Protocol of the Session on May 15, 2014

36 Milliarden € – diese Summe ist zum Teil in Rückstellungen gebunden, die nicht in Geldform vorliegen, sondern in Form anderer Kraftwerksleistungen. Gleichzeitig soll eine Verhandlungssituation aufge

baut werden – das wird angekündigt –, in der man künftige Einnahmen aus Atomkraftwerken mit verrechnen und – das fand ich am spannendsten – in die man die Prozessrisiken einbringen will.

Meine Damen und Herren, das klingt in der Tat dreist. Das hört sich nach Ablasshandel an. Denn ein Prozessrisiko in geschätzter Höhe von

15 Milliarden € kann nicht ernsthaft ein Gegenwert bei Verhandlungen sein. Schließlich liegen diese 15 Milliarden € niemals auf der Haben-Seite für den Rückbau von Anlagen oder für die Lösung der Endlagerproblematik vor. Deswegen ist das eher eine Drohung. Andere sprechen vielleicht sogar von Erpressung. Das ist keine Frage. Umgekehrt muss man sich aber auch fragen, Herr Schulz: Ist es falsch, wenn die Energiewirtschaft jetzt wieder ernsthaft mit der Politik in Gespräche über diese sensible Frage kommt? Ich sage: Das ist sinnvoll.

Herr Schulz, es ist auch nicht so – das haben Sie vorhin gesagt und dabei aus einer Drucksache zitiert –, als hätten Sie jetzt die Fondslösung erfunden. Greenpeace hat das schon vor zwei Jahren in die Debatte eingebracht. Es gibt auch andere politische Kräfte im Saal, die da eher das Urheberrecht für sich reklamieren können als die Piratenfraktion.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Warum haben Sie nicht zugestimmt?)

Weil wir sensibel mit der Frage umgehen und wir uns auch damit beschäftigen müssen, was eigentlich eine angemessene Lösung ist.

Wenn wir die Ausgabenseite betrachten: Die Risiken des Rückbaus und der Endlagerproblematik sind unübersehbar. Man schätzt zwischen

500 Millionen und 1 Milliarde € pro Meiler. Bei der Frage, wie das Endlager aussehen kann, gibt es Schätzungen, die bis zu 10 Milliarden € hinaufreichen.

Von daher ist es aus meiner Sicht durchaus sinnvoll, sich einmal Gedanken darüber zu machen, ob der Kapitalstock in Höhe von 30 bis 40 Milliarden €, den man jetzt bei Rückstellungen hat, irgendwann einmal wirtschaftlich eingesetzt werden kann, um damit in Zukunft zusätzliche Risiken anzugehen. Ich halte das nicht für eine a priori falsche Überlegung.

Man muss an der Stelle mal herausarbeiten, dass das Problem eigentlich erst dadurch entstanden ist, dass in diesem Lande eine Atompolitik eingeleitet worden ist, die nicht auf dem Wege einer Verhandlungslösung – wie wir es damals bei Rot-Grün versucht haben – zustande gekommen ist, sondern durch einen strikten politischen Eingriff. Die vorherige Atompatronin Angela Merkel wurde quasi über Nacht zur Ausstiegskanzlerin und wollte Ruhe an der Atomfront. Diese hektischen Entscheidungen, dieser Zickzackkurs sind der eigentliche Grund für diese Problematik.

Meine Damen und Herren, deswegen sollten wir eine Risikobewertung in alle Richtungen vornehmen. Wenn Konzerne in völlige Schieflage geraten, werden auch Rückstellungen wertlos. Bereits heute sind massive Abschreibungen auf Kraftwerke vorgenommen worden, die als Rückstellungen dienen sollen. Hier offenbart sich der Konstruktionsfehler der Merkel‘schen Energiewende aus dem Jahr 2011: Man erklärt zwar, dass man als Industrieland nicht gleichzeitig aus Atomenergie und Kohle aussteigen könne, man konstruiert diese Wende aber so, dass neben der verordneten Abschaltung der Atomkraftwerke die Deckungsbeiträge aus dem sonstigen Energiepark, aus dem sonstigen Kraftwerkspark massiv abnehmen. Das ist heikel. An dieser Situation sind wir politisch nicht unschuldig. Es gilt also, die Sache nüchtern zu bewerten.

Konzerne, die über Jahrzehnte Gewinne mit Atomenergie eingefahren haben, dürfen in keinem Fall aus ihrer Verantwortung genommen werden. Wir werden auch nicht vergessen, dass die jetzige Konstruktion mit den steuerfreien Rückstellungen faktisch wirkt wie eine interne Bank. Experten gehen davon aus, dass dies in der Vergangenheit einen zusätzlichen Gewinn von mindestens 50 Milliarden € für die Energiewirtschaft bedeutet hat. Andererseits ist es schwierig, Rückbau und Endlagerung bei den Unternehmen anzusiedeln, die an dieser Technologie und an der Atomwirtschaft faktisch kein eigenes Interesse mehr haben. Das ist eine problematische Situation.

