Protocol of the Session on November 30, 2016

(Michele Marsching [PIRATEN]: Oder wenn die Straße kaputt ist! Oder wenn die Schule verfällt!)

Die Menschen verspüren in dieser Zeit eine große Unsicherheit. Sie erleben, dass staatliche Sicherungen entfallen sind oder ausgedünnt werden. Und dafür steht die SPD: die Rente „zerriestert“, die Arbeitslosenversicherung „zerhartzt“, die Krankenversicherungen „zerschmidtert“. Und jetzt soll auch noch die Infrastruktur Stück für Stück „verschäublet“ werden. Das verkraftet unser Land nicht. Handeln Sie! – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Kern. – Nun hat der fraktionslose Kollege Schulz das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vorhin war die Rede davon, dies sei eine Bilanz. Ich sage: Dieser Haushaltsentwurf 2017, über den wir heute in zweiter Lesung mit einer einzigen Ergänzungsvorlage beraten, bildet, wie schon die vorangegangenen Haushalte dieser Legislaturperiode, die Grundlage für das Zeugnis, welches dieser Landesregierung und der sie tragenden Koalition auszustellen ist.

Das Ergebnis lautet: „ungenügend“. Aus Rücksicht auf die Menschen in unserem Lande könnte man vielleicht noch sagen: Es gibt insofern eine Tendenz zu „mangelhaft“, als in den vergangenen fünf Jahren teilweise ein Stellenaufwuchs zu verzeichnen gewesen ist, insbesondere bei der Polizei, aber auch bei den Lehrerinnen und Lehrern.

Es reicht aber nicht, diese Stellen einfach auszuweisen, es bedarf auch der Menschen, die diese Stellen besetzen, und in dieser Hinsicht gibt es erhebliche Defizite. Dennoch darf man auch mal etwas Positives erwähnen. Das war es dann aber auch schon. Ansonsten kann man nur sagen: Versetzung gefährdet. Ich hoffe, eine solche findet nicht statt, jedenfalls nicht, was diese Landesregierung angeht.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE] – Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Was die Kollegen der Opposition hier bisher ausgeführt haben, unterstreiche ich nahezu vollständig und danke dem Kollegen Kern, dass er noch einmal den Punkt „Integration“ und die Ausgaben des Landes Nordrhein-Westfalen für diesen Bereich aufgegriffen hat.

Bedauerlicherweise haben Sie von den regierungstragenden Fraktionen den von der CDU eingebrachten Haushaltsänderungsantrag, nämlich die Weiterleitung von 434 Millionen € an die Kommunen in 2016, abgelehnt. Das muss man einmal ganz klar sagen.

Frau Ministerpräsidentin – derzeit vertreten durch Frau Löhrmann – hat stets betont, die sogenannte Integrationspauschale des Bundes sei für die Länder gedacht. Sie – die Ministerpräsidentin – ergeht sich in Lippenbekenntnissen und behauptet, sie verhalte sich solidarisch mit den Kommunen.

Das lässt sich jedoch nicht erkennen. Sie müssten den Menschen im Land – insbesondere den Bürgermeistern, die über die Kosten der Integration von Flüchtlingen stöhnen – einmal erklären, worin die Solidarität von Rot-Grün an dieser Stelle besteht. Bürgermeister mit SPD-Zugehörigkeit, unter anderem Pit Clausen und Oberbürgermeister Frank

Baranowski aus Gelsenkirchen, sagen unisono: Sie lassen die Kommunen im Regen stehen.

Finanzminister Norbert Walter-Borjans sitzt weiterhin im Schuldenraumschiff des Landes Nordrhein-Westfalen, und es ist keine wesentliche Änderung in Sicht. Das alles geschieht vor dem Hintergrund des Umstands, dass die Inklusion – zumindest nach dem Stand heute – als gescheitert angesehen werden muss und dass Zukunftsinvestitionen samt und sonders fehlen.

