Protocol of the Session on January 26, 2017

Da muss ich Ihnen entschieden widersprechen. Ihrem eigenen Antrag können Sie entnehmen, dass wir in Nordrhein-Westfalen eine Aufklärungsquote von 6,5 % bei Taschendiebstahl haben. Das ist ein Desaster! Das, Herr Kollege Wolf, haben Sie hier schön zu vertuschen versucht,

(Sven Wolf [SPD]: Ich habe einfach aus der Zeitung zitiert, Herr Haardt!)

indem Sie gesagt haben: Es gibt Aufklärungskampagnen, wie man sich an der Stelle verhalten soll, wie man sich vor Taschendiebstahl schützt usw.

Das eigentlich Problem ist: Nur 6,5 % der Straftaten werden überhaupt aufgeklärt. Ich glaube, Herr Kollege Lürbke, dass man das Sicherheitsgefühl bei den Leuten nicht erhöht, wenn man ihnen am Ende des Tages sagt: Wenn der Täter ermittelt worden wäre, würde er härter bestraft.

(Dagmar Hanses [GRÜNE]: Hört, hört!)

Das Problem ist: Man muss die Leute erwischen. Man muss dafür sorgen, dass die Aufklärungsquote beim Taschendiebstahl erhöht wird. Da hat diese Koalition eine riesige Baustelle. Diesen Aspekt haben Sie in Ihrem Antrag wunderbar aufbereitet. Sie gehen in der Begründung Ihres Antrags davon aus, dass überhaupt nur 1 % bis 2 % der Täter verurteilt werden. Darin sehen wir das eigentliche Problem.

Ob man Ihnen am Ende des Tages inhaltlich in Sachen Verschärfung folgen kann, werden wir bei der Diskussion im Rechtsausschuss sehen, auf die ich mich schon sehr freue. Aber das Problem liegt darin, dass man in diesem Land einen Taschendiebstahl begehen kann und nicht damit rechnen muss, dass man tatsächlich erwischt und verurteilt wird.

(Sven Wolf [SPD]: Stimmt doch gar nicht!)

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Haardt. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Hanses. Bitte schön.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim ersten Lesen dieses Antrags dachte ich: Das ist ein Druckfehler. Es handelt sich bestimmt um einen CDU-Antrag.

(Beifall von Nicolaus Kern [PIRATEN] – Hen- drik Schmitz [CDU]: Was?)

Das ist ein sehr populistischer Antrag, den ich eigentlich einer anderen Partei als einer Partei zugeordnet hätte, die sich immer noch fälschlicherweise als Bürgerrechtspartei bezeichnet.

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

Auch wenn meine Vorredner den Antrag so sehr gelobt haben, kann ich mich diesem Lob nicht wirklich anschließen. Denn der Umfang des Antrags – das schätzen wir normalerweise an den Anträgen von Herrn Wedel – lässt aus meiner Sicht keine Rückschlüsse auf die Qualität zu.

Denn Taschendiebstahl ist ein massiver Eingriff in die Persönlichkeitsbereiche eines Menschen. Er trifft die Opfer unvermittelt und hat stets Folgen. Den Opfern entstehen Folgekosten. Sie brauchen Zeit für die mühsame Ersatzbeschaffung von Dokumenten, Schlüsseln, Gegenständen. Darin sind wir uns, glaube ich, einig.

Die Opfer berichten, dass die psychischen Folgen für sie noch viel massiver sind, dass sie sich unsicher fühlen und dass sie ihr Verhalten ändern. Das alles hat selbstverständlich Folgen.

Nach den Vorschlägen der FDP soll in einen Baustein des Strafrechtsgefüges eingegriffen werden. Der Taschendiebstahl soll in den Katalog der Regelbeispiele in § 243 Abs. 1 Satz 2 StGB aufgenommen und die Strafandrohung erhöht werden: von drei Monaten bis zu zehn Jahren – das meinen Sie doch nicht wirklich, Herr Wedel! Das ist ein völliges Missverhältnis; das Beispiel von Herrn Wolf hat das ganz eindeutig gezeigt. Bei einer gezielten Körperverletzung nach § 223 StGB ist eine Strafe von bis zu fünf Jahren vorgesehen. Und dann fordern Sie für Taschendiebstahl bis zu zehn Jahre?

