Protocol of the Session on January 25, 2017

Wir haben aber auch eine strukturelle Rücksichtslosigkeit in der Arbeitswelt festgestellt. Es gibt immer noch zu viele befristete Verträge, auf deren Grundlage man keine Familie gründen kann. Das ist dann unendlich schwierig, weil man nie über ein Jahr hinaus planen kann. Wir haben zur Kenntnis genommen, dass Schichtbetriebe wenig Rücksicht auf junge Mütter, auf junge Familien nehmen. Unternehmen können und müssen sich in diesem Bereich noch erheblich bewegen.

Erfreulicherweise – das will ich deutlich sagen – gibt es inzwischen schon viele Unternehmen, die den Zug der Zeit erkannt haben, und nach meiner Überzeugung sind das die schlauen Unternehmer. Sie binden ihre Mitarbeiter an das Unternehmen; sie sorgen dafür, dass es den Familien gut geht. Das ist nachhaltige unternehmerische Politik, die wir ausdrücklich alle gemeinsam begrüßt haben. Leider gibt es davon immer noch zu wenig.

Darüber hinaus haben wir das Verhältnis zwischen Zeit, Infrastruktur und Geld untersucht. Diese Balance ist entscheidend für das Wohlbefinden von Familien. Ich mache das einmal an einem Beispiel fest. Was nützt viel Geld allein? Was nützt es, wenn man ein hohes Einkommen hat, dafür aber wenig Zeit und eine schlechte Infrastruktur? Das kann keine Familie glücklich machen, weil man kaum die Möglichkeit hat, Zeit miteinander zu verbringen.

Eine gute Infrastruktur kann auch Zeit schaffen, zum Beispiel wenn die Kita oder ein guter ÖPNV in der Nähe vorhanden sind. Es ist auch möglich, haushaltsnahe Dienstleistungen zugunsten von mehr Familienzeit zu erkaufen. Die Balance zwischen Zeit, Infrastruktur und Geld ist für Familien jedenfalls ganz entscheidend.

Deshalb müssen wir verstärkt darauf achten, dass wir als Staat vor Ort eine vernünftige Infrastruktur organisieren, dass Familien genügend Geld zur Verfügung haben, um diese Infrastruktur zu nutzen und dadurch Zeit für ein gutes Familienleben entwickeln können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Familienpolitik ist in den letzten 30 Jahren ideologisch sicherlich sehr belastet gewesen. Das brauchen wir nicht schönzureden, das ist so. Umso stolzer bin ich darauf – das meine ich sehr ernst –, dass wir über 90 % aller Beschlüsse einstimmig gefasst haben.

(Beifall von der SPD und von Walter Kern [CDU])

Trotz des bevorstehenden Wahlkampfes haben wir es geschafft, uns über manche, auch hart geführte, Diskussion hinaus zu beherrschen und zusammenzurücken, und zwar mit der sicheren Erkenntnis, dass wir etwas Gutes für die Familien erreichen wollen. Darauf bin ich sehr stolz.

Ich möchte eines deutlich machen: Für den Fall, dass Rechtspopulisten hier in den Landtag einziehen, wird die Arbeit einer Enquetekommission in diesem Maße sicher nicht mehr möglich sein wird. Das müssen wir den Familien, den Menschen in Nordrhein-Westfalen an dieser Stelle sagen. Diese Gruppierungen hätten uns die Enquetekommission mit ihrem menschenfeindlichen Bild glatt zerschossen. Wir alle sollten dafür sorgen, dass wir am 14. Mai dieses Jahres solche Menschen aus unseren Enquetekommissionen heraushalten.

(Beifall von der SPD)

Abschließend will ich noch sagen, dass wir diesen Bericht natürlich nicht zur Seite legen, sondern er bedeutet für uns als Sozialdemokratie ein Aufgabenheft. Wir müssen zusehen, dass wir in den nächsten Jahren möglichst viele der Impulse, die dort aufgeführt sind, hier im Parlament umsetzen. Ebenso müssen wir diese Impulse auch an die Bundesregierung und an die Kommunen weitergeben. Meine Fraktion jedenfalls wird dabei sein. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Jörg. – Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Kern.

