Protocol of the Session on May 15, 2014

Ich werde hier jetzt trotzdem keine Blumensträuße verteilen. Einige der getroffenen Vereinbarungen sehe ich kritisch; andere sind noch nicht so umgesetzt, wie wir das gerne hätten. Ich werde mich auch nicht an der Diskussion beteiligen, wie sie jetzt seit anderthalb Stunden läuft, wer wann was gesagt hat, wer hier irgendwelche Pirouetten dreht. Ich möchte hier gerne über den Schulkonsens reden.

Meine Vorredner und Vorrednerinnen haben ja ausführlich über die Entwicklung unserer Schullandschaft gesprochen. Das ist in der Tat gut, und es ist viel passiert. 186 neue Schulen wurden seit 2011 gegründet. „Ein beeindruckendes Ergebnis“ haben Sie es genannt, Frau Ministerin Löhrmann. Und das stimmt.

Doch den Schulgründungen stehen auch Schulschließungen gegenüber. Leider wird die Entwicklung der Schulschließungen und der regionalen Schullandschaften im Bericht nur am Beispiel des Kreises Warendorf gezeigt. Doch wir müssen sehr genau auf das Schulangebot überall vor Ort schauen.

Die Wahlfreiheit der Eltern ist uns ein hohes Gut. Aber besteht sie eigentlich noch flächendeckend? Hauptschulen und Realschulen verschwinden von der Landkarte, weil sie – so sagt man – nicht mehr gewünscht sind. Das bedeutet aber, dass Eltern, die ihr Kind nicht in eine Schule des längeren gemeinsamen Lernens schicken möchten, mancherorts gar keine Wahlfreiheit mehr haben.

Und da bin ich ganz bei Ihnen, Herr Lindner. Ich finde auch, dass Eltern bestimmen können sollen, auf welche Schule ihr Kind geht, dass da Wahlmöglichkeiten bestehen müssen.

(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)

Dann finde ich es von Rot-Grün unanständig, so zu tun, als gebe es diese Wahlfreiheit überall. Man sollte lieber ehrlich sein und sagen, wo der Zug hinfährt, dass es nämlich letztendlich in vielen Regionen zu einem Zwei-Säulen-System kommen wird, in dem vor Ort ein Gymnasium und eine Schule des

längeren gemeinsamen Lernens vorgehalten werden.

Zum Herzstück des Schulkonsenses, der Sekundarschule: Auch wir sind für Schulen des gemeinsamen Lernens. Wir finden das Prinzip des längeren gemeinsamen Lernens gut, da es den Bildungsprozess länger offenhält. Deshalb sind wir auch nicht gegen Sekundarschulen.

Allerdings – das ist gerade schon von Ihnen, Frau Ministerin Löhrmann, gesagt worden –: Es gibt ja gar nicht die Sekundarschule. Es gibt viele verschiedene Sekundarschulen mit verschiedenen Konzepten. Wir haben die integrierte Form, die teilintegrierte Form und die kooperative Form.

Die kooperative Form entspricht nicht unseren Vorstellungen, da die Schüler dort wieder in Hauptschüler, Realschüler und Gymnasialschüler getrennt werden.

Wir glauben, dass die integrierte Form von Dauer sein sollte, vor allen Dingen im Hinblick auf die Inklusion. Denn genau das wäre ja die inklusive Schule und nichts anderes.

(Beifall von den PIRATEN)

Man muss jetzt nur genau schauen, ob die Umsetzung erfolgreich gestaltet wird.

Doch die Sekundarschulen müssen auch von allen Eltern getragen werden. Dann gehe ich wieder dahin, wo Herr Lindner gerade war: Es nutzt nichts, die Sekundarschule von außen aufzudrücken. Vielmehr müssen wir zeigen: Die Sekundarschule leistet hervorragende Arbeit. Sie muss nachweisen können, dass sie eine leistungsstarke Schule ist. Erst dann werden alle Eltern diese Schule akzeptieren und annehmen.

Wir finden es gut, dass die Sekundarschule als Ganztagsschule konzipiert ist, denn das Ganztagskonzept ist wesentlicher Bestandteil zur Umsetzung individueller Förderung. – Darauf komme ich gleich noch. – Es trägt zu mehr Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit bei.

Einen Kritikpunkt sehe ich in Bezug auf die Sekundarschule noch ganz deutlich: Sie hat keine Oberstufe. Viele Eltern wünschen sich eine Schule, wo die Kinder von Klasse 10 bis Klasse 13 hingehen können. Das hält die Sekundarschule aber nicht vor. Wir haben allerdings einige Sekundarschulen, die vierzügig fahren. Ich verstehe nicht, warum an diesen Schulen keine Oberstufe eingerichtet werden kann, wenn Eltern, Lehrer und Schüler das wollen. Also hier bitte ich noch mal nachzubessern und zu gucken, ob es diese Möglichkeit nicht gibt.

