Protocol of the Session on April 6, 2017

Ich möchte in diesem Zusammenhang gerne noch einen weiteren Punkt ausführen. Nachdem Ende 2011 klar war, dass die Morde und Anschläge auf

das Konto des NSU gingen, wurde die BAO „Trio“ eingerichtet, um die Geschehnisse entsprechend aufzuarbeiten. An dieser BAO „Trio“ waren natürlich auch nordrhein-westfälische Beamte beteiligt. Unter anderem nahm man dort auch den Fall „Michael Berger“ unter die Lupe. Der Rechtsextreme Michael Berger hatte im Jahr 2000 drei Polizisten ermordet. Damals wurde nicht ermittelt, wie genau Berger in die rechte Szene verstrickt war.

Im Jahr 2012 erfolgte die erneute Überprüfung durch die BAO „Trio“. Dafür wurden aber ausgerechnet die Beamten eingesetzt, die auch schon im Jahr 2000 ermittelt hatten – die Beamten überprüften somit ihre eigene Arbeit. Damit wird jeder ernsthafte Aufklärungswille konterkariert.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Was also bleibt am Ende dieses Parlamentarischen Untersuchungsausschusses festzuhalten? Festzuhalten bleibt, dass die Zusammenarbeit einzelner Behörden bei der Aufarbeitung der Anschläge unprofessionell bis unverantwortlich war. Es bleibt festzuhalten, dass mangelnde Kenntnisse, fehlende Erfahrungswerte im Umgang mit Rechtsterrorismus sowie Unstimmigkeiten über Zuständigkeiten dazu geführt haben, dass wichtigen Spuren und wichtigen Hinweisen bei der Aufklärung der Morde nicht mit der nötigen Sorgfalt nachgegangen wurde.

Dieser Arbeitsauftrag war kein leichter – geschuldet der Tatsache, dass es hier um Aufklärung ging und diese Aufklärung in unmittelbarem Zusammenhang von Anschlägen mit Toten und Verletzten sowie deren Angehörigen stand.

Das verlangte zum einen eine hohe Sensibilität gegenüber den Opfern, es erwartet zum anderen Hartnäckigkeit in der Sache, um dem Aufklärungsanspruch des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses gerecht zu werden. Beidem ist der Ausschussvorsitzende – sind Sie, lieber Herr Wolf – stets nachgekommen. Dafür meinen persönlichen Dank an Sie, aber auch den Dank von meinem Kollegen Joachim Stamp.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Auch den Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen möchte ich ausdrücklich danken – zum einen für die schon mehrfach angesprochene Kollegialität, die in diesem Ausschuss uneingeschränkt herrschte, zum anderen aber auch für die freundliche Aufnahme meiner Person, die ich ja nun doch sehr spät in die Arbeit des Ausschusses eingestiegen bin. In diesen Dank möchte ich ausdrücklich alle Referentinnen und Referenten einschließen. Sie haben gerade in der Schlussphase weit über das Normalmaß

hinaus gearbeitet und Früh- und Nachtschichten eingelegt – keine Selbstverständlichkeit.

Last but not least geht mein Dank auch an das Ausschusssekretariat, allen voran Frau Soboll für ihren Einsatz, und für den Einsatz der vielen weiteren Mitarbeiter in diesem Ausschuss.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD, der CDU und den PIRATEN)

Es war mitunter bestimmt nicht immer leicht, und die Zusammenarbeit zum Ende hin vielleicht auch ein wenig holprig – vorrangig aber sicher auch der Tatsache geschuldet, dass wir alle unter einem enormen Zeitdruck standen, den Abschlussbericht noch rechtzeitig fertig zu bekommen.

Dies ist uns gelungen: Der Bericht ist fertig geworden. Unsere Arbeit, die Arbeit des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, ist getan, auch wenn nicht alle Fragen beantwortet werden konnten. Die Arbeit, die notwendigen Verbesserungen in den verschiedenen Sicherheitsbehörden umzusetzen, muss weiterhin vorangetrieben werden. – Herzlichen Dank.

(Allgemeiner Beifall)

Vielen Dank, Frau Kollegin Gebauer. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Marsching.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf der Tribüne und zu Hause! Zunächst einmal eine kurze Erklärung, auch wenn Herr Wolf es gerade schon gesagt hat: Ich darf für die Kollegin Rydlewski sprechen, die krankheitsbedingt leider nicht hier stehen kann und die mich gebeten hat, ihre Rede zu übernehmen.

Auch ich möchte mit dem auch in der fünften oder sechsten Rede obligatorischen Dank – erst einmal an Sie, Herr Wolf, für die Arbeit als Vorsitzender des Ausschusses, aber auch für die Mitglieder des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses – hier Herr Schatz und Frau Rydlewski. Gerade bei Frau Rydlewski möchte ich mich besonders bedanken; denn sie hat sich besonders dafür eingesetzt, dass dieser Untersuchungsausschuss überhaupt stattfinden konnte.

Bedanken möchte ich mich auch bei den Mitarbeitern in der Verwaltung und bei den Mitarbeitern der Fraktionen, die es möglich gemacht haben, dass wir nun einen über tausendseitigen, sehr umfassenden Bericht auf dem Tisch liegen haben.

