Protocol of the Session on May 16, 2013

(Beifall von der FDP – Lachen und Zurufe von der SPD)

Hohe Kriminalität in Nordrhein-Westfalen! Die neue polizeiliche Kriminalstatistik, Bund, sagt: NordrheinWestfalen ist erneut das Flächenland mit der meisten Kriminalität, hohen Fallzahlen, niedrigen Aufklärungsquoten, dazu keine

(Zurufe von der SPD und Sigrid Beer [GRÜNE])

überzeugenden Konzepte oder Visionen, wie Sie die Lage verbessern wollen. Diejenigen, die die Kriminalität in Nordrhein-Westfalen bekämpfen sollen – unsere Polizeibeamten, Staatsanwälte und Richter –, stehen in diesen Tagen draußen vor dem Landtag, sind stinksauer und fühlen sich von Ihnen betrogen. Sie sind als Innenminister neben dem Finanzminister auch für Besoldung mitverantwortlich.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vor der Wahl wurde viel versprochen, nach der Wahl alles gebrochen. Das sagen jetzt die Polizeibeamten, Staatsanwälte und Richter. Nichts ist mit den Gewerkschaften der Polizei, der Richter oder der Staatsanwälte besprochen worden. Man hat sie vor vollendete Tatsachen gestellt. Polizeibeamte kofinanzieren nun Ihre teuren Wahlgeschenke, müssen jungen Juristen das Studium zahlen. Das ist doch die derzeitige Situation in Nordrhein

Westfalen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP)

Aber zurück zur polizeilichen Kriminalstatistik: Danach verzeichnet Baden-Württemberg eine landesweite Aufklärungsquote von 57,7 %, Bayern von 63,2 %, Niedersachsen von 61 %, Hessen von 58 % usw. Alle Nachbarn sind besser als wir mit 49,1 %. Mit anderen Worten. 773.000 der 1,5 Millionen Straftaten in Nordrhein-Westfalen bleiben unaufgeklärt. Das heißt, für mehr als die Hälfte aller Straftaten in NRW kann seitens der Polizei nicht einmal ein Tatverdächtiger ermittelt werden.

Zur Statistik und zu Ihnen, Herr Stotko: Es ist doch klar, viele der Städte mit über 200.000 Einwohnern und hohen Häufigkeitszahlen, also Taten pro Bevölkerung, liegen in Nordrhein-Westfalen. Ich gebe Ihnen recht, über die Aussagekraft und die richtige Auslegung der PKS kann man trefflich streiten. Das ist in den Medien auch schon erfolgt. Weil die Straftaten an der Einwohnerzahl und nicht an der Zahl der Menschen, die sich tatsächlich in der Stadt bewegen, gemessen werden, ergebe dies ein völlig unrealistisches Bild. Das haben Sie uns gerade dargestellt, Herr Stotko.

(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD] – Hans- Willi Körfges [SPD]: Gut! – Weitere Zurufe von der SPD)

Ja, ich spreche im Konjunktiv. – Auch Sie, Minister Jäger, haben sich gestern laut dpa-Meldung gegen den Ländervergleich gewehrt, weil er die völlig unterschiedliche Siedlungsstruktur außen vor lasse, die Mehrheit der Menschen in Nordrhein-Westfalen

lebe in großstädtischen Ballungszentren, wo die soziale Kontrolle geringer und die Tatgelegenheiten häufiger seien als auf dem Land. Wie sagten Sie gestern noch? Man vergleiche Äpfel mit U-Booten.

Aber ich frage mich dann schon, warum die PKS in Nordrhein-Westfalen, also Ihre eigene Statistik, Herr Jäger, ebenfalls Häufigkeitszahlen für die 47 Kreispolizeibehörden veröffentlicht bzw. das Innenministerium auf Kleine Anfragen herausgibt. Der bundesweite Ländervergleich basiert doch auch auf Häufigkeitszahlen.

