Protocol of the Session on April 5, 2017

(Ralf Witzel [FDP]: Sie wollen sie verfallen las- sen!)

Das nicht. – Dazu gehört als erste Entlastung der Verzicht auf die Einrede zur Verjährung bis 2020 zum forcierten Abbau von Mehrarbeitsstunden. Dazu gehört die erweiterte Möglichkeit der finanziellen Kompensation. Dazu gehört auch die Erprobung von Lebensarbeitszeitkonten, die flexible Lösungen ermöglichen können. Und dazu gehört vor allem der für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter notwendigste und sicherste Weg zum Abbau und zur Vermeidung von Mehrarbeitsstunden, nämlich der entsprechende Personalausbau. Diesen notwendigen Personalausbau gerade bei unserer Polizei haben wir im Jahr 2010 auf hohem Niveau begonnen, zuverlässig verstetigt, und wir haben vor, ihn noch zu erweitern.

Also, unser Verständnis von Fürsorgeverpflichtung ist: Wir halten uns an die Verabredungen mit den Gewerkschaften und Berufsverbänden mit dem Ziel einer gemeinsam getragenen Ausgestaltung von Lebensarbeitszeitkonten. Wir kümmern uns um individuelle Lösungen und um hinreichend Personal, und genau das, Herr Kollege Witzel, ist das Zeichen, das die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von uns erwarten und das wir ihnen geben. Daher lehnen wir diesen FDP-Antrag ab. Wir nehmen Mehrarbeitsstunden unserer Landesbediensteten eben nicht als unvermeidbar hin. Wir schaffen Lösungen. – Danke schön.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Lux. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Lohn.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Um es gleich zu Anfang zu sagen: Überstunden kann und darf es ruhig in jedem Betrieb geben, also auch im Bereich des öffentlichen Dienstes; denn Beamte sind nach dem Landesbeamtengesetz sogar verpflichtet, fünf Stunden im Monat mehr oder weniger ohne Ausgleich zu leisten. Das machen sie auch ohne großes Murren. Deshalb an dieser Stelle an alle Beamtinnen und Beamten:

Wir möchten Ihnen Respekt und Anerkennung aussprechen und dafür danken, dass Sie trotz der widrigen Umstände dennoch immer noch mit großem Engagement arbeiten!

(Beifall von der CDU und der FDP – Stefan Zimkeit [SPD]: Jetzt hören Sie am besten auf!)

Das ist aber bei Weitem nicht selbstverständlich; denn landesweit konnten wir Ende 2015 in der Landesverwaltung schon über 5 Millionen Überstunden verzeichnen. Ich glaube kaum, dass diese 5 Millionen Überstunden immer zwingenden dienstlichen Verhältnissen geschuldet sind. Es ist vielleicht auch einfach ein Versagen der Führung – der politischen Führung.

Wenn ein Land als Arbeitgeber versagt und faktisch nichts gegen einen Überstundenberg von über 5 Millionen Stunden unternimmt, dann ist das kein gutes Zeichen; denn ein verantwortungsbewusster und fürsorglicher Arbeitgeber darf nicht jahrelang tatenlos zusehen, wenn millionenfache Überstunden zum Dauerzustand werden.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ihrer Meinung nach immer so mitarbeiterfreundliche SPD dürfte angesichts dieser Mehrarbeitsmisere eigentlich gar nicht mehr ruhig schlafen können. Aber ich glaube, die Genossen schlafen ganz gut; denn wenn es um die längst überfällige Aufgabenkritik oder eine verlässliche und gerechte Regelung von Arbeitszeiten, den Abbau von Überstunden oder zum Beispiel die flächendeckende Einführung von Lebensarbeitszeitkonten geht, dann ist schon seit Jahren ein seliger Tiefschlaf festzustellen. Also – Fehlanzeige!

Da hilft es auch nichts, Frau Lux, wenn Sie darauf hinweisen, dass Lebensarbeitszeitkonten kommen sollen. In meiner Heimat, der Polizeibehörde in Soest, wird jetzt ein Modellprojekt gestartet. Es reicht aber nicht aus, wenn man in zwei Behörden im Land ein Modellprojekt ankündigt. Damit wird das Problem in keiner Weise gelöst werden können.