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Und vor allem: Liebe Sachverständige, Professoren, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fraktionen und des Kommissionssekretariats, die heute auf der Tribüne Platz genommen haben! Besten Dank für Ihre herausragende Arbeit. Ich möchte an dieser Stelle besonders Herrn Dr. Sandhaus vom Kommissionssekretariat nennen, der zur rechten Zeit zu uns kam.

Wir alle sind geneigt, zu sagen: Es ist geschafft. – Dabei haben wir mit viel Mühe und Schweiß gerade erst die Startblöcke eingehauen. Die Arbeit fängt jetzt erst richtig an. Das wird für Nordrhein-Westfalen ein langer Weg, den wir gemeinsam gehen müssen.

Mehr als zwei Jahre lang haben wir uns mit dem Schlüsselthema, der Stärkung der Familien in Nordrhein-Westfalen, befasst. Die Diskussionen und die

fachliche Auseinandersetzung waren konstruktiv, intensiv, teilweise polarisierend und strittig, ideologisch, kleinteilig und detailverliebt, stets unter Zeitdruck – aber immer auf der Suche nach Kompromissen. Manchmal erinnerten mich die Sitzungen an bestimmte gruppendynamische Erfahrungen.

Wir haben tolle Experten kennenlernen dürfen. Beispielhaft will ich Prof. Dr. Franz-Xaver Kaufmann und Prof. Dr. Paul Kirchhof nennen sowie den „Verband alleinerziehender Mütter und Väter“ und den „Verband kinderreicher Familien Deutschland“.

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, die Ergebnisse der Kommission dürfen nicht in den Schubladen verschwinden, sondern sie sollen und werden uns in der nächsten Dekade begleiten. Das sind wichtige Handlungsempfehlungen an das Parlament, an das Tagesgeschäft. Meines Erachtens stehen alle Kommissionsmitglieder in der besonderen Verantwortung, kontinuierlich darauf zu achten, dass die Stärkung der Familien zu einem führenden Thema, ja zum Hauptthema in Nordrhein-Westfalen wird.

Dazu bedarf es grundlegender politischer Entscheidungen. Dabei muss der Weg so beschritten werden, dass wir uns im Sinne von Qualitätsmanagement ständig verbessern – Schritt für Schritt mit einer rollenden Prüfung und mit Evaluation.

Trotz aller Unterschiede in der politischen und fachlichen Sichtweise war es unser gemeinsamer Nenner, mehr Gutes für Familien in Nordrhein-Westfalen zu erreichen. Wir sollten in dem Bewusstsein weiterarbeiten, Rückstände aufzuholen und in NordrheinWestfalen gegebenenfalls auch einmal mutig voranzugehen – geleitet von dem Maßstab: Was nutzt der Familie?

Das Ziel der CDU – unser Ziel – besteht darin, einmal sagen zu können, dass Nordrhein-Westfalen zu den familienfreundlichsten Bundesländern zählt – und zwar nicht nur als PR-Gag, sondern nachprüfbar und transparent.

(Beifall von der CDU)

Die CDU hat die Enquetekommission von Anfang an als Auftrag verstanden, insbesondere in der NRWLandes- und Kommunalpolitik Chancen zu schaffen, Familien zu stärken.

Ich frage Sie: Weshalb benötigen wir eine Enquetekommission für Nordrhein-Westfalen, wenn wir bei den Handlungsempfehlungen immer wieder Richtung Berlin blicken? Das ist nicht konsequent. Die CDU hat deshalb von der Bewertung bundespolitischer Forderungen abgesehen. Ein Zusammenhang von bundes- und landespolitischen Vorschlägen ist zwar denkbar, würde aber die Bedeutung einer eigenständigen Landesfamilienpolitik Nordrhein-Westfalens infrage stellen, geradezu unterlaufen.

Die CDU Nordrhein-Westfalens stellt sich dieser Verantwortung für das Land. Wir betonen ausdrücklich: Unsere Familien in Nordrhein-Westfalen brauchen eine Landesfamilienpolitik, die passgenau auf die Bedürfnisse der Familien im jeweiligen Sozialraum zugeschnitten ist. Diese können je nach Region sehr unterschiedlich sein: Stadt, Land, Ballungszentren usw. Umso wichtiger ist es, die kommunale Ebene in ihren Handlungs- und Umsetzungsmöglichkeiten wieder zu stärken.

