Von dieser Praxis wurde aus meiner Sicht mit dem Sammelcharter abgewichen. Worum ging es da gestern? – Ich glaube, es ging dem Bundesinnenminister darum, ein Exempel zu statuieren, ohne Rücksicht – und das ist der Vorwurf, den ich ihm mache – auf die Menschen, die er in eine ungewisse Zukunft führt. Nach wie vor ist die Menschenrechtslage in Afghanistan nicht so, dass ich es für verantwortbar behalte, dorthin Sammelabschiebungen vorzunehmen.
Das war der Grund dafür, dass ich gesagt habe: Hier ist meine persönliche rote Linie, und ich möchte nicht, dass Nordrhein-Westfalen sich an dieser Politik beteiligt. Das ist meine Bewertung, bei der ich auch bleibe, und ich hielt es damit für unvereinbar, weiterhin als flüchtlingspolitische Sprecherin meiner Fraktion diese Politik mitzutragen.
Jetzt komme ich zum Thema. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Stamp hat es eben auch aus seinen eigenen Erinnerungen angeführt, und ich kann das ergänzen: 1999 stand ich selber am Wahlkampf
stand in Düsseldorf. Wir hatten Kommunalwahlkampf, und neben uns war der CDU-Stand. Es war genauso, wie Sie es gerade geschildert haben:
Die Kampagne von Roland Koch lief, und alle gingen zum CDU-Stand und sagten: Wo kann ich hier gegen Ausländer unterschreiben? Wo kann ich hier gegen Türken unterschreiben? – Und die Wahlkämpfer am Stand der CDU sagten nicht: Moment mal, liebe Bürgerinnen und Bürger. Darum geht es nicht. Wir haben eine andere Auffassung zum Doppelpass, und die möchte ich Ihnen gerne erläutern. – Nein! Die Wahlkämpfer von der CDU hielten diesen Leuten die Unterschriftenliste unter die Nase und sagten: Hier können Sie sofort unterschreiben! – Das war die Lage im Jahr 1999. Daraufhin kam es zu diesem Kompromiss mit der Optionspflicht, wie dargestellt.
Dann hatten wir 2005 einen Integrationsminister Laschet. Ich habe mir noch mal seine Zitate rausgesucht. Er hat vor zehn Jahren in einem Interview mit der „taz“ gesagt:
„Viele Kulturen heißt auf Lateinisch: multikulti. Hier leben über drei Millionen Muslime, die bleiben auch auf Dauer hier.“
Auf die Frage: „Unionspolitiker sagen trotzdem immer noch, Deutschland sei kein Einwanderungsland“, antwortet Armin Laschet 2006:
„Diese These war schon immer falsch. Das war eine Lebenslüge. Wenn in ein Land mehrere hunderttausend Menschen jedes Jahr ziehen, ist das natürlich ein Einwanderungsland. Ich glaube, diese Erkenntnis setzt sich auch in der Union durch.“
Das sagte Armin Laschet vor zehn Jahren. Ich glaube, da hat er sich hinsichtlich seiner eigenen Partei gründlich geirrt.
Inzwischen wird – ich habe die Zahlen noch mal nachgeguckt – mehr als die Hälfte der Einbürgerungen unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit durchgeführt. Der Doppelpass ist also nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Was sind das für Länder? – Iran, Syrien, Afghanistan, Algerien, Marokko und Tunesien. Das sind alles Länder, in denen die Aufgabe der bisherigen Staatsbürgerschaft laut Gesetz nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Dann wird ein Doppelpass ausgestellt.
Also sind wir doch mal ganz ehrlich, worüber wir heute reden: Wir reden darüber, dass man den türkischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern diesen Doppelpass nicht geben will. Nur darum geht es. Auch da unterliegt die CDU einer erneuten Lebenslüge. Auch mich haben die Demonstrationen von hier geborenen türkischstämmigen Menschen, die für die
Erdoğan-Politik auf die Straße gehen, ziemlich fassungslos und besorgt gemacht. Bei diesen Demonstrationen merken wir, dass wir es nicht verstehen, warum diese Menschen für eine Politik, die mit unseren Grundwerte nichts zu tun hat, auf die Straße gehen. Wir fragen uns: Was ist da schief gelaufen?
Herr Kuper, selbstverständlich müssen wir uns alle diese Frage stellen. Aber die Antwort darauf kann doch nicht sein, dass wir jetzt wieder die Optionspflicht machen. Das hat mit der Doppelpassdebatte nichts zu tun – im Gegenteil.
