Erstens ist in diesem Kompromiss endlich anerkannt worden, dass Eltern für Ihre Kinder lange, offene Bildungsbiographien haben wollen. Zweitens ist in diesem Prozess anerkannt worden, dass Kommunen Schwierigkeiten haben, alle Schulangebote vor Ort vorzuhalten.
Und deshalb ist die Klage, lieber Herr Lindner, dass wir nicht an jedem Ort ein Gymnasium haben, eine unaufrichtige Klage. Wir können nicht mehr in allen Gemeinden alle Schulformen in jeder Form anbieten. Insofern sind die Eltern glücklich, dass es zumindest Schulen gibt – denn das ist ein weiterer Wunsch der Eltern –, die wohnortnah alle Schulabschlüsse anbieten.
Es ist eine Mär, dass wir die Gymnasien nicht unterstützten. Ich kann verstehen, Herr Lindner, dass Sie diese Mär verbreiten. Ich muss sogar sagen: Herzlichen Glückwunsch, Sie bedienen Ihre Klientel gut. Sie müssen für Ihre Klientel den Eindruck erwecken, dass die Schule des Gymnasiums von Ihnen verteidigt wird und dass Sie alle Angriffe auf das Gymnasium abwehren.
Nur, lieber Herr Lindner, Sie verschweigen, dass auch wir einen Kompromiss eingegangen sind. Kein Mensch hat behauptet, dass das Gymnasium unsere Lieblingsschule gewesen ist. Ja, wir haben in allen Wahlkampfprogrammen gesagt: Wir wollen die Schulen des längeren gemeinsamen Lernens. Da sind die Gymnasien nicht unsere Lieblingsschulen gewesen. Aber wir sind einen Kompromiss eingegangen, und wir sind vertragstreu.
Wir sehen die Aufgaben, die am Gymnasium zu machen sind. Frau Ministerin Löhrmann hat gerade schon einiges genannt, was wir gemacht haben. Aber wir lassen G8 auch von der Mercator-Stiftung begleiten. Ein Viertel aller Gymnasien wird zurzeit begleitet, damit wir feststellen können, was diese Schulen brauchen. Wir haben keinen Ganztagsantrag abgelehnt. Wir sind vertragstreu, auch wenn unsere Lieblingsschulen, wie hier die ganze Zeit erzählt wird, die Schulen des längeren gemeinsamen Lernens sind.
Das Gute an dem Schulkompromiss – das hat uns die Bevölkerung abgenommen –, das Historische war, dass wir endlich um die Sache gekämpft haben und nicht um unsere Ideologien. Die Eltern und Bürger in Nordrhein-Westfalen haben gesagt: Endlich sind die Kinder es wert, dass man hinsieht, und endlich streiten sich die Parteien nicht um ihre Ideologien! Das war historisch. Dahinter sollten wir nicht zurückfallen.
Auch zu dieser heutigen Debatte wird ein Teil der Leute dort oben, ein Teil der Leute, die uns am Stream sehen, ein Teil der Leute, die hinterher die Berichterstattung lesen, sagen: Was interessiert uns das, was in den letzten 30 Jahren war? Wir haben zwei Stunden hier darüber diskutiert, was in den letzten 30 Jahren war, darüber, ob etwas im März oder im April war. – Die Leute wollen wissen, was wir in der Zukunft machen. Die wollen nicht eine Vergangenheitsbetrachtung haben!
Ich sage Ihnen, was wir in der Zukunft machen werden: Wir werden den Schulkonsens weiter vertragsgerecht ausbauen. Wir wissen, dass es Probleme gibt. Lieber Herr Laschet, ja klar, es ist Ihre Aufgabe als Oppositionsführer, uns zu sagen, wo es Probleme gibt. Ich bitte aber auch Sie, das der Debatte und des Fortschritts wegen zu sagen, und nicht, um Meinungen aufzufangen. Willy Brandt hat einmal gesagt: „Man muss dem Volk aufs Maul schauen, ihm aber nicht nach dem Mund reden“. Ich denke, in diesem Sinne sollten wir die Debatte weiterführen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die FDP-Fraktion hat sich Frau Abgeordnete Gebauer zu Wort gemeldet.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Voigt-Küppers, wenn Sie der FDP Klientelbedienung nachsagen, muss ich Ihnen etwas ganz stark entgegenhalten: Es war Ihre Genossin, nämlich Frau Ministerpräsidentin Kraft, die in ihrer Regierungserklärung zwei Schulformen, nämlich die Gesamtschule und die Sekundarschule, die Schulformen des längeren gemeinsamen Lernens, ausschließlich angesprochen hat und mit keinem Wort die vielen anderen Schulformen, die wir in Nordrhein-Westfalen haben, erwähnt hat.
