Sehr geehrter Herr Finanzminister, wir haben häufiger gerügt, dass Sie es mit Zahlen nicht so ernst nehmen. Gerade haben Sie wieder einmal einen Beleg dafür geliefert: Der Grundfreibetrag ist von 8.004 € auf 8.130 € erhöht worden. Das sind 126 €, aber nicht 300 €, von denen Sie gesprochen haben. Haben Sie Verständnis dafür, dass wir Ihre anderen Zahlen auch anzweifeln müssen?
Aber am Ende geht es doch nicht um diese Frage, sondern darum, dass Sie zur Freistellung des verfassungsmäßig geforderten Grundeinkommens insgesamt 20 Millionen € brauchten, um das darzustellen. Nach meiner festen Erinnerung wurde das um 300 € erhöht, bin aber gerne bereit, Wetten anzunehmen. Dann können wir gucken, wie das im Einzelnen ausgeht. An dieser Stelle aber geht es darum, dass von 2 Milliarden € 20 Millionen € gebraucht würden, würde man das Grundeinkommen steuerfrei stellen.
Wir sind sogar noch einen Schritt weitergegangen. Im Bundesrat haben CDU und FDP gesagt: Wenn Ihr nur das Grundeinkommen freistellt, führt das dazu, dass es anschließend beim Einstieg eine Steuererhöhung gibt. Das ist natürlich – auf Deutsch gesagt – völliger Blödsinn, weil das für alle eine Steuersenkung bedeutet. Wir haben aber weitere 600 Millionen € denjenigen zugestanden, die hinter der Grenze des Grundeinkommens liegen. Das heißt: Zusammen mit diesem Schritt und dem, was der Sachverständigenrat in seinem Gutachten festgestellt hat, dass nämlich in der Vergangenheit die Progression durch andere steuerliche Erleichterungen immer wieder gemildert worden ist, befinden wir uns überhaupt nicht in diesem Horrorgemälde, das Sie immer darstellen.
Um es noch einmal zu sagen: Verzichtet man auf dieses Geld, dann muss man entweder Kredite in dieser Höhe oder Kürzungen bei denjenigen wollen, die Sie vorher als die Zielgruppe beschrieben haben, für die Sie die Belastung senken wollen. Diese Gruppe muss das mit dem Geld aus der einen Tasche bezahlen, was Sie in die andere Tasche hineinstecken. Es ist keine Missachtung dieser Gruppe
von Einkommensbeziehern, sondern ein ehrlicher Umgang, den Leuten zu sagen: Lasst euch nicht aufs Glatteis führen. Die versprechen euch an der einen Stelle Geschenke, die sie euch an der anderen Stelle wegnehmen wollen. – Das gilt erst recht mit der Steuer- und Schuldenbremse als Begründung, die am Ende eine Bildungsbremse, Infrastruktur- und Sicherheitsbremse sind. – Danke.
Danke schön, Herr Minister. – Bleiben Sie bitte am Pult, Herr Minister. Wir beide veranstalten jetzt eine Premiere. Wir beide und die anderen sind Premierengäste. Uns ist eine Kurzintervention angemeldet worden. Sie wissen, dass es sich dabei um ein neu eingeführtes Instrument handelt, um unsere Parlamentsdebatte ein bisschen lebendiger zu machen.
Beim ersten Mal ist es noch nicht ganz so lebendig, weil ich noch zwei Regieanweisungen geben muss. Erste Regieanweisung: Der Redner, die Rednerin bleibt am Pult. Zweite Regieanweisung: Die Kurzinterventionistin oder der Kurzinterventionist bleibt am Platz, drückt bitte wie beim Stellen einer Zwischenfrage auf seine Mikrofontaste, sodass wir dieses Mikrofon freigeben können. Dann wird vom Platz aus innerhalb von 90 Sekunden die Kurzintervention getätigt. Anschließend hat der Redner, die Rednerin am Pult die Möglichkeit, innerhalb von 90 Sekunden auf diese Kurzintervention zu antworten. – So ist der Vorgang, den ich auch für das Publikum noch einmal erklärt habe.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich glaube, das Thema ist angemessen, um zum ersten Mal das neue Instrument einzusetzen, und zwar insbesondere nach dem, was Sie gerade dargelegt haben, Herr Finanzminister.