Ich glaube im Gegenteil, dass wir die Probleme, die wir hier in der Community haben, nicht mit dieser Antwort lösen können. Das ist eine erneute Lebenslüge, und nach 20 Jahren machen Sie dieselben Fehler noch mal! Das finde ich traurig und schade; denn ich glaube, wir waren auch mit der CDU in diesem Landtag mal weiter. – Danke schön.
Vielen Dank, Frau Kollegin Düker. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Daher schließe ich die Aktuelle Stunde.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich zum eigentlichen Thema komme, will ich die Gelegenheit nutzen, ganz kurz auf eine Äußerung – ich hätte ansonsten eine persönliche Erklärung abgegeben, aber ich bin ja jetzt ohnehin am Rednerpult – aus der vergangenen Debatte Bezug zu nehmen, die unabhängig vom Thema vom Kollegen Kuper gemacht worden ist.
Der verehrte Kollege Kuper, dem ich das persönlich nicht übel nehme, aber dem ich das trotzdem vorhalten möchte, hat in der Debatte offensichtlich Folgendes gemacht: Er hat die 153 Jahre des Bestehens der Sozialdemokratie genommen und davon unsere Beteiligung an Regierungen abgezogen und dann darauf geschlossen, dass die Sozialdemokratie in der übrigen Zeit in der Opposition gewesen sei.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das möchte ich so nicht hinnehmen. Denn während der Zeit des Kaiserreiches war die deutsche Sozialdemokratie viele Jahre lang verboten, und während der Zeit des NSTerrors waren viele unserer Parteigenossinnen und Parteigenossen Verfolgungen ausgesetzt und haben im Konzentrationslager und im Gefängnis gesessen.
Ich will jetzt den Antrag für ein modernes Einwanderungsgesetz deutlich als breites Angebot an das Parlament in Nordrhein-Westfalen formulieren. Wir wollen die Bestrebungen zur Schaffung eines solchen Einwanderungsgesetzes auf Bundesebene unterstützen. Angesichts der Tatsache, dass gerade in Nordrhein-Westfalen über alle Parteigrenzen hinweg in der Frage vergleichbare Ansätze vertreten werden, wünschen wir uns ein breit getragenes Signal aus diesem Landtag, dass in Deutschland diese Zukunftsaufgabe, die Schaffung eines modernen Einwanderungsgesetzes, kurzfristig angegangen wird.
Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Gestaltung einer Einwanderungsgesellschaft, gleichzeitig die Organisation gleichberechtigter gesellschaftlicher Teilhabe, die Integration von Menschen – all das sichert in Deutschland, in NRW und jeweils auch vor Ort Zukunft.
Das ist nicht nur die Meinung vieler Betroffener, die uns in Deutschland auf einem gesetzlich vorgegebenen Weg dabei helfen wollen, Zukunft zu bewältigen. Das ist nicht nur die Meinung in der Politik. Auch in der Wirtschaft, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird zu Recht intensiv auf die demografische Entwicklung und ihre Folgen zum Beispiel für Unternehmen in unserem Land hingewiesen. Ich habe einige Beispiele gefunden. Ich will die jetzt nicht alle aufzählen. Aber wenn sich die Präsidenten der IHK in Köln und Bonn, wenn sich der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages gegenüber der „Berliner Morgenpost“ in der Frage auch hinsichtlich des Fachkräftemangels äußern, dann ist das, denke ich, ein Signal dafür, dass es einen breiten gesellschaftlichen Konsens zur Schaffung eines Einwanderungsgesetzes in unserem Land gibt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines liegt uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten besonders am Herzen: die langfristige Sicherung sozialer Systeme durch Menschen, die sich in unsere Gesell
schaft einbringen. Sie stärken die Sicherungssysteme. Das ist nach unserer Meinung ein absolut wichtiger Aspekt.
Darüber hinaus bedeutet das auch die Schaffung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, die Integration und Teilhabe beinhaltet. Es bedeutet dauerhafte Lebensperspektiven für Menschen in Deutschland und bedeutet auch – das steht in unserem Antrag –, dass wir selbstverständlich von einem Recht auf Familiennachzug für die betroffenen Menschen ausgehen.
Das fördert auch eine vernünftige Unterteilung bezogen auf die Gründe, weshalb Menschen in unser Land kommen. Denn wir – das will ich auch ganz deutlich sagen – bestehen darauf, dass das Grundrecht auf Asyl keine Obergrenzen verträgt. Wenn Herr Seehofer das jetzt sogar zur Gretchenfrage für künftige Regierungsbeteiligungen macht, dann ist das seine Sache. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann mir Regierungen in Deutschland durchaus auch gut ohne die CSU vorstellen.
