Protocol of the Session on March 15, 2017

Sie benutzen aktuelle innertürkische politische Ereignisse – das sagen Sie der Presse; ich habe es heute Morgen der Presse entnehmen müssen – als Argument gegen ein Ausländerwahlrecht, über das schon seit 30 Jahren diskutiert wird. Wahlrecht ist ein Grundrecht, und Wahlrecht darf nicht von tagesaktuellen politischen Ereignissen abhängen. Wo kämen wir denn da hin, wenn man sagt: „Es gibt jetzt Studentenproteste; wir entziehen jetzt allen Studenten mal das Wahlrecht“? Was ist denn das für eine Logik, zu sagen: „Weil heute in dem einem Land etwas Bestimmtes passiert, geben wir den Menschen in dem anderen Land eben kein Wahlrecht“! Das ist ein absolutes Un-Argument!

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Ich komme zum letzten Punkt. Gerade habe ich die Zahl genannt: 40 % der hier wohnenden Ausländer leben hier länger als 20 Jahre. Wir unterstützen die Initiative „HIER wo ich lebe, will ich wählen!“. Wir reden nicht über ein Bundestags- oder ein Landtagswahlrecht, sondern über das kommunale Wahlrecht.

Wo die Menschen leben, wo sie ihre Steuern bezahlen, wo sie über die Straße fahren und wo über den Poller in der Straße im Stadtrat abgestimmt wird, da wollen wir den Menschen das Wahlrecht geben – und nicht mehr. Das wäre eine sehr kleine Änderung, die so viel bewirken könnte!

Mein Wunsch wäre, dass wir die Integrationsräte nicht mehr brauchen und dass wir sie mit dem heutigen Tag abschaffen. Denn die Integrationsräte brauchen wir nur deswegen, weil die...

Herr Kollege, es liegt eine Zwischenfrage des Kollegen Schatz vor. Würden Sie die zulassen?

Wenn ich meinen Satz eben zu Ende führen darf.

Ja, aber Sie haben die Zeit auch schon überschritten. Ich bitte Sie, sich kurz zu fassen. Ich bin heute großzügig. Es handelt sich um eine besondere Situation. Das gilt für andere Fraktionen auch. Trotzdem haben Sie die Redezeit schon überschritten.

Dann bitte die Zwischenfrage. Danach werde ich zu meinen letzten Ausführungen kommen.

Bitte schön, Herr Kollege Schatz.

Nein, der Kollege Schulz. – Das macht aber nichts!

Das bekommt man hier nicht immer so mit.

Kein Problem, Herr Präsident. – Vielen Dank, Herr Kollege Marsching, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie hatten gerade ausgeführt, dass es sich bei dem von SPD, Grünen und Piraten eingebrachten Gesetzentwurf nicht um eine Lex Türkei, wie es schon im Rahmen der Debatte erwähnt wurde, handelt, sondern dass es insgesamt ein Integrationsbestandteil ist.

(Nadja Lüders [SPD]: Hä?)

Können Sie sich erklären, wieso die Tagesordnung in der Form geändert wurde, vor allem wenn man bedenkt, dass der Antrag bezogen auf die Türkei-Situation – NRW steht für Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie – nunmehr auf den Plenartag nach der heutigen Debatte um die Verfassungsänderung auf die

Tagesordnung gesetzt wird? Da wird nämlich ausdrücklich erwähnt, dass gerade Nordrhein-Westfalen das Land sei, in dem Menschen mit Wurzeln in der Türkei seit Jahrzehnten umfassend in die Gesellschaft integriert seien. Weil das so ist – übernächster Satz – …

Herr Kollege, Sie müssen eine Frage stellen.

Das gehört zur Frage dazu. – Da heißt es: Sie gehören zu uns, und deshalb setzen wir uns dafür ein, dass sie auch ein kommunales Wahlrecht erhalten. – Wie passt das zu Ihrer Argumentation?

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Viel Spaß!)

Bitte schön, Herr Kollege.

Wenn ich die Frage richtig verstanden habe, lautet sie: Wie kommt es dazu, dass die Tagesordnungspunkte getauscht wurden?

(Heiterkeit von den PIRATEN und der SPD)

Das war die Frage am Anfang, tut mir leid.

(Daniel Düngel [PIRATEN]: Man weiß es nicht!)

Das kann ich beantworten. Dazu kam es, weil wir, die Redner, dem zugestimmt haben; denn es geht beim kommunalen Ausländerwahlrecht eben nicht um die Türkei.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Diese beiden Tagesordnungspunkte sind für mich klar voneinander zu trennen. Deswegen habe ich dieser Änderung zugestimmt.

Es gibt noch eine Frage von Frau Beer. Damit ist gleichzeitig die Redezeit beendet. – Bitte schön, Frau Kollegin Beer.