Mehr als ein Jahrzehnt lang haben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland Reallohnverzicht geübt. Dank dieser klugen Tarifpolitik hat sich unser Arbeitsmarkt als außerordentlich robust erwiesen. Jetzt schließt beispielsweise die IG Metall mit 3 % ab. Damit bekommen die Menschen aus der Mitte der Gesellschaft ihren fairen Anteil am Aufschwung, können aber davon nicht profitieren, weil der Staat das Steuersystem nicht an die allgemeine Preisentwicklung anpasst.
Es widerspricht unserem Verständnis von Leistungsgerechtigkeit, dass der Staat mehr vom Aufschwung hat als diejenigen, die ihn erarbeitet ha
ben. Sie schlagen die Dämpfung der kalten Progression im Bundesrat kaputt. Da verweigern Sie sich und machen nur das, was von Verfassungswegen notwendig ist. Dann werden Untersuchungen veröffentlicht, wonach der Staat im nächsten Jahr 3 Milliarden € an zusätzlichen Steuereinnahmen erzielen wird, weil das Steuersystem nicht an die allgemeine Preisentwicklung angepasst wird. Und dann kommt Herr Kühl, bemerkenswerterweise der sozialdemokratische Finanzminister von RheinlandPfalz, und sagt, man müsse unbedingt etwas an der kalten Progression machen, weil die zulasten der Arbeitnehmer gehe. Das ist Heuchelei: erst kaputtschlagen und danach fordern, dass man etwas an der kalten Progression tun soll!
Das war jetzt eine Kurzintervention? Ist ja interessant. – Ich möchte Ihnen nur sagen: Wenn Sie mit dieser Intervention meinen rheinland-pfälzischen Kollegen in Geiselhaft nehmen wollten, dann lasse ich das nicht zu; denn im Unterschied zu Ihnen beziehe ich mich nicht nur auf Sekundärlektüre, sondern ich rede mit dem Kollegen auch schon einmal.
Der hat im Übrigen nach dieser Berichterstattung gegenüber den Medien deutlich gemacht, dass er auf genau derselben Linie geantwortet und gesagt hat: Wir als Staat können uns das gar nicht leisten. Dann soll doch der Bund einmal zeigen, wie er diesen Unterschied, den die Länder bezahlen müssen, bezahlen will. Daraus ist dann wieder die wunderschön auf Lindner‘sche Art formulierte Wiedergabe von Wirklichkeiten geworden. Das ist der eine Punkt.
Zweitens finde ich es interessant, dass Sie Reallohnverzicht über Jahre hinweg am Ende dadurch ausgleichen wollen, dass das aus Steuermitteln vom Staat aufgewogen wird. Das ist ganz interessant; denn Sie hatten in der Zeit, als die Menschen verzichtet haben und die Unternehmen entlastet worden sind, eben auch keine kalte Progression. Da gab es eher einen Rückgang der Besteuerung. Das ist der Punkt.
Jetzt wird wieder draufgelegt und gesagt, dass der öffentliche Haushalt wieder die Lücken füllen muss, während er auf der anderen Seite anschließend hingehen und wieder Schulden machen soll. Das wollen Sie nicht. Das heißt, es dringt doch an allen Ecken durch: Sie wollen Demontage staatlicher Leistungen. Das soll das Ergebnis sein.
So, kurze 90 Sekunden! Danke schön. – Herr Minister, Sie haben jetzt eine Doppelpremiere, denn es ist noch eine Kurzintervention angemeldet worden. Es macht mir richtig Spaß, muss ich sagen. Sie stammt in dem Fall von Herrn Priggen. Herr Priggen macht jetzt das Mikrofon auf und erhält 90 Sekunden für eine Kurzintervention. Herr Minister, Sie haben dann noch einmal Gelegenheit, ihm 90 Sekunden lang zu antworten. Wie kurz sie sind, merken jetzt alle. – Bitte schön, Herr Priggen.