Wie hat der Kollege Kern es ausgedrückt? – Sie machen das Land Nordrhein-Westfalen keineswegs fit für die Zukunft. Davon ist das Land Nordrhein-Westfalen bedauerlicherweise heute weiter entfernt als noch vor fünf Jahren. – Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von Nicolaus Kern [PIRATEN])

Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Dr. Walter-Borjans.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon interessant, sich so viele verschiedene Vorwürfe anzuhören, die sich am Ende vollkommen widersprechen.

Was ist denn jetzt, Herr Schulz und Herr Kern? Ist die Schuldenbremse falsch, oder ist die Schuldenbremse richtig? Wird das Land kaputtgespart, oder sitzen wir im Schuldenraumschiff?

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Habe ich da einen Zweifel dran gelassen? War das eine ernst ge- meinte Frage?)

Ich will Ihnen einmal sagen, wie die Tatsachen aussehen. Nie hat es in diesem Land einen so stetigen Abbau der Kreditaufnahme gegeben wie in den sieben Jahren seit 2010. Das ist der erste Punkt.

(Beifall von der SPD – Lachen bei Ralf Witzel [FDP])

Außerdem ist der Abbau nicht von einer riesigen Höhe auf eine immer noch große Höhe gefallen. Es war vielmehr so: Als ich im Jahr 2010 Finanzminister wurde, mussten 9,4 Cent von jedem Euro, den das Land ausgab, bei der Bank oder sonst wo geliehen werden. Im Haushalt 2017 sind es noch 2,5 Cent pro ausgegebenem Euro. Auch dieses Niveau ist nie niedriger gewesen.

Um das einmal an den Anfang zu stellen: Das Land – dabei bleibe ich – hat nicht nur darauf zu achten, dass der Haushalt ausgeglichen ist – das ist ein wichtiges Ziel –, sondern es hat auch noch seine Aufgaben zu erledigen. Deswegen kann ich nur zitieren, was heute über Johannes Rau in der „WAZ“ steht, Herr Optendrenk. Da steht nämlich, dass Johannes Rau mal gesagt hat: Traue nie einem Zitat, das du nicht selber aus dem Zusammenhang gerissen hast.

(Beifall von Michael Hübner [SPD])

Das trifft auf das Zitat zu, das Sie gebracht haben. Es ist von Ihnen richtig zitiert. Aber die „Rheinische Post“ hat am 7. März falsch zitiert. Lesen Sie mal die „WAZ“ vom 6. März. Da steht nämlich drin, was ich genau gesagt habe. Da steht drin: Eine schwarze Null erreiche ich auch, wenn ich den Staat abschaffe. – Das sage ich an vielen Stellen. Wenn ich keine Ausgaben und keine Einnahmen habe, habe ich auch einen ausgeglichenen Haushalt. Dann sage ich dazu: In dieser Gesellschaft möchte ich nicht leben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich bedanke mich dafür, dass Sie mich darauf hingewiesen haben, wie das in der „Rheinischen Post“ zusammengefasst worden ist. Ich kann nur sagen: Daraus den Satz zu machen, wer die schwarze Null will, schafft den Staat ab, ist Unsinn. Es gibt genügend Zitate und genügend Quellen, aus denen Sie diese Darstellung, die ich gerade gegeben habe, nachvollziehen können.

Dieser 30.11. hätte so ein schöner Tag sein können, ist heute gesagt worden. Das ist er ganz offenbar nicht. Das war, ehrlich gesagt, was mich angeht, auch nicht zu erwarten. Denn, Herr Witzel, dass Sie

nicht nur regelmäßig fast wortgleiche Kleine Anfragen stellen und damit versuchen, eine Administration lahmzulegen, das ist ja das eine.

(Heiterkeit von Ralf Witzel [FDP])

Das andere ist, dass hier – auch Herr Optendrenk hat das gezeigt – regelmäßig die Tage der Haushaltslesungen zu den Tagen der ausgeleierten Gebetsmühlen gemacht werden, mit immer gleichen, abgedroschenen Worthülsen, die – das ist nun einmal Ihr Problem – mit Wiederholung nicht richtiger werden. Das ist die immer gleiche Miesmacherei dieses Landes Nordrhein-Westfalen und seines Strukturwandels.