Deswegen unser Appell, nicht gesinnungsethisch an dieses Thema heranzugehen, wie Sie es gemacht haben, Herr Schulz, sondern verantwortungsethisch, wie Max Weber es uns vorgegeben hat. Er hat mal so schön gesagt: Verantwortlich fühlt sich der Gesinnungsethiker nur dafür, dass er die Flamme der reinen Gesinnung – zum Beispiel die Flamme des Protestes – nicht erlöschen lässt.

Wenn man verantwortungsethisch handelt, darf man eben nicht die voraussehbaren Folgen seines Handelns aus dem Blick verlieren. Es ist die Aufgabe von politisch Handelnden, eine Balance zwischen Verantwortungsethik und Gesinnungsethik hinzubekommen. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege van den Berg. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Witzel.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die aktuelle Rechtslage ist klar und sollte auch nicht geändert werden. Wir brauchen keine Bad Bank für den Umgang mit Kosten des Atomausstiegs. Die Kraftwerksbetreiber sind zur Entsorgung der radioaktiven Abfälle gesetz

lich eindeutig verpflichtet. Dabei soll es auch bleiben.

Die Kernenergierückstellungen sollen dabei gewährleisten, dass diese Verpflichtungen auch finanziell erfüllt werden können. Basis der Rückstellungen sind bestehende Verträge, Begutachtungen externer Experten sowie – für die Endlagerkosten – auch die Überprüfungen seitens des Bundesamtes für Strahlenschutz.

Dass diese Basis in den Rückstellungswerten berücksichtigt wird, überprüfen unabhängige Wirtschaftsprüfer. Die Berechnungen dieser Rückstellungen werden im Zuge der steuerlichen Betriebsprüfung ferner auch der Finanzverwaltung zugänglich gemacht.

Die Vorteile dieser bisherigen Lösung liegen auf der Hand: Die Anlagenbetreiber haften für öffentlichrechtliche Entsorgungsverpflichtungen mit ihrem gesamten Konzernvermögen. Die Haftung ist also ausdrücklich nicht begrenzt auf die speziell zur Bedienung der Rückstellungen auf der Aktivseite ausgewiesenen Mittel. Das erhöht die Insolvenzsicherheit. Die Rückstellungen sind verfügbar, wenn sie gebraucht werden. Die Abstimmung von Investitionsstrategie und Finanzplanung soll dabei sicherstellen, dass die benötigten finanziellen Mittel auch dann bereitstehen, wenn Zahlungen anfallen.

Die Fondslösung, die die Piraten immer gern ins Spiel bringen, hat natürlich hohe Risiken. Wenn Sie die Mittel in einen Fonds überführen, dann haftet eben nicht mehr als Haftungsmasse das gesamte Konzernvermögen, sondern ausschließlich der Anteil des Geldes, der in die Fondslösung überführt wurde.

Wenn Sie sich einmal nüchtern auch für die Zeit der Finanzmarktkrise, die hinter uns liegt, anschauen, welche Entwicklungen dort Anlagen genommen hätten, wenn eben nicht in unternehmerische Assets investiert worden wäre, sondern nur in Wertpapiere: Sie können in der Schweiz tatsächlich besichtigen, welche Abschreibungen da stattgefunden haben. Insofern war es, historisch gesehen, auch nicht der falsche Weg, der weniger Erträge in der Erwirtschaftung von Haftungsmasse entsprechend mit sich gebracht hat.

Es gibt klare gesetzliche Grundlagen. § 9a Abs. 1 Satz 1 des Atomgesetzes ist eben hier schon erwähnt worden. Zur Gewährleistung dieser Verpflichtungen gibt es genau das System der Rückstellungen. Der Staat käme in Ermangelung sonstiger Verpflichteter – das ist die Sorge, die Sie hier geäußert haben – nur dann ins Spiel, wenn die Betreiber selber wirtschaftlich nicht mehr in der Lage wären, ihre Entsorgungsverpflichtungen zu erfüllen.

Diese Situation muss selbstverständlich vermieden werden. Deshalb lassen wir keine Gelegenheit aus, auch wenn es hier um Diskussionen zur Reform des EEG geht, selbstverständlich zu thematisieren, dass

Energieversorgungsunternehmen auch wieder eine Perspektive in unserem Land bekommen müssen, betriebswirtschaftlich sinnvoll wirtschaften zu können.

Die Einrichtung von Anlagen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle ist gemäß § 9a Abs. 3 des Atomgesetzes Aufgabe des Bundes. Zur Deckung des notwendigen Errichtungsaufwandes – nicht für den Suchprozess nach dem bestmöglichen Endlager, aber für dessen Errichtung – werden nach der Endlagervorausleistungsverordnung von den Energieversorgungsunternehmen Vorausleistungen erhoben. Auch insoweit obliegt die Finanzierung also den Betreibern und nicht, wie oftmals in der öffentlichen Diskussion suggeriert, der öffentlichen Hand.

