Protocol of the Session on October 7, 2016

Denn bei der FDP sieht es in der Schulpolitik nicht besonders gut aus. Auch sie will zwar das bestehende G8 besser machen. Genaues weiß man jedoch nicht – außer, dass es eine Wahlfreiheit geben soll. Die Gymnasien sollen selbst entscheiden, ob sie eine G8- oder eine G9-Schule sein wollen.

(Eva Voigt-Küppers [SPD]: Super! Genau!)

Doch wer genau soll darüber entscheiden? Etwa die Eltern von heute oder von morgen oder von übermorgen?

(Jochen Ott [SPD]: Jedes Jahr neu!)

Entscheiden diese dann über ihre eigenen Kinder oder über die Kinder anderer Eltern? Wird einmal für immer entschieden? Warum sollten sich zukünftige Schüler- und Elterngenerationen an eine einmalige Entscheidung gebunden fühlen? Oder soll jeder Jahrgang für sich aufs Neue entscheiden?

Mit Verlaub, Herr Kollege Lindner: Der FDPVorschlag läuft auf endlose Auseinandersetzungen um G8 und G9 hinaus – an jeder Schule, in jedem neuen Schuljahr. Er ist ein politischer Schnellschuss.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Er ist unausgegoren und nicht zu Ende gedacht.

Aber das war das schwarz-gelbe G8 ja von Anfang an.

(Beifall von Horst Becker [GRÜNE])

CDU und FDP haben im blinden Eifer die Kürzung der Sekundarstufe I durchgedrückt –

(Yvonne Gebauer [FDP]: Wir haben sechs Jahre diskutiert! – Eva Voigt-Küppers [SPD]: Das stimmt überhaupt nicht, Frau Kollegin Ge- bauer!)

trotz aller Warnungen. Wir haben Sie damals gewarnt. Frau Ministerin Löhrmann hat Sie damals auch gewarnt. Sie hat dann jahrelang die Verantwortung für Ihre missratene Reform übernehmen müssen. Vor allem aber hat sie unermüdlich nach Verbesserungen im Konsens gesucht – und das durchaus mit Erfolg.

(Beifall von Eva Voigt-Küppers [SPD])

Das G8 von heute ist ein besseres als das von 2010. Ja, wir haben das G8 verbessert. Aber es ist immer noch nicht gut.

(Zuruf von Yvonne Gebauer [FDP])

Heute wissen wir, dass sich die großen Folgeprobleme der damaligen übereilten Einführung nicht beseitigen lassen. Es geht um den zentralen Konstruktionsfehler. Es geht um die Verkürzung der Sekundarstufe I, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die Verdichtung des Unterrichts in den Klassen 5 bis 9 hat doch gerade die jüngsten Schülerinnen und Schüler am stärksten belastet.

Hinzu kommt, dass es nach der Sekundarstufe I keinen qualifizierten Abschluss gibt. Das Schulsystem ist weitaus weniger durchlässig als vor der Reform. Es fördert Abschulung statt Aufstieg. Das ist doch der Konstruktionsfehler.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten – ich sage das in aller Offenheit –

(Beifall von Eva Voigt-Küppers [SPD])

wollen das in der nächsten Legislaturperiode ändern. Die Sekundarstufe I soll wieder sechs Jahre dauern und einen qualifizierten Abschluss ermöglichen. Alle Gymnasiasten werden entlang ihrer Wünsche und Bedürfnisse wählen können, ob sie das Abitur nach zwölf oder nach 13 Jahren machen wollen.

Meine Damen und Herren, wir wollen so viel Berechenbarkeit wie möglich und so wenig Veränderung wie nötig. Das ist eine Reform mit Augenmaß. Und die werden wir durchführen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Dieser Reformvorschlag ist genau die richtige Mischung aus Stabilität und Veränderung, die es braucht, um die Konstruktionsfehler des schwarzgelben G8 endlich zu beheben.

Ja, mit unserem Koalitionspartner sind wir uns einig: Schule muss von den Kindern und Jugendlichen aus gedacht werden.