Fatalerweise ist es so, dass im Bereich der Polizei heute schon deutlich über 4 Millionen Überstunden vorhanden sind. Das macht über 80 % aller Überstunden aus. Wenn man dann sieht, dass es im Bereich der Polizei schon seit Ende des Jahres 2015 gar keine Arbeitszeitverordnung mehr gibt, weil die alte schlicht und einfach ausgelaufen ist und die Regierung es versäumt hat, für eine neue zu sorgen, dann muss man sich nicht wundern, dass es auch keine effektiven und wirkungsvollen Konzepte gegen den Überstundenberg gibt.

Herr Minister Jäger, Sie wissen sicherlich, dass nach § 61 Landesbeamtengesetz für geleisteten Mehrdienst innerhalb eines Jahres Freizeitausgleich zu gewähren ist – zu gewähren ist, betone ich extra

noch einmal, nicht kann. Daran gibt es nichts zu deuteln. Fakt ist aber leider auch, dass effektiver Überstundenabbau bei zu wenig Personal auf der einen Seite und ständig steigenden Einsatzbelastungen auf der anderen Seite kaum kurzfristig zu realisieren ist; insbesondere dann nicht, wenn das vorhandene Personal bei der Polizei noch für blödsinnige und zudem absolut unwirksame Blitzmarathons verheizt wird.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dafür sind Sie verantwortlich, Herr Jäger.

(Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommu- nales: Wie viele Stunden werden denn ver- heizt?)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, umso unverantwortlicher ist es, dass der Innenminister, obwohl er weiß, dass die Überstundenberge kurzfristig wohl kaum abzubauen sind, nicht auf die Regelung verzichten will, dass Überstunden nach drei Jahren verjähren bzw. verfallen, wenn sie ab 2015 entstanden sind.

Ich frage Sie, Herr Jäger: Was würden SPD und Grüne sagen, wenn ein Arbeitgeber der Privatwirtschaft seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern so etwas sagen würde?

(Beifall von der CDU und der FDP – Torsten Sommer [PIRATEN]: Entschuldigung, aber das ist normal!)

Sie würden als selbst ernannte Hüter der Gerechtigkeit skandieren: „Sauerei! Ausbeutung!“. Hier bei uns sitzen nach diesen Grundsätzen die Ausbeuter auf der Regierungsbank.

(Beifall von der CDU)

Wenn man mit der Anzahl der Überstunden bei der Polizei offen und ehrlich umgehen würde, dann könnte man sagen, man wolle Transparenz herstellen und man stelle sich dem Problem. Doch das Gegenteil ist der Fall! Herr Minister Jäger hat, was Überstunden angeht, seit Mitte Februar dieses Jahres alle Zahlen aus allen Kreispolizeibehörden vorliegen. Er verweigert dem Parlament konkrete Angaben mit der fadenscheinigen Ausrede, man müsste noch Nachfragen stellen.

(Ralf Witzel [FDP]: So ist es!)

Ich weiß genau: Sie wollen noch drei Monate Nachfragen stellen, um dann zu dem Ergebnis zu kommen: Die Landtagswahl ist vorbei, und der Überstundenberg liegt bei 4,5 Millionen Stunden. Aus gesicherten Kreisen der Gewerkschaften weiß man, dass im Jahr 2016 gut 1,9 Millionen Stunden dazugekommen sind …

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

… und höchstens 1,5 Millionen Stunden abgebaut wurden. Das bedeutet einen Aufwuchs von 400.000 Stunden allein in einem Jahr. Da können Sie nicht davon reden, dass Sie irgendein Konzept, geschweige denn wirksame Maßnahmen gegen den Überstundenberg hätten. Herr Minister Jäger, wenn Polizei, Justiz und die gesamte Landesverwaltung darauf warten wollten, bis Sie das Problem gelöst haben – so alt werden die gar nicht. Die meisten werden mit 65 Jahren in den Ruhestand geschickt.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Wie alt sind Sie denn?)