Meine lieben Zuhörerinnen und Zuhörer, im Zusammenhang mit der bekannten Shell-Studie ist die Bedeutung der Familie für junge Menschen wiederholt dargestellt worden. Sie wünschen sich Kinder und Familie. Politisch schaffen wir es nicht, diesen Wunsch durchzusteuern und so zu unterstützen, dass eine frühe Familiengründung möglich ist, zum Beispiel in Studium oder Ausbildung. So etwas funktioniert unter anderem durch weniger befristete Arbeitsverträge und damit mehr Sicherheit bei der Familiengründung.

Diesen laut Shell-Studie deutlich ausgesprochenen Wunsch junger Menschen müssen wir als politischen Auftrag verstehen. So kann Politik durchaus Einfluss auf das Lebensglück nehmen.

Familien stecken in einem zeitlichen Sandwich. Zeit ist ohne Zweifel die Leitwährung moderner und zeitgemäßer Familienpolitik. Junge Familien fühlen sich berechtigterweise häufig unter Druck – das ist die Rushhour des Lebens. Für die CDU ist und bleibt die Wahlfreiheit der Eltern ein tragendes Ziel ihrer Familienpolitik.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Dabei gilt insbesondere, dass die Eltern Familie und Arbeit miteinander vereinbaren können müssen. Hier erleben wir derzeit einen Paradigmenwechsel. Junge NRW-Bürgerinnen und -Bürger wollen arbeiten, um zu leben, und nicht so sehr leben, um zu arbeiten. Man nennt das auch Work-Life-Balance.

In dieser Legislaturperiode haben die Verantwortlichen zu häufig so getan, als bestünde gute Familienpolitik nur im angemessenen Ausbau von Betreuungsplätzen. Da besteht ohne Zweifel ein Defizit in Nordrhein-Westfalen. Gute Familienpolitik ist aber noch viel mehr. Wir sollten Familie auf einer Lebensachse betrachten – von der Wiege bis zum Lebensende. Ausgerichtet an dieser Lebensachse sollten und könnten, wo es erforderlich und notwendig ist, Unterstützungssysteme herangezogen werden. Das Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“, wobei die Selbstverantwortung der Familien zu stärken ist, muss Maßstab unseres Handelns sein.

Gerade die Unterstützung bei der häuslichen Pflege wird immer mehr zur Schlüsselfrage guter Familienpolitik; ich nenne nur das Stichwort „demografischer

Wandel“. Die Wahrheit ist aber auch, dass Familienpolitik nicht nur eine politische Aufgabe ist. Die Sozial- und Tarifpartner müssen familienbewusste Arbeitszeitmodelle zum selbstverständlichen Verhandlungsgegenstand ihrer Tarifverhandlungen machen.

(Beifall von Michael-Ezzo Solf [CDU])

Hier sehe ich noch Luft nach oben; da gibt es deutliche Entwicklungschancen. Familien zu stärken, muss deshalb eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein und den veränderten Anforderungsprofilen gerecht werden.

Ein Beispiel: Junge Väter definieren heutzutage ihre Rolle immer weniger über das Ernährer-Modell; vielmehr wollen sie mehr Teilhabe und Verantwortung beim Aufwachsen ihrer Kinder übernehmen. Das muss ermöglicht werden. Ein gesellschaftliches Klima für Familien, wie es beispielsweise in Norwegen gelebt wird, kann dafür durchaus ein Vorbild sein.

Die CDU-Landtagsfraktion hat sich nach intensiver Diskussion entschieden, dem Parlament und der Öffentlichkeit mit einem Sondervotum aufzuzeigen, wie sie sich ein Gesamtkonzept einer Landesfamilienpolitik in Nordrhein-Westfalen vorstellt.

Wir sind überzeugt, dass wir das geforderte gemeinsame Bündnis der Familienpolitiker benötigen. Der Einsetzungsbeschluss fordert ein Gesamtkonzept der Politik für Familien in Nordrhein-Westfalen. Nur durch die strukturelle Neuausrichtung können wir eine nachhaltige Familienpolitik in Nordrhein-Westfalen ermöglichen.