Ich finde das unangemessen. Eine Ministerpräsidentin ist für alle Bürgerinnen und Bürger dieses Landes da und dementsprechend auch für alle
Sie sprechen davon – da stimme ich Ihnen zu –, wir dürften den Blick nicht nur nach rückwärts richten. Nur, ich habe heute weder von Ihnen, Frau Hendricks und Frau Voigt-Küppers von der SPD, noch von Frau Löhrmann etwas für die Zukunft unserer Kinder, für die Zukunft unserer Schülerinnen und Schüler gehört. Alles war nur darauf gerichtet – gemäß der Ricola-Werbung –: Wer hat es erfunden, wer ist für was verantwortlich? Sie haben aber keine Antworten auf die drängenden Fragen gegeben, die in diesem Land vorhanden sind. Diesen Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen.
Herr Laschet, Ihnen ist das jetzt schon zweimal gesagt worden. Ich sage es Ihnen gerne noch ein drittes Mal. Ich meine, es spielt nicht wirklich die große Rolle hier, aber es war tatsächlich der 12. März, an dem Ihr Parteitag stattgefunden hat. Das nur nebenbei.
Ich möchte eine Sache hier aber noch einmal ganz deutlich herausstellen: Frau Ministerin Löhrmann, Sie haben in Ihren Ausführungen mit Bezug auf die Oberstufe gesagt, dass die Gymnasien letztendlich auch von der Schulform des längeren gemeinsamen Lernens profitieren würden. Dazu möchte ich Ihnen Folgendes entgegenhalten.
Sie haben in Nordrhein-Westfalen – das haben Sie auch überall begeistert zur Kenntnis gegeben – 70 Gesamtschulen genehmigt, die neu hinzugekommen sind und die natürlich alle eine Oberstufe haben. Wir haben im Schulausschuss darüber gesprochen, wieso denn beim letztjährigen Abitur die Ergebnisse an den Gesamtschulen schlechter gewesen sind als an den Gymnasien. Sie haben darauf unter anderem erklärt – ich darf an dieser Stelle zitieren –: da die Oberstufen – sprich die Oberstufen an den Gesamtschulen – dort in der Regel kleiner sind als an Gymnasien und damit weniger Wahlmöglichkeiten zur Verfügung stehen.
Sie gehen in Nordrhein-Westfalen jetzt hin und lassen trotz des demografischen Wandels zu – und das nenne ich fahrlässig –, dass 70 neue Gesamtschulen gegründet werden. Es gibt aber jeden Schüler nur einmal. Wenn Sie dann eine Vielzahl zusätzlicher Oberstufen genehmigen, werden nachher die Gymnasien ausbluten. Wir werden dann kein Differenzierungsangebot mehr an den Gymnasien in den Oberstufen haben. Das ist das, was momentan passiert. Das Gleiche geschieht auch mit den Angeboten an den Berufskollegs. Dazu ist hier und heute kein Wort gesagt worden.
Es ist immer nur über das längere gemeinsame Lernen gesprochen worden. Ich sage Ihnen: Das ist verantwortungslos. Es war auch nicht unbedingt nö
tig, in dieser Länge und Ausführlichkeit über den Schulkonsens zu reden. Es hat leider auch nicht zu dem geführt,
wofür es gedacht war, nämlich den Blick nach vorne zu richten. Es ging lediglich um die Vergangenheit. Das finde ich für eine derartige Debatte, die von Ihnen durch diese Unterrichtung ins Leben gerufen worden ist, ein Stück weit verantwortungslos. Denn wir müssen den Blick nach vorne richten und schauen: Was haben unsere Kinder und Jugendlichen vor Ort verdient? Was gilt es konkret zu unternehmen? Darauf haben Sie heute keine Antworten geliefert. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Gebauer. – Für die Landesregierung erteile ich noch einmal Frau Ministerin Löhrmann das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Gebauer, das Parlament hat der Landesregierung vor ungefähr einem Jahr den Auftrag erteilt, ein Zwischenfazit über die Entwicklung des Schulkonsenses zu ziehen und insbesondere über die Frage „Wie sichern wir das regionale Schulangebot in unserem großen Land Nordrhein-Westfalen in der Fläche?“ einen Bericht vorzulegen und alles hineinzuschreiben, was wir über diese zwei Jahre sagen können. Diesen Auftrag des Parlaments hat die Landesregierung erfüllt.
