Protocol of the Session on July 8, 2016

Hier ist die Politik, hier sind wir gefordert, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein klares Signal gegen Cybergewalt zu setzen, das über begrüßenswerte Aufklärungsinitiativen für Jugendliche, Lehrer und Eltern wie zum Beispiel „SCHAU HIN!“ oder die europäische Initiative „klicksafe“ hinausgehen muss.

Aus diesem Grund begrüßen wir Ihren Antrag und hoffen auf konstruktive überparteiliche Gespräche. Vielleicht bekommen wir auch noch einen gemeinsamen Antrag hin – das werden die Beratungen ergeben –, um dieses Phänomen entscheidend einzudämmen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Stein. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Nückel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Digitale Gewalt wird in der Tat häufig bagatellisiert und viel zu oft auch als privates Problem abgetan. Cybergewalt stellt in erschreckender Weise eine doch massive Bedrohung der physischen und psychischen Gesundheit der Betroffenen dar. Das wird im vorliegenden Antrag völlig richtig eingeschätzt – und auch, dass Konzepte gegen sexualisierte Gewalt im Internet notwendig sind.

Vor diesem Hintergrund stellt sich jetzt aber auch die Frage, warum der Anfang 2014 von Ministerin Steffens für 2015 angekündigte Landesaktionsplan „Keine Gewalt gegen Frauen und Mädchen“ mit Schwerpunktsetzung auf dem Thema „Cybergewalt“ bis heute nicht vorliegt.

Das Gleiche fragten sich übrigens auch Teilnehmer am Rande der Medienversammlung der Landesanstalt für Medien NRW in Köln zum Thema „Netzethik“. Dort ging es zwar hauptsächlich um Hate Speech. In den Gesprächen zwischendurch wurde aber auch diese Frage gestellt, und es wurden ein paar Presseartikel aus 2014, in denen die entsprechende Ankündigung formuliert war, herumgereicht.

Insofern wollen wir hoffen, dass der Antrag nicht nur als sprachliche Sättigungsbeilage zur Gewissensberuhigung der rot-grünen Mehrheit dient, weil man bisher vielleicht doch nicht so viel gegen dieses Phänomen getan hat.

Gleichwohl ist die Zielrichtung des Antrags richtig. Es ist aber auch gut, dass man bereits an anderen Stellen – zum Beispiel im Bereich der Landesmedienanstalten nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern im ganzen Bundesgebiet – dazu aktiv geworden ist. Das gilt vor allem in den Schnittmengen zu den Themenbereichen Cybergrooming, Cyberstalking und Cybermobbing.

Es gibt Materialien im Rahmen des Projekts „klicksafe“, das sicherlich viele von Ihnen kennen. Hier meine ich das Modul „Ethik macht klick“, den Baustein „Mediale Frauen- und Männerbilder“ und andere Module. Auch das Projekt „Handysektor“ hat wichtige Inhalte im Portfolio.

Viele der richtigen und wichtigen Maßnahmen sind vielleicht noch nicht ausreichend bekannt und untereinander abgestimmt. Das gibt dem Antrag der rotgrünen Regierungsfraktionen einen leicht bitteren Beigeschmack, da der Landesaktionsplan nach den Plänen von Rot-Grün längst hätte Realität sein sollen.

Das lange nicht ernst genommene Thema „digitale Gewalt“ ist ein Problem des 21. Jahrhunderts. Dabei finden digitale Angriffe wie Diffamierung, Beleidigung und Rufschädigung sowohl von Frauen als auch von Männern statt. Cybergewalt wird eben von beiden Geschlechtern begangen. Das wird im Antrag etwas verkürzt dargestellt, glaube ich.

Die große Anonymität im digitalen Raum ist das Gefährliche. Die Täter befinden sich während ihres Angriffs leider in einer Art körperlicher Sicherheit. Diese vermeintliche Sicherheit lässt höchstwahrscheinlich noch die Hemmschwelle der Täter sinken, das digitale Instrument sozusagen als Waffe einzusetzen, um Kontrolle über die Opfer zu gewinnen.

Digitale Gewalt ist ein Angriff ohne Ortsbindung, wie man in Expertensprache so schön sagt. Sie geschieht kontinuierlich und jederzeit und ist lebenslänglich abrufbar.

Betroffene von Cybergewalt haben dadurch ein noch größeres Gefühl der Ohnmacht. Höchstwahrscheinlich ist es genau so schlimm wie reale sexuelle Gewalt. Zum Schutz ziehen sich die Opfer – was ein Fehler ist – aus dem digitalen Raum zurück wie eine Schnecke in ihr Schneckenhaus.

Ein Problem besteht sicherlich darin, dass ein Großteil der Rechtsverletzungen im Internet nicht sanktioniert wird. Daran dürfen wir uns nicht gewöhnen. Seelische Körperverletzung ist Körperverletzung. Wird das im Internet zunehmend geduldet, droht eine weitere Verrohung.

Was ist zu tun, um die freie Entfaltungsmöglichkeit aller Geschlechter – ob minderjährig oder nicht – in der digitalen Welt zu ermöglichen? Hierzu zählen, wie die Vorredner auch schon unterstrichen haben, Aufklärungsarbeit und Sensibilisierung, aber auch ein Check, welche Hilfsangebote für Opfer bereits existieren.

Noch einmal: Ein Nebeneinander von vielen sinnvollen Hilfsangeboten mit geringem Bekanntheitsgrad führt natürlich nicht zum Ziel. Aus unserer Sicht muss daher eine Vernetzung der unterschiedlichen Opferschutzangebote erfolgen.

Das wird sicherlich ein Schwerpunkt der Diskussion im Ausschuss sein, sodass die FDP-Fraktion der Überweisung mit Zuversicht zustimmt. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Nückel. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Olejak.

Vielen Dank. – Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, egal wann oder wo Sie sich befinden! Einleitend möchte ich mich in aller Offenheit bei den Fraktionen von SPD und Grünen für diesen Antrag bedanken. Es ist definitiv an der Zeit, sich des schwelenden Problems des Sexismus auch im Netz und damit in dem nunmehr digital erweiterten Lebensraum anzunehmen.

Ich gebe in diesem Zusammenhang gerne zu, dass dieses Thema oftmals eine Art blinden Fleck bei uns Piraten darstellt. Das queere, das bunte, das glitzernde Netz: Ursprünglich wollten wir alle einmal, dass möglichst viele Leute im Netz sind. Vielleicht haben wir auch das Bildungsproblem ein bisschen verkannt; denn jetzt sind oftmals Leute im Netz, die vielleicht, na ja, böse Dinge tun, die wir nicht gutheißen können. Wenn wir heutzutage ins öffentliche Netz schauen, sehen wir, dass viele Elemente dabei sind, die nicht wirklich schön sind. Einige von uns werden das bestätigen können, denke ich einmal.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Ein junger Mensch, egal welcher sexuellen Ausrichtung, wird Ziel einer Hetz- oder Hasskampagne im Netz. Ein ähnliches Beispiel haben wir gerade schon gehört. Hier wird gerade die Körperlichkeit der angegriffenen Person zum Gegenstand der Tat gemacht. Racheakte, das Veröffentlichen von Nacktbildern oder Abbildungen der Person in sexuellen Situationen sind leider – leider! – keine Seltenheit.

Diese Bilder dienen nicht nur der reinen Bloßstellung. Sie dienen sogar als Druckmittel, um die angegriffene Person etwa bei Arbeitgebern, bei Kunden oder bei Geschäftspartnern schlechtzumachen. Es ist das Ziel, diesen Menschen zu ruinieren.

Zu diesem Ruinieren und dieser Unterdrucksetzung gehört aber mehr als nur ein Angreifer und eine angegriffene Person: Vorgesetzte, Kollegenkreise, Business-Kundschaft.

Man könnte durch gezielte Aufklärung bei den Erwachsenen und eine breite gesellschaftliche Debatte, die jetzt auch hier angeschoben wird, definitiv Teile von Hetz- und Schmutzkampagnen gegen Opfer bei netzbasierter Gewalt unwirksam machen. Das ist eine Möglichkeit.

Wir müssen es diesen Leuten erheblich schwerer machen, jemanden zu diffamieren und dessen Leben zu ruinieren. Dafür benötigen wir neben der bereits erwähnten Sensibilisierung und der schon real existierenden Strafverfolgung von Straftaten vor allen Dingen Bildung.

Dieser Raum hier ist der echte Raum. Die digitale Welt ist der erweiterte Lebensraum. Genau die explizite Verfolgung und die Umsetzung der bestehenden Rechtsprechung benötigen eigentlich nicht dieses „cyber“, wie es heutzutage viel zu oft verwendet wird.

Ich bin übrigens sehr froh darüber, dass es in der heutigen Debatte kaum verwendet worden ist; denn dieser Begriff des – jetzt sage ich es selbst noch einmal – Cyberspace ist und war ein literarischer. Er ist ein veraltetes Wort aus den Zeiten, als unsere Realitäten im Netz wirklich noch Träume waren. Heute ist es, wie gesagt, die harte Realität – mit Gewalttaten, Verbrechen, Verleumdungen und Stalking bis hin zur Anbahnung von Kindesmissbrauch.

Straftaten werden gezielt gegenüber bestimmten Gruppen aufgrund von Identitäten verübt. Mit Identitäten meine ich Frauen, Mädchen, Queers. Das sind tatsächlich oftmals die Ziele von solchen Straftaten. Diese Identitäten müssen einen besonderen Schutz genießen.

Wie gesagt, brauchen wir Bildung, so früh es geht. Auch Medienkompetenz muss so früh vermittelt werden, wie es geht – wir hatten dieses Thema im Rahmen einer Bildungsdebatte vor zwei Tagen hier; ich hoffe, dass Herr Kollege Stein es noch schafft, Frau Kollegin Bunse da ein bisschen ins Gewissen zu reden –, auch im Bereich der Informatik, von meiner persönlichen Warte aus sogar schon in der Grundschule; denn Medienkompetenz ist mehr als „WischKompetenz“, wie sie heutzutage oftmals ausgeführt wird.

Letztlich muss das Ziel sein, nicht nur den Schutz von online entstehenden oder sichtbaren Hassverbrechen oder Gewalttaten in den Vordergrund zu stellen, sondern allen Menschen die volle Freiheit selbstbestimmt in dieser Gesellschaft zu ermöglichen. – Ich danke Ihnen und freue mich auf jeden Fall auf die Beratungen im Ausschuss.

(Beifall von den PIRATEN)

Danke schön, Herr Kollege Olejak. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Steffens.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin froh, dass es diesen Antrag heute hier gibt und dass er auch so, wie er bisher diskutiert worden ist, diskutiert wird, weil ich glaube, dass uns dieses Thema in Zukunft sehr intensiv beschäftigen muss.

Ich finde es gut, dass durch den Antrag das Thema auf eine breitere Bühne gestellt worden ist; denn entgegen Ihren Äußerungen sind wir als Landesregierung in diesem Thema schon sehr lange und sehr intensiv unterwegs.

Ich kann Ihnen zum Landesaktionsplan Folgendes sagen: Wenn man partizipative Prozesse macht, bei denen man alle Akteure im System mitnimmt und an den Prozessen beteiligt, ist es manchmal so, dass Prozesse nicht ganz so schnell gehen, weil man mehr und andere Diskussionsbedarfe hat.

Deswegen werden Sie den Aktionsplan gegen Gewalt nach der Sommerpause bekommen. Wir werden ihn dann ins Kabinett einbringen und dem Landtag zustellen. Das heißt: Wir sind auch da mit dem Thema fertig – in dem Sinne, dass wir in den Landesaktionsplan ein spezielles Kapitel aufgenommen haben.

Es ist aber nicht nur der Landesaktionsplan, bei dem die Auseinandersetzung mit diesem Thema stattfindet. Vielmehr haben wir in Nordrhein-Westfalen schon – das kann man auch deutlich sagen – ein Stück weit Pionierarbeit geleistet, weil wir in der Gleichstellungs- und Frauenministerkonferenz 2014 und 2015 Beschlüsse für alle Bundesländer herbeigeführt haben und das Thema auch in diesem Jahr 2016 auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt haben.

Wir erleben, dass das, was hier in Nordrhein-Westfalen auch wieder in dem Prozess mit der Szene stattfindet, was an Diskussionen stattfindet, was an Forderungen entwickelt wird, einzigartig ist. In den anderen Bundesländern gibt es nicht eine solche Diskussionskultur und nicht eine solche Sichtbarkeit des Themas auch als Problemfeld und als Problemthema mit neuen Herausforderungen.

Wir sind als Landesregierung aber auch insgesamt gut aufgestellt. Wir haben die Zentral- und Ansprechstelle für Netzkriminalität. Wir haben die Landespräventionsstelle gegen Gewalt und digitale Gewalt an Schulen in Nordrhein-Westfalen. Wir haben digitale Gewalt als Gegenstand von Fortbildung für Polizei, Justiz, Schule und Jugendhilfe. Das heißt: Wir haben in der Landesregierung schon eine sehr hohe Sensibilität für dieses Thema entwickelt und haben schon an vielen Stellen erste Umsetzungsschritte und ganz konkrete Maßnahmen eingeleitet.

Es ist gerade aus frauenpolitischer Sicht wichtig, dieses Thema ganz intensiv in den Fokus zu stellen. Denn letztlich gab es zwar ganz am Anfang die Haltung und den Wunsch, dass wir mit einem Internet eine völlige Freiheit und eine völlige Gleichheit haben. Das Netz ist aber genauso Spiegel der Gesellschaft wie alles andere. Insofern finden die Gewaltformen, die im realen Leben stattfinden, in vergleichbarer Form im Internet statt.

Das heißt, dass Frauen im Netz – in einem anderen Maße, in einer anderen Dimension – auch wieder von Gewalt betroffen sind und Gewalt ausgesetzt sind. Hier müssen wir den Schutzraum, den wir bisher in vielen Fällen nicht haben, gemeinsam erarbeiten und gemeinsam schaffen.

Aber wir haben nicht nur die Risiken, die Gefahren und die Gewalt im Netz, sondern genauso auch die Chancen, die in der Digitalisierung liegen.

Als Ministerium haben wir in diesem Jahr zum Internationalen Frauentag am 11. März die große Veranstaltung „Offline trifft Online“ durchgeführt, um die Feministinnen, die netzaffin sind und mit ihren Initiativen – die neueste Kampagne heißt #neinheisstnein – an vielen Stellen über das Netz ihren Feminismus ausbreiten und ihre Forderungen sehr schnell und auch sehr aktuell in die Breite tragen, mit den Feministinnen zusammenzuführen, die nicht online, sondern offline über Jahre für die Rechte von Frauen und gegen Gewalt gekämpft haben.

Dieser Prozess hat nicht nur an der Resonanz der Teilnehmerinnen an dem Tag, sondern auch infolge der Veranstaltung gezeigt, wie intensiv und wie wichtig es ist, dass wir die Chancen hier ganz bewusst in den Vordergrund stellen und diejenigen, die die Chancen nutzen können, qualifizieren und unterstützen.

Dementsprechend haben wir jetzt mit einem Qualifizierungsprozess begonnen, um die kommunalen Gleichstellungsbeauftragten zu unterstützen, damit sie mit bedarfsgerechter Fortbildung die eigenen digitalen Kompetenzen stärken und den digitalen Raum als Wirkungsfeld auch anders für sich nutzen können.

Deswegen ist es wichtig, dass wir diese Diskussion führen, dass wir der Gewalt im Netz gemeinsam entgegentreten und dass wir dafür auch neue Instrumente und neue Formen entwickeln.

Was mir bei unserer Veranstaltung „Offline trifft Online“ noch einmal gezeigt hat, wie viele Chancen wir auch im Netz haben, waren die Berichte von Frauen – gerade Frauen mit Zuwanderungsgeschichte –, die sich ansonsten mit Feminismus und einem eigenen Starkwerden in dieser Gesellschaft nicht befassen. Sie hätten diesen Weg sonst nicht gehen können, sondern haben den Weg über das Netz gefunden.

Mir hat das deutlich gemacht: Die Chancen, die darin liegen, sind Chancen für uns alle in der Gesellschaft, aber gerade auch Chancen für die Integration und Chancen für den Feminismus.