Meine Damen und Herren, eines möchte ich nicht: dass wir auf der einen Seite diejenigen haben, die sich anstrengen, wieder in Arbeit zu kommen, die sich auf Neues und auch Unbequemes einlassen, während es auf der anderen Seite wenige Personen gibt, die mit ihrer Verweigerungshaltung zum Ausdruck bringen, dass sie das alles nichts angeht.
Wer bei solchen Personen nicht auch Sanktionsmittel in der Hand hat und sie mit Fingerspitzengefühl und im richtigen Ermessen einsetzt, verhält sich unfair demjenigen gegenüber, der mitzieht und alles tut, diese Situation für sich zu verbessern.
Wer pauschaler Kritik und Vorwürfen gegen Arbeitslose entgegentreten will, muss an der Möglichkeit festhalten, auch Sanktionen zu verhängen. Deshalb teile ich auch die Formulierung im Antrag nicht, dass diese Sanktionen moralisch umstritten seien.
Ich sage Ihnen etwas anderes: Ich halte es für moralisch höchst umstritten, staatliche Leistungen zu empfangen und dabei die Regeln nicht einzuhalten. Das ist niemandem, der durch seine Steuern und Abgaben diese Sozialleistungen erst ermöglicht, zu erklären. Rechte und Pflichten gehören zusammen. Wir würden auch all denjenigen, die sich jeden Tag im Jobcenter bemühen – egal auf welcher Seite des Schreibtischs – keinen Gefallen tun.
Meine Damen und Herren, deshalb werbe ich für einen differenzierten Blick auf die Situation. Der vorliegende Antrag erbringt diese notwendige Differenziertheit allerdings nicht. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Kerkhoff. – Für die grüne Landtagsfraktion spricht jetzt Frau Kollegin Maaßen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der „Lindenstraße“ macht uns aktuell Klaus Beimer deutlich, was es heißt, als Arbeitslosengeld-II-Bezieher von Transferleistungen abhängig zu sein.
Sein Beispiel macht deutlich, was es heißt, fehlende Augenhöhe im Beratungsprozess zu erfahren und von Sanktionen betroffen zu sein.
Benny Beimer hat jedoch ein Hilfesystem im Rücken: Familie und Freunde und nicht zuletzt seine Mutter Helga. Dies haben die meisten nicht.
Von Sanktionen Betroffene müssen unter dem Existenzminimum leben, das das Bundesverfassungsgericht jedem Menschen ausdrücklich zugesprochen hat. Fragt sich eigentlich niemand im Bund, ob den Hilfebedürftigen das Existenzminimum durch Sanktionen überhaupt ganz oder teilweise entzogen werden darf? Fragt sich eigentlich niemand, was mit diesen Menschen passiert? – Ich kann es Ihnen sa
Da, Herr Kerkhoff, unterscheiden wir uns ganz deutlich; denn Sie sprechen von Rechten und Pflichten. Grundsätzlich haben Sie sicherlich recht. Aber Rechte und Pflichten unterhalb eines Existenzminimums kann man nur sehr kritisch sehen. Das darf es eigentlich nicht geben.
Sanktionen sind dem Rechtsstaat nicht fremd. Manchmal sind sie auch notwendig. Ein Mensch darf durch Sanktionen jedoch nicht in seiner Existenz gefährdet werden.
Die Arbeitsmarktpolitik des Bundes schränkt Förderung ein und weitet Sanktionen aus. Die Zahl der neu ausgesprochenen Sanktionen stieg seit 2007 von rund 785.000 auf über 1 Million in 2012.
70 % werden wegen Meldeversäumnissen ausgesprochen. Bereits vor drei Jahren haben wir diese Problematik hier im Plenum diskutiert; das wurde eben schon angesprochen. Wir haben die Landesregierung beauftragt, auf ein Sanktionsmoratorium hinzuwirken. Mit einigen Initiativen auf Bundesebene wurde dieser Auftrag auch wahrgenommen.
Ihr Antrag, liebe Piraten, ist also nichts Neues. Dennoch freut es uns, dass Sie ebenfalls die Sanktionen kritisieren.