(Armin Laschet [CDU]: Was? Dann machen Sie doch! Dann macht doch ein neues Ge- setz!)

Herr Kollege Laschet, Schule muss von den Kindern und Jugendlichen aus gedacht und konzipiert werden, nicht von organisatorischen Zwängen oder überkommenen Strukturen.

Auch in einem anderen Punkt von grundsätzlicher Bedeutung besteht bei uns zwischen Rot und Grün Einigkeit: Kindheit und Jugend sind keine Trainingslager fürs Berufsleben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das sind Lebensphasen, in denen jeder junge Mensch einen Schatz an Erfahrungen und Erinnerungen sammelt, der durch nichts, was später noch kommen mag, aufgewogen wird.

In Zukunft wird jedes Kind an jeder Schule an jeder Schulform wieder ausreichend Zeit haben – ausreichend Zeit, um sich die Welt jenseits des Unterrichts zu erschließen, ausreichend Zeit, um sich zu einer selbstbewussten Persönlichkeit zu entwickeln, genug Zeit, um zu lernen, genug Zeit, um zu leben. Das ist unser Konzept.

(Zuruf von der SPD: Bravo!)

Glück auf, meine Damen und Herren, und vielen Dank fürs Zuhören.

(Langanhaltender lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Römer. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Lindner.

(Achim Tüttenberg [SPD]: Mal sehen, was die Opposition zu dem Thema sagt! – Gegenruf von der SPD: Jetzt übertreib nicht!)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Eines verbindet alle Fraktionen sowie die Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus, nämlich die gemeinsam gesehene Priorität für die Bildungspolitik, für die Förderung von Kindern und Jugendlichen, ihre Vorbereitung auf ein gelingendes Leben, die Sorge darum, dass sie ihre Lebenschancen tatsächlich verwirklichen können.

Bildungspolitik ist die entscheidende Standortfrage – auch für unsere Gesellschaft und Volkswirtschaft. Die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit und der zukünftige Wohlstand ergeben sich längst nicht mehr aus dem Wettbewerb der Steuersysteme, sondern aus dem Wettbewerb der Bildungssysteme.

Umso beklagenswerter ist, dass Nordrhein-Westfalen im Vergleich der Bundesländer unverändert auf dem 13. Platz rangiert. Wer sich mit Platz 13 bei der Bildungsqualität zufriedengibt, darf sich nicht wundern, wenn er auch bei Wohlstand und Wachstum im hinteren Tabellenfeld zu finden ist.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das ist also eine Schüsselfrage.

Nun debattieren wir über die Bildungspolitik und hören von Norbert Römer sowie der Ministerin, was alles Großartiges geleistet worden ist. Bedauerlicherweise steht all das, was Sie hier schon als vorweggenommene Bilanz der vergangenen sechs Jahre vorgetragen haben, in einem scharfen Kontrast zu all dem, was uns in Briefen geschrieben wird und was Schulkonferenzen an Resolutionen verabschieden. Das steht selbst in scharfem Kontrast zu der Volksinitiative zu G8/G9, die die Bürgerinnen und Bürger ergriffen haben.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die Menschen sehen es anders als Sie. Die Menschen sehen die Bilanz offensichtlich anders als Sie. Die SPD singt zwar auf den Parteitagen immer „Völker, hört die Signale!“;

(Widerspruch von der SPD)

aber bei Ihnen selbst scheinen die Signale nicht oder nur verspätet anzukommen, Herr Römer.

(Beifall von der FDP und der CDU – Lachen von der SPD – Josef Hovenjürgen [CDU]: Deutlich verspätet! – Britta Altenkamp [SPD]: Keine Ahnung! – Stefan Zimkeit [SPD]: Wie kann man als Vorsitzender einer Minipartei so etwas von sich geben?)

In diesem Kontext beraten wir nun „Gute Schule 2020 – wir investieren jetzt für morgen“.

Der WDR hatte die Umfrage, die Armin Laschet eben schon erwähnt hat, Anfang dieses Jahres veröffentlicht. Daraus geht hervor, dass 85 % der Schulleiterinnen und Schulleiter die Gebäudesituation beklagen.