Protocol of the Session on May 12, 2016

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Das wird jetzt unverschämt! Vorsicht!)

Meine Damen und Herren, das ist eine „nette“ Gesellschaft, bei der ich sagen kann: Ob das für unser Land zukunftsführend und zukunftsbildend ist, wage ich in Zweifel zu ziehen.

Ich weiß nicht, ob wir bezüglich des TTIP-Abkommens am Ende Erfolg haben werden. Aber ein Abbruch jetzt wäre ein Vertun von Chancen.

Richtig ist: Die Wirtschaft unseres Landes, die Wirtschaft in der Bundesrepublik braucht Märkte, die ihr zugänglich sind, damit die Unternehmen hier ihren Export ausüben können und damit unsere Menschen in Brot und Arbeit sind. Unser Land liegt auf dem letzten Platz der wirtschaftlichen Entwicklung.

(Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, gerade Nordrhein-Westfalen ist auf freie Märkte angewiesen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Deswegen bleiben wir im Gespräch mit denen, mit denen wir Handel betreiben wollen. Wir sind fair im Umgang mit unseren Partnern.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Hovenjürgen. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Engstfeld.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Hovenjürgen, ich lege zunächst mein Redemanuskript zur Seite.

Erstens. Mit wem gemeinsam streiten wir da überhaupt? – Ich war im Herbst in Berlin mit 250.000 Menschen auf der Straße. Da habe ich keine AfD und sonstigen Leute gesehen. Was ich gesehen habe, das waren engagierte Bürgerinnen und Bürger. Ich habe Greenpeace gesehen. Ich habe viele Umweltverbände gesehen. Ich habe Gewerkschaften gesehen. Ich habe den Verband Kommunaler Unternehmer gesehen. Ich habe Leute von der Mittelstandsvereinigung gesehen.

Ich rede verdammt viel über TTIP. Ich bin auf sehr vielen Diskussionsforen. Viele aus der Wirtschaft, gerade aus dem Mittelstand, gerade kleine und mittlere Unternehmen sind gegenüber TTIP sehr kritisch eingestellt, weil sie genau wissen, dass am Ende des Tages TTIP, sollte es so kommen, wie es geplant ist, nur den ganz Großen nützen wird, und mit den ganz Großen meine ich die Googles und Amazons dieser Welt. Das ist das Erste.

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

Zweitens. Was ist wirklich neu? Diesbezüglich habe ich ebenfalls eine andere Einschätzung als Sie. Das Beispiel, das es am deutlichsten macht, ist das Vorsorgeprinzip, das wir haben. Wir haben hier in der Europäischen Union, in Deutschland das Vorsorgeprinzip. Das heißt, bisher müssen Produkte nachweislich unschädlich sein, um eine Zulassung zu erhalten.

Das, was die Amerikaner wollen, was sie gerade durchzudrücken versuchen, was wir bei den TTIPLeaks schwarz auf weiß lesen konnten, ist, dass sie das bei ihnen geltende Risikoprinzip einführen wollen. Das heißt, sie wollen das Vorsorgeprinzip durch das Risikoprinzip ersetzen. Nach dem Risikoprinzip werden Produkte auf dem Markt zugelassen, bis nachweislich ein Schadensfall aufgetreten ist.

Wenn wir so arbeiten, laufen wir natürlich Gefahr, erst einmal geht alles, und dann muss man hingehen und einen Schadensfall nachweisen. Erst dann wird ein schädliches Produkt vom Markt genommen. Zurzeit ist es so: Man prüft, ob ein Produkt schädlich ist, bevor es auf den Markt kommt und bevor Verbraucherinnen und Verbraucher Schädigungen erfahren.

Doch anstatt uns davor zu schützen, wird dieses Vorsorgeprinzip gerade billige Verhandlungsmasse. Das ist das wirklich Neue, Herr Kollege Hovenjürgen. – Wenn ich schon zu Ihnen rede, wäre es schön, wenn Sie mir zuhören würden. Das gebührt sich unter Kollegen so. Vielen Dank.

Ich frage mich – ich habe sie mir angeguckt –: Wo sind denn die guten Vorschläge der Europäischen Union zur Sicherung des Vorsorgeprinzips?