Danke schön, Herr Kollege, dass Sie das zugelassen haben. In Anknüpfung an Ihre Antwort möchte ich fragen: Stimmen Sie mir zu, dass es eine unzulässige Vermischung der Frage des kommunalen Wahlrechts mit der Frage der Flüchtlingskrise ist, wie es eben durch den Kollegen Lindner passiert ist? Denn alle sind sich mit Blick auf die Umsetzung darüber einig, dass es dann zuerst eines Aufenthalts hier in Nordrhein-Westfalen in einem zeitlichen Umfang von etwa fünf Jahren bedarf.

Genau diese Forderung hat die FDP noch 2013 in diesem Haus mitvertreten.

Bitte schön, Herr Kollege Marsching.

Frau Kollegin Beer, das passt sehr gut, weil mir der Präsident dann nicht meinen letzten Satz klauen muss.

Wir stehen zur Lebensmittelpunkt-Regelung. Die Flüchtlingsbewegung von 2015 nach Deutschland jetzt dazu zu benutzen zu sagen: „Wir wollen das kommunale Ausländerwahlrecht nicht, denn diese Leute wollen sich nicht integrieren, und wir haben jetzt plötzlich viel mehr Ausländer hier“, hat nichts mit diesen fünf Jahren zu tun. Das hat nichts mit der Flüchtlingsbewegung zu tun.

Ich kann es nur so verstehen, dass die FDP an ihrem rechten Rand Stimmen sammeln muss. Ansonsten würde sich ein Liberaler nicht hierhinstellen und diese Argumente bringen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Marsching. – Ich möchte nur darauf hinweisen, dass Sie eben Ihre Redezeit deutlich überschritten haben. Wenn der Präsident dann eingreift, um ein bisschen Fairness auch zwischen den einzelnen Rednern herzustellen, ist es nicht angemessen, den Präsidenten zu kritisieren.

(Beifall von der CDU – Michele Marsching [PIRATEN]: Zwischenfragen zählen doch gar nicht dazu!)

Für die Landesregierung spricht in Vertretung für Herrn Minister Jäger Herr Minister Kutschaty.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir in unsere Kommunen schauen, sehen wir heute folgende Situation: Da gibt es zwei nichtdeutsche Familien, die Tür an Tür wohnen. Sie sind beide integriert. Beide sprechen die deutsche Sprache, verfügen über ein geregeltes Einkommen, über Arbeit. Die Kinder besuchen die gemeinsame Grundschule, fahren gemeinsam mit der Straßenbahn dorthin. Beide Familien zahlen Steuern, aber nur eine der beiden Familien darf darüber mitentscheiden, wie das Leben dort, wo sie leben, zukünftig gestaltet werden soll.

Nur eine Familie kann darüber entscheiden, wer ihre Interessen vor Ort, in der Kommune vertreten soll. Die andere Familie ist von dieser Entscheidung prak

tisch abgeschnitten. Der einzige Unterschied zwischen diesen beiden Familien ist die Staatsangehörigkeit. Die eine Familie besitzt eine europäische, zum Beispiel die polnische, die andere Familie eine nichteuropäische, zum Beispiel die japanische; das kann sein, wenn sie hier in Düsseldorf wohnt.

Das sind bisher die ausschlaggebenden Kriterien, darüber zu entscheiden, ob jemand bei der Kommunalwahl auch als Nichtdeutscher mitwählen darf oder nicht.

Wahlrechtsfragen sind Grundsatzfragen der Demokratie. Darüber ist zu Recht sehr lange und sehr intensiv in der Verfassungskommission diskutiert worden. Ich halte es für sehr fatal, lieber Herr Laschet, wenn wir zulassen, dass Herr Erdogan nunmehr durch Ihre Intervention nun auch die Diskussion und die Debatte um das Wahlrecht bei uns bestimmt. Das ist schlecht für unsere Demokratie.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Integration heißt nämlich Mitmachen. Der eine Teil kommt von allein, und den anderen Teil muss man zum Mitmachen einladen. Die Hälfte der Menschen mit türkischen Wurzeln hier in Deutschland hat bereits die deutsche Staatsangehörigkeit. Genau die andere Hälfte, die noch nicht die deutsche Staatsangehörigkeit hat, müssen wir einladen.

Wenn Sie ernsthaft glauben, dass die türkischstämmigen Menschen hier weniger auf Herrn Erdogan hören, wenn wir sie nicht einladen, bei uns mitzumachen, dann irren Sie, lieber Herr Laschet.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Ich finde es viel schlimmer, wenn auf Hinterhöfen ein Bild der Türkei gezeichnet wird, das die Wirklichkeit verzerrt. Solche Glorifizierungen kommen von Ausgrenzung. Wer aber mitbestimmen darf, bringt sich ein. Das ist genau das, was auch zur Integration führen kann.

Wir haben die Sichtweise der CDU gehört. Zwei Punkte will ich herausgreifen. Erstens wollen Sie, Herr Laschet, ganz offensichtlich Menschen vom Wahlrecht ausschließen, weil sie Ihnen nicht genehme Parteien in die Stadträte wählen wollen.

Zweitens wollen Sie die Sache über mehr Einbürgerung lösen.

(Zuruf von der CDU)