Auf dem NRW-Stand der MEDICA in Düsseldorf, die, wenn ich mich recht erinnere, im November letzten Jahres stattfand, ist eine Notfall-App von einem Unternehmen in Zusammenarbeit mit der Universität
Witten-Herdecke gezeigt worden, mit der ein Notruf auch nicht nur in der Wohnung abgesetzt werden kann. Die App ist jedoch so ausgefeilt, dass sich diejenigen, die behindert oder ein Pflegefall sind, unter Mitnahme der App auch mit dem Rollator nach draußen begeben können, um dort den Notruf abzusetzen. Hinter dieser App verbirgt sich zugleich das gesamte Krankheitsbild dieser Menschen.
Es geht also. In Nordrhein-Westfalen wird eine solche App vorgestellt – aber angewandt wird sie nicht. Es ist eine Schande, dass wir da nicht weiterkommen. Ich hatte gehofft – heute halte ich meine letzte Rede in diesem Plenum –, dass wir den Menschen helfen würden und nicht nur Parteipolitik durchdrücken wollen. – Danke schön.
Vielen Dank, Herr Kollege Burkert. – Für die Fraktion der Grünen spricht Frau Kollegin Grochowiak-Schmieding.
Herr Burkert, da haben Sie sich ja mächtig aufgeregt, aber eigentlich für nichts. Fangen wir aber von vorne an! – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach wie vor verhindern in unserer Gesellschaft viele Barrieren ein selbstbestimmtes Leben, gleichberechtigte Teilhabe, einfach etwas mitzumachen, etwas zu benutzen.
Besonders hartnäckig hält sich die Barriere in vielen Köpfen, dass Menschen mit Behinderungen in Schon- oder Schutzräume gehören, in denen sie beschult oder betreut werden. Vielleicht ist es auch diese Haltung „behindert gleich unselbstständig, muss also betreut werden“, die dazu führte, dass bislang der allgemeine Notruf nicht barrierefrei eingerichtet ist.
Damit sprechen wir von einem Nachteil, der tatsächlich schlimme, sogar tödliche Folgen haben kann. All das ist richtig ausgeführt. Aber immerhin gibt es das Fax, mit dem man den Notruf absetzen kann. Das ist allerdings nur stationär und nicht von unterwegs möglich.
Kommerzielle Anbieter zeigen uns schon seit Langem, dass es anders geht. Es gibt die Notruf-App – richtig. Ihr Nachteil ist die Zeitverzögerung; der Notruf geht erst über einen Umweg, nämlich den Anbieter zur Rettungsleitzentrale. Außerdem müssen die Betroffenen die Nutzung dieser App aus eigener Tasche zahlen. Es gibt also eine funktionierende Technik, die wir hier einrichten müssen. Das ist richtig. Sie muss aber kostenfrei, allgemein zugänglich und allgemein nutzbar sein.
Für uns Grüne steht fest: Wir wollen keine Interimslösungen, keine Übergangslösungen, wie Sie sie in
Ihrem Antrag nach vorne stellen. Wir möchten vielmehr eine tragfähige Lösung für die Zukunft, die Bestand hat. NRW als Modellregion bietet sich dazu geradezu an – natürlich unter Einbeziehung der Expertengruppe auf Bundesebene. Nur weil sie bislang gescheitert ist, heißt das ja nicht, dass wir sie aus der Verantwortung lassen.
Also: Unter Einbeziehung der Expertengruppe auf Bundesebene, unter Einbeziehung der Betroffenenverbände und der kommunalen Spitzenverbände werden wir in Nordrhein-Westfalen ein Notrufsystem für Menschen mit Hörschädigung, Sprachbehinderung und für Gehörlose einrichten.
Es soll eine Testphase geben; denn gegebenenfalls muss das System noch verbessert werden. Wenn sich dieses System bewährt hat, könnte es tatsächlich bundesweit eingeführt werden. Hierin liegt doch der Vorteil unseres Antrags. Wir haben ein einheitliches System statt unter Umständen 16 Systemen – also in jedem Bundesland ein eigenes –, womit den Betroffenen auch nicht geholfen wäre. Denn sobald Sie die Grenzen eines Bundeslandes überschreiten, stehen Sie wieder quasi gehör- und sprachlos da.
Wir hätten also ein einheitliches System. Wir hätten nicht den Bruch von einer Interimslösung in eine endgültige Lösung. Land und Bund sind in der Verantwortung, und wir sind zuversichtlich, das System in diesem Jahr zu installieren und auf den Weg zu bringen, sodass die Betroffenen im Notfall ihren Notruf absetzen können. Um das gemeinsam verfolgte Ziel zu erreichen, bitte ich um breite Zustimmung. – Danke schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal wende ich mich an Frau Kollegin GrochowiakSchmieding: Ja, der Kollege Burkert hat sich aufgeregt, er hat das aber nicht für nichts getan. Es geht hier um Menschenleben, und da kann ich das schon verstehen.