(Beifall von den GRÜNEN)

Es gibt nicht eine einzige Zeile in den geleakten Dokumenten, in der die Europäische Union dokumentiert, dass sie sich gegen das Risikoprinzip der Amerikaner einsetzt. Nicht eine einzige! Das ist für mich das wirklich Neue an den TTIP-Leaks, wie schlecht offensichtlich die Europäische Kommission mit den Amerikanern verhandelt.

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

Die grüne Position zu TTIP ist eindeutig und klar. Darüber müssen wir nicht groß diskutieren. Das kann man alles nachlesen. Wir haben mehrere Parteitagsbeschlüsse auf der Bundesebene. Wir haben mehrere Beschlüsse auf der Landesebene, zuletzt noch Ende April auf unserem Landesparteitag in Neuss. Der Landesvorstand hat eine eindeutige Positionierung vorgenommen.

Auch wir haben bereits im Februar 2014 auf die Gefahren von TTIP aufmerksam gemacht. Wir haben einen eigenen Fraktionsbeschluss gefasst, der bis heute gültig ist. Der heißt: „TTIP – No, we can’t: Kein Transatlantisches Freihandelsabkommen um jeden

Preis“. Insofern muss ich das nicht weiter ausführen. Auch die Piratenfraktion nickt. Dass das, was uns da droht, so nicht geht, ist klar.

Wir werden aber trotzdem den Antrag ablehnen. Sie fordern in Ihrem Antrag die Landesregierung auf, sich auf allen Ebenen für den Abbruch der Verhandlungen einzusetzen. Die Landesregierung hat deutlich gemacht – im Europaausschuss wurden die europapolitischen Prioritäten dargelegt –, wie sie das sieht, nämlich dass sie gewisse rote Linien hat, wann TTIP nicht zustimmungsfähig ist, wann TTIP die volle Zustimmung von unserer Seite bekommt, und dass sie dann, wenn es ein fertiges Produkt gibt, gemeinsam bewerten wird – es sitzen ja zwei Farben am Tisch –, ob diese roten Linien unterschritten worden sind oder nicht.

Das finde ich ein vernünftiges Vorgehen. Wir als Partei, wir als Fraktion sind da klar. Und wir versuchen, glaube ich, alle gemeinsam, auf der Straße noch einmal Druck zu entwickeln, damit es so kommt, wie wir es uns das inhaltlich wünschen. – Vielen Dank.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Nicht auf der Straße! Hier im Plenum, lieber Herr Kollege Engstfeld! Doch nicht auf der Straße! Dafür seid ihr doch im Landtag! – Stefan Engstfeld [GRÜNE]: Auf der Straße haben wir das meiste erreicht!)

Vielen Dank, Herr Kollege Engstfeld. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Höne.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir einmal eine etwas breitere Perspektive beim Thema „TTIP“ einnehmen, dann kommen wir zu der grundsätzlichen Frage: Warum eigentlich Freihandel? – Freihandel – das hat unter anderem im Modell des komparativen Kostenvorteils schon der britische Ökonom Ricardo Anfang des 19. Jahrhunderts festgestellt – führt zu Wohlfahrtsgewinnen.

Um das etwas weniger technisch auszudrücken: Von dem Wettbewerb, der zwischen Unternehmen besteht, von größeren Märkten, von der Spezialisierung, die damit einhergeht – davon sollen und können Verbraucher profitieren, nämlich mit einer größeren Produktauswahl, mit einer größeren Vielfalt, mit einem besseren Preis-Leistungs-Verhältnis.

Um es noch ein Stückchen weiter herunterzudrücken für die begeisterten Kunden der Deutschen Bahn AG hier in diesem Hause: Wer glaubt denn, dass die vergangenen Serviceoffensiven aus reiner Nächstenliebe gestartet wurden? Ich tue das nicht. Das liegt an Fernbusalternativen und an den Flugalternativen. Sie sehen: Wettbewerb ist dazu da, um den Verbrauchern zu dienen und muss so gesteuert werden.

(Beifall von der FDP)

Die Exportabhängigkeit Deutschlands ist eben schon angesprochen worden. Von dem in der Kernindustrie Automobil in Deutschland erzielten Gesamtumsatz von 400 Milliarden € stammen 260 Milliarden € aus dem Export. Zwei von drei Arbeitsplätzen in der Automobilindustrie in Deutschland hängen vom Export ab. Das betrifft nicht nur München, Stuttgart oder Wolfsburg, das betrifft auch sehr viele kleine und mittlere Zulieferer in Nordrhein-Westfalen.

