Protocol of the Session on January 25, 2017

Der Innenminister hat wiederholt dargelegt, warum es mit dem Wissensstand der Sicherheitsbehörden vor dem Anschlag keine juristische Handhabe gab, den späteren Attentäter dauerhaft in Haft zu nehmen. Der Bundesinnenminister hat übrigens die Rechtsauffassung des NRW-Innenministeriums bestätigt. Die Hürden für eine Abschiebeanordnung samt Abschiebehaft waren zu hoch und sind es immer noch. Deshalb sind bisher alle Versuche gescheitert, diese Regelungen auf terroristische Gefährder erfolgreich anzuwenden. So war es auch im Fall des Attentäters von Berlin.

Die Opposition versucht, diese Rechtsauffassung zu widerlegen. Das ist ihr bisher nicht gelungen, und es wird ihr auch nicht gelingen. Da kann die Opposition noch so viele Rechtsgutachter beauftragen, die selbst mit dem Wissen von heute große juristische Akrobatikkünste unter Beweis stellen müssten, um zu dem gewünschten Ergebnis zu kommen. Es wird ihr nicht gelingen.

Der FDP-Gutachter hat im Übrigen ausgelassen, dass auch das Bundesinnenministerium eine Abschiebeanordnung hätte verhängen können, wenn es denn möglich gewesen wäre. Es war aber nicht möglich, meine Damen und Herren. Das ist doch der springende Punkt.

Mit ihren Vorwürfen versucht die Opposition zu suggerieren, unter ihrer Verantwortung wäre es nicht zu Fehleinschätzungen gekommen, und es hätte eine andere Entscheidung gegeben. Sie wollen uns weismachen, Sie wären klüger gewesen als alle anderen: klüger als der NRW-Innenminister – ich weiß das – und seine Beamten und Experten, klüger als der Bundesinnenminister, der Generalbundesanwalt, das Bundeskriminalamt, klüger als alle Experten aus 40 Sicherheitsbehörden, die den Fall im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum beraten haben.

Doch, meine Damen und Herren von der Opposition, Sie sind nicht klüger als alle anderen. Sie hätten mitnichten anders gehandelt. Selbstverständlich würde sich auch ein Innenminister Laschet nicht über den Rat und den Sachverstand seiner Juristen und Sicherheitsexperten hinwegsetzen.

Herr Kollege Laschet, ich nehme an, Sie wären verantwortungsbewusst genug, um zu wissen, wie hochgradig fahrlässig das wäre. Ohne die Expertise und die Erfahrung unserer Sicherheitsexperten ist unser Land nicht zu schützen. Das sind sehr

gute Leute – die Ministerpräsidentin hat es herausgestellt –, die bereits zwölf geplante Terroranschläge zu verhindern wussten.

Ja, in diesem Fall hat es eine fatale Fehleinschätzung über die Gefährlichkeit eines Mannes gegeben. Wir müssen aufklären, wie es dazu kommen konnte, damit wir daraus lernen und die richtigen Schlüsse ziehen.

Die Politik muss jetzt Entschlossenheit und Besonnenheit unter Beweis stellen – Entschlossenheit im Kampf gegen Terroristen und Besonnenheit für den Schutz unserer Freiheit und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir werden genau das tun, was zum Schutz unseres Lebens in Freiheit getan werden kann und getan werden muss. Bestehende Rechtslücken müssen und werden wir schließen, insbesondere bei der Anordnung von Abschiebehaft für sogenannte Gefährder.

Die Eckpunkte des Bundesministers des Innern und des Bundesministers der Justiz weisen dabei in die richtige Richtung; das hat die Ministerpräsidentin herausgestellt. Die Staaten Nordafrikas müssen dazu verpflichtet werden, ihre ausreisepflichtigen Staatsbürger zurückzunehmen, und zwar schneller und in weitaus größerer Zahl als bisher. Wir erwarten entsprechende Initiativen von der Bundesregierung, vom Bundesinnenminister zumal.

(Anhaltender Beifall von der SPD – Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Der Bundesminister des Innern und der Bundesminister der Justiz wollen die Überwachung von Gefährdern mit elektronischen Fußfesseln ermöglichen. Das Ziel dieser Maßnahme, nämlich ihre bessere Überwachung, unterstützen wir ausdrücklich.