An der Stelle erlauben Sie mir diese Anmerkung: Das Grundrecht auf Asyl soll aber gerade nicht den Weg für Arbeitsmigration öffnen. Das macht klar, dass alle Menschen, die als Flüchtlinge oder als Asylberechtigte zu uns kommen und ein Bleiberecht, eine Bleiberechtsperspektive haben, natürlich auch zum Zweck der Integration ganz kurzfristig im Bereich der Arbeitsaufnahme Unterstützung und Hilfe finden müssen. Aber das ist eine ganz andere Sache als das, was wir hier verlangen. Das betrifft ganz andere Fallgestaltungen.
Wir wollen dazu beitragen, dass Menschen, die den Weg über ein Einwanderungsgesetz nach Deutschland gehen können, nicht mehr dazu gezwungen sind, irregulär einzureisen oder gar Asyl zu beantragen, obwohl das eigentliche Ziel ihres Wunsches, sich hier aufzuhalten, die Arbeitsaufnahme und die dauerhafte Einwanderung sind. Dass das unter Berücksichtigung vernünftiger Kriterien, zum Beispiel bezogen auf die Situation am Arbeitsmarkt innerhalb der Bundesrepublik und innerhalb unserer Regionen, passieren muss, ist selbstverständlich.
Ich könnte jetzt noch Bezug nehmen auf den Fraktionsvorsitzenden der FDP, der sich am 12.12. zum Einwanderungsgesetz geäußert hat und die Frage gestellt hat, wieso die CDU an der Stelle denn nicht beweglicher ist. Ich könnte auch Herrn Laschet zitieren, der mehrfach sogar Thomas Oppermann in seiner Forderung unterstützt hat, hier ein modernes Einwanderungsrecht zu schaffen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns geht es an der Stelle ganz bewusst nicht darum, parteipolitische Gräben aufzuwerfen. Uns geht und ging es darum, aus NordrheinWestfalen heraus ein überzeugendes Zeichen zu setzen, das uns auch in die Situation bringt, Men
schen wirklich diese Lebensperspektiven mitzugeben. Wir wollen keine Taktik auf Kosten vernünftiger Lösungen.
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen wir Sie gerne dazu einladen, unserem Antrag zuzustimmen. Wenn Sie ihn genau durchlesen, werden Sie vielleicht feststellen, dass wir in einigen Fragen keine abschließende Lösung für die genaue Struktur eines solchen Einwanderungsgesetzes vorgeben wollen. Ich denke zum Beispiel an die Überprüfung des Punktesystems. Ich halte das für einen sinnvollen Vorschlag. Wir wollen aber eine breite Zustimmung in der Diskussion über ein Einwanderungsgesetz auf Bundesebene bekommen.
Vielen Dank, Herr Kollege Körfges, dass Sie meine Zwischenfrage zulassen. – Sie sind gerade dabei, auch Ausführungen zu den Rahmenbedingungen eines möglichen Einwanderungsgesetzes zu machen. So haben Sie das ja auch in Ihrem Forderungskatalog aufgeführt. Dazu habe ich eine Verständnisfrage. Sie schreiben dort:
„Die Möglichkeiten des Erwerbs der deutschen Sprache sowohl im In- als auch im Ausland werden ausgebaut.“
Können Sie mir bitte erklären, wie die Formulierung „Die Möglichkeiten des Erwerbs der deutschen Sprache … werden ausgebaut“ gemeint ist?
Es geht darum, dass wir den Menschen, die aus dem Ausland heraus einen Antrag stellen, zum Zweck der Arbeitsaufnahme nach Deutschland zu kommen, schon rechtzeitig vorher im Ausland – unter anderem über die GoetheGesellschaften – Angebote für den Spracherwerb machen, um damit von vornherein bessere Bedingungen für Integration zu schaffen. Ich halte das für möglich und auch für außenpolitisch durchaus angezeigt und angesagt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will zu der Frage zurückkommen, warum wir in unserem Antrag nicht alles im Detail vorgeben. Es wäre einfach gewesen, in unserem Antrag zu formulieren, dass wir uns der Bundesratsinitiative anschließen oder das unterstützen, was die SPD-Bundestagsfraktion vorgelegt hat. Wir wollen an dieser Stelle aber allen, die es genauso wie wir für nötig halten, über ein Einwanderungsge