Protocol of the Session on July 8, 2016

6 Gesetz über die Sicherung von Tariftreue

und Sozialstandards sowie fairen Wettbewerb bei der Vergabe öffentlicher Aufträge (Tariftreue- und Vergabegesetz Nordrhein- Westfalen – TVgG – NRW)

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 16/12265

erste Lesung

Ich eröffne die Aussprache. Für die Landesregierung hat Herr Minister Duin das Wort.

Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem das Tariftreue- und Vergabegesetz im letzten Jahr von der Firma Kienbaum umfassend evaluiert worden ist, haben wir im Wirtschaftsministerium Eckpunkte für die Novellierung des Gesetzes erstellt.

Diese Eckpunkte wurden bereits im letzten Jahr von der Clearingstelle Mittelstand NRW als Schritt in die richtige Richtung bewertet. Sie sehen daran, dass wir die mittelständischen Interessen bei diesen Veränderungen von Anfang an in den Fokus genommen haben.

Auf Basis der Eckpunkte ist ein Gesetzentwurf entstanden, für den wir verschiedene Weichenstellungen abgewartet haben, insbesondere die Neuerungen auf Bundesebene beim Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und die einschlägige Rechtsprechung des EuGH zur Frage der Zulässigkeit von vergabespezifischen Mindestlöhnen in Landesgesetzen. Wie Sie wissen, hat der EuGH positiv entschieden.

Unseren Gesetzentwurf haben wir bereits einer Verbändeanhörung unterzogen, bei der wir von den kommunalen Spitzenverbänden und der Clearingstelle Mittelstand NRW, aber auch von ökosozialen Fachverbänden Zustimmung zu den Zielen erfahren haben. Natürlich werden nicht immer alle Interessen der Angehörten eins zu eins umgesetzt; denn es liegt beim Vergaberecht in der Natur der Sache, dass es auch widerstreitende Interessen gibt.

Das Ziel der Novelle lautet, unter Beibehaltung der ökologischen und sozialen Kriterien die Handhabung

des Gesetzes für die Anwender zu vereinfachen und den bürokratischen Aufwand zu reduzieren. Dazu enthält der Gesetzentwurf unter anderem die folgenden Maßnahmen:

Erstens. Ganz zentral ist die Einführung des Bestbieterprinzips. Demnach muss nur noch derjenige, der für die Zuschlagserteilung in Betracht kommt, die erforderlichen Nachweise vorlegen. Das entlastet alle übrigen Bieter, aber auch die Vergabestellen von dem entsprechenden Prüfungsaufwand.

Zweitens geht es um die Erhöhung der Schwellenwerte, ab denen das Gesetz angewendet werden muss. Die Bagatellgrenze ist deutlich angehoben worden; statt bei 500 € liegt sie nun bei 5.000 €. Gleichzeitig ist sichergestellt, dass die Vergabestellen auch unterhalb des Schwellenwerts freiwillig die Kriterien des TVgG anwenden können, wenn sie das für richtig erachten.

Drittens geht es um die Harmonisierung des vergabespezifischen Mindestlohns mit dem allgemeinen Mindestlohn aus dem Bundesgesetz. Wir richten eine Servicestelle ein, die jedermann in Anspruch nehmen kann, bei der es um sämtliche Anwendungsfragen rund um das Gesetz gehen wird.

Viertens. Wir schaffen die gesetzliche Grundlage für ein effizientes Siegelsystem, mit dem sämtliche Nachweise, die aufgrund des TVgG erforderlich sind, erbracht werden können. Das Siegelsystem stellt im Übrigen eine passgenaue Ergänzung zu dem sogenannten Präqualifizierungssystem dar. Selbstverständlich wird dabei gewährleistet, dass die Unternehmen das Siegel günstig, rasch und mit geringstmöglichem Aufwand erhalten.

Fünftens haben wir das Gesetz sprachlich und strukturell angepasst. In diesem Zusammenhang haben wir rund ein Drittel des bisherigen Umfangs einsparen können.