Der vollständigen Aussetzung des § 39 SGB II können wir jedoch nicht beitreten. Gleichwohl bedarf es hier einer Änderung. Durch den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Widersprüchen und Klagen wird Bezieherinnen und Beziehern von existenzsichernden Leistungen nur ein geringer Rechtsstatus zugeschrieben. De facto heißt das: ALG-IIEmpfänger bekommen das Existenzminimum bzw. das, was dafür gehalten wird. Dies kann dann aber gekürzt und sanktioniert werden. Und wenn man sich wehrt, widerspricht oder klagt, bleibt das Existenzminimum trotzdem auf den Konten des Jobcenters.
Nicht akzeptabel sind die verschärften Sanktionen für Menschen unter 25 mit einer Kürzung von bis zu 100 %. Dies gehört – das unterstützen wir auch – abgeschafft. Dieses Vorgehen, meine Damen und Herren, steht in krassem Widerspruch zu den Einschätzungen der Kinder- und Jugendhilfe. Gerade bei den Heranwachsenden oder jungen Erwachsenen wird von einer Entwicklungsphase ausgegangen, die eine besondere Unterstützung und Förderung begründet.
Bei der grünen Forderung nach einem Sanktionsmoratorium geht es zunächst darum, Sanktionen auszusetzen, die derzeitige Praxis in den Jobcentern zu überprüfen und den gegenwärtigen Sanktionsparagrafen grundlegend zu überdenken.
Im Hartz-IV-System rücken leider allzu oft nur die persönlichen Schwächen der Menschen in den Vordergrund, ihre Defizite in der Qualifizierung, ihre Defizite in der Lebensführung. Mit den Sanktionen wird noch eines draufgesetzt: Es wird demotiviert und gedemütigt. Sanktionen sind unnötig und kontraproduktiv.
Aus grüner Sicht ist hier ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel nötig. Wir müssen positiv motivieren, positiv verstärken, statt negativ zu sanktionieren. Wir brauchen ein Wunsch- und Wahlrecht der Arbeitssuchenden in den Jobcentern, ein Verbandsklagerecht sowie Ombudsstellen, um Konflikte frühzeitig auf Augenhöhe zu lösen.
Wir brauchen eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit fairen Regeln auf Augenhöhe. Bis dahin gehört das derzeitige Sanktionssystem ausgesetzt. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher auf der Tribüne! Eins vorab: Ich schließe mich Frau Jansen an und bedanke mich bei den Mitarbeitern in den Jobcentern für den Job, den sie gemacht haben. Angesichts aller Härte finde ich das wirklich gut. Das kann man, glaube ich, auch parteiübergreifend sagen.
Auch aufgrund deren Arbeit hat sich in den vergangenen fünf Jahren die Zahl der Hartz-IV-Empfänger glücklicherweise fast halbiert. Unsere Arbeitslosenquote ist gesunken. Wir haben 42 Millionen Erwerbstätige und mit 5,9 % in Europa die niedrigste Arbeitslosenquote.
Worüber reden wir im Zusammenhang mit dem Antrag der Piraten? – Wir reden über die Grundsicherung für Arbeitssuchende und – das hat bisher noch niemand erwähnt – für Arbeitsfähige. Sonst befänden wir uns ja im Bereich der Sozialhilfe. Diesen Arbeitssuchenden und Arbeitsfähigen soll das soziokulturelle Existenzminium mit Hilfe des Arbeitslosengeldes II gewährt werden. Im Kern gehört dazu auch das Fördern und Fordern aus dem Sozialgesetzbuch II. Dazu gehören auch die Sanktionen, die eine Motivierung und Disziplinierung der Arbeitssuchenden bewirken sollen. Das ist der Kern.
Aber was führt zu diesen Sanktionen? – Das kann man ganz einfach strukturieren: Da sind zum Beispiel Meldeversäumnisse oder die Weigerung, Arbeit, Ausbildung oder eine Maßnahme anzutreten,
Oder es geht auch um die Weigerung, eine Eingliederungsvereinbarung zu schließen. Eine solche Vereinbarung zu schließen, ist das zentrale – fast hätte ich „Organ“ gesagt – Thema.