Herr Minister und sehr geehrter Herr Kollege Stotko, Sie müssen sich schon entscheiden, was man denn vergleichen darf. Bitte wehren Sie sich nicht mit vollem Einsatz gegen Ihnen vielleicht unangenehme Statistiken, sondern wehren Sie sich stattdessen lieber gegen die Kriminalität in diesem Land!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Machen wir es konkret am Beispiel Einbruch fest! Wir haben schon einen umfassenden Antrag hierzu eingebracht. Festzustellen ist in Nordrhein

Westfalen eine erschreckend niedrige Aufklärungsquote von nur 13,8 % bei Wohnungseinbrüchen, wobei einzelne örtliche Kreispolizeibehörden teilweise noch deutlich darunter liegen. Köln liegt bei etwa 6,29 %, der Kreis Düren bei nur 7,89 %. Die Millionenstadt Köln und der Kreis Düren sind also bei der Aufklärung von Wohnungseinbrüchen gleich schlecht, obwohl laut Minister Jäger die soziale Kontrolle auf dem Land höher sein sollte.

Natürlich kann man auch große Städte wie Köln oder Düsseldorf anhand von Häufigkeitszahlen grob mit München und Frankfurt vergleichen, gerade weil beim Wohnungseinbruch die Opfer – das ist der Unterschied zum Vatikan, Herr Stotko – in der Regel keine Pendler, Messebesucher oder Touristen sind, sondern in der Stadt wohnen. Wenn man sich die Zahlen anschaut, ist der Vergleich absolut ernüchternd. In München beträgt die Aufklärungsquote ganze 23,3 %, in Köln, wie gesagt, 6,29 %. Das heißt fast 94 % der Wohnungseinbrecher müssen sich offenbar in Köln überhaupt keine Sorgen machen. Noch schlimmer, wenn nicht aufgeklärt wird, kann auch nicht angeklagt werden.

Zudem ist völlig unbefriedigend, dass bislang ein Vergleich mit der Strafverfolgungsstatistik nicht erreicht wird. Denn niemand weiß heute sicher, wie viele der im Jahr 2012 ermittelten Tatverdächtigen tatsächlich bestraft wurden, geschweige denn, wie.

Wie man die Statistik auch lesen mag, fest steht: Auf den innenpolitischen Dauerbaustellen herrscht seitens der Landesregierung Stillstand. Während sich die Beamten vor Ort mühen – das möchte ich ausdrücklich betonen –, verwehrt ihnen die Landesregierung die notwendigen Rahmenbedingungen für eine erfolgreichere Arbeit. Zweimal im Jahr kommt der Minister mit einem Großaufgebot im Medienscheinwerferlicht vorbei und baggert ein bisschen

für einen Tag in der Baustelle herum, sei es beim Blitzmarathon oder bei einer Einbrechergroßaktion. Das nützt den Beamten vor Ort genauso viel wie die Tatkrafttour der Ministerpräsidentin den besuchten Unternehmen. Man zeigt kurz Interesse, erscheint in dem Medien, und letztlich bleibt vor Ort alles beim Alten.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das zeigt Hilflosigkeit, Resignation in der Landesregierung bei vielen Konzepten, vielen Visionen und engagiert angegangenen Zielen. Stattdessen gibt es etliche Baustellen. Gehen Sie es an!

Nur einige Beispiele:

Zur Einbruchskriminalität haben wir zum Beispiel mit unserem Antrag und dem Sofortprogramm „Beute zurück“ einen klaren Vorschlag gemacht.

Auch zum Themenfeld „Gewalt im Umfeld von Fußball“ hat die FDP einen Antrag vorgelegt. Der Innenminister zeigt auf die Fußballverbände und lässt seine Polizeibeamten gegenüber den Gewalttätern allein im Regen stehen. Wozu das führt, konnten wir am Wochenende in der Düsseldorfer Altstadt sehen, als 300 Nürnberger Chaoten gezielt und aggressiv Polizeibeamte angriffen. Es erfolgt immer wieder dieselbe Reaktion von Minister Jäger: Er zeigt sich darüber empört, bleibt aber tatenlos.