Als Frau möchte ich ergänzen: Die vorgesehene Strafe für sexuelle Belästigung in § 184i ist im Vergleich dazu mit bis zu zwei Jahren völlig unverhältnismäßig. Deshalb halten wir Ihren Vorschlag für falsch.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Haardt, selbstverständlich müssen wir auch benennen, was wirklich hilft. Ihre Erkenntnis, dass das Strafmaß zur Abschreckung nicht funktioniere, ist eine neue Erkenntnis für die CDU.

(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN)

Sie haben immer wieder behauptet: Harte Strafen schrecken ab. – Das ist nicht so.

(Christian Haardt [CDU]: Sie müssen mir zu- hören! – Sven Wolf [SPD]: Im Protokoll nach- lesen!)

Ich schaue mit Ihnen gern auf das, was tatsächlich funktioniert, etwa „Augen auf und Tasche zu!“ Das ist eine Kampagne der Polizei in Nordrhein-Westfalen, die dafür sensibilisiert.

(Zuruf von Lutz Lienenkämper [CDU])

Herr Lienenkämper, geht es denn?

(Vereinzelt Heiterkeit – Michele Marsching [PIRATEN]: Nein, schon lange nicht mehr!)

Selbstverständlich hilft Information. Wie alle Bürgerinnen und Bürger wissen, welche Telefonnummer sie wählen müssen, wenn es brennt – die 112 ist die Telefonnummer, wenn sie die Feuerwehr brauchen –, müssen alle Bürgerinnen und Bürger auch wissen, dass 116116 die Telefonnummer ist, um Kredit- und EC-Karten zu sperren.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Wie heißt die?)

Das muss ins Bewusstsein aller übergehen.

Opfer brauchen Beratung. Wir müssen die Opferhilfe weiter stärken. Selbstverständlich brauchen Opfer auch eine zügige Strafverfolgung. Sie müssen sicher sein, dass unsere Gerichte zügig und konsequent bei der Strafverfolgung vorgehen. Dafür brauchen wir eine gut ausgestattete Justiz.

Das Rechtsgefüge ist sensibel. Seit dem ersten Inkrafttreten des Strafgesetzbuchs 1871 gab es immer wieder Strafrechtsreformen. Das ist gut so. Wenn ich mir die letzte größere Strafrechtsreform ansehe, denke ich immer an Frau Leutheusser-Schnarrenberger, die letzte FDP-Justizministerin, der insbesondere der Grundsatz wichtig war, dass Leib und Leben höher gewichtet werden als Hab und Gut. Das war ein Kern dieser Strafrechtsreform, den wir ausdrücklich unterstützen. Ich bin mir sicher, dass Frau Leutheusser-Schnarrenberger Ihren Antrag nicht unterstützen würde.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Mi- chele Marsching [PIRATEN])

Während die CDU den Menschen etwas vorgaukelt – das hatten wir schon –, hat sich die FDP mit diesem Antrag quasi entschieden. Manchmal schwankt sie ja zwischen Bürgerrechtspartei und Law and Order. Mit diesem Antrag hat sie sich eindeutig für Law and Order entschieden. Das bedauern wir sehr.

Wir stimmen natürlich der Überweisung zu. Aber wir sind sehr skeptisch, was die Beratungen im Ausschuss angeht. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Danke, Frau Kollegin Hanses. – Für die Piratenfraktion erteile ich Herrn Kollegen Kern das Wort.

Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Saal und zu Hause! Das ist ohne Frage ein sensibler Bereich. Wie die Kollegen schon erwähnt haben, ist es aber auch ein strafrechtlich gut geregelter Bereich. Seit der Einführung gab es in über 100 Jahren lediglich vier Änderungen. Ich glaube, dass das Strafrecht hier im Moment eine ausreichende Antwort parat hält.