Herr Lindner hat mich mit seiner Intervention dazu verleitet. Ich habe in Erinnerung, dass wir gar kein Problem damit haben, die beklagte Ungerechtigkeit der kalten Progression zu beseitigen. Das aber, was Sie eben wieder gemacht haben, war ein typisches Beispiel dafür, dass wir wieder bezahlen sollen. Das Land soll dafür bezahlen. Gehen Sie zum Bund. Das sollten Sie mit unserer Unterstützung machen können. Hätten Sie den Spitzensteuersatz erhöht, hätten Sie die kalte Progression auch beseitigen können; aber das wollen Sie nicht.
Einfach um die Hausnummer klar zu benennen: Nach meinem Kenntnisstand betragen die Kosten für das Land Nordrhein-Westfalen – so wie von Herrn Lindner geplant – 360 Millionen € pro Jahr. Das sind 7.500 Stellen, die wir einsparen müssen, um dieses Geschenk machen zu können.
An der Stelle gilt als Prinzip: Das zulasten anderer zu machen – das ist das Leitprinzip dieser Bundesregierung –, geht so nicht. Wir haben nichts dagegen, den Spitzensteuersatz zu erhöhen und die kalte Progression zu beseitigen. Das ist in Ordnung. Das darf aber nicht einseitig wieder beim Land abgeladen werden. Wir haben diese 360 Millionen € an der Stelle nicht über. – Danke schön.
Ich kann das nur bestätigen und kann auch sagen: Herr Krückel hat eben den wunderschönen Hinweis gebracht, dass damit die Kaufkraft verloren geht. Die wird zum Beispiel, wenn man dann keine Studiengebühren erhebt, wiedergegeben. Und das ist dann allerdings ein Wahlgeschenk.
Wenn dann im Übrigen auch noch gesagt wird, das sei ein Wahlgeschenk, muss ich sagen: Wenn jedes Mal verteufelt wird, dass man ein Wahlversprechen, das man vorher gegeben hat, hinterher auch einhält, dann finde ich es schon einen sehr bemerkenswerten Umgang damit, was man vor Wahlen sagt und nach den Wahlen machen will.
Eines muss ich noch zu Herrn Krückel sagen, der ganz spitzfindig mit den Zahlen arbeiten wollte. Herr Krückel, im Jahr 2014 steigt das steuerfreie Grundeinkommen um über 300 € und nicht um über 100 € an. Es ist ein Zweischrittverfahren. Im ersten Jahr sind es Ihre ungefähr 100 €. Ich weiß jetzt nicht ganz genau, wie viel es ist. Ich weiß nur – das ist das, was am Ende dauerhaft fehlt –, dass es bei der vollen Anrechnung dann, ich glaube, sogar 8.304 € sind. Da müssten wir auch noch einmal nachsehen, damit Sie nicht meinen, es ginge 1 € verloren. Um diese Größenordnung ging es aber. – Danke.
Danke schön, Herr Minister. – Mehr als zwei Kurzinterventionen sind von den Fraktionen nicht vereinbart worden. Insofern sind wir genau im Rahmen des Vereinbarten geblieben. Ich finde, es hat ganz gut funktioniert. Herzlichen Dank.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zu einer – das hat die FDP-Fraktion beantragt – direkten Abstimmung. So wollen wir verfahren. Wer stimmt dem Inhalt des Antrages Drucksache 16/2620 zu? – FDP-Fraktion, CDU-Fraktion und eine Stimme aus der Fraktion der Piraten. – Wer stimmt gegen diesen Antrag? – SPD-Fraktion, die Fraktion der Grünen und große Teile der Piratenfraktion. Wer enthält sich? – Bei einer Enthaltung aus der Fraktion der Piraten ist der Antrag somit mit großer Mehrheit in direkter Abstimmung abgelehnt.
im Geschäftsbereich des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen