Protocol of the Session on October 6, 2016

Insofern tue ich mich mit so pauschalen Urteilen immer ein bisschen schwer.

Zum Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Kritik an der Reform des Telemediengesetzes haben wir als Grüne auf der Bundesebene durchaus auch geteilt.

Wir müssen aber sehen und haben das auch mit Stolz gesehen, dass wir als Land Nordrhein-Westfalen einen sehr starken Beitrag dazu geleistet haben, dass dieses Gesetz zur Klarstellung, was Störerhaftung angeht, überhaupt zustande gekommen ist. In der Bewertung kann man dann sagen: Wir sind mit dem, was die Große Koalition am Ende daraus gemacht hat, zwar nicht 100%ig zufrieden; aber es ist sicherlich eine gewisse Erleichterung dabei herausgekommen.

Diese Diskussion ist durch das EuGH-Urteil jetzt noch einmal aufgeflammt. Die ersten Überschriften – Herr Kollege Lamla, Sie hatten sie vorhin zitiert – lasen sich ganz gut: Der EuGH habe klargestellt, dass WLAN-Betreiber nicht für die Rechtsverstöße haften, die über ihr Netzwerk abgewickelt werden.

Das Urteil stellt darüber hinaus klar, dass es auch europaweit keinen Anspruch auf Schadenersatz gegen WLAN-Betreiber geben darf und dass Anwaltskosten für Abmahnungen nicht mehr umgelegt werden dürfen. Solche Klarstellungen sind durchaus positiv zu bewerten gewesen.

Aber – das ist die große Schattenseite dieses Urteils – der EuGH ermächtigt auch den nationalen Gesetzgeber, Anordnungen zur Passwortsicherung für WLANs zu erlassen oder – das wäre noch schlimmer – WLAN-Betreiber zu verpflichten, vor Herausgabe des Passworts einen Identitätsnachweis zu verlangen.

Das ist natürlich – da sind wir uns sehr einig – in der Praxis völlig untauglich. Wir wollen als Land Nordrhein-Westfalen den flächendeckenden WLANAusbau vorantreiben. Wir wollen diesen Ausbau. Dann muss man auch Möglichkeiten schaffen, sich unterwegs schnell und unkompliziert mobil einzuwählen. Das geht nur ohne WLAN-Perso.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir wollen das Urteil jetzt sehr genau prüfen und dann gemeinsam entscheiden – dafür ist die Debatte

im Ausschuss mit Sicherheit gut –, welchen Handlungsbedarf es gibt. Kollege Vogt hat gerade schon betont, dass wir uns an vielen Stellen gemeinsam für offene WLAN-Netze in Nordrhein-Westfalen eingesetzt haben. Das sollten wir hier auch tun.

Wie das konkret aussehen kann, hängt allerdings sehr stark davon ab, wie die Bundesregierung mit diesem Urteil umgeht, ob sie sich für oder gegen offene WLAN-Netze positioniert. Wenn sie sich wieder gegen die Freifunkerinnen und Freifunker ausspricht und eine Registrierungspflicht einführt, werden wir uns dem selbstverständlich entgegenstellen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ansonsten, liebe Kolleginnen und Kollegen, bleibt mir nur, noch einmal darauf hinzuweisen, dass das Land sich in dieser Frage immer klar positioniert hat. Es hat sich inhaltlich in Berlin eingebracht und konnte Erfolge erzielen.

Wir haben uns in NRW früher als die meisten anderen Länder auf den Weg gemacht, um den WLANAusbau voranzutreiben, Freifunk zu unterstützen. Wir stehen da an der Seite der Freifunkerinnen und Freifunker.

Wir treiben diesen Ausbau voran und gestalten in Nordrhein-Westfalen den digitalen Wandel mutig und zuversichtlich. Das ist auch gut so. Die Digitalisierung ist bei uns in guten Händen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Danke schön, Herr Bolte. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Nückel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Lamla, ich fand gerade den Begriff „Datensamariter“ für die Freifunkinitiativen sehr schön. In der Tat leisten sie einen wirklich engagierten gemeinnützigen Beitrag.

Klar ist: Offene Wireless-LAN-Netze bedingen auch, dass diese möglichst frei, unbürokratisch und rechtssicher angeboten werden können. Die im Antrag angesprochene Entscheidung des sicherlich in vielen Fragen sehr kompetenten EuGH wirft in diesem Zusammenhang logischerweise Fragen auf.

Ein zentraler Punkt der Entscheidung vom 15. September dieses Jahres war, dass ein Anbieter eines Funknetzes dazu verpflichtet werden kann, Nutzern des Netzes eine passwortgeschützte Anmeldung vorzuschreiben.

Ich halte es für richtig, dass die Antragsteller diesen Punkt aus folgenden Gründen problematisieren:

Erstens. Das sogenannte Providerprivileg, also die Haftungsfreistellung von Zugangsanbietern für die Rechtsverletzung Dritter, ist ein wesentliches Merkmal der Internetordnung. Ein Durchbrechen dieser Ordnung für einen Teil der Zugangsanbieter wäre aus netzpolitischer Sicht nicht sinnvoll.

Zweitens. Die vom EuGH bezeichnete Maßnahme ist mutmaßlich auch ungeeignet zur besseren Rechtsdurchsetzung im Internet; denn sobald sich mehr als ein Nutzer im Netz anmeldet und mehrere Nutzer ihren Zugang gebrauchen, kann eine Rechtsverletzung auch bei vorheriger Anmeldung nicht mehr zu einer bestimmten Person zurückverfolgt werden.

Trotzdem muss ich an diesem Punkt auf eine Stelle hinweisen. An einem Punkt ist nach wie vor Skepsis angebracht. Man darf es sich beim Thema „Störerhaftung“ nicht zu einfach machen, denn diese ist Ausfluss höchstrichterlicher Rechtsprechung und kann nicht so einfach abgeschafft werden. Wenn Sie daher einem Rechteinhaber untersagen wollen, dass dieser die Durchsetzung seiner geistigen Eigentumsrechte auf dem Klagewege, auf dem Rechtsweg versucht, dann ist das natürlich schon eine Axt, die man da an den Rechtsstaat legt.

Wir haben also im Fachausschuss auf jeden Fall genug Diskussionsstoff. Deswegen stimmen wir der Überweisung zu.

Ich bin mir aber auch sicher, dass wir dieses Thema „Störerhaftung“ hier höchstwahrscheinlich noch in einigen Jahren weiter behandeln werden, weil es vermutlich, bis man das rechtssicher geklärt hat, noch länger dauern wird. Ich hoffe, dass die Antragsteller, auch wenn sie mit dem Antrag hier vielleicht nicht ganz erfolgreich sein werden, unserer Diskussion am Stream dann trotzdem noch folgen werden.

(Beifall von der FDP – Zuruf von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Nückel. – Herr Schwerd spricht nun als fraktionsloser Abgeordneter zu diesem Thema.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf der Tribüne und in den Netzwerken! Es könnte so schön sein: ein flächendeckender freier WLAN-Zugang im gesamten öffentlichen Raum.

Technisch wäre das gar kein Problem. Überall, wo ein Internetanschluss zur Verfügung steht, könnte man auch ein offenes WLAN einrichten. Das kostet fast gar nichts und bringt sehr viele Vorteile für den Tourismus und die öffentliche Daseinsvorsorge und würde der digitalen Spaltung der Gesellschaft entgegenwirken.

Es steht jedoch eine einzelne Industrie im Weg, die ihre althergebrachten Vertriebswege in Gefahr sieht. Dabei gibt es überhaupt keinen Beleg, dass freie WLANs in nennenswertem Zusammenhang mit ihren Produkten stehen. Die Rechteverwertungsindustrie nutzt bizarre Rechtskonstrukte und verhindert damit freie WLANs überall. Das ist ein absoluter Anachronismus, den es in dieser Form nur für ihre Ansprüche gibt.

Rechteinhaber sollen also jetzt die Möglichkeit bekommen, WLAN-Anbieter gerichtlich gegen Ordnungsgeld zu zwingen, Rechtsverletzungen abzustellen, so der Europäische Gerichtshof. Wie Hotspot-Betreiber das tun sollen, ist völlig unklar, denn auch mit Passwortschutz und Identitätskontrolle kann man das weder verhindern noch im Nachhinein aufklären.

Es entsteht also wieder einmal neue Rechtsunsicherheit für Betreiber freier WLAN-Netzwerke. Genau das hatten wir schon, und genau das ist der Grund, warum es mit dem offenen Internet, mit freiem Wissen und freier Kultur hierzulande nicht weitergeht.

Was soll denn ein Passwortschutz bringen? Wenn man offene Netze mit Passwörtern verschließt, muss man diese den Nutzern ja doch irgendwie öffentlich mitteilen. Dann hängen also Schilder mit Passwörtern allerorten. Oder man nimmt gleich den Netzwerknamen als Passwort, wie sich das in vielen Ländern schon eingebürgert hat. – Das Einzige, was man damit erreicht, ist eine neue Rechtsunsicherheit und eine Verschlechterung der Benutzerfreundlichkeit.

Wie soll das illegale Uploads verhindern? Einen absoluten Schutz vor Missbrauch von Technik gibt es nicht. Narrensicher geht nicht, denn Narren sind einfallsreich.