Zum Antrag: Man muss ja auch immer irgendwo das Positive sehen. Das habe ich auch bei diesem Antrag versucht. Nach langem Nachdenken und Grübeln bin ich dann darauf gekommen: Dieser Antrag ist tatsächlich so schlecht, dass ich zumindest keinen Entschließungsantrag dazu schreiben musste. Man kann ihn schlichtweg ablehnen.

Bei der Bearbeitung eines solchen Antrages schaut man sich ja nach der Überschrift erst einmal den weiter hinten stehenden Beschlussteil an. Das habe ich in diesem Fall nicht getan, sondern bin noch weiter nach hinten gegangen und habe mir die Reihenfolge der Unterschriften angeschaut. Daran sieht man, wer ihn eingereicht hat, und stellt fest, dass er gar nicht aus dem Rechtsbereich kommt, der hier eigentlich zuständig wäre, sondern von den Innenpolitikern.

Das ist auch des Pudels Kern. Man scheint sich bei den Innenpolitikern schon auf Law and Order eingestellt zu haben – und auf Wahlkampf ohne Sinn und Verstand.

(Beifall von den PIRATEN)

Auch wenn er nicht hier ist, möchte ich jetzt einmal an den Bundesvorsitzenden der FDP appellieren. Wir wissen ja, dass er sich im Bereich der Europapolitik sehr stark gegenüber der AfD abgrenzt. Die Abgrenzung wäre aber deutlich glaubwürdiger, wenn er das auch im Bereich der inneren Sicherheit täte. Das scheint hier allerdings nicht der Fall zu sein. Vielmehr wird auf immer schärfere Gesetze gesetzt. Das sieht nach einer freundlichen Übernahme der AfD-Politik aus. So etwas ist fatal.

(Beifall von den PIRATEN)

Um noch einmal auf die argumentativen Schwächen dieses Antrages einzugehen, reicht meine Redezeit leider nicht aus. Gott sei Dank haben meine Kollegen da schon vorbereitet. Ein paar Punkte möchte ich aber nennen.

Die vorliegende Kriminalstatistik – wir müssen ja schauen, über welche Faktenlage wir sprechen – weist nicht aus, dass es in diesem Bereich zu einer dramatischen Steigerung der Kriminalität gekommen ist. Jetzt wurde hier berichtet, dass es da bestimmte Erscheinungsformen gibt. Das mag sein. Dann sollte man sich, wenn man seriös diskutieren will, aber die Zeit nehmen, auf die aktuelle, auf die nächste Kriminalstatistik zu warten. Diese Zeit wollte sich die FDP hier offensichtlich nicht nehmen. Das ließ der Wahlkampf dann nicht zu. Sehr schade!

In dem Antrag führen Sie bei den Taschendiebstählen das Tatbestandsmerkmal „intime Distanzzone“ ein. Das wirft erhebliche Abgrenzungs- und Wertungswidersprüche auf. Auf die Rechtsfolgen ist gerade schon eingegangen worden. Dann kommt es in der Tat zu Wertungswidersprüchen mit anderen Delikten, zum Beispiel Körperverletzungen oder sexuellen Übergriffen.

Auch die Abgrenzung ist problematisch. Was ist denn noch die „intime Distanzzone“? Bei der Handtasche soll es strafbar sein; okay. Aber was ist mit der Strandtasche? Was ist mit der Sporttasche? Was ist mit dem Trolley? Was ist mit dem Koffer? – Sie erkennen, glaube ich, worauf ich hinauswill und wo da das Problem liegt.

Die gesamte Antragstellung zielt – das gibt sie auch in ihrer Begründung zu – auf Bandenkriminalität ab. Dann sollte man auch dort ansetzen. Dieser Antrag setzt aber beim Grunddelikt an, obwohl es eigentlich um Bandenkriminalität geht, die nach dem Gesetz auch schon härter bestraft wird. Ein solches Vorgehen ist rechtsdogmatisches Harakiri. Man kann doch nicht am Grunddelikt herumfummeln, um irgendwie einen Qualifikationstatbestand zu erreichen und