Die Arbeit des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum NSU hat gezeigt, dass die Einsetzung dieses Ausschusses dringend notwendig und

richtig war. Es gab im Zusammenhang mit den vom NSU begangenen Straftaten, bei den Ermittlungen zu den Morden von Michael Berger in Dortmund, zu dem Anschlag am S-Bahnhof Düsseldorf-Wehrhahn sowie auch dem Tod von Thomas Richter zahlreiche Fehler von Polizei, von Staatsanwaltschaft und vom Verfassungsschutz.

Der Untersuchungsausschuss konnte diese Fehler aufzeigen, teilweise den Ursachen dafür auf den Grund gehen und hat gemeinsame Handlungsempfehlungen entwickelt, damit solche Fehler – und das sollte immer die Aufgabe sein – in Zukunft möglichst nicht mehr vorkommen.

Als besonderes Versagen der Ermittlungsbehörden müssen der Umgang mit den Opfern und die Ermittlungen gegen diese genannt werden – es war nämlich unglaublich erschreckend, mit welcher Konsequenz insbesondere auch bei dem Nagelbombenanschlag in der Keupstraße in Köln gegen Opfer ermittelt wurde.

Über Jahre hinweg wurden diese verdächtigt: es wurde ihnen unterstellt, mehr über die Taten und über die Hintergründe zu wissen, und dieses Wissen auch noch vor der Polizei zu verheimlichen.

Den Opfern wurde vorgeworfen, dass sie selber in kriminelle Machenschaften verwickelt seien, und sie wurden oftmals wie Täterinnen und Täter und eben nicht wie Opfer behandelt. Dies erschwerte es den Opfern zusätzlich und vollkommen unnötig, mit den schrecklichen Taten und ihren Folgen zu leben. Die Anschuldigungen durch die Polizei beruhten lediglich auf vagen Verdachtsäußerungen und entbehrten jeder vernünftigen Grundlage. Auch als dies offensichtlich war, ermittelte die Polizei einfach weiter im Umfeld der Opfer.

Dabei ignorierten Polizei und Staatsanwaltschaft die zahlreichen Hinweise darauf, dass die Taten rassistisch motiviert waren. Aussagen der Opfer, operative Fallanalysen, Hinweise auf vergleichbare Taten durch andere Neonazis – all das, wir haben es gehört, wurde konsequent ignoriert und dementsprechend auch nicht in diese Richtung ermittelt.

Das Festhalten an der Ansicht, dass Opfer mit einem wie auch immer gearteten migrantischen Hintergrund selbst in die Tat verwickelt sein müssen, und das gleichzeitige Ausblenden von anderen Hintergründen für die Taten sind deutliche Zeichen für einen institutionellen Rassismus in den beteiligten Behörden. Die handelnden Personen müssen nicht einzeln und bewusst rassistisch gehandelt und gedacht haben, aber die Strukturen und die allgemeinen Handlungs- und Denkmuster innerhalb der Ermittlungsbehörden führten klar zu einer enormen Benachteiligung der Opfer nur und gerade aufgrund ihrer migrantisch geprägten Herkunft.

Leider muss festgestellt werden, dass innerhalb der Institutionen diese diskriminierenden Muster auch heute nicht als solche erkannt und auch benannt werden. Das jedoch wäre der erste, dringende und richtige Schritt, um dieses Problem endlich zu bekämpfen.

(Beifall von den PIRATEN)

Doch nicht nur im Bereich von Polizei und Staatsanwaltschaft wurden im Laufe der Arbeit des Untersuchungsausschusses Missstände sichtbar. Ganz deutlich wurde auch wieder, dass der Verfassungsschutz eine so nicht mehr länger tragbare Institution darstellt. Nach Bekanntwerden des NSU konnte der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz so gut wie keine relevanten Informationen zur Aufarbeitung beisteuern – und das, obwohl mit großem, insbesondere auch finanziellem Aufwand zahlreiche V-Personen in der rechten Szene geführt wurden. Dadurch wird auch noch, wenn auch unbeabsichtigt, punktuell dazu beigetragen, dass mit staatlichen Geldern über die V-Leute der Aufbau der rechten Szene begünstigt wird.

Der Verfassungsschutz hat jedoch nicht nur zu wenige Informationen gesammelt und die vorhandenen Informationen unzureichend oder schlecht ausgewertet, er hat auch an anderer Stelle erhebliche Defizite: Auf keiner Ebene findet eine wirksame Kontrolle der Arbeit dieses Dienstes statt. Es wurden Personen als V-Leute geführt, die durch Waffengeschäfte aufgefallen sind. Geld aus dem Aussteigerprogramm wird zur Führung von V-Personen verwendet. Informationen werden nicht weitergegeben, und für niemand ist so richtig nachvollziehbar, was eigentlich genau dort passiert. Die Kontrolle des Verfassungsschutzes durch dieses Parlament ist völlig unzureichend, denn auch das parlamentarische Kontrollgremium hat keinerlei Möglichkeiten, ernsthaft zu prüfen, ob es wirklich zeitnah und umfassend alle relevanten Informationen vorliegen hat und informiert wird.

