Protocol of the Session on June 9, 2016

Frau Düker.

Herr Dr. Stamp, weil Sie mich bewusst missverstehen, stelle ich eine Zwischenfrage. Ich habe natürlich nicht gesagt, dass das nicht nichts verändert. Ich habe gesagt: Das löst keine Probleme. Das ist etwas anderes.

Ich stelle meine Frage: Was sagen Sie denn zu den Stellungnahmen von PRO ASYL, von Amnesty International, von der evangelischen Kirche, von der katholischen Kirche, vom Institut für Menschenrechte und vielen anderen, die alle sagen, dass dieser Gesetzentwurf den Ansprüchen, die das Bundesverfassungsgericht an eine Einstufung als sichere Herkunftsländer stellt, nicht gerecht wird? Wie stehen Sie konkret zu diesen Stellungnahmen?

Vielen Dank, Frau Kollegin Düker, für die Frage. – Ich kann Ihnen sagen, dass das Gros der genannten Organisationen, die Sie genannt haben, grundsätzlich für eine Open-Border-Politik steht.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Die katholi- sche und die evangelische Kirche? Das wäre mir neu! – Weitere Zurufe)

Das ist eine legitime Position, die man zwar vertreten kann, die ich aber nicht teile. Ich glaube nicht, dass das funktioniert und dass das der richtige Weg ist.

(Monika Düker [GRÜNE]: Das war nicht die Frage! – Zurufe von den GRÜNEN)

Lassen Sie mich doch mal ausreden. Deswegen bin ich der Meinung, dass es sinnvoll ist, an dieser Stelle das Instrument der sicheren Herkunftsländer einzusetzen.

(Beifall von der FDP und der CDU – Wider- spruch von der SPD und den GRÜNEN)

Ich wollte gerade auf die aktuellen Zahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 1. Januar bis 31. Mai dieses Jahres für NRW zu sprechen kommen, was die konkreten Entscheidungen angeht.

Wir hatten 1.217 Entscheidungen über Flüchtlinge aus Marokko. Davon haben vier Asyl bekommen, 13 nach Genfer Flüchtlingskonvention, drei subsidiären Schutz. Bei fünf liegt ein Abschiebeverbot vor.

Bei Algerien sind es 1.097 gewesen. Davon einmal Asyl, einmal nach Genfer Flüchtlingskonvention, zwei subsidiär, zwölf Abschiebeverbote.

Tunesien: 52 Fälle. Dort war gar keiner in der Schutzquote.

Ich sage Ihnen: All diese Einzelfälle werden, auch wenn diese Länder sichere Herkunftsländer sind, hier ein rechtsstaatliches Verfahren bekommen.

(Zuruf von der CDU: So ist es!)

Das wissen Sie auch. Deswegen sollte man das hier auch nicht verdrehen.

(André Kuper [CDU] nickt.)

Aber wir müssen auch sehen, dass, wenn das hier insgesamt etwa um 40 sind bei einer Zahl von – grob

gerechnet 2.300 –, man diese Verfahren insgesamt strafft. Dafür ist das hier ein Instrument.

Wir sind im Übrigen der Meinung, dass auch das Land etwas tun kann, indem wir bei den Ländern, die eine Schutzquote von unter 10 % haben, die Bewerber mit einem zügigen Verfahren in den Landeseinrichtungen halten und sie nicht in die Kommunen überführen. Das haben wir an anderer Stelle auch schon ausgeführt.

(Beifall von der CDU und Ulrich Alda [FDP])

Ich glaube, dass das erheblich zur Beschleunigung der Verfahren beitragen kann. Das ist im Übrigen für alle Flüchtlinge durchaus hilfreich.

Dass wir weitere Maßnahmen brauchen – Kollege Körfges hat gerade die Stichtagsregelung genannt –, was Altfälle angeht, sollten wir diskutieren – auch über Fraktionsgrenzen hinweg. Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz, was die für uns ökonomisch notwendige Zuwanderung angeht,

(Beifall von Britta Altenkamp [SPD])

bei der wir uns diejenigen entsprechend aussuchen.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Ausländer in gute und schlechte sortieren!)

Und ich bleibe dabei: Wir brauchen einen eigenen Status für Bürgerkriegsflüchtlinge, die in großer Menge aus einem bestimmten Land zu uns kommen, damit sie hier schnell einen rechtssicheren Status haben.

Auf diese Ordnung sollten wir hinarbeiten, damit wir auch für den Fall steigender Zahlen entsprechend gerüstet sind und nicht noch einmal in solch eine schwierige Situation kommen.

Ich will mir am Ende noch eine Bemerkung erlauben. Herr Minister, Sie haben die Probleme mit den Rückführungen in den Maghreb beklagt. Das ist richtig – nur dass wir hier eine sehr problematische Gruppe haben, und zwar nur einen Teil aus dieser Gruppe, über den sich übrigens alteingesessene Marokkaner, alteingesessene Algerier hier in Düsseldorf massiv beschweren. Die sagen: Haltet sie uns vom Hals. – Dieses Problem ist seit Oktober 2014 ausweislich des Protokolls des Innenausschusses bekannt.

Sie hatten zwischendurch den Vorsitz der Innenministerkonferenz. Jetzt die Krokodilstränen zu weinen, man hätte nichts getan und dafür sei nur der Bund zuständig, ist mir zu einfach. Im Übrigen stellt Ihre Partei den Bundesaußenminister. Dahin hätten Sie sich erheblich früher wenden können. – Danke schön.