Überall wird individuelle Förderung reklamiert. Das ist im Moment an den meisten Schulen aber eher ein Versprechen, als dass es umgesetzt wird. Es betrifft ganz besonders den immer noch nachweisbaren Zusammenhang zwischen der sozialen Her

kunft und dem Bildungserfolg. Hier gibt es noch eine ganze Menge zu tun.

Bei dieser Frage sind wir dann auch ganz schnell wieder bei den Ressourcen. Wir müssen sehr viel mehr in Bildung investieren; unsere schönen Reden allein helfen uns nicht weiter. Auch gute Konzepte, wie sie von vielen Schulen entwickelt werden, gehen nur dann auf, wenn genügend Personal sie in kleinen Klassen – mit genügend Zeit für jeden Schüler und jede Schülerin – umsetzen kann.

Der nächste Punkt ist die PRIMUS-Schule – ich habe das hier schon mal ausgeführt –: Wir finden die PRIMSU-Schule gut. Eine Klasse von 1 bis 10 eröffnet Möglichkeiten, die andere Schulen nicht haben. PRIMUS-Schulen werden sicherlich auch hilfreich sein, wo viele Schulschließungen drohen; da sind sie eine Alternative.

Ein weiterer wesentlicher Punkt des Schulkonsenses ist die Sicherung des wohnortnahen Schulangebotes „Kurze Beine – Kurze Wege“. Das ist der richtige Weg.

Das 8. Schulrechtsänderungsgesetz haben wir mitgetragen. Die Entwicklung vor Ort müssen wir aber weiterhin genau verfolgen. Dass auch bei den geänderten Regeln viele Schulstandorte gefährdet sind, ist jetzt schon abzusehen. Wir sollten noch mal genau hinschauen, ob wir da nachjustieren müssen, um zu verhindern, dass es im ländlichen Bereich sowie in einigen Stadtteilen überhaupt keine Schulen mehr gibt.

Ein weiterer Punkt: Im Rahmen des Schulkonsenses sind sowohl ein Sozialindex als auch ein Inklusionsindex angekündigt worden. So sollen Schulen zum Beispiel in sozialen Brennpunkten oder mit vielen Schülerinnen und Schülern mit besonderen Förderbedarfen mehr Lehrerstellen zur Verfügung gestellt werden. Das halte ich für dringend geboten – und zwar jetzt. Wie ist da der Stand der Dinge? Es gab in den letzten Monaten Hinweise, dass die Entwicklung des Sozialindex nicht so recht vorangeht. Da warten wir auf klare Ansagen und Aussagen. Das gilt auch für den Inklusionsindex.

Meine Damen und Herren, im Schulkonsens haben sich SPD, CDU und Grüne auf die Fahne geschrieben, die Klassengröße schrittweise zu verringern. Das ist ein guter Ansatz. Aber wir haben hier ambitioniertere Ziele. Wenn man Inklusion, Bildungsgerechtigkeit und echte individuelle Förderung ernsthaft umsetzen will, muss man hier sehr viel mehr Anstrengungen hineinlegen und mehr Personal zur Verfügung stellen.

Natürlich weiß ich um die Schuldenbremse. Aber für uns hat in der Landespolitik die Bildung Priorität. Wenn man entsprechend handeln würde, müssten andere wichtige Projekte warten. Das wäre dann halt so.

Dazu gehört auch die Finanzierung von Lehrerstellen aus demografischen Effekten. Prof. Klemm schreibt in seinem Gutachten „Perspektiven und Chancen – Zur demographischen Entwicklung und zum Lehrerbedarf in Nordrhein-Westfalen“ ganz deutlich, dass die demografische Rendite nicht ausreicht, um die Zusatzbedarfe aufgrund der laufenden und geplanten Reformen zu decken. Es gebe da bis 2020 eine Lücke von 4.300 Vollzeitstellen im Bereich frühkindlicher und schulischer Bildung.

Meine Damen und Herren, wir wissen, Bildungspolitik ist kein Wunschkonzert. Aber Bildungspolitik muss Priorität haben. Wir sind für eine schrittweise Verbesserung bei der Schulorganisation, für echte individuelle Förderung und für die Verbesserung der Bildungsteilhabe für alle, insbesondere für die Kinder und Jugendlichen, die bisher noch zu wenig von unseren Schulen profitieren. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Danke schön, Frau Pieper. – Für die Landesregierung hat nun noch mal Frau Ministerin Löhrmann das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich finde die Debatte darüber, wer welche Akzente setzt, hochinteressant und will auf das eine oder andere noch mal kurz eingehen.

Herr Laschet, niemand hat erwartet, dass mit dem Konsens in der Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen alles „Friede, Freude, Eierkuchen“ wird. Das haben wir, glaube ich, damals sogar selber gesagt. Ich meine, mich zu erinnern, dass ich gesagt habe: Streit über die Umsetzung wird es noch genug geben. – Trotzdem ist dieser Konsens eine bahnbrechende Grundlage für eine Schulentwicklung in diesem Land gewesen, wie es sie noch nie gegeben hat. Und die bleibt sie auch.