Die Kernfrage lautet: Wie können wir verlässliche, langfristige Planungssicherheit und stabile Rahmenbedingungen für Familien schaffen? Was nutzt Familien wirklich? Wie unterstützen wir Familien in den heute so vielfältig gelebten Formen – von der klassischen Familie über die Patchwork-Familie bis zur Familie mit einem Elternteil, ob Alleinerziehende, ob Armutssituation von Familien und Kindern, ob Armutsrisiko für Alleinerziehende oder Kinderreiche? Dringend erforderlich ist natürlich auch – und das will ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen – die erforderliche Familienbildung und Familienberatung.

Nach Ansicht der CDU ist es geradezu ein Skandal, dass diejenigen, die durch generative Beiträge die Zukunftsfähigkeit unseres Gemeinwesens sichern, erhöhten Armutsrisiken ausgesetzt sind. Das darf so nicht bleiben, das muss sich ändern!

In unserem Sondervotum sprechen wir, die CDU, zusammen mit den Experten Dr. Stefan Nacke und Herrn Prof. Klaus Peter Strohmeier Handlungsempfehlungen an:

Erstens. Wir wollen, dass Familienförderung gesetzlich in einem Landesfamilienfördergesetz verankert wird. Das gibt es bisher in Nordrhein-Westfalen nicht.

Zweitens. Wir wollen einen neuen Zuschnitt des Familienministeriums. Die Neuorganisation des Familienministeriums muss sich integriert und systematisch an der Lebenswirklichkeit von Familien orientieren. Wenn 70 % der Pflege in der Familie stattfindet, dann gehört auch die Pflege dazu.

Drittens. Um Familienpolitik langfristig und verlässlich zu planen, brauchen wir regelmäßige Landesfamilienberichte und einen Landesfamilienförderplan, der kurz-, mittel- und langfristige Ziele transparent und messbar darstellt.

Viertens. Wir brauchen eine stärkere und kontinuierliche Vernetzung und einen Austausch der Familienpolitik mit der Wissenschaft. Wichtig ist, dass Wissenschaft und Praxis nicht einfach nur nebeneinander stehen, sondern sich gegenseitig im Austausch befinden. Wir brauchen keine Einbahnstraße der Informationen, vielmehr heißt die Lösungsoption kontinuierliche wissenschaftliche Begleitung.

Fünftens. Rahmenbedingungen für Familien finden vor Ort statt. Deshalb ist es zukünftig wichtig, dass wir auch eine kommunale Familienkonferenz vor Ort vorhalten. Wir stellen uns das ähnlich vor wie bei der Gesundheitskonferenz, dass die Kompetenzträger vor Ort vorhanden sind. Gerade die Gesundheits- und die Pflegekonferenz haben hier deutliche Entwicklungschancen aufgezeigt. Der kommunale Familienkoordinator, der diese Familienkonferenz leitet, wird nach unserer Vorstellung direkt dem Rat und dem Bürgermeister berichten.

Sechstens. Wir brauchen eine konsequente Qualitätsoffensive zur Kindertagesbetreuung. Darüber haben wir schon beim vorherigen Tagesordnungspunkt gesprochen; deswegen brauche ich nicht weiter darauf einzugehen.

Siebtens. Familienbildung und Familienberatung sind auszubauen. Das Erfolgsmodell „Familienzentrum“, das in der Laschet-Zeit konzipiert worden ist, muss weiter gefestigt werden.

Achtens. Es bedarf der Wertschätzung und des Engagements für berufstätige und pflegende Mütter und Väter. Familienarbeitszeitmodelle und die Vorbildfunktion insbesondere der öffentlichen Hand sind hier Schlüsselbegriffe.

Neuntens. Familien mit besonderen Belastungen müssen sich auf die Gesellschaft deutlich verlassen können. Gerade die familiäre Pflege bedarf der intensivsten Stärkung. In diesem Bereich müssen wir uns noch verbessern. Insbesondere Familien mit behinderten Kindern brauchen gesellschaftliche Solidarität, und sie müssen das konkret spüren.