Wer mit juristischen Mitteln die Verwender von Technologie dazu zwingen will, jeden Missbrauch von vornherein auszuschließen, hat das nicht verstanden, sondern bringt sie damit nur in eine unmöglich zu erfüllende Situation. Die Industrie kann noch dutzendmal mit dem Fuß aufstampfen und das wollen – Gerichte sollten da nicht mitmachen. Wer da auch nicht mitmachen sollte, ist der Gesetzgeber, und das richtet sich an die Landesregierung mit ihren Möglichkeiten im Bundesrat.

Lassen Sie sich nicht für dumm verkaufen. Hören Sie auf mit Lippenbekenntnissen. Bringen Sie endlich das Providerprivileg für alle WLAN-Anbieter auf den Weg! Das ist kein Hexenwerk. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Schwerd. – Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Lersch-Mense.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Eine Million € – darauf wurde schon hingewiesen – investiert die Landesregierung, damit Freifunkinitiativen an bis zu 100 landeseigenen Gebäuden offene WLANNetze einrichten können. Das tun wir, weil wir natürlich denken, dass solche freien Zugänge ins Internet wichtig sind, dass sie möglichst flächendeckend vorhanden sein sollten. Wir wollen dazu einen eigenen Beitrag leisten – auch als ausdrückliche Ermutigung an andere, diesem Beispiel zu folgen.

Deshalb haben wir uns auch für eine Abschaffung der Störerhaftung eingesetzt. Wir haben auf Bundesebene intensiv an der Entwicklung eines neuen Telemediengesetzes mitgearbeitet. Nicht zuletzt ist es auch der Initiative der NRW-Landesregierung zu verdanken, Herr Schwerd, dass nun das Providerprivileg für alle Anbieter offener Netze gilt. Der Schutz vor Haftungs- und Unterlassungsansprüchen ist jetzt in der Gesetzesbegründung ausdrücklich als Zielsetzung benannt.

Wir haben uns auch dafür stark gemacht, dass offene Netze nicht mit einem Passwort geschützt werden müssen. Am 27. Juli 2016 ist die Novelle des Telemediengesetzes nun in Kraft getreten. Die Fraktion der Piraten kritisiert in ihrem Antrag, dass trotzdem noch Abmahnungen möglich seien. Mir sind allerdings bisher keine konkreten Fälle von entsprechenden Verfahren oder gar Urteilen bekannt, Herr Lamla. Wir werden die weitere Entwicklung abwarten müssen.

Ich gebe aber gerne zu, dass das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 9. September 2016, auf das Ihr Antrag auch Bezug nimmt, hier neue Fragen aufwirft. Der EuGH musste entscheiden, inwieweit das Prinzip der Störerhaftung europäischen Richtlinien zuwiderläuft, also europäischem Recht widerspricht. Im Zuge dessen hat er zunächst bestätigt, dass Anbieter nicht auf Schadensersatz haften.

Wenn aber aus einem offenen WLAN-Netz Rechtsverletzungen begangen werden, sagt der EuGH, dass der Schutz dieses Anschlusses durch ein Passwort grundsätzlich eine geeignete Maßnahme sein kann, um wiederholte Rechtsverletzungen zu verhindern. Damit scheint der Passwortschutz wieder im Gespräch zu sein. Das löst sicherlich Unsicherheit bei denen aus, die offene Internetzgänge ausbauen – nicht zuletzt auch mit einer Förderung der Landesregierung.

Aber der EuGH schreibt diese Maßnahmen natürlich keineswegs zwingend vor. Er sagt nur, dass sie nach europäischem Recht nicht ausgeschlossen wären.

Nach unserer Bewertung lässt die Novelle des deutschen Telemediengesetzes auch keinen Raum mehr für Unterlassungsansprüche. Daran ändert auch das EuGH-Urteil nichts.

Sicherungsmaßnahmen, wie sie das Urteil beschreibt, sind nach deutschem Recht nicht mehr erforderlich. Wir müssen jetzt abwarten, ob die Gerichte auch diese Rechtsauffassung bestätigen. Aber ich bin da durchaus optimistisch.

Zum jetzigen Zeitpunkt ist jedenfalls aus unserer Sicht eine groß angelegte politische Initiative nicht angebracht. Aber die Landesregierung teilt grundsätzlich die Ziele der antragstellenden Fraktion. Auch wir wollen offene Netzzugänge. Auch wir wollen deshalb keine Störerhaftung und keinen Passwortzwang.

Sie können sicher sein, wir werden sehr genau beobachten, wie deutsche Gerichte das neue Telemediengesetz anwenden, wie sie mit dem Urteil der EuGH umgehen. Sollte es dann nötig werden, werden wir sofort auch politisch aktiv werden im Sinne einer Fortsetzung unserer Politik für offene Netzwerke. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister Lersch-Mense. Weitere Wortmeldungen gibt es nicht.