Zu der Frage der Verfassungsänderungen ziehen wir heute eine Zwischenbilanz. Es geht in dem Fall nicht um die Grundschulen, es geht nicht um die Sekundarstufe II, sondern es geht um dieses Herzstück des Schulkonsenses. Darum geht es! Herr Lindner und Frau Pieper, es geht nicht um alle anderen Fragen der Schulpolitik, sondern es geht um dieses Kernstück, für das die Verfassung und das Schulgesetz geändert worden sind.

Herr Laschet, es geht hier jetzt nicht darum, dass wir den Konsens beschlossen haben. Die Frage ist vielmehr: Finden Sie es gut, dass so viele Gemeinden dabei mitmachen

(Armin Laschet [CDU]: Ja!)

und dass jetzt 30 % der Kinder länger gemeinsam lernen? Das ist doch das Entscheidende, was SPD

und Grüne durchgesetzt und erreicht haben, ganz konkret.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das wollten Herr Rüttgers und Herr Pinkwart nicht. Ich war bei den Gesprächen von CDU und SPD nicht dabei. Die hatten zwar mal gesagt: „Kommt doch auch noch dazu“, dann wüssten wir das auch. Ich weiß das aber nicht, und es interessiert mich auch nicht. Ich war aber natürlich bei den Gesprächen mit Herrn Pinkwart dabei. Da gab es zum Beispiel eine Auseinandersetzung darum, dass die FDP und wahrscheinlich auch die CDU eben nicht Schulen zulassen wollten, in denen die Klassen 5 und 6 gemeinsam lernen. Das war ein zentraler Punkt. Dazu war die FDP nicht bereit. – Von der CDU weiß ich es nicht; dazu hat es mit ihr ja keine Verhandlungen gegeben.

CDU und FDP hatten vorher keine Ermöglichungsstrategie, sondern Herr Rüttgers hat Horst

mar/Schöppingen verboten. Herr Winands, der damalige Schulstaatssekretär, ist dorthin gefahren und hat den Gemeinden irgendwelche Sonderangebote gemacht, damit sie darauf eingehen. Damit hat er im Land die Debatte, die anstand – dass nämlich die Kommunen andere Schulen gestalten können –, verunmöglicht. Das ist der große Unterschied.

Diese Blockade in der Schulentwicklung in Nordrhein-Westfalen haben wir aufgelöst mit dem Konzept, eine Schule von unten wachsen zu lassen. Das ist das Herzstück. Dazu haben Sie dann schließlich Ja gesagt, Herr Laschet.

Jetzt wird es interessant:

Sie haben uns eben gesagt, das Parteiprogramm von Siegen – das war am Tag des Atomunfalls in Fukushima; deswegen musste Herr Röttgen ja auf einmal andere Akzente setzen – sei die Antwort auf das Gerichtsurteil zu Finnentrop gewesen. – Herr Laschet, ich habe sofort gedacht: Da stimmt was nicht. – Der Beschluss der CDU in Siegen war im März 2011. Das Gerichtsurteil zu Finnentrop war am 9. Juni 2011. In welchem Verhältnis Ihre Parteibeschlüsse zu wichtigen Gerichtsurteilen stehen, sollten Sie also vielleicht etwas genauer recherchieren.

Die Bildungskonferenz, die die Weichen gestellt hat, hat schon ab September 2010 getagt. In dieser Bildungskonferenz waren alle wesentlichen Akteure der Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen versammelt und haben gesagt: Macht diese Ermöglichungsstrategie! Lasst das die Kommunen selbst entscheiden!

Ich habe übrigens auch mit Herrn Röttgen gesprochen, der gesagt hat: Wir haben in der Schulpolitik was falsch gemacht. –

(Armin Laschet [CDU]: Das ist wahr! Das ist eine Binsenweisheit!)

Herr Laumann hat gesagt: Wenn unsere Kommunen solche Schulen wollen, können wir nicht auf Dauer dagegen sein. – Aber Sie haben eben gesagt, Sie hätten Ihren Beschluss wegen eines OVGBeschlusses zu Finnentrop gemacht.

(Armin Laschet [CDU]: Auch!)

Stellen Sie doch nicht die Erkenntnisfähigkeit Ihrer Partei wieder damit infrage, dass Sie einen völlig falschen Zusammenhang konstruieren, Herr Laschet. Die Abläufe waren also etwas anders. Wir sind froh, dass wir dann nach so kurzer Zeit – am 19. Juli – den Schulkonsens beschlossen haben.

Das flackerte noch mal auf – ich weiß es noch genau, weil ich mit Herrn Wittke und mit vielen anderen gesprochen habe –, als der Gerichtsbeschluss kam. Die CDU konnte da aber schon nicht mehr zurück, obwohl einige Witterungspolitiker unterwegs waren und gefragt haben: Können wir sie an diesem Urteil „aufspießen“? Geht alles wieder zurück? – Nein, die Klugen, die Pragmatischen haben sich durchgesetzt. Und wir haben diesen Schulkonsens beschlossen. Und das ist gut so!