Auf diese Feststellung lege ich Wert. Ich finde das auch richtig, weil wir gesagt haben: Wir wollen nicht abwarten bis 2023 – denn bis dahin sollen die Grundstrukturen des Schulsystems in NordrheinWestfalen so bleiben, wie sie sind –, wenn wir Erfahrungen gewinnen, wo man nachsteuern sollte.
In der Bildungskonferenz, die jährlich stattfindet, ist die eine oder andere Fragestellung erörtert worden: Wie ist der Stand? Was ist passiert? Die Bildungskonferenz hat an einigen Stellen Nachsteuerungsbedarf gesehen. Wir haben hier niedergelegt, was wir wissen. Insofern ist diese Unterrichtung eine Bilanz, und auf einzelne Punkte ist ausdrücklich hingewiesen worden. Die Frage „Wie sichern wir in den Gemeinden, in denen es nur noch wenige Schulen überhaupt gibt, die Durchlässigkeit im gesamten System der Sekundarstufe I?“ muss geklärt werden.
Frau Hendricks hat eine andere Frage angesprochen. Wie sieht es mit Kooperationsmöglichkeiten aus? Wir waren uns einig – Herr Prof. Dr. Sternberg ist nicht mehr da –, die Sekundarschule ist eine
Schule der Sekundarstufe I und muss kooperieren. Denn auch da sollen Eltern wissen: Es gibt eine Anschlussperspektive zur Oberstufe, zum Abitur, wenn die Jugendlichen das Zeug dazu haben. Manche Schulen haben sehr viele Kooperationen. Andere haben nur eine. Darüber werden wir reden: Was hat sich bewährt? Was empfehlen wir daraufhin? Der Prozess wird, wo nötig, per Erlass begleitet, obwohl wir ja nicht so viele Erlasse schreiben wollen, sondern den Schulen weitgehende Gestaltungsmöglichkeiten geben wollen.
Frau Gebauer, Ihre Einlassungen machen mich insofern sehr nachdenklich, als Sie unterstellen, wir hätten die Schulgründungen erzwungen, obwohl ich eben sehr deutlich das Gegenteil erläutert habe. Ich genehmige die Schulen nicht persönlich, sondern die Bezirksregierungen genehmigen die Gesamtschulen. Bei der neuen Sekundarschule schaut auch das Ministerium darauf, weil es eine neue Entwicklung ist. Wir bekommen die Gesamtschulgenehmigungen angezeigt. Ich laufe nicht durchs Land und zwinge Kommunen Schulen auf, sondern das Gesetz und die Verfassung sehen vor, dass vor Ort darüber entschieden wird. Wollen Sie denn verbieten, dass Gesamtschulen gegründet werden? Das ist doch die spannende Frage, die jetzt offenkundig geworden ist. Offenbar wollen Sie die Gesamtschule verbieten.
Nein, nicht schon in der Regierungszeit. Lieber Herr Laschet, schauen Sie sich die Urteile und Prozesse zu Morsbach oder zu anderen Orten an! Schauen Sie nach Bonn! Dort hat die Gesamtschule keine Oberstufe bekommen, obwohl sie es wollte, um sie strukturell zu schwächen. Es gab mehr Urteile als nur das Urteil zu Finnentrop. Bitte genauer hinschauen!
Es gab ganz wenig neue Gesamtschulen, und es gab sie nicht mit Ganztag, obwohl das gewollt war – eindeutig. Sie hatten Ihren Frieden damit vielleicht schon gemacht, aber Ihr Koalitionspartner hat seinen Frieden bis heute nicht gemacht, wie wir gerade an dieser Debatte gemerkt haben.
Aber, lieber Herr Stamp, Frau Gebauer hat doch gerade gesagt, sie störte es, dass 70 neue Gesamtschulen entstanden wären. – Mich stört das
Ich will noch einen interessanten Punkt nennen, Herr Lindner, Frau Gebauer. Durch den Schulkonsens gibt es jetzt Orte, an denen man vorher kein Abitur machen konnte, weil es überhaupt keine Schule gab, die zum Abitur geführt hat.
Wir haben also nichts abgeschafft, sondern wir haben etwas ermöglicht und neu geschaffen. Ich lese Ihnen jetzt die Orte vor, in denen zukünftig Jugendliche nicht mehr in die nächste Kreisstadt fahren müssen, um ihr Abitur zu machen: SelfkantGangelt, Freudenberg, Wenden, Bad Lippspringe, Hamminkeln, Alfter, Gescher, Hörstel, Rhede.