„Wir sprechen hier in diesem Parlament nicht mit den Zuschauern. Das ist im Parlamentarismus ganz klar so geregelt. Das hat damit zu tun, dass wir aus Weimar gelernt haben. Ich will es einmal ganz deutlich sagen: Es ist nett, wenn Sie die
Unsere Parlamente arbeiten dem Prinzip nach als sogenannte Kollegialorgane. Kollegialorgane sind Organe, die mit einer Mehrheit grundsätzlich gleichberechtigter Organwalter, also Parlamentarierinnen und Parlamentarier, besetzt sind. Wir alle als gewählte Volksvertreterinnen und Volksvertreter nehmen gemeinsam die dem Kollegialorgan zugeordneten Aufgaben und Zuständigkeiten wahr. Unsere Willensbildung erfolgt nach dem in unserer Geschäftsordnung festgelegten inneren Organisationsrecht, wo vieles detailgenau im Miteinander geregelt ist und schließlich die Mehrheitsentscheidung für die Beschlussfassung ausschlaggebend ist.
Das ist der tiefere Sinn unseres freiheitlich-demokratischen Systems, solange es als parlamentarische repräsentative Demokratie verfasst ist.
„Im Regelfall dient die Debatte weniger der Herbeiführung einer Entscheidung, sondern vielmehr dazu, die Gründe der Zustimmenden wie Ablehnenden transparent zu machen. Das Plenum bietet das Forum, um die Gründe für die jeweilige Entscheidung öffentlichkeitswirksam klar- und darzustellen.“
Die Öffentlichkeit ist also Adressatin der öffentlichen Parlamentsdebatte, aber nicht Teilnehmerin der Debatte.
So lautet nach dem vorliegenden Gutachten das unverzichtbare Prinzip des deutschen Parlamentarismus.
Ausdrücklich „bestimmt die Hausordnung des Landtags NRW“ für die Besucherinnen und Besucher von Plenardebatten
„ein Verbot für Bekundungen des Beifalls, des Missfallens und sonstige laute Äußerungen. Sie sind auf die Rolle eines passiven Zuhörers beschränkt.“
Auch wenn dies in der Paulskirche 1848 noch nicht galt, so kann, wie der Gutachter auf Seite 9 schreibt – ich zitiere –,
„doch davon ausgegangen werden, dass sich bereits unmittelbar nach der Paulskirche das Ruhegebot für die Tribünen als Grundsatz parlamentarischer Ordnung entwickelte bzw. verfestigte.“
So wurde es also bereits am 28. März 1849 für die Zweite Kammer des Preußischen Landtags festgelegt und auch danach immer wieder übernommen, ob in Weimar oder im bayerischen Landtag, im Bundestag oder bei uns im Landtag Nordrhein-Westfalen.
„‚parlamentarische Ordnung‘, ein Sammelbegriff für alle einschlägigen Regeln, insbesondere auch ungeschriebenes Gewohnheitsrecht und Parlamentsbräuche. … Prägend für die heute geltenden Regeln waren dabei auch die Erfahrungen mit den Feinden der Demokratie in den Parlamenten der Weimarer Republik.“
Genau hierauf bezog sich seinerzeit die Anmerkung des Vizepräsidenten Keymis. So nett die Begrüßungen gemeint sind: Sie widersprechen dem parlamentarischen Brauch.
Nicht die Mitbegrüßung der Tribüne mindert die von Ihnen angeführte Politikverdrossenheit, sondern die Inhalte und die Glaubwürdigkeit der vorgetragenen Positionen werden von den Gästen auf der Tribüne bewertet.
Liebe Piraten, unterstellen Sie den Menschen wirklich, dass sie sich mehr von der Begrüßung angesprochen fühlen als von der Sinnhaftigkeit unserer politischen Aussagen? Sie müssen den Menschen hier von diesem Pult aus nicht erklären, was wir hier verhandeln – genau diesen Versuch machte der Kollege Bayer am 4. Dezember 2015 –, sondern Sie sollen hier darlegen, warum Sie diese oder jene politische Maßnahme für richtig oder falsch halten.