(Beifall von der CDU und Ulrich Alda [FDP])

Vielen Dank, Herr Dr. Stamp. – Für die Piraten spricht Frau Kollegin Brand.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Mich erreichten die Tage furchtbare Berichte über die Zustände in den betreffenden Staaten, die Sie hier und im Bundestag als „sicher“ bezeichnen wollen. Westliche politische Aktivisten werden davor gewarnt, sich vor Ort als solche zu erkennen zu geben, und zwar in erster Linie nicht, weil sie sich selbst dadurch gefährden, sondern diejenigen, denen sie eigentlich helfen wollen.

Geflüchtete müssen mit schweren Repressionen rechnen, wenn sie nur mit den westlichen Helfern oder gar mit Politikern reden. Die Lage hat sich enorm verschärft. Zwar finden auf Druck der EU schon seit Jahren in den nordafrikanischen Staaten illegale, sogenannte Push-Backs statt. So nennt man gesetzwidrige Abschiebungen von Geflüchteten in Grenzgebieten. Aber seit Anfang des Jahres werden Flüchtlinge vermehrt im Süden Marokkos festgehalten.

Sie, liebe CDU, wissen auch, wie es um die menschenrechtliche Situation von Minderheiten in diesen Staaten bestellt ist, wollen es aber nicht hören. Frau Düker hat dazu eben schon ausgeführt. Deshalb werde ich nicht noch einmal alles vorlesen, was in Algerien, Marokko oder Tunesien vor sich geht. Insgesamt kann man sagen: massive Einschränkungen von Meinungs- und Pressefreiheit, Misshandlungen, Ungleichbehandlungen, Verfolgung von Homosexuellen und immer wieder Folter: Folter in Haft, Folter bei der Terrorismusbekämpfung, Folter überall.

Was sagt uns das alles? Die Einstufung als sicher erfolgt hier in Deutschland absolut willkürlich. Dabei geht es keineswegs darum, ob das Land wirklich sicher ist, sondern einzig und allein darum, ob sie die Geflüchteten aus diesen Gebieten gerade loswerden wollen.

Aktuell haben wir hier in Düsseldorf das abgebrannte Flüchtlingsheim. Siehe da, verdächtigt werden aktuell zwei Nordafrikaner. Das ist ja wieder Wasser auf die Mühlen derer, die sich in der rechten Ecke tummeln und die diese sicheren Heimatländer einfordern. Schnelles Abschieben wird gefordert, am besten alle abschieben. Eine Differenzierung findet nicht mehr statt, obwohl man doch wirklich sehen muss: Da haben zwei von 282 vermutlich den Brand gelegt, nicht mehr.

Wir dürfen auch nicht vergessen, wenn wir über Abschiebung reden: Wir leben hier in einem Rechtsstaat, zum Glück.

Niemand hat gesagt, dass nur Heilige zu uns kommen. Keiner hat gesagt, dass es einfach wird. Und

ja, auf jeden Fall: Überführte Straftäter – in diesem Fall Brandstifter – müssen vor Gericht gestellt und einem gerechten Urteil zugeführt werden und dann ihre Strafe entsprechend absitzen. Das ist überhaupt keine Diskussion.

(Beifall von den PIRATEN)

Ich möchte aber hier trotzdem noch einmal auf ein oft bemühtes Szenario eingehen. Stellen Sie sich bitte vor, Sie würden 250 zumeist junge Männer aus Deutschland – viele von ihnen womöglich aus prekären Verhältnissen – jwd in einer Halle unterbringen, ohne Betätigungsmöglichkeit, ohne Perspektive, ohne irgendeine Privatsphäre. Was meinen Sie, was da nach kurzer Zeit los wäre? Das wäre das reine Helter Skelter mit Mord- und Totschlag.

Das Problem ist somit nicht die Geschwindigkeit von Abschiebungen. Das Problem ist die Art und Weise, wie diese Menschen untergebracht werden.

(Beifall von den PIRATEN)

Ich habe hier eine Anfrage eingebracht, die auf eine Veröffentlichung des Bundesrates hinweist. Auch die wurde schon erwähnt. Der Bundesrat gab am 18. März eine Stellungnahme heraus, die sich kritisch zu pauschalen Bestimmungen von sicheren Herkunftsländern äußert. Neben offenen Fragen bezüglich der geplanten Einstufung der Länder Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten fordert der Bundesrat, die Menschenrechtssituation dort generell zu überprüfen und das unter Einbeziehung von Menschenrechtsorganisationen zu intensivieren.

Erfreulicherweise hat sich Schleswig-Holstein aktuell dazu entschieden, gegen den Antrag zu den sicheren Herkunftsländern im Bundesrat zu stimmen. Die sind also schon einmal ein Stück weiter.

Ich kann es für Sie gerne noch einmal wiederholen: Länder, die foltern, sind keine sicheren Herkunftsländer. Die Menschenrechte sind nicht verhandelbar.

(Beifall von den PIRATEN)

Ein Letztes noch: Meine Damen und Herren von der CDU, die AfD hat in Sachsen-Anhalt einen Antrag eingebracht, der Ihrem vorliegenden mehr als gleicht. Die CDU dort benennt dieses Vorgehen als das, was es ist, als rassistisch. Ihr Antrag ist wie der von der AfD eben genau das und aus demselben Grund abzulehnen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.