Protocol of the Session on January 25, 2017

Wenn wir besonnen bleiben, dann werden es die Terroristen auch nicht schaffen, Keile in unsere Gesellschaft zu treiben.

Das sehen die friedlichen, rechtstreuen Muslime, die hier leben, ganz genauso – unsere Nachbarn, unsere Kollegen, unsere Freundinnen und Freunde. Anschläge wie der in Berlin treffen auch sie ins Herz.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, hat betont, dass der Zentralrat sich mit allen Mitteln dafür einsetzt, dass – ich zitiere –, „die böse Saat, Panik, Hass und Zwietracht zwischen den gesellschaftlichen Gruppen und Religionen zu stiften, niemals aufgeht“.

Das war ein richtiges Signal. Doch ich sage offen, dass ich mir dieses Signal von allen Islamverbänden wünsche. Wir erwarten zudem, dass Islamverbände und Moscheevereine nicht nur das Wort für eine friedfertige und gemeinsame Gesellschaft ergreifen, sondern auch in der täglichen Arbeit deutlich aktiver gegen islamistischen Fanatismus und Extremismus vorgehen. Denn wir bekämpfen nicht den Islam, sondern den Terror im Namen des Islam; wir bekämpfen keine Religion, sondern religiösen Fanatismus, Extremismus und Terrorismus.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade in Nordrhein-Westfalen hat Vielfalt Tradition. Seit vielen Jahrzehnten sind Weltoffenheit und Integration bei uns gelebte Realität. Wir wollen, dass dieser Zusammenhalt in unserem Land auch in Zukunft erhalten bleibt.

Ein gutes Zusammenleben braucht gegenseitigen Respekt und gemeinsame Regeln. Bei uns haben alle Platz, die unsere Gesetze und Werte achten – gleich welcher Herkunft, gleich welchen Glaubens. Wir alle sind Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Die Besonnenheit, die so viele Menschen vorbildlich zeigen, muss in diesen Zeiten auch in Staat und Politik die oberste Richtschnur sein. Deshalb gilt es, jetzt gründlich und schnell aufzuklären und zu analysieren, wie der Anschlag von Anis Amri möglich wurde, und schnell, aber nicht vorschnell alle Konsequenzen zu ziehen, mit denen wir tatsächlich ein Mehr an Sicherheit erreichen können, ohne dabei unsere eigene Freiheit über Gebühr aufs Spiel zu setzen.

Staatliches Handeln muss sich dabei immer der Kritik im politischen Raum und in der Öffentlichkeit stellen. Das ist zwingender Teil von Demokratie. Regierungen müssen sich dieser Kritik stellen. Das tun wir

auch in diesem Fall, bei dem es darum geht, aufzuklären, wie es zu dem grauenhaften Anschlag in Berlin kommen konnte.

Doch ich warne deutlich: Wenn Kritik maßlos und übertrieben wird, dient das nicht der Sicherheit in diesem Land.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das sollte auch in Zeiten von Wahlkämpfen gelten.

(Beifall von der SPD)

Daher wünsche ich mir, dass wir die Aufarbeitung hart in der Sache, aber verantwortungsbewusster im Ton führen. Ich sage dies vor allem mit Blick auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in allen Sicherheitsbehörden in Nordrhein-Westfalen, in anderen Ländern und im Bund,

(Vereinzelt Zurufe von der CDU und der FDP)

die Tag für Tag ihr Bestes geben für unser aller Sicherheit. Für diese Sicherheit arbeiten engagierte, kompetente Männer und Frauen, starke Institutionen. Sie sorgen für ein sehr hohes Maß an Sicherheit. Sie verdienen für ihre Arbeit Anerkennung, Respekt und Vertrauen, und sie verdienen auch das Recht auf eine faire Behandlung, auch wenn es zu Fehlern oder Fehleinschätzungen gekommen ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zu- ruf von der CDU)

Große Teile der westlichen Welt stehen bereits seit vielen Jahren im Fadenkreuz des Terrors. Seitdem kämpfen die Sicherheitsorgane in vielen Ländern gegen diesen skrupellosen Gegner – einen Gegner, der sich nicht scheut, wahllos Unschuldige zu töten, und dem sein eigenes Leben nichts wert ist. Es gibt eine breite und schreckliche Spur von Anschlägen weltweit, auch bei uns in Europa.

Auch wir in Deutschland sind im vergangenen Jahr Anschlagsziel geworden – in Würzburg, in Ansbach und nun in Berlin. Die Sicherheitsbehörden analysieren dabei immer aufs Neue die Handlungsweisen der Terroristen, um neue Erkenntnisse in ihre Sicherheitsmaßnahmen einfließen zu lassen. Das gilt besonders, wenn ein Terrorakt trotz vorhandener Erkenntnisse nicht verhindert werden konnte, wie in Berlin.

Wir sind es den Opfern und den Angehörigen schuldig, dass wir die Vorgänge rund um den Anschlag umfassend aufklären und dann die notwendigen Konsequenzen ziehen, um möglichst neue Trauer und neues Leid zu verhindern. Doch auch dies gehört zur Ehrlichkeit dazu: Eine hundertprozentige Sicherheit wird es nie geben können.