Eine Verjährung von Überstunden, die die Kolleginnen und Kollegen zu ungünstigen Zeiten hart erarbeitet haben – das geht überhaupt nicht. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Lohn. – Für die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Zentis.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die Landesregierung muss wachsende Überstundenberge sicher vor Verfall schützen. Beamtinnen und Beamte haben die Kompensation ihrer unvermeidbar anfallenden Mehrarbeit verdient.

(Ralf Witzel [FDP]: Genau!)

Dies ist der Tenor des FDP-Antrags, dessen Zielrichtung zu diesem Zeitpunkt ja wohl mehr als offensichtlich ist.

Lassen Sie mich dennoch zunächst einen Punkt des Antrags wohlwollend aufnehmen: Unser Dank muss allen Beschäftigten im öffentlichen Dienst in Nordrhein-Westfalen gelten. Wir verdanken Ihrem persönlichen Einsatz, Ihrem Engagement und Ihrer Tatkraft, dass der Staat überhaupt funktioniert. Wir Grüne schätzen Ihre Arbeit – und das nicht nur zu Wahlkampfzeiten. Das haben wir auch gezeigt.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Ja, es gibt Überstundenberge aufgrund besonderer Herausforderungen und Gegebenheiten – insbesondere bei der Polizei. Das ist sehr misslich, und das bestreitet auch niemand. Um diese Gegebenheiten als Problem zu identifizieren, braucht es aber nicht die FDP; denn allein schon aus Gründen der Fürsorgepflicht ist der Dienstherr verpflichtet, Überstunden durch Dienstbefreiung oder finanzielle Vergütung zu kompensieren.

(Ralf Witzel [FDP]: Stimmt doch nicht!)

Im von Ihnen angeführten Schichtdienst des Justizvollzugsdienstes verfällt keine einzige Überstunde.

Diese Landesregierung ist aber darüber hinaus aktiv geworden. So verzichtet das Land bis zum 31. Dezember 2020 im Polizeibereich auf eine Verjährung der Mehrarbeitsstunden. Bis Ende 2020 muss das Problem also gelöst sein, und dies sicherlich in gutem Einvernehmen mit den Gewerkschaften, insbesondere mit den Polizeigewerkschaften.

Auch lese ich in Ihrem Antrag keine Zeile darüber, wie Sie mit den Beamtinnen und Beamten während Ihrer Regierungszeit umgegangen sind. Ich kann Ihnen mit einem einfachen Stichwort auf die Sprünge helfen, nämlich „Personalabbau“. Das war Ihr Herzensthema, und nicht die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten. Es ging um eine Verschlankung der Bürokratie zur Kostenminderung des Landeshaushaltes.

Ein weiteres Stichwort: PEM. Ganze Flure standen in den Verwaltungen leer, weil Sie Beschäftigte mit einem attraktiven Angebot in den Ruhestand gelockt haben. Sie haben allein während Ihrer Regierungszeit die Zahl der Stellen bei der Polizei von 40.059 im Jahr 2005 auf 39.593 in 2010 reduziert. Also spielen Sie sich hier nicht als der Retter auf!

(Beifall von den GRÜNEN)

Seit 2010 hat Rot-Grün den Personalkörper auf jetzt 40.892 Planstellen vergrößert. Schwarz-Gelb also hat den Personalkörper um 466 Stellen verkleinert, und wir haben ihn um 1.236 Stellen erhöht. Das sind Fakten.

Vorausschauend sind auch unsere Einstellungsermächtigungen für Kommissaranwärterinnen und -anwärter bei der Polizei. Ausgangslage waren 1.100 Einstellungen im Jahr 2010. Der aktuelle Stand liegt bei 2.000 Einstellungen. Wir haben diese Zahlen also nahezu verdoppelt.

Nach Abschluss der Ausbildung tragen auch diese dazu bei, Überstundenberge nicht weiter wachsen zu lassen. Ich mag mir gar nicht vorstellen, in welcher Situation wir uns jetzt befänden, wenn Schwarz-Gelb weiter regiert hätte.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich bin mir sicher, die Beschäftigten des Landes wünschen sich die Zeiten zwischen 2005 und 2010 nicht zurück, wenn sie vergleichen, was Rot-Grün hier auf den Weg gebracht und geschafft hat. Diesen Weg werden wir fortsetzen. – Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zu- ruf von Josef Hovenjürgen [CDU])