Ich betone noch einmal: Wir werden der terroristischen Bedrohung mit Entschlossenheit und Besonnenheit begegnen. Entschlossenheit verlangt die konkrete Verbesserung von Sicherheitsgesetzen zur Abwehr konkreter Bedrohung. Besonnenheit verlangt, alles zu unterlassen, was die individuellen Freiheiten unserer Bürgerinnen und Bürger unnötig einschränkt.

An einem Überbietungswettbewerb um neue Gesetzesverschärfungen und Grundrechtsbeschränkungen werden wir uns nicht beteiligen. Sicherheitsgesetze sind kein Selbstzweck. Sicherheitsgesetze dienen der Freiheit, und sie müssen wirken.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Was tatsächlich wirkt, ist Prävention; auch das hat die Ministerpräsidentin erklärt. Wir dürfen nicht übersehen, dass mehr als die Hälfte der sogenannten Gefährder deutsche Staatsbürger sind. Wir müssen

die Ursachen ihrer Radikalisierung bekämpfen und ihnen einen Weg zurück in die Gesellschaft aufzeigen. Unser Programm „Wegweiser“ war dafür bahnbrechend. Wir werden es weiter ausbauen und landesweit etablieren; die Ministerpräsidentin hat darauf hingewiesen.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Seit zwei Jah- ren warten wir auf das Konzept!)

Zusammen mit Schulen, Jugendhilfe, Polizei und Moscheegemeinden werden wir den verfassungsfeindlichen Salafismus an der Wurzel bekämpfen, und das, indem wir seine ersten Opfer schützen, meine Damen und Herren: junge Menschen, die Perspektiven für ihr Leben brauchen. Das ist Prävention, die wirkt.

(Beifall von der SPD)

50 Jahre Kriminalitätsforschung lassen keinen Raum für Zweifel: Dort, wo sich soziale Ungleichheit in Grenzen hält, Armut die Ausnahme ist und eine kluge Sozial- und Bildungspolitik für sozialen Aufstieg sorgt, gibt es wenig Kriminalität und keine Radikalisierung. Niemand wird als Krimineller oder gar als Terrorist geboren. Kinder, um die man sich kümmert, die man an die Hand nimmt und in ein gelingendes Leben führt, werden mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nie kriminell. Nur ein gerechtes Land ist auch ein sicheres Land. Das ist Maßstab unserer Politik.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir führen den Kampf gegen die Feinde der offenen Gesellschaft, so hoffe ich, gemeinsam. Diesen Kampf werden wir gewinnen, wenn wir auf die Werte und Stärken Nordrhein-Westfalens setzen: Vielfalt und Solidarität; Zukunft zählt, nicht Herkunft; kein Kind wird zurückgelassen; niemand fällt ins Bergfreie; Aufstieg und soziale Sicherheit ist für alle möglich, Herr Kollege Laschet, die sich anstrengen; jeder hat das Recht auf eine zweite und auch eine dritte Chance. Dafür arbeiten wir, und darauf können sich die Menschen in Nordrhein-Westfalen verlassen. – Herzlichen Dank und Glück auf für unser Land!

(Anhaltender Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Römer. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Stamp.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass das Gedenken an die Opfer den Umgang mit diesem Thema prägen muss. Wir sind den Opfern lückenlose Aufklärung schuldig. Ich sage aber dazu: Wir sind auch den Menschen in NordrheinWestfalen, die Angst vor frei herumlaufenden Gefährdern haben, diese Aufklärung schuldig.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Frau Ministerpräsidentin, Sie haben gesagt, dass Sie einen Sonderermittler wollen. Auch wir haben das vorgeschlagen. Wir hätten gerne einen gemeinsamen Sonderermittler oder eine Untersuchungskommission auf den Weg gebracht. Diese Sonderermittlung haben Sie aber von vornherein torpediert, indem Sie den politischen Hauptverantwortlichen für die innere Sicherheit in Nordrhein-Westfalen, Innenminister Ralf Jäger, öffentlich exkulpiert haben. Und das geht eben nicht. Wie soll eine Untersuchung denn dann unabhängig sein?

(Thomas Stotko [SPD]: Das ist doch wohl ein Witz!)

Das ist doch völlig unglaubwürdig.

