Und das, Herr Minister, schreiben Sie ja selbst in Ihrem Bericht. Die wirtschaftliche Bedeutung der Herstellung materieller Güter nimmt ab. Hochqualifizierte Dienstleistungen werden dagegen vermehrt nachgefragt, zum Beispiel im Gesundheitssektor, im Tourismus, in der Bildung und nicht zuletzt in der Kunst.
Das hat sich auch in der aktuellen Wirtschaftsprognose für unser Land niedergeschlagen. Die Logistik, die vom Internethandel profitiert, sowie freiberufliche, wissenschaftliche und technische Dienstleistungen, überdies die Informations- und Kommunikationstechnik waren die Umsatztreiber – und das nicht erst seit Neuestem.
In der Medien- und Kreativwirtschaft in NordrheinWestfalen arbeiten inzwischen über 550.000 Menschen in rund 65.000 Unternehmen. Das muss man doch mal anerkennen und auch richtig unterstützen.
Demgegenüber versuchen jedoch die Kollegen von CDU und FDP nach wie vor den Eindruck zu vermitteln, das Tariftreue- und Vergabegesetz oder der Umwelt- und Klimaschutz würden unser Land zurückwerfen. Das ist falsch. Das ist so was von grundfalsch! – Herr Priggen hat es vorhin selber eben erwähnt: Pacta sunt servanda ; das gilt weltweit. – Im Gegenteil: Diese Gesetze können unser Land voranbringen; denn in Zeiten von künstlicher Intelligenz, von Algorithmen und Robotik sind ganz andere Stellschrauben wichtig.
Erstens. Seit Jahrzehnten wird in Nordrhein-Westfalen deutlich weniger investiert als im Bundesdurchschnitt. Bisher hat es übrigens keine Landesregierung geschafft, diesen Trend zu brechen. Dabei wäre es höchste Zeit. In aller Deutlichkeit: Die Sparpolitik macht dieses Land krank! Sie tut dem Land nicht gut.
Zweitens. Die Forschungs- und Entwicklungsausgaben pro Kopf liegen in Nordrhein-Westfalen ein Drittel unter dem Bundesdurchschnitt. Auch hier benötigen wir dringend eine Trendwende. Die Erforschung und Gestaltung von Zukunftstechnologien muss endlich die Priorität bekommen, die sie verdient.
Drittens. Digitale Revolution, digitale Revolution, digitale Revolution! Die Landesregierung schreibt zum Beispiel in ihrem Bericht, es sei eine Mammutaufgabe, die Bildungseinrichtungen – also Schulen,
Hochschulen, Berufskollegs usw. – an das Breitbandnetz anzuschließen. Ich kann Ihnen nur sagen: Die Aufgabe scheint doch nur so groß, weil ihr vier Jahre lang nichts gemacht habt. Hättet ihr vom ersten Tag der Legislaturperiode an eine vernünftige Digitalpolitik verfolgt, dann wären die Schulen schon längst angeschlossen.
Das Gleiche gilt für ein flächendeckendes Glasfasernetz. Die Landesregierung wirkt bei der Gestaltung der digitalen Revolution so wie ein mutloser Bergsteiger, der sich am Mount Everest im Basislager rumtreibt, weil er weiß, dass der Weg weiter oben noch steiniger wird. Aber so kommt das Land nicht voran.
Bleiben wir mal bei den Schulen: Jedes Jahr, in dem unsere Forderungen nach einem Pflichtfach Informatik von Ihnen verzögert wird, ist ein verlorenes Jahr. Dabei wissen Sie schon jetzt ganz genau, dass der Informatikunterricht kommen wird, ja unausweichlich sein wird.
Ich meine damit nicht das Herumspielen mit Pads und Computern. Man kann guten Informatikunterricht sogar völlig ohne technische Hilfsmittel machen. Es geht um das Verstehen und Begreifen von Zusammenhängen und Prozessen. Schon ein Achtjähriger kann begreifen, dass, wenn er eine Tankstelle an einer Fernstraße konstruiert, es zu einer schlechten Performance führt, wenn er zehn Zapfsäulen, aber nur eine Kasse hat. Das ist auch Informatik.
Das Lehrpersonal ist darauf noch nicht vorbereitet, weil Sie es verschlafen haben, die Internetanschlüsse und die Hardware zu beschaffen. Dadurch zögern Sie es hinaus. Damit schafft die Landesregierung langfristig viel mehr Probleme, die sie dann allerdings auch zu verantworten hat.