Wenn man das festgestellt hat, kann man zu der Frage kommen: Treffen die positiven Aspekte auf TTIP zu? Da kann man zum jetzigen Zeitpunkt, weil wir uns mitten in den Verhandlungen befinden, sagen: Hoffentlich! Aber die Verhandlungen laufen ja im Moment noch.

Anstatt hier jetzt Panikmache zu betreiben oder Vorfestlegungen abzuverlangen, müsste doch viel eher gelten: Vorbehaltlos, engagiert zu verhandeln, um dann das Ergebnis zu bewerten.

Ich sage für die Freien Demokraten ganz klar: TTIP ist für sich genommen kein Selbstzweck; es verbergen sich dahinter aber viele Chancen. Und die Verantwortung dafür übrigens, dass etwas Gescheites dabei herauskommt, liegt beim Bundeswirtschaftsminister, bei Herrn Gabriel.

(Beifall von der FDP)

Um das im Übrigen noch einmal deutlich zu machen – ich habe mir das im Vorfeld dieser Debatte noch einmal herausgesucht, weil das immer wieder angesprochen wird, das Gemeinwohl, die sozialen Belange und die Umweltbelange würden oder müssten gesenkt werden –: In den Richtlinien, die sich die Europäischen Union in den Verhandlungen selber gegeben hat und die auch Leitfaden sind für das, was die Verhandlungsführer für die EU machen, ist ganz klar festgelegt, dass das nicht passieren soll. Und wenn das schon in den Leitlinien so ausdrücklich steht, ist das doch ein klares Signal dafür, was mit einem Verhandlungsergebnis passieren würde und auch müsste, wenn es nicht sichergestellt ist.

(Beifall von der FDP)

Gibt es trotzdem berechtigte Kritik? Ich glaube schon; insbesondere die Kommunikation seitens der EU-Kommission, finde ich nicht in Ordnung. Gerade das Verhandlungsmandat hätte sehr viel früher offengelegt werden müssen.

Um das auch noch einmal ganz deutlich zu sagen: Das gefühlte Interesse an TTIP scheint deutlich höher zu sein als das echte Interesse. Seit November 2015 ist der Alternativvorschlag der EU zu den Schiedsgerichten, zu dem kontroversesten Themenkomplex bei TTIP, 14.000-mal angeklickt worden.

Die eigenen Vorschläge der EU zum Thema „Nachhaltige Entwicklung nur 5.000mal. Da driften Anspruch und Wirklichkeit deutlich auseinander.

Schaut man auf die jetzt geleakten Inhalte, dann finde ich es schon überraschend, wie schrill die Reaktion von manchen Akteuren war. Ich finde, da hat Sabine Hackländer vom SWR-Hörfunkstudio in Brüssel sehr klug kommentiert. Sie hat nämlich mit Blick auf diese schrillen Reaktionen in einem Kommentar Nicht-Regierungsorganisationen eine unglaublich gute Beherrschung der Manipulation bescheinigt. Zitat:

„Denn zu behaupten, Europa sei dazu verdammt, auf die US-Positionen einzugehen, ist reine Unterstellung – nicht mehr und nicht weniger.“

Für die Exportnation Deutschland ist TTIP, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht nur eine rein ökonomische Herausforderung, sondern auch eine politische. Es geht nämlich die Kernfrage: Wollen wir eigentlich auch in der Zukunft noch ökonomische, soziale, ökologische Standards mitbestimmen?

Michael Sauger im „Spiegel“, Ausgabe 19/2016, schreibt, dass in den nächsten Jahren Handelsabkommen mit prägenden Regeln abgeschlossen würden. Und er stellt dann die berechtigte Frage: „Wessen Geist atmen sie – den aus Europa oder den aus Asien?“ – Ich meine, wir müssten mindestens den engagierten Versuch unternehmen, da mitzusprechen.

Ihre Redezeit.

Ich möchte, dass es die europäischen Standards sind, dass es der europäische Geist ist. Und Frau Hackländer schließt dann übrigens mit dem Appel in ihrem Kommentar: „Hört endlich damit auf, uns für dumm zu verkaufen!“ – Dem schließe ich mich gerne an.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Höne. Sie haben es vielleicht gemerkt: Es gibt den Wunsch nach einer Kurzintervention, und zwar von Herrn Dr. Paul.