Protocol of the Session on May 15, 2014

Wie positionieren sich neben uns die anderen? Die Grünen haben im Bundestag letzten Freitag eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung abgelehnt. Insofern gehen wir davon aus, dass die Grünen auch unserem Antrag heute in vollem Umfang zustimmen werden. Denn da steht nichts anderes drin.

(Beifall von der FDP und den PIRATEN)

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Wir Liberale sind nicht gegen Kriminalitätsbekämpfung. Deswegen halten wir eine begründete Vorratsdatenspeicherung in einem konkreten Ermittlungsverfahren für durchaus legitim und sachgerecht. Wir haben deswegen das sogenannte QuickFreeze-Verfahren in die Diskussion gebracht. Allerdings ist das etwas anderes als das, was CDU und SPD zurzeit diskutieren.

SPD und CDU wollen weiterhin an einer schrankenlosen Speicherung festhalten. Dies halten nicht nur wir für rechtswidrig. Wir möchten, Herr Minister, dass Sie sich auf der Innenministerkonferenz dafür einsetzen, dass wir keine anlasslose Vorratsdatenspeicherung in Deutschland bekommen. Wir möchten nicht, dass auch Nordrhein-Westfalen dazu beiträgt, die Bürgerinnen und Bürger unter Generalverdacht zu stellen. Ich bitte Sie daher, unserem Antrag zuzustimmen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Orth. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Körfges.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs ist ausgewogen, differenziert und juristisch anspruchsvoll, nimmt eine Abwägung zwischen zwei grundrechtsrelevanten Positionen vor und unterscheidet sich insoweit wohltuend vom vorgelegten Antrag der FDP-Fraktion, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Wir haben hier einen FDP-Antrag zu diskutieren, der schon im Antragstext zeigt, worum es Ihnen geht. Das wird auch in den weiteren Ausführungen klar. Es geht nicht um eine inhaltlich sorgfältige Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs. Ich hätte gern einer Überweisung des Antrags zugestimmt, um gegebenenfalls vertiefter über unterschiedliche Positionen zu dem Thema im Ausschuss reden zu können. Jetzt

werden wir aus unterschiedlichen Gründen nicht anders können, als Ihren Antrag abzulehnen.

Zu Wahlkampfzwecken für den Europawahlkampf ist der Antrag bedingt tauglich, zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung leider nicht. Ich will darauf eingehen, warum ich dieser Ansicht bin: Wir haben es bei dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes mit einer Entscheidung zu tun – ich denke, man kann sagen, unabhängig davon, ob man der Meinung ist, dass die Nutzung und der Abruf von Telekommunikationsdaten generell abzulehnen ist oder unter bestimmten Voraussetzungen zur Bekämpfung von Kriminalität für rechtlich zulässig gehalten wird –, die nicht etwa jeder Form von Kommunikationsdatenspeicherung eine Absage erteilt, sondern – wenn man das Urteil genau anschaut – in einigen Punkten sehr deutlich Grenzen einzieht.

Ich sage Ihnen in aller Offenheit: Ich selbst bin jemand, der das für problematisch hält. Das sage ich hier auch. Ich befinde mich da in guter Gesellschaft, zum Beispiel des Bundesjustizministers, der in Tradition seines Hauses sehr deutlich eine Meinung dazu geäußert hat. Nur halte ich die andere Position auch für erwägenswert, weil ich der Auffassung bin: Man darf nicht ohne Weiteres hingehen und die Rechte auf Freiheit, Sicherheit, körperliche Unversehrtheit, die Gefahr von terroristischen Anschlägen als Anlass zur Seite legen.

Insoweit haben wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten überhaupt kein Problem damit, zu sagen: Ja, wir wollen und werden uns an das Urteil des Europäischen Gerichtshofs halten und es beachten.