(Vereinzelt Zurufe von der CDU und der FDP)

Wir in Nordrhein-Westfalen stellen uns dieser Verantwortung. In Nordrhein-Westfalen hat es bereits

zwei Sitzungen des Innenausschusses zum Fall Amri gegeben, in denen der Innenminister, der Staatssekretär und die leitenden Beamten des Ministeriums umfangreich zu den Fragen Stellung bezogen haben.

(Peter Biesenbach [CDU]: Na ja!)

Dort sind die Details intensiv diskutiert worden.

(Vereinzelt Lachen von der CDU)

Die Landesregierung hat zudem als erste Regierung in Deutschland zugesagt, dass eine unabhängige Überprüfung zu den Abläufen erfolgen wird – noch vor dem Bund. Ich bedaure, dass es keine Verständigung der Fraktionen im Landtag gegeben hat, eine gemeinsame unabhängige Begutachtung durch den Landtag zu beschließen. Wir werden jetzt als Landesregierung einen Sonderbeauftragten zur Erstellung eines Gutachtens berufen.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Als Gutachter wird uns Herr Prof. Dr. Bernhard Kretschmer zur Verfügung stehen.

(Zuruf von der CDU: Das Ergebnis steht ja schon fest!)

Ausschlaggebend war bei unserer Auswahl, einen fachlich kompetenten, von den Regierungsparteien unabhängigen Gutachter zu benennen, der bisher noch nicht im Auftrag der Landesregierung gearbeitet hat. Herr Prof. Kretschmer ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Wir halten ihn unter anderem auch deshalb für besonders geeignet, weil die zu begutachtenden Fragestellungen in seinen Forschungs- und Tätigkeitsschwerpunkt fallen. Er wird Zugang zu allen Dokumenten und Akten erhalten, eine angemessene Unterstützung bekommen,

(Zurufe von der CDU und der FDP)

und er wird völlig autark arbeiten.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Gute Num- mer! Er kriegt alle Dokumente, aber wir krie- gen keinen Zugang!)

Ziel ist es, bis Ende März das Gutachten vorliegen zu haben. Unabhängig davon bietet die Landesregierung dem Bund selbstverständlich an, mit allen eng zu kooperieren, die auf Bundesebene die Abläufe durchleuchten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir zeigen, dass Politik unvoreingenommen analysiert,

(Zuruf von der CDU: Das ist ja wohl ein Witz!)

dass sie lernt und dann auch handelt.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Wir müssen dem Terror, der immer wieder neue perfide Mittel findet, um zuzuschlagen, ein lernendes, immer besser werdendes System entgegensetzen. Zu einer umfassenden Aufklärung gehört auch, das Handeln der eigenen Behörden zu hinterfragen, aus möglichen Versäumnissen und Fehlern zu lernen und gegebenenfalls diese zu korrigieren. Das erwarten wir auch von allen politischen Ebenen in den Ländern und im Bund.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir sind in der Phase der Analyse. Auch der Bund hat seine Analyse der Geschehnisse noch nicht abgeschlossen. Wer in dieser Phase der Aufarbeitung jetzt schon glaubt, genau zu wissen, wer wo was wann falsch gemacht hat und dafür zur Verantwortung gezogen werden muss, springt zu kurz. Denn der erhöht die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger nicht einen Millimeter. Meine Bitte ist daher: Tragen wir gemeinsam zu einer kompletten, besonnenen Aufarbeitung der Geschehnisse bei! Das muss unser Ziel sein.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zu- rufe von der CDU und der FDP)

Wir alle, Parlament und Regierung, stehen in der Verantwortung dafür, dass unser Staat und seine Institutionen die Bürgerinnen und Bürger schützen und Vorsorge gegen mögliche Gefahren treffen kann. Daher geht es jetzt darum, Entscheidungsabläufe auf den Prüfstand zu stellen und gegebenenfalls zu korrigieren.

Eine Erkenntnis aus der Diskussion ist, dass die aktuelle Rechtslage nachgebessert werden muss. Es hat im Fall Amri Fehler gegeben. Das habe ich, das haben auch andere mehrfach betont. Es war aus heutiger Sicht eine Fehlentscheidung, eine Fehleinschätzung, die Beobachtung zu beenden, die Gefährlichkeit Amris zu unterschätzen.

Im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum sitzen 40 Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern an einem Tisch. Sie sind mehrfach zu der Einschätzung gekommen, dass von Amri keine konkrete Gefährdung ausgeht. Das ist, wie aus heutiger Sicht klar ist, falsch gewesen. Ich glaube, wir sollten niemandem einen persönlichen Vorwurf machen. Es werden anhand von Erkenntnissen Entscheidungen getroffen, und dabei kann es leider auch zu falschen Entscheidungen kommen.

Nach meiner Kenntnis gibt es jetzt erste Ansätze, an diesen Prozessen Veränderungen vorzunehmen. Der Einsatz einer neuen Software wird diskutiert. Es sollen jetzt die Definitionen überarbeitet werden, wann ein Gefährder auf der Skala wie einzustufen ist. Wir begrüßen dies sehr. Aber wir brauchen auf BundLänder-Ebene eine verfassungsfeste Definition des Gefährders. Wir müssen nämlich auch in den Blick

nehmen, dass diese Gefährder adäquat behandelt werden und dass das auch gerichtsfest erfolgen muss.