Wir Freie Demokraten stehen für eine gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung in allen Lebensbereichen.
Dazu zählt auch die Möglichkeit, in Notsituationen schnell und einfach Hilfe herbeizurufen und einen Rettungsdienst kontaktieren zu können, ohne dabei auf die Unterstützung von Begleitpersonen angewiesen zu sein. Gehörlöse Menschen und solche mit hochgradiger Schwerhörigkeit benötigen für eine
Notfallmeldung deshalb Instrumente für eine barrierefreie Kommunikation. Der für alle anderen Menschen übliche telefonische Notruf kommt für sie leider nicht in Frage.
Die bisher vorgesehene Alternative eines Fax-Notrufes ist nicht nur aufgrund der ortsgebundenen Verfügbarkeit eines Faxgerätes eingeschränkt. Wir haben in der Anhörung auch von Einzelfällen gehört, bei denen eine Leitstelle aufgrund von Übermittlungsproblemen die Notsituation nicht erkennen konnte und es zu womöglich vermeidbaren Todesfällen gekommen ist. Notruf-Apps können dagegen eine einfache, anwendbare und sinnvolle Alternative sein.
Wir haben aber in der Anhörung auch gehört, dass nicht nur die hohen Gebühren für die derzeit einzig nutzbaren Apps kommerzieller Anbieter für viele Menschen mit Hörbehinderung ein Problem darstellen. Zudem erfolgt die Vermittlung der Notrufe nicht direkt an die örtliche Leitstelle, sondern über ein Servicecenter des jeweiligen Anbieters, der dann erst die Leitstelle kontaktiert. Das heißt, wir haben hier eine Ebene zu viel. Es fehlt also eine sichere und direkte Rückkopplung mit den örtlichen Leitstellen.
Dies alles zeigt: Wir brauchen eine möglichst schnelle Lösung im Sinne der betroffenen Menschen für eine einfache und sichere Notruf-App. Der Antrag der CDU hat also einen wichtigen Punkt aufgegriffen und findet deshalb auch unsere Unterstützung.
Die FDP-Fraktion steht für eine sachgerechte Problemlösung. Das kann auch eine Insellösung für NRW sein, wenn eine bundesweite Umsetzung noch weiter auf sich warten lässt. Ich unterstelle jetzt einfach mal, dass es letztendlich auch dieselben Dienstleister sind, die das Ganze programmieren. Die Schnittstellen sind dort schnell zu erstellen. Uns kann niemand erzählen, dass das nicht geht.
Verwundert hat mich da schon das Vorgehen der rotgrünen Koalitionsfraktionen. Anstatt gemeinsam nach der besten Lösung zu suchen, haben Sie in der abschließenden Beratung des Ausschusses den Vorschlag auf den Tisch gelegt, NRW könnte Modellregion für eine bundesweite Notruf-App werden. Über Jahre hat die Expertengruppe Notruf auf Bundesebene die Problematik nicht lösen und sich nicht auf ein System verständigen können. So war zum Beispiel die Frage der Nutzbarkeit in den unterschiedlichen Betriebssystemen ein Hinderungsgrund, da man keine App nur für Android-Geräte wollte. – Diese Probleme sollen auf einmal aus dem Weg geräumt sein? Da bleiben aus unserer Sicht viele Fragen offen.
Auf welches allgemeine nutzbare System soll man sich denn jetzt verständigt haben? Was gibt die Sicherheit, dass gerade NRW Modellregion werden könnte? Wer soll dann die Kosten tragen? Und wie schnell wird eine derartige App für die Betroffenen
verfügbar sein? Ihre Antworten im Ausschuss auf die von mir und auch vom Kollegen Burkert noch einmal gestellten Fragen konnten da auch nicht weiterhelfen.
Mir und uns erscheint es so, als ob Sie wieder einmal die Weltformel für jede Gelegenheit suchen: eine Lösung, die möglichst alle einbeziehen, das Land aber nichts kosten soll. Das dauert aber zu lange. Den Menschen muss jetzt geholfen werden. Deswegen hat Kollege Burkert sich zu Recht aufgeregt. Da schließt sich der Kreis. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schauen wir uns an, wie der aktuelle Stand ist. Es gibt gehörlose Menschen, die nur mit Gebärdensprache kommunizieren und ausschließlich mit einem Faxgerät einen Notruf absetzen können. Da muss ein Formular heruntergeladen werden, das muss ausgefüllt und dann an die Leitstelle gefaxt werden. Das ist soll irgendwie ganz einfach sein. – Nun gut.
Das reicht aber unserer, aus Piratensicht selbstverständlich nicht. Wir halten das ganz im Gegenteil für die Betroffenen sogar für lebensgefährlich. Es gibt unzählige kostenpflichtige Apps, die man sich in den verschiedenen Stores herunterladen kann. Das sind jeweils private Anbieter, die eine Serviceleistung anbieten. Offenbar existiert ein großer Bedarf an solchen Notruf-Apps. Das wird durch die Zahl der Downloads – gerade auch unter dem Aspekt, dass die dort kostenpflichtig angeboten werden – entsprechend dokumentiert.