Ein anderes sensibles Thema ist Vergewaltigung und besonders schwere Fälle der sexuellen Nötigung. Entgegen einem bundesweit überschaubaren Anstieg hat NRW einen Anstieg von besorgniserregenden 17,1 % zu verzeichnen, ein Plus von 330 Fällen. Was unternehmen Sie hier als Reaktion auf die massiv gestiegenen Fallzahlen?

Oder zur Jugendgewalt: Was ist der aktuelle Sachstand beim Projekt „Kurve kriegen“? Warum läuft die Umsetzung der Handlungsempfehlung der Enquete Prävention so schleppend, etwa beim Ausbau der Häuser des Jugendrechts und bei weiteren Projekten?

(Thomas Stotko [SPD]: Weil Sie dem Haus- halt nicht zugestimmt haben!)

Ein weiterer Punkt ist die Computer- und Internetkriminalität. Auch hier haben wir mit einer Steigerungsrate von 13,2 % deutlichen Handlungsbedarf. Wie will ein Innenminister des bevölkerungsreichsten Bundeslands glaubwürdig gegen steigende Internet- und Computerkriminalität vorgehen, wenn die Polizei auf ihrer Internetseite nicht einmal ein zentrales Fahndungsportal vorhält oder moderne Fahndungsmöglichkeiten im Internet und darüber im Netz kaum genutzt werden?

(Beifall von der FDP und der CDU)

Es geht darum, NRW tatsächlich und nicht nur auf dem Papier sicherer zu machen. Dafür brauchen wir gute Rahmenbedingungen und ausreichend motivierte Beschäftigte und endlich eine Landesregie

rung die überzeugende innenpolitische Konzepte und Visionen präsentiert und umsetzt. Denn wenn Sie so weitermachen wie jetzt, wird NRW in Sachen Kriminalitätsbekämpfung bald völlig den Anschluss an vergleichbare Länder verlieren. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Lürbke. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Düker.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Präsident! Am 12. Mai titelte die Online-Ausgabe der „Welt“ im Vorgriff auf die Veröffentlichung der PKS von Bundesinnenminister Friedrich am 15. Mai: Frankfurt/Main deutsche Hauptstadt des Verbrechens. Denn bei der oft zitierten sogenannten Häufigkeitszahl – Straftaten pro 100.000 Einwohner – rangiert Frankfurt mit 16.310 Straftaten an erster Stelle, Düsseldorf steht mit 14.966 an zweiter Stelle, und Köln zählt 14.590 Straftaten.

Die PKS und diese Aussage wurden daraufhin zur sogenannten Unstatistik des Monats gekürt, einer Aktion von Wissenschaftlern, die damit dazu beitragen wollen, dass Daten und Fakten korrekt interpretiert werden. Mit der Berechnung der Straftaten auf 100.000 Einwohner – im Übrigen nicht der Verbrechen, Herr Biesenbach, wie Sie mit Ihrer Aktuellen Stunde behaupten, etwas mehr Genauigkeit wäre da sicher hilfreich – werden völlig verzerrte Bilder der wirklichen Kriminalitätsbelastung gezeichnet, weil nur die Einwohner, nicht aber die Menschen berechnet werden, die sich tagtäglich in der Stadt aufhalten.

Beispiel Frankfurt: 150.000 Fluggäste täglich. Und der Flughafen gehört zum Stadtgebiet, anders als in München, wo es auch einen Flughafen mit vielen Fluggästen gibt, aber der Flughafen München gehört nicht zum Stadtgebiet und wird deshalb nicht mit in die Kriminalitätsstatistik einberechnet.

Beispiel Debitkartenbetrug: Debitkartenbetrug wird nicht an dem Ort, wo der Betrug begangen wurde, registriert, sondern am Standort des Kreditunternehmens. Vielleicht ist es in der CDU und FDP schon angekommen: Frankfurt hat die eine oder andere Bank bzw. das eine oder andere Kreditinstitut.