Last, but not least wurde im Rahmen des Clearingverfahrens nach dem sogenannten Standardkostenmodell eine Berechnung der durch die Novelle eingesparten Kosten vorgenommen. Wir haben uns im Wirtschaftsausschuss in der vergangenen Woche auch von dem entsprechenden Professor ausführlich berichten lassen, wie er das handwerklich macht. In der Summe spart die NRW-Wirtschaft aufgrund dieser Änderung rund 28 Millionen €.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, insofern haben wir mit diesem Gesetzentwurf einen ausgewogenen und zielführenden Vorschlag unterbreitet, mit dem gewährleistet ist, dass die öffentliche Hand ihrer Vorbildfunktion für die Beachtung ökologischer und sozialer Ziele weiterhin gerecht wird, und mit dem gleichzeitig die bürokratische Belastung von Bietern und Vergabestellen deutlich zurückgefahren wird und sich auf einem gut vertretbaren, sehr niederschwelligen Niveau einpendelt.

Ich bin sicher: Diese Novelle hat es verdient, die Zustimmung des Landtages zu erhalten. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister Duin. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Hübner.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit versuche ich, mich kurzzufassen, muss aber doch das eine oder andere sagen.

Das ist jetzt allerdings von der Reihenfolge her ein bisschen schwierig, weil wir natürlich diejenigen sind, die die angekündigten Veränderungen im Tariftreue- und Vergabegesetz begrüßen. Das sind ausdrücklich die Veränderungen, die Sie gerade vorgetragen haben, Herr Minister.

Wir werden gleich einen Beitrag von Herrn Wüst hören, in dem vermutlich deutlich gemacht werden wird, dass die sofortige Abschaffung des Tariftreue- und Vergabegesetz natürlich unausweichlich ist.

(Hendrik Wüst [CDU]: Vollkommen richtig!)

In dem Zusammenhang muss verkauft werden, dass es das NRW-Konjunkturpaket ist, das Tariftreue- und Vergabegesetz zu beseitigen, wodurch alle Fragen – sei es, dass Sie BRICS mit Britannien, Brandenburg oder Sonstigem übersetzen wollen, wie Sie es heute Morgen versucht haben – gelöst werden.

Außerdem werden Sie vermutlich sagen, dass das Landesklimaschutzgesetz, der Landesklimaschutzplan, das Landesnaturschutzgesetz,

(Zuruf von der SPD: Das Landeswasserge- setz!)

das Landeswassergesetz und weitere Gesetze bis hin – das macht mir bei den Gedanken, die dann vorgetragen werden, immer am meisten Freude – zum Landesjagdgesetz ganz fundamentale bürokratische Hindernisse abbilden, die schnell abgeschafft werden müssen.

Meine Damen und Herren, das nimmt Ihnen aber, ehrlich gesagt, keiner ab. Wenn das Ihre Vorschläge für mehr Wachstum und Arbeitsplätze sind, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, die Sie in der letzten Woche nach außen zu bringen versucht haben, dann machen Sie damit einen wirtschaftspolitischen Blindflug, der seinesgleichen sucht; denn der Wachstumsimpuls, den Sie jetzt abzubilden versuchen, entspricht nicht dem, der hier früher eingefordert worden ist.

Ich will allenfalls noch Folgendes sagen, Herr Kollege Wüst: Ein Bruttoinlandsprodukt von 650 Milliarden € – diese Zahl ist Ihnen auch bekannt; schließlich werben Sie selbst damit – ist ein deutliches Signal dafür, dass es sich bei Nordrhein-Westfalen immer noch um einen der attraktivsten Wirtschaftsräume der Bundesrepublik handelt. Das zeigen die Direktinvestitionen, die wir als erstes Bundesland vor allen anderen Bundesländern erhalten. NordrheinWestfalen bleibt somit attraktiver Wirtschaftsstandort.

Wir werden natürlich nicht das Ziel aus den Augen verlieren, dass mit öffentlichen Geldern nur Unternehmen beauftragt werden sollen, die den vergabebezogenen Mindestlohn zahlen.

Letzte Bemerkung: Herr Minister Duin, ich bin ganz dankbar für Ihren Hinweis, dass wir in den nächsten Tagen und Wochen sicherlich noch einmal über die Harmonisierung der beiden Summen diskutieren müssen, um den betroffenen Unternehmen, die nach dem Bestbieterprinzip bieten dürfen, einen unbürokratischen und einfachen Ablauf zu ermöglichen.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und wünsche Herrn Kollegen Wüst jetzt viel Glück dabei, uns zu erklären, wo der Wachstumsimpuls angefangen beim Landesjagdgesetz bis hin zum Tariftreue- und Vergabegesetz zu finden ist. – Danke schön.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Hübner – auch dafür, dass Sie gleich meine Aufgabe mit übernehmen; denn in der Tat hat Herr Kollege Wüst jetzt für die CDU-Fraktion das Wort.