Das Problem bei diesen Notruf-Apps ist allerdings, dass die privaten Anbieter eben keine 100%ige Sicherheit geben und das auch gar nicht können. Das ist teils auch aus technischen Gründen so. Selbstverständlich gibt es auch große Bedenken, was den Datenschutz bei diesen Apps angeht, wenn dort datenschutzrelevante Informationen an private Anbieter weitergegeben werden.
Notruf gegen cash – ich weiß nicht. Die Lösung könnte eine kostenlose Notruf-App sein. Es geht dabei um bidirektionale Kommunikation. Die entsprechende technische Infrastruktur in den Leitstellen müsste dafür hergestellt werden; des Weiteren: Bild- und Tonübertragung, Gebärdensprachdolmetscher in den Leitstellen. Und das Ganze sollte dann möglichst auch noch bundesweit einheitlich sein.
Was macht die Bundespolitik? Die Innenministerkonferenz schafft eine Arbeitsgruppe Notruf. Die richtet
dann noch eine Unterarbeitsgruppe „Notruf-App“ ein. Die haben sich mittlerweile in „Notruf 2.0“ umbenannt. Mittlerweile sind wir – wie auch immer – irgendwie schon bei „Notruf 4.0“. Nach fast acht Jahren, in denen im Stuhlkreis am runden Tisch über ein derart wichtiges Thema gesprochen wurde, sind wir immer noch nicht so richtig weiter.
Da wird eine App herausgegeben; sie existiert plötzlich. Und dann stellt man fest, dass sie nicht mit allen erforderlichen Betriebssystemen kompatibel ist. Das ist nach sieben oder acht Jahren so richtig sportlich. Diese App wird dann wieder eingestampft. Das ist ein Armutszeugnis.
Wie sieht es hier in Nordrhein-Westfalen aus? Die CDU möchte, dass in NRW eine Übergangslösung geschaffen wird. Sie sagt aber nicht, wo das Geld dafür herkommen soll. Die Landesregierung sagt: Wir brauchen eine bundesweite Lösung.
Das Konzept kennen wir ja. Die Landesregierung schiebt im Endeffekt die Schuld möglichst immer auf andere: Wenn es der Bund nicht kann, dann können es vielleicht die Kommunen. Im Entschließungsantrag von Rot-Grün wird ein Angebot an den Bund gemacht, NRW irgendwie als „Modellregion“ einzusetzen. Auch da wird wieder die Verantwortung an den Bund weitergegeben. Der Bund muss dann letzten Endes bezahlen.
Beide Lösungsvorschläge führen in eine Verantwortungssackgasse. Hier kann wieder jeder mit dem Finger auf den anderen zeigen, wer gerade schuld ist, wer in der Verantwortung ist, irgendwie Dinge zu tun. Am Ende passiert halt nichts. Das haben wir sieben Jahre in dieser Notruf-App-Arbeitsgruppe gehabt, wo dann tatsächlich kein sinnvolles Ergebnis bei herauskommt.
Die Anhörung hat gezeigt, dass das Ganze teuer ist. Es würden, um die 54 Leitstellen in Nordrhein-Westfalen entsprechend auszurüsten, Kosten in einem hohen sechsstelligen Bereich anfallen, wenn eben jede Leitstelle dann mit so einem bidirektionalen Kommunikationssystem, Notrufsystem ausgerichtet wird.
Für uns Piraten kann ich festhalten: Wir sind der Meinung, der Überzeugung, Notruf ist staatliche Angelegenheit, also fallen die privaten Anbieter da raus. Die IT-Infrastruktur, die Hardware bei der Polizei und Feuerwehr müssen modernisiert werden. Die Leitstellen müssen die technischen Voraussetzungen für Bild- und Tonübertragung erfüllen. Dafür muss man eben Geld in die Hand nehmen. Das kann NRW durchaus auch als Übergangslösung vorbereiten und da auch meinetwegen an einem Modellprojekt arbeiten. Das ist egal, aber wir müssen halt akzeptieren, dass das Ganze Geld kostet.
Ich komme zum Ende, Herr Präsident. – Das ist in beiden Anträgen nicht der Fall. Beide Anträge beziffern zwar die Probleme auf ihre Weise gut und deutlich, aber die Lösung ist in beiden Fällen nicht durchdacht, eben nicht finanziert oder schiebt halt die Verantwortung wieder anderen in die Schuhe. Das ist uns zu wenig.
Wir enthalten uns bei beiden Anträgen, weil wir der Überzeugung sind, dass das Thema an sich halt wichtig ist. – Vielen Dank.
Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Situation von Menschen, die nicht lautsprachlich kommunizieren können, ist in vielen Lebensbereichen besser geworden. Das hat auch mit modernen Kommunikationsmitteln zu tun.