Auch meine Heimatstadt Düsseldorf wird wieder als Hort des Verbrechens bezeichnet. Auch hier zur Sachlage: Wir haben in Düsseldorf 1,4 Millionen Messegäste jährlich, 300.000 Pendler und Pendlerinnen täglich. Mehr als die Hälfte der Beschäftigten pendelt täglich in die Stadt Düsseldorf. Wir hatten 2012 über 20 Millionen Fluggäste, also fast 60.000 Fluggäste täglich. Wenn die Straftaten nun auf all diese Menschen bezogen berechnet würden und

man ein anderes System nähme, würde sich die Lage völlig anders darstellen. Unter Umständen wäre München immer noch – man muss es sportlich nehmen – im oberen Bereich, aber Düsseldorf würde nicht mehr auf Rang 2, sondern im guten Mittelfeld rangieren.

Auf NRW bezogen dasselbe: Auf 100.000 Einwohner gibt es 8.510 Straftaten. Traditionell und auch nachvollziehbarerweise liegt NRW oben auf der Skala. Auch hier ist der Bund-Länder-Vergleich komplett statistischer Unsinn, da es nirgendwo sonst in Deutschland so viele Großstädte, so viele Ballungsräume mit komplett anderen Deliktsstrukturen als in ländlichen Räumen gibt.

Stichwort „Ländliche Räume“: Schauen wir uns die einmal an. Nehmen wir einmal den Kreis Lippe. Im Kreis Lippe werden pro 100.000 Einwohner 4.524 Straftaten begangen. Jetzt machen wir einen Vergleich mit Bayern, aber den richtigen Vergleich, Herr Biesenbach: Das Polizeipräsidium Oberbayern Süd hat auf 100.000 Einwohner 4.518 Straftaten registriert. Ich sage mal: Die Lipperinnen und Lipper leben genauso sicher wie die in Oberbayern. Das ist auch richtig so, denn nur so kann man die Dinge miteinander vergleichen. Diese Vergleiche brauchen wir auch nicht zu scheuen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Denselben Äpfel-mit-Birnen-Vergleich gibt es bei der Aufklärungsquote. Die These – hier mehrfach skandalisiert vorgetragen – lautet: Das stagniert auf einem ganz niedrigen Niveau bei derzeit 49,1 %. Stimmt, das ist nicht sehr hoch! Aber Sie konstruieren hier einen Skandal, weil Thüringen doch tatsächlich eine Aufklärungsquote von 64,3 % hat. Angesichts dessen wäre das eine Katastrophe. Wenn Sie redlich wären – Konjunktiv! –, würden Sie nicht Bundesländer mit komplett unterschiedlichen Siedlungs- und Bevölkerungsstrukturen und damit anderen Deliktsstrukturen und anderen Aufklärungsmöglichkeiten vergleichen. Nehmen wir doch einmal Ihre eigene Regierungszeit von 2005 bis 2010. Wir vergleichen einmal NRW mit NRW, NRW SchwarzGelb mit NRW Rot-Grün. 2007 betrug die Aufklärungsquote 29,2 %. Tatsächlich war sie 0,1 % höher. „Wow!“, kann ich da nur sagen. Herzlichen Glückwunsch!

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Und 2008 war sie 0,2 % höher. Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Das macht doch alles keinen Sinn! Ich werfe Ihnen ja auch nicht vor, dass, als Ihre Zahlen bei der Aufklärungsquote niedrig waren, Sie eine schlechte Sicherheitspolitik betrieben haben. Sie sollten wirklich mit den unwürdigen Statistiktricks und mit dem Klamauk aufhören. Wie schlimm muss es eigentlich um die einstige sogenannte Partei der inneren Sicherheit bestellt sein,

Herr Biesenbach, wenn Sie zu Ihrer eigenen Profilierung auf so billige Tricks aus der Mottenkiste zurückgreifen müssen? Platter geht es nicht!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wenn – auch hier wieder der Konjunktiv –, ja wenn Sie ein ernsthaftes Interesse daran hätten, über Sicherheit zu reden, dann würden Sie erstens andere Diskussionsgrundlagen wählen, nämlich die Dinge, die man miteinander vergleichen kann, und zweitens würden Sie sich mit konstruktiven Vorschlägen den Problemen widmen, die wir in der Tat haben und vor denen man sich auch nicht wegducken darf. Diese Probleme sind ja auch benannt worden.