Protocol of the Session on July 6, 2016

Ich rufe auf Tagesordnungspunkt

5 Gesetz zur Stärkung der kommunalen Selbst

verwaltung

Gesetzentwurf der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/12363

erste Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin Frau Kollegin Steinmann von der SPD-Fraktion das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Abgeordnete und Kollegen! Nach einer aktuellen Erhebung des Städte- und Gemeindebundes, die fragt „Wer sind NRWs Kommunalpolitiker?“ ist der typische Lokalpolitiker in Nordrhein-Westfalen männlich, verheiratet und wohlhabend. Außerdem sitzen in den Gemeinde- und Stadträten weitaus mehr Männer, die im Durchschnitt mit 27 Jahren in die Politik gehen, während die Frauen unter Umständen erst mit Mitte 30 ihren Einstieg suchen.

Wo sind die jungen Frauen? Wo sind die Mittelständler, die Soloselbstständigen? Die Handwerker? Die Alleinerziehenden? Wo sind Händler oder Menschen, die im Schichtdienst beschäftigt sind? – Üblicherweise arbeiten. Sie arbeiten, um den Lebensunterhalt zu sichern, und haben oftmals schwerlich die Möglichkeiten, sich gegenüber ihren Arbeitgebern freizuschlagen.

Meine Damen und Herren, damit es nicht weiterhin nur einer Elite vorbehalten ist und kommunale Räte die Vielfalt der Gesellschaft zukünftig breit gefächert und repräsentativ abbilden können, haben wir uns intensiv bemüht, die Rahmenbedingungen für das kommunale Mandat im Ehrenamt zu verbessern und zu stärken. Das war Aufgabe der Ehrenamtskommission, aus deren Handlungsempfehlungen auch der heute vorliegende Gesetzentwurf zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung hervorgegangen ist.

Nach der bereits erfolgten Anhebung der Aufwandsentschädigung und der maßgeblichen Verbesserung von Fraktionsausstattung und -mitteln per Erlass greifen wir heute nun die ausstehenden Handlungsempfehlungen auf, die Änderungen der Gemeindeordnung, der Kreisordnung für das Land NordrheinWestfalen, der Landschaftsverbandsordnung sowie des Kommunalwahlgesetzes bedürfen.

Neben der Einführung einer zusätzlichen Aufwandsentschädigung für Ausschussvorsitzende in den kommunalen Vertretungen, der Absenkung der Schwellenwerte, ab dem stellvertretende Fraktionsvorsitzende mit Anspruch auf zusätzliche Aufwandsentschädigung gewählt werden können und der landesweit einheitlichen Festlegung von Mindest- und Höchstsätzen beim Verdienstausfall, möchte ich hier die Einführung der Landessenioren- und Behindertenrechte besonders hervorheben, ebenso wie die Lockerung der Wohnortregelung für Ortsvorsteher.

Auch die Erweiterung der Möglichkeiten interkommunales Zusammenarbeit für die Landschaftsverbände mit ihren Mitgliedskommunen halte ich für einen großen Fortschritt.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, kommunale Mandatsträger sind unsere Basis. Sie befassen sich tagtäglich mit kleinteiligsten, aber unmittelbaren Anliegen der Bürger, wie es für viele von uns hier im Hause manches Mal nicht mehr vorstellbar ist. Dabei ist ihre Arbeit nicht immer mit hohem Ansehen und großer Gunst begleitet, und der Respekt lässt an vielen Stellen nach. Zunehmend werden die Haltung und die Bildung von Meinungen mit schweren Anfeindungen begleitet.

Lassen Sie uns den Menschen, die an der demokratischen Basis kommunalpolitisch Verantwortung übernehmen und sich dort neben Beruf und Familie ehrenamtlich einbringen, gemeinsam den Rücken stärken.

Es freut mich, dass wir nun erneut sowohl im Fachausschuss für Kommunalpolitik als auch im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales, im Haushalts- und Finanzausschuss sowie im Innenausschuss die Möglichkeit zu einer erweiterten, konstruktiven Diskussion haben. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass es uns gelingt, im Hinblick auf diesen Gesetzentwurf parteiliche Befindlichkeiten zu überwinden und die Beschlüsse auch an dieser Stelle mit vielen Parteien gemeinsam zu treffen.

Ich bedanke mich und freue mich auf die weitere Zusammenarbeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Steinmann. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Krüger.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Das ist ein guter Tag für das kommunale Ehrenamt. Wir bringen einen mehrjährigen Prozess zum Abschluss. Heute setzen wir die Empfehlungen der Ehrenamtskommission um. Insofern erleben Sie einen sehr zufriedenen Mario Krüger.

Der vorliegende Gesetzentwurf greift verschiedene Bausteine auf. Wir ändern zum Ersten die Gemeindeordnung, zum Zweiten die Kreisordnung, zum Dritten die Landschaftsverbandsordnung und zum Vierten das Gesetz über den Regionalverband Ruhr. Als kleinen Nachtrag gibt es zum Fünften noch die Änderung im Sparkassengesetz bezogen auf die Frage der Hauptverwaltungsbeamten.

