt- und finanzwirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht voran.“

Das IW Köln schreibt:

„Insgesamt ist noch kein überzeugender Abbaupfad für das Defizit erkennbar, mit dem sichergestellt wäre, dass Nordrhein-Westfalen 2020 die Schuldenbremse einhalten kann.“

Herr Minister Dr. Walter-Borjans, das sollte Ihnen zu denken geben, nicht nur als Kölner. Besonders ärgerlich ist diese Situation auch deshalb, weil Sie als Knabe an der Quelle sitzen, nämlich als Knabe an der sprudelnden Steuerquelle. Ein Blick auf die Steuermehreinnahmen der Jahre 2010 bis 2017 hilft bei der Bewertung weiter.

Im Jahre 2010, also zum Amtsantritt des heutigen Finanzministers, gab es in Nordrhein-Westfalen Steuereinnahmen in Höhe von fast 38 Milliarden € – ein Ist-Wert. Im Jahre 2017 geht der Finanzminister laut seiner gültigen eigenen Finanzplanung von über 52 Milliarden € Steuereinnahmen aus, also immerhin 14,7 Milliarden € Steuermehreinnahmen bis zum Ende der Legislaturperiode.

Ihre eigene Annahme ist – das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen –: Bis zum Jahre 2017 gibt es gegenüber dem Jahr 2010 14,7 Milliarden € mehr Steuereinnahmen.

Und jetzt muss man sich einmal diese Steuermehreinnahmenentwicklung im Vergleich zur Reduktion der von Ihnen beschlossenen Nettokreditaufnahme für den gleichen Zeitraum 2010 bis 2017 anschauen.

In die Reduktion der Nettokreditaufnahme sind diese Milliarden nämlich überwiegend gar nicht eingeflossen und auch für die zukünftige Finanzplanung gar nicht vorgesehen. Von 4,9 Milliarden € Nettokreditaufnahme im Jahr 2010 – dank der einstweiligen Verfügung des Verfassungsgerichtshofs sind es nicht noch mehr geworden – ist bis zum Jahre 2017 nur eine Reduktion auf 1,4 Milliarden € vorgesehen.

Also werden nur 24 % – weniger als ein Viertel – der im Jahr 2017 zusätzlich zur Verfügung stehenden Steuereinnahmen für die Reduktion der Nettokreditaufnahme genutzt.

Seit der Finanz- und Schuldenkrise ist die Wirtschaft in Deutschland in jedem Jahr weiter gewachsen.

Die aktuelle Gemeinschaftsprognose sieht auch für die Jahre 2014 und 2015 ein Wachstum vor, aber nicht mehr zwingend in gleicher Weise für die Jahre danach.

Bekanntlich ist der Verlauf des Wirtschaftswachstums zyklisch: Konjunkturelle Hochphasen werden von konjunkturellen Tiefphasen abgelöst. Die Haushaltskonsolidierung wird durch diese Landesregierung auf die zweite Hälfte des laufenden Jahrzehnts verschoben. Genau in diese Zeit dürfte aber der konjunkturelle Abschwung fallen. Das Land müsste nach Ihrer Vorgehensweise gerade dann verstärkt sparen, wenn die Steuereinnahmen weniger stark steigen als erwartet oder gegebenenfalls sogar fallen.

Herr Finanzminister, deshalb ist es so interessant, auch einmal die aktuellen Auswertungen von wissenschaftlichen Instituten zu kontrastieren mit dem, was in Ihrem sogenannten Nachhaltigkeitsbericht steht. Sie selbst zeigen dort die Szenarien auf, die sich für den Landeshaushalt bis zum Jahre 2020 voraussichtlich ergeben.

Im Basisszenario bleibt trotz kontinuierlich steigender Einnahmen bis zum Jahr 2020 eine Finanzierungslücke von fast 1 Milliarde € übrig. Bislang liegt von Ihnen noch kein Konzept vor, wie diese Lücke geschlossen werden soll. Sollte es bis dahin denkbare Einbrüche der Wirtschaft geben, wenn sich Konjunktur und Steuermehreinnahmen nicht so weiterentwickeln, wie das die letzten Jahre erfreulicherweise der Fall gewesen ist, ergeben sich sogar in den von Ihnen berechneten Referenzszenarien noch ungünstigere Konstellationen, die zu einer noch höheren Neuverschuldung führen würden.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

1,3 Milliarden € fehlen nämlich im Jahr 2020, Herr Kollege, wenn die Wirtschaft nicht so floriert. 1,4 Milliarden € nach Berechnungen dieser Landesregierung würden zum Haushaltsausgleich fehlen, wenn sich die Rahmenbedingungen so entwickeln würden wie in den Jahren von 2003 bis 2012.

Der Bund der Steuerzahler hat deshalb letzter Tage auch im Landtag selbst deutlich gemacht, dass die Landesregierung nicht genügend Entscheidungen und Vorsorge für die Situation des Jahres 2020 getroffen hat. Denn diese Schuldenbremse, Herr Finanzminister, ist zwingend. Es ist auch gut so, dass sie zwingend ist. Sie kann nicht unterlaufen werden. Sie ist verfassungsrechtlich vorgeschrieben. Deshalb brauchen Sie sogar noch ein Sicherheitspolster. Denn wenn eine verfassungsrechtlich zwingende Situation auf Sie zukommt und Sie Unwägbarkeiten bis zum Jahr 2020 haben, dann müssen Sie sogar noch etwas mehr Polster einplanen, als das gegenwärtig der Fall ist.

(Beifall von der FDP)

Die Redezeit.

Bereits das Jahr 2017 wäre ein denkbares Ziel gewesen für einen Haushalt ohne Nettoneuverschuldung, wenn Sie von Beginn der Legislaturperiode an konsequent gespart hätten. Sie müssen dem Landtag darlegen, wie Sie mit dieser verfassungsrechtlich zwingenden Situation zukünftig umgehen wollen.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Börschel.

Frau Präsidentin! Sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Witzel, ich habe mir wirklich Mühe gegeben, kann aber in dem, was Sie heute vorgetragen haben, nicht im Ansatz irgendetwas Neues erkennen, das es gerechtfertigt hätte, hier heute die Zeit intensiv miteinander zu verbringen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zu- ruf von den PIRATEN)

Es war eine Aneinanderreihung von Banalitäten, von Bekanntem, von Halbwahrheiten, von Halbzitiertem, dass einem schon schwindelig werden kann, Herr Kollege Witzel.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Wir sollten uns meiner Ansicht nach hier im Plenum darauf verständigen, dass wir, wenn wir schon zitieren, immer ganz und komplett zitieren, die volle Wahrheit zitieren und nicht selektive Wahrnehmung an den Tag legen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie selbst wissen doch als geschätzter Kollege im Haushalts- und Finanzausschuss am besten, dass es einen Unterschied zwischen einer Finanzplanung, die naturgemäß ob ihrer prognostischen Dauer gewisse Unsicherheiten und Unschärfen beinhaltet, und einem eigentlichen Haushalt gibt, der immer bezogen auf ein einzelnes Jahr sehr viel konkreter ist, als es eine mittelfristige Finanzplanung sein kann.

Sie wissen genauso, dass das, was unter anderem das jetzt von Ihnen zitierte RWI gesagt hat, erstens nicht komplett zitiert war – darauf komme ich gleich zurück – und zweitens in seiner Schlussfolgerung an Banalität wirklich nicht zu überbieten ist.

Ich will einmal aus Ihrem Antrag auf Durchführung dieser Aktuellen Stunde zitieren. Sie schreiben selbst, dass laut RWI Handlungsbedarf bestehe.

(Ralf Witzel [FDP]: Klar!)

Und aus der „Rheinischen Post“, die Sie auch zur Grundlage Ihrer Beantragung gemacht haben, darf ich Folgendes zitieren:

„Um einen strukturell ausgeglichenen Landeshaushalt im Jahre 2020 erzielen zu können, muss die Landesregierung den Anstieg der Landesausgaben in den kommenden Jahren so eng begrenzen, dass er merklich hinter der Zunahme der Einnahmen zurückbleibt.“

Ach, was ist das für eine Weisheit? Das ist das absolut Normale und von der Regierung zugrunde Gelegte. Wenn wir – die Regierung hat immer wieder betont, dass es so kommen wird – die Schuldenbremse im Jahre 2020 einhalten wollen, dann muss es genauso kommen, wie wir uns das vorgenommen haben. Dann muss es genauso kommen, wie es das RWI hier fordert. Deswegen besteht überhaupt kein Grund, von Ihrer Seite aus eine Skandalisierung zu betreiben. All das, was Sie vorgetragen haben, ist sattsam bekannt und von Regierungsseite her in Umsetzung.