(Michael Hübner [SPD]: Bitte! So sind wir!)

Vielen herzlichen Dank. Ich hätte es fast vergessen; aber Sie haben mich erinnert und mir viele kluge Stichworte geliefert. Wenn Sie Spaß an Reh oder sonstigem Wild haben, besorge ich Ihnen ein Stück zu Weihnachten. Ich werde hier aber ansonsten nichts zu meinem Hobby und auch nichts zur Jagdpolitik sagen. In meinen wirtschaftspolitischen Reden habe ich das auch noch nie gemacht. Sie müssen also das Thema „Jagd“ aus Ihrer Erwartungshaltung an meine Erwiderung herausstreichen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte übrig gebliebene Besucher! Wir haben hier im Frühjahr 2016 sehr ausgiebig darüber diskutiert, dass das nordrhein-westfälische Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahr bei 0 % festgehalten wurde. Ob es jetzt 0,0, 0,2 oder 0,3 % sind, stelle ich anheim. Schlimmer war noch, dass wir im Bundesvergleich der Letzte waren. Von der Wirtschaftslokomotive, die bei einem Durchschnittstempo von 1,7 % Wachstum gar nicht so langsam

unterwegs war, haben Sie Nordrhein-Westfalen abgekoppelt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir haben darüber diskutiert, dass das Wirtschaftswachstum nicht erst seit heute unterdurchschnittlich ist, sondern schon seit Anfang der 90er-Jahre. Wenn man genau hinschaut, stellt man fest: Nach dem wiedervereinigungsbedingten Sonderboom waren wir unterdurchschnittlich.

Wir haben darüber diskutiert, was die Ursachen sind bzw. wie stark die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen in Nordrhein-Westfalen dafür verantwortlich sind. Ich will in der Tat, wie vom Kollegen erfleht oder erbeten, noch einmal in Erinnerung rufen, worum es hier geht.

Sie legen jetzt ein Update eines neuen Landesentwicklungsplans vor, bei dem nicht in ausreichendem Maße nachgesteuert wurde. Es handelt sich noch immer um eine restriktive Flächenpolitik, weil Sie die Berechnungsmethode nach Vallée, die zwischenzeitlich glücklicherweise längst raus war, wieder eingeführt haben.

Sie verursachen – wie bei diesem Tariftreue- und Vergabegesetz – zusätzliche bürokratische Aufwände in Unternehmen sowie in Kommunalverwaltungen.

Sie versuchen, das jetzt alles vor der Sommerpause möglichst schnell abzuräumen, weil Sie im Innersten wissen, dass das alles nicht ausreichend ist. Wäre das ein Wahlkampfschlager, hätten Sie uns sicherlich von der Regierungsregie her nach der Sommerpause damit beglückt.

Es ist nicht mehr nur die Opposition, die diese falsche Politik geißelt. Es sind auch nicht mehr nur die Wirtschaftsforschungsinstitute und die Lobbyisten. Vielmehr gibt es mittlerweile eine breite öffentliche Wahrnehmung davon, dass die Weichen in der Wirtschaftspolitik dieses Landes nicht richtig gestellt worden sind.

Jetzt kommen Sie – ich werde gleich noch darauf eingehen – mit diesen Veränderungen in Summe. Ob es sich um den LEP oder das Tariftreue- und Vergabegesetz handelt: Da gibt es viel Blendwerk, viele Minimalkorrekturen, die aufgeblasen werden, und auch manchen Täuschungsversuch.

Nehmen wir den LEP. Der Klimaschutzplan wird da herausgenommen und über das Landesplanungsgesetz in die Regionalräte verschoben.

Nehmen Sie die Tabuzonen für Kies und Sand. Sie kommen im Landeswassergesetz wieder vor.

Nehmen Sie das 5-ha-Ziel: Ja, das wurde abgeschwächt. Durch die Berechnungsmethode nach Vallée kommt es durch die Hintertür aber wieder hinein.