Von meiner Vorrednerin ist schon angesprochen worden, wer sich denn überhaupt noch in den Räten wiederfindet bzw. welche Bevölkerungsgruppen überhaupt noch in diesem Zusammenhang wahrgenommen werden. Meine Erfahrung ist: Demokratie und politische Willensbildung erleben die meisten

Menschen nicht unbedingt über Debatten im Bundestag oder Debatten im Landtag, sondern in der Regel vor Ort in den Gemeindevertretungen selbst.

Wer sich vor Augen führt, welche Zugangsvoraussetzungen wir mittlerweile haben und welche Hürden aufgebaut werden, Politik, politisches Ehrenamt, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren, stellt fest, dass es hier einen Handlungsbedarf gibt.

Ich mache das einmal am Thema „Verdienstausfall“ fest. Derzeit kann jede Kommune im Einzelfall regeln, in welchem Umfang Verdienstausfall erstattet wird. Da gibt es Situationen wie zum Beispiel in meiner Heimatstadt Dortmund, wo der Regelstundensatz, der erstattet wird, bei 7,50 € liegt, also unterhalb des Mindestlohns, oder in Siegen, wo der Höchstsatz in der Hauptsatzung der Stadt Siegen mit 17,75 € beziffert worden ist. Das heißt: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder Selbstständige, die mehr als 3.000 € an Einkünften erzielen, zahlen regelmäßig drauf, wenn Sitzungen innerhalb der normalen Arbeitszeit stattfinden.

Das wollen wir ändern, indem wir das landeseinheitlich vereinheitlichen, und zwar in der Art und Weise, dass wir per Rechtsverordnung über das Ministerium einheitliche Regelungen hierfür zugrunde legen werden.

Ein weiteres Thema sind zusätzliche Aufwandsentschädigungen für Ausschussvorsitzende. Wer einem Finanzausschuss als Ausschussvorsitzender vorsteht, der weiß, welche Arbeit damit einhergeht. Es sind Gespräche mit der Verwaltung notwendig; es sind Gespräche mit den einzelnen Beteiligten aus den Fraktionen zu führen; man muss schauen, inwieweit man Konsens zwischen einzelnen Fraktionen organisieren kann. Dafür geht eine Menge Zeit drauf. Insofern haben wir uns darauf verständigt, dass wir eine zusätzliche Aufwandsentschädigung für Ausschussvorsitzende zur Verfügung stellen wollen.

Im Hinblick auf die Zersplitterung der Räte haben wir eine Änderung in der Landesverfassung vorgenommen. Darüber hinaus wollen wir einfachgesetzliche Maßnahmen ergreifen. Das haben wir beim Thema „Mindestfraktionsgrößen“ getan.

Bisher erfolgt die Regelung in Abhängigkeit davon, wie die Gemeinde verortet ist. Abhängig davon, ob es sich um eine kreisangehörige Gemeinde oder eine kreisfreie Gemeinde handelt, sind es zwei bzw. drei Mitglieder, die zur Bildung einer Fraktion notwendig sind.

Wir orientieren uns jetzt an einer Fünfprozentregelung. Wenn eine Partei 5 % der Stimmen erreicht hat, dann sollte sie in einer Gemeindevertretung auch den Fraktionsstatus haben. In diesem Zusammenhang haben wir die Mindestfraktionsgrößen in Abhängigkeit von der Größe der Räte gestaffelt. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD – Beifall von Manuela Grochowiak-Schmieding [GRÜNE])

Zur Finanzausstattung von Gruppen: Ich kann mich noch gut entsinnen, dass damals, als ich Mitglied im Rat der Stadt Dortmund war, auf Wunsch der FDP die großzügige Regelung getroffen worden ist: zwei Drittel der Finanzausstattung in Abhängigkeit von den Zuwendungen, die die kleinste technische Fraktion erhält.

Wenn wir demnächst unterschiedliche Gruppengrößen haben werden – zwei, drei oder vier Leute –, dann muss man hier auch abgestuft die entsprechenden Zuwendungen zur Verfügung stellen. Wir wollen vermeiden, dass Parteien wie beispielsweise die DVU und Die Rechte in Dortmund mit Zuwendungen von 43.000 € bedacht werden, und insofern eine entsprechende Absenkung vornehmen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Nicolaus Kern [PIRATEN]: Das ist doch Wunschdenken!)

Ich habe noch 43 Sekunden und komme jetzt zu den Änderungen der Landschaftsverbandsordnung. Wir haben letztes Jahr im Mai sehr strittig über die Novellierung des RVR-Gesetzes diskutiert. Damals hieß es, da werde eine Extrawurst für den RVR gebraten. Wir haben gesagt, dass wir einen Gleichklang herstellen werden. Auch die Landschaftsverbände sollen entsprechende Aufgabenzuweisungen erhalten.