Darüber hinaus widerspricht aber – und das ist der Punkt, den ich ärgerlich finde – der in Berlin geschlossene Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD dieser Haltung in keiner Weise. Wer den Vertrag an den entscheidenden Stellen liest, wird bemerken, dass es nur logisch ist, wenn Heiko Maas feststellt, dass dem Koalitionsvertrag an dieser Stelle die Grundlage entzogen ist. Ich zitiere jetzt den Koalitionsvertrag wörtlich:

„Wir werden die EU-Richtlinie über den Abruf und die Nutzung von Telekommunikationsverbindungsdaten umsetzen. Dadurch vermeiden wir die Verhängung von Zwangsgeldern durch den EuGH.“

Meine Damen und Herren, seit dem 8. April 2014 steht fest: Es gibt keine Zwangsgeldandrohung mehr, weil es die EU-Richtlinie nicht mehr gibt. Ich denke, wir sollten uns jetzt die nötige Zeit lassen und abwarten, was die Europäische Union nach der Europawahl – ich denke, das ist die eigentliche Motivation für den Antrag – weiter veranlasst; denn die Bedingungen, die dort festgelegt werden, sind nicht ohne.

Es wird nicht gesagt, eine Speicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten sei insgesamt

unzulässig. Es wird nur der Anlassbezug sehr deutlich hinterfragt und auch die Wirksamkeit eines solchen Mittels.

Herr Kollege Körfges, …

Alle diejenigen, die daran interessiert gewesen wären, sich vernünftig mit den unterschiedlichen Positionen auseinanderzusetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, hätten sich in ein normales parlamentarisches Verfahren mit uns begeben sollen. Stattdessen sind Sie hingegangen und haben kurz vor Toresschluss versucht, Ihre Position zurückzuerobern, die Sie einst als liberale Bürgerrechtspartei einmal hatten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, an dieser Stelle will ich Ihnen einen kleinen Hinweis nicht ersparen.

Herr Kollege Körfges, dann lassen Sie mich an dieser Stelle einen kleinen Hinweis geben; Sie haben gerade eine Pause gemacht. Entschuldigung, dass ich versucht habe, Sie zu unterbrechen. Herr Kollege Dr. Orth würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Klar, können wir machen.

Herr Kollege Körfges, Sie haben ja gerade Ihre Position ausgeführt. Dem habe ich entnommen, dass Sie eigentlich schon eine Meinung haben. Dann frage ich Sie, warum Sie nicht den Mut haben, dies durch die Abstimmung heute auch kundzutun.

Die Abstimmung, die Sie von uns verlangen, ist überflüssig, weil wir das Urteil des Europäischen Gerichtshofs auch ohne Ihren Antrag natürlich beachten werden. Darüber hinaus wird eine Seite der zu diskutierenden Probleme bei Ihnen vollkommen ausgeblendet. Meine persönliche Meinung – da haben Sie recht – steht seit einiger Zeit fest.

Jetzt lassen Sie mich aber gerade in Ihre Richtung etwas sagen. Ich halte es für ausgesprochen schwierig, wenn die Kritik an der Vorratsdatenspeicherung ausgerechnet von einer Partei kommt, die tatsächlich einmal die Online-Durchsuchung im Rahmen der Revision des Verfassungsschutzgesetzes für ein probates Mittel gehalten hat.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wer vom Verfassungsgericht auf diese Art und Weise auf die Bretter geschickt worden ist, hat sicherlich anderen keine Belehrungen über Bürger

rechte zu machen. Die Position, die Sie zurückzuerobern versuchen, ist zwischenzeitlich von anderen besser besetzt, auch hier in diesem Hause. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Lohn.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, man sollte bei dieser Diskussion erst einmal das Ergebnis erarbeiten, bevor man hier Ergebnisse mitteilt. Deswegen sage ich für die CDU-Fraktion: Wir waren vor dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs der Meinung, dass Vorratsdatenspeicherung wichtig und für die Sicherheitsorgane erforderlich ist. Wir würden uns auch dafür einsetzen, nach intensiver Diskussion und einer Auswertung des Urteils eine rechtskonforme Möglichkeit für die europaweite Vorratsdatenspeicherung zu finden. Dafür gibt es gute Gründe.