Wir haben im letzten Plenum bereits eine Debatte gehabt, ob es im weiteren Prozess des Kernenergierückbaus potenziell Belastungen für öffentliche Haushalte auch in unserem Land NordrheinWestfalen geben kann. Die Frage, welche finanziellen Verpflichtungen auf das Land NordrheinWestfalen im Worst Case noch zukommen können, hat Minister Schneider für die Landesregierung in der letzten Plenarsitzung wörtlich beantwortet mit dem Hinweis:

„Ich kann Ihre Fragen an dieser Stelle bei aller Liebe nicht beantworten, will dies aber auch nicht.“

Das war für uns Anlass, das Thema noch einmal in der letzten Sitzung des Haushalts- und Finanzausschusses unter die Lupe zu nehmen. Dort gab es den Bericht des Finanzministers, der klargestellt hat, dass keine absehbaren Kosten auf das Land Nordrhein-Westfalen zukommen werden und dieses Szenario nicht absehbar ist.

Deshalb darf ich an die Antragsteller appellieren: Lösen Sie gemeinsam mit uns das eigentliche Problem, das Sie in Ihrem Antrag meinen, nämlich dass die, die verpflichtet sind und die das selbstverständlich auch weiter bleiben sollen, als Energieunternehmen auch die Kosten für den Rückbau der Kernkraftwerke übernehmen, und dass wir einen Energiemarkt haben, in dem auch mit konventionellen Energien zukünftig betriebswirtschaftlich Energie produziert werden kann.

Herr Kollege.

Dann werden sich die Fragen der zukünftigen Kapitalausstattung auch so nicht stellen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Markert.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich war die politische Messe schon nach der ersten Runde hier gelesen.

(Beifall von Thomas Eiskirch [SPD] und Rai- ner Schmeltzer [SPD])

Aber einige wollten unbedingt noch eine zweite Runde. – Es erscheint mir wichtig, auf drei Aspekte noch einmal einen Blick zu richten.

Erstens. Vorhin ist insbesondere von Herrn Brockes, aber auch von Minister Duin die Frage gestellt worden: Ist das Thema nicht längst abgeräumt? Ich habe vorhin dazu gesagt: Es handelt sich wohl um einen Testballon. Selbst dann, wenn es keine Verhandlungen und keine Beschlüsse gegeben hat: Gespräche hat es wahrscheinlich gegeben.

Ich habe auch den Eindruck, wenn da nichts dran wäre, dann hätten die Konzerne längst laut und vernehmbar gesagt: Ist nichts dran, könnt ihr in die Schublade packen! Ein solches Dementi ist mir nicht bekannt. Deshalb bleibe ich dabei: Es war ein Testballon. Deswegen ist es auch gut, dass wir uns hier politisch positionieren.

(Beifall von Reiner Priggen [GRÜNE])

Zweitens. Herr Witzel, Sie haben in der Ihnen üblichen sehr leisen und zurückhaltend-vornehmen Art vorgetragen – Herr Brockes war da laut und vernehmbar –, dass Sie glauben, dass das Verursacherprinzip in die jahrhundertelange Zukunft gerichtet funktionieren würde. Da möchte ich Ihnen ehrlich sagen: Lieber Dietmar Brockes, ich habe großen Respekt vor Menschen, die Gottvertrauen haben. Aber diese Art von Konzernvertrauen, dass wir es auch in 100, 200 oder 300 Jahren noch mit RWE, E.ON oder deren Rechtsnachfolgern zu tun haben, kann ich nicht teilen. Da bin ich schon baff erstaunt, wie sehr Sie so weit in die Zukunft schauen können und wie weit Ihr Konzernvertrauen hier reicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es ist aller Ehren wert, lieber Herr Brockes, darüber nachzudenken, was denn eigentlich passiert, wenn ein Konzern wie RWE, was wir natürlich alle nicht wollen, in Konkurs fällt. Die haben immerhin Verbindlichkeiten von 30 Milliarden €. Da muss man doch darüber nachdenken, was wir aufgrund der langen strahlenden Zukunft von diesen Hinterlassenschaften letztendlich antworten, wenn die in Konkurs fallen. Da muss man sich einer Lösung annähern, die für den Steuerzahler und die Steuerzahlerin möglichst verträglich ist.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Das ist wohl war!)

Die Ewigkeitskosten in der Braun- und Steinkohle sind schon in langen Dimensionen. Darüber reden wir wahrscheinlich jetzt noch das ganze Jahrhundert. Aber bei der Atomkraft geht es über Hunderte,

über Tausende von Jahren. Da wird man sich doch einmal Gedanken darüber machen dürfen, ob es nicht legitim ist, die Rückstellung zumindest jetzt treuhänderisch zu verwalten.

Ich habe vorhin dazu gesagt: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Ich füge hinzu, lieber Herr Kufen – da bin ich doch noch einmal bei Ihnen –, es gibt auch eine Spekulation, und das wäre der dritte Aspekt in der Debatte:

Wie hoch sind eigentlich die Ausstiegs- und Entsorgungskosten?