Herr Laschet – ich glaube, dass ich ihn richtig zitiere, wenn ich die „Westdeutsche Zeitung“ von der vorherigen Woche zitiere – hat gesagt: Schönrederei hilft den Populisten. – Da sage ich Ihnen mal ganz klar: Diese ewige Miesmacherei ist Populismus.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wer durchblicken lässt, der Strukturwandel sei in Nordrhein-Westfalen nicht vorangekommen, wer manchmal sogar die Bilder benutzt, das sei der Rust Belt von Deutschland oder Europa, der ist im Rust Belt wohl nie gewesen, sondern der macht hier mit bei der postfaktischen Beschimpfung dieses Landes.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Und das richtet sich nicht gegen die Landesregierung. Das richtet sich gegen die Menschen, die in diesen Regionen wohnen. Diese Menschen wissen, dass sie nicht mit einer Gesundheitsversorgung leben wie sie in anderen altindustrialisierten Regionen dieser Welt vorzufinden ist.

(Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])

Die wissen, dass wir eine andere soziale Sicherung haben. Die wissen, dass wir unter anderen Bedingungen wohnen und leben können.

Es gibt eine Menge, was besser werden muss. Das ist überhaupt keine Frage; dafür setzen wir uns auch ein. Aber das gleichzusetzen mit neoliberal regierten Regionen, in denen jeder sich selber überlassen wird, und das dann als eine Folge von sozialdemokratischer Politik und grüner Politik darzustellen, das ist eine Unverschämtheit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Dafür ziehen Sie dann Belege an den Haaren herbei. Dann wird gesagt, ich würde regelmäßig die Steuern hochschreiben. Das Interessante ist nur: Sie haben doch jedes Jahr erzählt, der hat ja viel zu hohe Steuereinnahmen in seinen Haushalten. Das können Sie auch in Zitaten nachlesen. Dann werden Sie feststellen: Am Ende sind diese Steuereinnahmen eingetreten. Aber die sind nicht eingetreten, weil die Steuern erhöht worden sind.

(Ralf Witzel [FDP]: Auch!)

Nein. Der ganz entscheidende Teil des Steuerzuwachses ist nicht eingetreten durch höhere Steuersätze. Der ist eingetreten durch höhere Gewinne, durch höhere Beschäftigung, weil Menschen mehr verdienen und weil die Unternehmen mehr verdienen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wie verträgt sich das mit der Darstellung eines Landes, in dem es wirtschaftlich überhaupt nichts mehr zu verdienen gibt? Das kann doch gar nicht sein.

Dann kommt der nächste Punkt: 20 Milliarden € mehr eingenommen bzw. weniger ausgegeben als noch 2010. Dabei wird nicht erzählt – im Gegenteil, es wird sogar das Gegenteil behauptet –, die Hälfte dieser 20 Milliarden €, die wir heute mehr einnehmen oder weniger ausgeben durch Zinsen und Steuern, 10,3 Milliarden €, gehen an die Kommunen dieses Landes, und das nach einer Regierung, die vorher regiert hat, die alles das, was ganz regelmäßig an die Kommunen weitergegeben wird, weitestgehend gekürzt hat.

(Zurufe von der FDP)

Wir können uns das ja mal angucken. Sie regen sich ja immer auf, Herr Witzel, über die Grunderwerbsteuer. Sie haben in der Zeit eine Änderung vorgenommen, die Sie heute nicht mehr erwähnen. Sie haben die Grunderwerbsteuer nur noch für das Land behalten und an die Kommunen überhaupt nicht mehr weitergegeben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Bei uns haben die Kommunen an jeder dieser zusätzlichen Erhöhungen, aber auch natürlich an dem größeren Aufkommen teilgenommen. Sie bekommen enorme Mittel aus der Grunderwerbsteuer. Die ist bei Schwarz-Gelb mal eben auf null gesetzt worden.