Wir können es uns nicht erlauben, schwere Fälle von Kriminalität, wie zum Beispiel Kinderpornografie oder organisierte Kriminalität, nicht aufzuklären, obwohl wir die Möglichkeiten dafür schaffen könnten. Eindrucksvoll mit Zahlen belegt hat das die Gewerkschaft der Polizei. Ein Viertel der Fälle von Kinderpornografie in den vergangen drei Jahren – 268 von 1.020 Fällen – konnte nur aufgrund der Tatsache nicht aufgeklärt werden, dass die Vorratsdatenspeicherung fehlte. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das ist aus unserer Sicht ein unhaltbarer Zustand. Deswegen sprechen wir uns grundsätzlich klar für die Vorratsdatenspeicherung aus.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wir befinden uns da mit den wesentlichen Sicherheitsexperten im Land im Einklang. Und das ist ein Argument, das man nicht zu gering schätzen sollte.

Gelegentlich werden mit unzutreffenden Aussagen Ängste geschürt. Darum will ich noch einmal ausdrücklich betonen: Bei der Vorratsdatenspeicherung werden – in Klammern: nur – Verbindungs- oder Verkehrsdaten, also Telefonnummern, IP-Adressen, Ort und Zeit, gespeichert. Es werden keinerlei Kommunikationsinhalte gespeichert.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Das wäre ja noch schöner!)

Der tatsächliche Zugriff auf diese Verbindungsdaten wird nur beim Verdacht schwerster Straftaten vorgenommen und soll auch dann dem Richtervorbehalt unterstellt werden. Deswegen, Kollege Orth – wir sind ja ganz oft einer Meinung –: In diesem Fall fängt die Überwachung erst dann an, wenn Zugriff auf die Daten genommen wird. Die bloße Speiche

rung bei irgendeinem Unternehmen ist nicht schon eine Überwachungsmaßnahme.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Das übernimmt die NSA ja schon!)

Der FDP-Antrag stellt nun – ähnlich wie die Anträge von Grünen und beachtenswerterweise auch von den Linken im Bundestag in der vergangenen Woche – die Forderung auf, sofort und völlig auf die Vorratsdatenspeicherung zu verzichten.

Wir sind der Auffassung, dass dies die falsche Schlussfolgerung ist. Vor allem aber erfolgt sie zum falschen Zeitpunkt. Im Jahr 2010 hat das Verfassungsgericht die deutsche Rechtsnorm zur Vorratsdatenspeicherung gecancelt, und am 8. April dieses Jahres hat der Europäische Gerichtshof die EURichtlinie 2006/24 zu Recht – ich betone: zu Recht – für nichtig erklärt.

(Zuruf von den PIRATEN: Daraus sollte man eine Lehre ziehen!)

Was einige aber nicht wahrhaben wollen: Gleichzeitig wurde in beiden Urteilen der höchsten Gerichte auch ausgeführt, dass eine Vorratsdatenspeicherung trotzdem sinnvoll und auch rechtlich möglich ist.

Das Bundesverfassungsgericht führt dazu aus – ich zitiere –:

„Der Gesetzgeber kann mit einer Regelung legitime Zwecke verfolgen, für deren Erreichung eine solche Speicherung im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geeignet und erforderlich ist.“

Hört, hört!

Der Europäische Gerichtshof stellt in demselben Zusammenhang fest, dass

„angesichts der wachsenden Bedeutung elektronischer Kommunikationsmittel die nach dieser Richtlinie auf Vorrat zu speichernden Daten zusätzliche Möglichkeiten zur Aufklärung schwerer Straftaten bieten und insoweit daher ein nützliches Instrument für die strafrechtliche Ermittlung darstellen.“

Auch das ist beachtenswert.

Beide höchsten Gerichte haben erfreulicherweise in ihren Entscheidungen festgehalten, unter welchen Voraussetzungen man rechtskonforme Regelungen schaffen kann. So sagt das Bundesverfassungsgericht zum Beispiel: Das Vieraugenprinzip ist wichtig, die physische Trennung der Daten von den öffentlichen Netzwerken, der Einsatz von Verschlüsselungstechnologien etc.

Ähnlich geht auch der Europäische Gerichtshof vor. Er wertet die in der EU-Richtlinie beschriebene Datenspeicherung zu Recht einerseits als sehr starken Eingriff in die Grundrechte aus den Artikel 7 und 8 der EU-Charta, beschreibt aber gleichzeitig eine