(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

Sie haben auch hier wieder gesagt: „Mit dem Wissen von heute …“ und: „Es hat vielleicht auch Fehler in Nordrhein-Westfalen gegeben“, aber immer im Zusammenhang mit dem Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum, immer im Zusammenhang mit anderen. Nie wird klar benannt, dass die Verantwortung auch hier in Nordrhein-Westfalen lag. Wenn man Fehler nicht eingesteht, dann blockiert man die Aufklärung. Insofern ist der Innenminister eine Aufklärungsblockade. Und wenn Sie, Frau Ministerpräsidentin, diesen Innenminister nicht hinterfragen, dann sind Sie selbst auch eine Aufklärungsblockade.

(Beifall von der FDP und der CDU – Beifall von Michele Marsching [PIRATEN])

Es sind – das ist doch evident – massive Fehler gemacht worden, natürlich nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern auch anderswo, aber eben auch hier in Nordrhein-Westfalen. Verstecken Sie sich deswegen nicht immer hinter dem Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum!

(Marc Lürbke [FDP]: Ganz genau!)

Nordrhein-Westfalen hatte doch die ausländerrechtliche Federführung im Fall Amri. Nordrhein-Westfalen hätte Amris Inhaftierung durchsetzen können, das hat das Rechtsgutachten von Prof. Müller klar belegt.

Ich möchte auf drei Punkte eingehen, bei denen ganz klare Fehler in Nordrhein-Westfalen vorliegen und mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Diesbezüglich fragen wir Sie, Frau Ministerpräsidentin, nach Antworten. Wir hätten eigentlich auch in der Unterrichtung Antworten erwartet.

Anders als vom Innenministerium behauptet wäre eine Ausweisungsverfügung bereits ab Juni 2016 möglich gewesen. Das ist durch das Ministerium für Inneres und Kommunales in den beiden Sitzungen

des Innenausschusses rechtlich falsch dargestellt worden. Unser Rechtsgutachten hat das klar belegt.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Ich möchte dazusagen, wie wichtig es gewesen wäre, diese Ausweisungsverfügung zu haben; denn damit wäre eine spätere Abschiebungshaft erleichtert worden. Aber vor allem – und jetzt hören Sie bitte zu, Frau Ministerpräsidentin –

(Norbert Römer [SPD]: Was soll das denn?)

wären damit strikte Meldeauflagen inklusive des Verbots der Benutzung von Telefon und Internet sowie die Reduzierung des Bewegungsspielraums auf einen kleinen Bezirk verbunden gewesen. So viel zum Thema „mobile Terroristinnen und Terroristen“, Frau Ministerpräsidentin. Den hätte man festsetzen können.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Frau Ministerpräsidentin, bei Verstoß wäre ein Haftbefehl möglich gewesen. Sie sagen immer: Wir sind an die Grenze des Rechtsstaats gegangen. Die Inhaftierung war nicht möglich. – Wollen Sie wirklich die innere Sicherheit in diesem Land vom Rechtsverständnis eines Abteilungsleiters oder einer Siko im Innenministerium abhängig machen? Wenn wir davon sprechen, an die Grenze des Rechtsstaats zu gehen, dann bedeutet das, dass ein Haftantrag gestellt wird, über den ein Gericht, ein Richter entscheidet. Eine gerichtliche Entscheidung ist die Grenze des Rechtsstaats.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Es kann doch nicht angehen, dass hier die Exekutive der Judikative mit einer Prognose die Entscheidung wegnimmt. Die Prognose des Ministeriums ersetzt das Rechtsurteil – das ist nun wirklich ein erbärmliches Verständnis von Rechtsstaat.

(Beifall von der FDP und der CDU – Jochen Ott [SPD]: Das ist doch lächerlich!)

Frau Ministerpräsidentin, ich möchte noch einmal in Erinnerung rufen, in welcher Situation wir uns im Juli 2016 befanden: Am 14. Juli passierte das Attentat in Nizza, am 18. Juli der Anschlag in Würzburg und am 24. das Attentat in Ansbach. Deutschland war in Aufruhr. Hier in Nordrhein-Westfalen – Sie erinnern sich vielleicht – fand in Köln zu dieser Zeit gerade die wunderbare Veranstaltung „Kölner Lichter“ statt – geschützt von gepanzerten Fahrzeugen. Das war damals die Situation.