Eine solche Institution ist meiner Meinung nach sehr bedenklich und so nicht tragbar. Der Verfassungsschutz gehört daher in der jetzigen Form abgeschafft.

(Beifall von den PIRATEN)

Auch an dieser Stelle ist durch die Arbeit des Untersuchungsausschusses deutlich geworden, an welchen Stellen Handlungsbedarf besteht. Insbesondere war dies durch die fraktionsübergreifende und gute kollegiale Zusammenarbeit möglich. Allen beteiligten Personen sei hiermit der Dank von Birgit Rydlewski ausgerichtet und entsprechend natürlich auch von mir.

An zu vielen Stellen konnte der Ausschuss seinem Auftrag leider jedoch nicht in dem Maß nachkommen, in dem wir uns das gewünscht hätten. Das lag

auch daran, dass am Ende schlicht die Zeit gefehlt hat, um weitere Zeuginnen und Zeugen zu vernehmen und weitere Akten auszuwerten.

Es gab jedoch auch andere Gründe dafür, dass der Untersuchungsausschuss nicht weiter zur Aufklärung beitragen konnte, denn viel zu oft haben Zeuginnen und Zeugen vor dem Ausschuss angegeben, dass sie sich nicht erinnern können – auch das haben wir schon gehört –, oder sie haben erst gar keine Aussagegenehmigung bekommen. Akten wurden teilweise erst recht spät – ich würde sagen, viel zu spät – geliefert, und oftmals waren Akten auch ohne ersichtlichen Grund so eingestuft, dass eine öffentliche Thematisierung ihrer Inhalte nicht möglich war. Auch im Abschlussbericht konnten zahlreiche Inhalte aus angeblichen Geheimschutzgründen nicht dargestellt werden.

All diese Hindernisse haben bedauerlicherweise zur Folge, dass der Untersuchungsausschuss einzelnen Sachverhalten nur unzureichend nachgehen konnte bzw. die gewonnenen Erkenntnisse dann nicht öffentlich darstellen darf. Das ist schade.

Eine Untersuchung, deren Ergebnisse nicht dargestellt werden dürfen, ist wirkungslos und damit eigentlich auch sinnlos. Und außerdem entspricht es auch nicht Sinn und Zweck von Untersuchungsausschüssen, wenn die Behörden, deren Handeln eigentlich kontrolliert werden soll, am Ende zumindest mitentscheiden, welche Untersuchungsergebnisse veröffentlicht werden.

Auch nach Abschluss des Untersuchungsausschusses sind zahlreiche Fragen offen. Die Opfer, ihre Angehörigen und die Öffentlichkeit haben jedoch ein Recht darauf, dass eine weitere Aufklärung der Taten und der Strukturen, die sie ermöglicht haben, stattfindet. Dafür muss endlich viel tiefgreifender ermittelt werden, über welche Kontakte der NSU nach Nordrhein-Westfalen verfügte, ob bzw. welche Personen aus Nordrhein-Westfalen Unterstützungsleistungen erbracht haben. Die Ermittlungen dazu waren bisher völlig unzureichend.

Zum Abschluss möchte ich noch einmal darauf zurückkommen, was die Taten des NSU und andere rechte Gewalttaten eigentlich so unerträglich macht: nämlich das Leid der Menschen, die von dieser Gewalt betroffen sind, weil sie nicht in das menschenverachtende Weltbild der Nazis passen. Diese Menschen jedoch verdienen gesellschaftliche Aufmerksamkeit und unsere Solidarität. Außerdem müssen wir alle diese menschenverachtende Gewalt und ihre verbale Vorboten immer und überall konsequent benennen und bekämpfen. Wehret den Anfängen! – Danke.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Marsching! – Die Aussprache ist damit beendet, und ich stelle fest, dass der Landtag den Abschlussbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses III – NSU – Drucksache 16/14400 zur Kenntnis genommen hat.

Ich rufe auf:

7 Gesetz zur Änderung der Verfassung für das

Land NRW

Gesetzentwurf der Fraktion der SPD, der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/13313 – Neudruck

Beschlussempfehlung und Bericht des Hauptausschusses Drucksache 16/14679

zweite und dritte Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPDFraktion Herrn Kollegen Körfges das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte an dieser Stelle nicht wiederholen, was wir anlässlich der Einbringung und in vielen Beratungen im Rahmen der Verfassungskommission zu dem Thema gesagt haben. Ich möchte an einen Grundgedanken anschließen, an eine Handlungsmaxime, die im Oktober 1969 durch Willy Brandt für die Sozialdemokratie formuliert worden ist. Er hat bei seiner ersten Regierungserklärung gesagt: „Wir wollen mehr Demokratie wagen.“ – Gemessen an dem Anspruch, der damals artikuliert worden ist und sich auf die Überwindung verkrusteter Strukturen bezog, ist das, was wir, die antragstellenden Fraktionen, heute zur Abstimmung stellen, ein ganz geringes Wagnis.