Die Alternativen sind doch klar. Wir erzählen in jedem Plenum gerne noch einmal neu, mit welchen Schritten die digitale Revolution als Chance für unser Land und die Menschen genutzt werden kann: flächendeckendes Gigabit-Netz ausbauen, Start-up-Region Nummer eins werden, Pflichtfach Informatik in die Schulen, duale Ausbildung schnell und konsequent auf digitale Inhalte umstellen, E-Government-Offensive voranbringen und last, but not least zur Koordination ein Digitalministerium schaffen, das die digitalen Initiativen koordiniert, usw. usw.
Damit hätten Sie zwar noch nicht den Mount Everest der Digitalisierung erklommen, hätten aber schon den Aufstieg in das erste Höhenlager geschafft. Das wäre mal ein Fortschritt. Die Sherpas von der Piratenfraktion würden sich dann mit Ihnen freuen.
Ich möchte noch etwas zu dem Bericht der Landesregierung sagen. Darin fehlt es nämlich an der einen oder anderen Stelle an der nötigen Sachlichkeit. Beispielsweise auf Seite 118: Dort wird die Entwicklung und Herstellung von DV-Geräten und elektronischen
und optischen Erzeugnissen beschrieben. Das ist ohne Frage heute eine sehr wichtige Branche. Der nordrhein-westfälische Anteil an dem bundesweiten Umsatz wird mit 9,7 % angegeben. Da in NordrheinWestfalen mehr als 20 % der Menschen Deutschlands leben, heißt das nichts anderes, als dass der Umsatz dieses zukunftsweisenden Sektors 50 % unter dem Bundesdurchschnitt liegt – also weit abgeschlagen.
Im Mittelfeld der Bundesländer, obwohl wir 50 % unter dem Durchschnitt liegen? Da werden die Statistiken schöngeschrieben ganz nach dem Pippi-Langstrumpf-Prinzip „2 mal 3 macht 4“. Das geht so nicht.
Deutschland mag in punkto Autometaphern sehr verständig sein. Meine Anregung wäre: Bringen Sie die PS, die in der Kreativität und im Gestaltungswillen der Menschen in Nordrhein-Westfalen vorhanden sind, endlich auf die Straße! Das wäre der Garant für Wohlstand und Erfolg im 21. Jahrhundert. Das, was jetzt passiert, kann ich nur als bewusstloses hineinstolpern in die Informationsgesellschaft interpretieren.
Lassen Sie mich auch noch etwas erwähnen, was vielleicht nicht so naheliegend ist und aus einem ganz anderen Punkt resultiert. Wir hatten am Dienstag dieser Woche eine hochspannende und interessante Anhörung im Kulturausschuss zum Kulturförderplan des Landes. Was ist denn Kultur? Wie ist der Zusammenhang mit der Wirtschaft? Heinz Nixdorf hat es damals, als er nach Paderborn gezogen ist, vorgemacht. Er hat nämlich sinngemäß gesagt: Er stellt seine Fabrik nicht irgendwo in die Pampa, denn hochqualifizierte Leute brauchen ein kreatives Umfeld, um sich entfalten zu können. – Kulturförderung ist auch Wirtschaftsförderung. Das sollte hier auch mal deutlich gesagt werden.
Lassen Sie mich noch kurz auf das Ruhrgebiet eingehen. Das Ruhrgebiet ist mit 5,1 Millionen Einwohnern eine der größten Megalopolen auf der Nordhalbkugel. Wenn man die Rheinschiene mit dazuzählt, kommen noch 2 Millionen dazu. Fußballmetaphern sind ja hier im Haus beliebt: Der BVB, Schalke, der VfL Bochum, Rot-Weiss Essen und Rot-Weiß Oberhausen sind eigentlich, wenn man es genau nimmt, wie Arsenal, Chelsea und Tottenham Stadtteilmannschaften.
Aber es fehlt das Bewusstsein, um diese Region mit ihrem Kreativmarkt als Ganzes zu begreifen. Das ist wesentlich mehr, als die Berliner Luft jemals bieten kann. Das müssen wir nach vorne bringen.
Lieber Herr Duin, Sie haben in der letzten Sitzung des Wirtschaftsausschusses einen Satz gesagt, der mich sehr nachdenklich gemacht hat. Ich fand ihn zu kurz, im Kern ist daran aber etwas Richtiges. Sie haben gesagt: Die Amerikaner haben das Internet, und wir haben die Dinge.
Es war ein Zitat, aber Sie haben es für sich verwendet, daher darf ich es Ihnen mal in den Mund legen.
Wir wissen doch alle, was passiert. Das ist eine Frage nach Risiko- und Investitionskapital, nach meiner Auffassung – ich habe ja ein bisschen was hier im Landtag gelernt – fast ausschließlich. Denn wie sieht es aus, wenn man Dinge mal als Ideen begreift?