Das geschieht mit diesem Gesetzentwurf. Sie werden künftig Kliniken für somatische Erkrankungen betreiben können. Sie werden sich genauso wie der RVR im Bereich der erneuerbaren Energien energiewirtschaftlich betätigen können. Wir werden es den Landschaftsverbänden auch ermöglichen, dass sie für ihre Verbandskommunen gegen ein kostendeckendes Entgelt Aufgaben übernehmen, beispielsweise im Bereich der Bauunterhaltung oder im Bereich der Beihilfeprüfung. Das ist ein Beitrag zur Förderung der interkommunalen Zusammenarbeit.

Die Redezeit.

Ich bin gleich fertig, Frau Präsidentin. – Wer die Diskussion zu der Bildung der Verbandsversammlung des RVR und dem entsprechenden Aufblähen wahrgenommen hat, der weiß, dass auch bei den Landschaftsverbänden Handlungsbedarf besteht. Insofern werden wir eine Kappungsgrenze einführen.

Ich freue mich auf die kommenden Beratungen und hoffe, dass wir dieses Gesetzeswerk dann auch im großen Einvernehmen miteinander verabschieden können. Wenn der Prozess Ende dieses Jahres zu Ende geführt wird, dann dürften auch alle zufrieden sein. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Krüger. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Nettelstroth.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist in der Tat der zweite Akt. Frau Steinmann als Vorsitzende der Ehrenamtskommission hat es gerade angesprochen. Wir hatten im letzten Jahr die Ergebnisse vorgestellt, die hier mit breiter Mehrheit des Hauses beschlossen worden sind. Wir haben auch erste Entscheidungen auf den Weg gebracht. Ich darf daran erinnern, dass die Aufwandsentschädigung Anfang des Jahres entsprechend angepasst worden ist, wie wir es beschlossen haben.

Nun folgt der zweite Teil. Dieser zweite Teil bezieht sich in der Tat auf den Verdienstausfall. An der Stelle darf ich daran erinnern, dass es eine Entschädigungsleistung ist. Manche meinen, das sei eine Art Aufwandsentschädigung obendrauf. Nein, das ist eine Entschädigungsleistung für Leistungen, die ich nicht bekomme, weil ich eben ein Ehrenamt wahrnehme und zum Beispiel vor 17 Uhr im Rat oder Ausschuss tätig und eben nicht im Büro unterwegs bin.

Von daher sind wir der Auffassung, dass wir hier eine adäquate Regelung gefunden haben. Sie wird sich zwischen dem Mindestlohn von 8,50 €, der jetzt angepasst wird, und 80 € aufhalten. Wir denken, das ist eine adäquate Regelung, um auch Leuten den Einstieg in das Ehrenamt zu ermöglichen, die vielleicht vorher noch davon abgeschreckt waren, einer solchen Tätigkeit nachzugehen.

Meine Damen und Herren, 20.000 Menschen in diesem Lande machen ehrenamtlich Politik. Wir haben in der Tat auch die Aufgabe, diesen Kolleginnen und Kollegen das Leben etwas leichter zu machen. An der Stelle sind wir aufgefordert, neben der Frage des Verdienstausfalles auch andere Fragen anzugehen.

Eine Frage war dabei die der Ausschussvorsitzenden, wobei wir jetzt hier noch eine kleine Nachjustierung vorgenommen haben.

Ein Wahlprüfungsausschuss, der in der Regel einmal im Jahr tagt, soll sicherlich nicht dazu berechtigen, dass der Ausschussvorsitzende eine zusätzliche Aufwandsentschädigung bekommt. Aber vom

Grundsatz her sind wir schon der Auffassung, dass ein Ausschussvorsitzender, der sich engagiert einbringt und der in der Diskussion mit den Fraktionsvorsitzenden, mit den Sprechern, aber auch mit den Bürgern ist, eine zusätzliche Entschädigung verdient. Das werden wir sicherlich auch im weiteren Verfahren mittragen.

Dieser Gesetzentwurf zeichnet sich aber auch dadurch aus, dass er über diese Empfehlung der Ehrenamtskommission hinaus noch andere Punkte angesprochen hat. Das ist einmal die Frage, wie die Landschaftsversammlung aufgestellt ist. Das ist die Größe der Räte.

Wir sind in der Tat der Auffassung, dass wir das noch einmal in Ruhe diskutieren sollten. Mit der Verweisung heute werden wir eine Verfahrensabsprache treffen. Man wird die Beteiligten noch einmal anhören dürfen, ob sich ein Rat zum Beispiel statt um sechs um zehn Mitglieder verkleinern soll.

Gleiches gilt bei der Kappungsgrenze der Landschaftsverbände. Auch das werden wir uns sehr genau ansehen. Da hat die leidvolle Erfahrung der SPD beim RVR sicherlich eine Rolle gespielt. Auch das nehmen wir sicherlich noch mit in die Diskussion.