Trotzdem: Diese Eingliederungsvereinbarung wird von allen unterschrieben. Es gibt dann auch keine Sanktionen.
Dennoch ist die Zahl der Sanktionen ganz massiv sinkend. Die Länge der Sanktionen beträgt eigentlich grundsätzlich drei Monate. Zwei Ausnahmen gibt es, zum einen bei versicherungswidrigem Verhalten und zum anderen – es wurde gerade schon genannt – eine Kürzung der Sanktionen auf sechs Wochen bei den unter 25-Jährigen. Dies ist allerdings stark konditioniert. Dazu muss man eine besonders gute Mitarbeit bei der Eingliederung zeigen. Kollege Sommer, ich möchte nicht alle Paragrafen noch einmal in den Raum werfen.
Es machen sich aber auch zwei gegensätzliche Entwicklungen bemerkbar: Zum einen sind es die Sanktionen nach dem Meldeversäumnis, die komischerweise stark zugenommen haben. Zum anderen haben sich die Sanktionen bei Aufnahme oder Fortführung von Maßnahmen, Ausbildung oder Arbeit stark halbiert. Das führt letztendlich zu einer Erkenntnis: Nur 3 % der Betroffenen sind von Sanktionen berührt. Ich wage einfach einmal zu sagen, dass das ein wohl etwas harter Kern ist.
Gesondert betrachten sollte man die Sanktionsquote bei den unter 25-Jährigen. Wahrscheinlich hängt das auch mit dem Betreuungsschlüssel in den Jobcentern zusammen. Der beträgt nämlich 1:79, während er bei den Erwachsenen bei 1:156 liegt. Das heißt: Je enger man betreut, desto enger ist man – es ist fast wie beim Fußball – am Ball, am Gegner oder – in diesem Fall – Kunden und kann eher Sanktionen veranlassen.
Liebe Martina Maaßen, es tut mir leid. Ich muss dir sagen: Ja, wir begrüßen gerade bei den jungen Arbeitslosen die Sanktionierung, die sich noch in der Endphase des Jugendalters oder gerade an der Schnittstelle zum Eintritt ins Erwerbsleben befinden. Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit würden gefördert, mithin Tugenden, wie sie die jungen Klienten oder Klientinnen auch im Arbeitsleben brauchen. Machen wir uns an der Stelle nichts vor! – Das wurde auch in einem Forschungsprojekt des IHB bestätigt und wird im Prinzip von allen Seiten abgesegnet.
Liebe Piraten, wir wollen nicht nur Kritik üben. Viel wichtiger ist uns, dass man überlegt, was man viel
leicht anders machen kann. Ich sagte es gerade schon: Sanktionen betreffen nur 3 % der Leute. Leider habt ihr keinen Abgeordneten in die Schweiz mitgeschickt, sondern einen Referenten, der nicht alles mitgeschrieben hat, und zwar zum Beispiel, dass in der Schweiz die Zeiten für die Förderung länger als sechs Monate betragen, aber gleichzeitig nicht auf Sanktionen verzichtet wird.
Wir würden es beispielsweise unterstützen, das Ganze noch einmal zu revidieren und zu überprüfen, ob nicht in Härtefällen wirklich doch mehr als sechs Monate gegönnt werden müssen, damit sich die Betroffenen wirklich wieder ins Arbeitsleben integrieren können.
Abschließend: Den 3 % steht eine weitere Menge, nämlich 97 %, gegenüber. Was sollen diese 97 %, die sich integriert haben und Arbeit annehmen, sich ausbilden lassen, über die 3 % sagen, die dann auch keine Sanktionen mehr erfahren?
Ganz zum Schluss: Man kann mit Blick auf die niedrigen Arbeitslosenzahlen feststellen, dass Sanktionen einen positiven Effekt auf die Motivierung und Disziplinierung der Arbeitssuchenden haben. Wir diskutieren gerne weiter über dieses Thema und stimmen der Überweisung in den Ausschuss zu. – Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.