Die Sprache des Web kam aus Europa: Sir Tim Berners-Lee. Wissen Sie, was die Amerikaner damals hatten? – Gopher. Das sah aus wie ein schlechter Windows-Dateiexplorer. Nur wer hat nachher das Geld damit verdient? – Wir haben es doch 1996 mitgekriegt: Netscape. 1,50 $ betrug der Ausgabepreis für die Aktie, eine Woche später stand sie bei 125 $. MP3 ist eine Entwicklung von Fraunhofer. Apple verdient jedoch heute Geld damit. Okay, der Codec heißt anders, aber es steckt im Prinzip MP3 drin.
Wir haben hier also die Dinge und die Ideen. Wir müssen aber dafür sorgen, auch richtig zu investieren, damit nachher nicht andere Leute das Geld damit verdienen, sondern damit wenigstens ein Teil – ich habe ja nichts dagegen, wenn die Amerikaner Geld verdienen, Gott bewahre – den Menschen hier im Land zugutekommt.
Denken wir über Industrie 4.0 – diese wunderbare Sprechblase – und die Start-ups mal nach. Start-ups brauchen Klima und Kultur, das hatte ich schon gesagt. Dann müssen wir auch dafür Sorge tragen, dass hier die Dinge produziert werden. Und ganz wesentlich für die nordrhein-westfälische Produktion ist ja der Anteil des Maschinenbaus, unserer gesunden, kräftigen, superinnovativen Mittelständler. Wenn die Prozessketten zur Herstellung dieser Maschinen auf Industrie 4.0, auf CPS-Systeme umgestellt werden, dann sollte eben nicht der Anbieter der Prozesssoftware hinterher den Reibach einfahren, sondern die Unternehmen selber.
Der Gewinn und auch der gesellschaftliche Gewinn müssen bei den Dingen bleiben und nicht ins Internet abwandern. Das sage ich als internetaffiner Mensch. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Paul. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Duin das Wort.
(Josef Hovenjürgen [CDU] steht auf und wen- det sich in Richtung Redepult. – Michael Hüb- ner [SPD]: Josef, so weit ist es noch nicht! – Allgemeine Heiterkeit)
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Eines kann man nach dieser ersten Runde schon feststellen – die Antwort wird nicht die gesamte Zeit benötigen –:
Erstens. Wir haben mit dem Bericht tatsächlich eine sehr offene, ehrliche und tiefgehende Analyse vorgelegt. Denn das, was manchmal – etwa im letzten Beitrag von Herrn Dr. Paul – mit Inbrunst vorgetragen wird, ist das, was in der Auswertung, in dem Analyseteil des Berichts steht. Sie sagen hier mit Inbrunst: „Der Industrieanteil ist geringer als im Bundesdurchschnitt“. Wir haben versucht, Ihnen genau das näherzubringen. Wenn Sie sagen: „Es gibt in einzelnen Wirtschaftsbereichen noch Nachholbedarf“, so haben wir genau das offen auf den Tisch gelegt.
Dann kommen wir gleich zu den Schlussfolgerungen, die wir daraus ziehen. Eine Schlussfolgerung werden wir schon mal nicht ziehen: die von Herrn Brockes. Herr Brockes fordert hier in Kenntnis der Zahlen, die keine Quartalszahlen waren, sondern eine Prognose über das Wachstum im ersten Halbjahr – wir kommen von 16 auf 8 – eine Kehrtwende. – Nein, wir nicht. Wir wollen keine Kehrtwende. Wir wollen auf dem Weg nach oben bleiben.
Und dann nimmt Herr Brockes auch noch – wahrscheinlich in Unkenntnis der aktuellen Zahlen – das Beispiel Niedersachsen, dessen Zahlen jetzt besonders gut seien. – Herzlichen Glückwunsch! Ich kann es ungefähr ahnen, welche Ursachen in Niedersachsen zugrunde liegen. Aber Niedersachsen ist in der jüngst veröffentlichten Statistik auf Platz 15. Es kann also wohl kein Maßstab sein, Niedersachsen heranzuziehen und zu sagen: Wir wollen jetzt so sein wie Niedersachsen.
Das hat der Abgeordnete Wüst getan. Die erste Hälfte der Rede von Herrn Wüst kann man so zusammenfassen: Der Bericht ist gut, die industriepolitischen Leitlinien sind gut, und eigentlich ist der Minister auch gut. – Das war die Botschaft von Herrn Wüst. Aber dann haben Sie gesagt, dass man sich in der Wirtschaft durchaus freuen würde,