Meine Damen und Herren, wir verhandeln hier stellvertretend für die Menschen, die uns dieses Mandat dafür erteilt haben. Wir beraten uns mit den Menschen in den Versammlungen und Veranstaltungen überall im Land, an denen wir teilnehmen. Wir telefonieren mit unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Wir tauschen uns über alle Foren und Formen des Internets mit ihnen aus. Wir schreiben uns, und wir sprechen abends in der Kneipe mit anderen Menschen.
Hier aber ist der Ort der repräsentativ-parlamentarischen Demokratie. Hier beraten wir uns als politische Kolleginnen und Kollegen, als Mandatsträgerinnen
und Mandatsträger über die beste politische Lösung. Aber ganz bewusst lassen wir unsere Auftraggeber außen vor. Das ist repräsentativ-parlamentarische Demokratie, das sichert Einigkeit, Recht und Freiheit.
Eindrucksvoll zeigt uns das Gutachten mit den dort aufgeführten Bezügen zur historischen Entwicklung, wohin es führt, wenn wir diese gut eingeführten parlamentarischen Bräuche infrage stellen. Das Stichwort lautet: Weimar.
Nicht Sie als Piratenfraktion stellen mit solchen Auflösungstendenzen des geübten Brauches eine Gefahr für unsere Demokratie dar. Aber nach Ihnen kommen vielleicht andere Parteien auch in dieses Parlament und berufen sich dann auf die von Ihnen schleichend benutzten und geduldeten neuen direkten Kommunikationsformen.
Die neuen anderen Parteien reden dann zum Beispiel über die versammelten Abgeordneten hinweg mal eben die, ich zitiere „Bürger des Landes“ jeweils zu ihrem Redebeginn an, so wie es NPD-Abgeordnete im Schweriner Landtag tun.
Der Unterschied zwischen dem freundlich gemeinten Begrüßen und dem politische Missachtung des Parlamentarismus ausdrückenden Begrüßens des Volkes an sich verschwindet so schnell wie manche Fraktion, die einst in ein Parlament gewählt wurde.
Deswegen sagen wir Ihnen an dieser Stelle, wie es auch Vizepräsident Keymis am 4. Dezember 2015 getan hat: Wehret den Anfängen!
Wir stimmen der Überweisung des Antrages in den Hauptausschuss zu. Den Inhalt dieses Antrages aber lehnen wir ab; denn das nordrhein-westfälische Parlament braucht vor allem stand- und meinungsfeste Politikerinnen und Politiker, die sich nicht Moden oder Mätzchen anpassen, sondern die sich der Freiheit und der parlamentarischen Demokratie nicht nur verpflichtet fühlen, sondern sie mit den Menschen in unserem Land gemeinsam leben. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Engstfeld. – Es gibt eine Kurzintervention, angemeldet von Herrn Kollegen Bayer. Herr Bayer, 1:30 Minuten für Sie.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Gerade Ihr letzter Satz „Wehret den Anfängen!“ ist genau das, was man meiner Meinung nach nicht aus dem Gutachten ziehen soll, und was an der Stelle auch gefährlich ist, weil man daraus komplett
falsche Schlüsse zieht. Sie haben auch teilweise verdreht dargestellt, was im Gutachten steht. Wichtig ist vor allem die Intention, und es ist nicht mit Weimar zu vergleichen, wenn man hier Zuschauer anspricht, Dinge erklärt oder Dinge nach außen bringt und Öffentlichkeit hat.
Es gibt sehr strukturelle Unterschiede, die auch nicht automatisch nach Weimar führen. Den Schluss des Gutachtens haben Sie zitiert, praktisch das, was am Ende herauskommt. Da macht das Gutachten zwar keinen Fehler, aber das Gutachten beschränkt sich nur auf absolute Zahlen und sagt: Okay, wenn 20 % der Abgeordneten es machen und 80 % nicht, dann ist wohl die Situation so, dass es üblich ist, es nicht zu machen, also Fazit …
Man müsste sich, um es genau zu beurteilen, aber ansehen, wie der Trend ist. Ändert sich etwas? Wieso ändert sich etwas usw.? Wie ist es in den einzelnen Parlamenten? – Da reicht die allein Datenlage des Gutachtens nicht aus. Ich interpretiere das anders. Ich nehme die Aussagen, die vorher im Gutachten gemacht wurden, und sage: Wenn der Trend aber dahin geht, dass es zunimmt, dann spricht das Gutachten im Grunde für meine Argumentation.
Vielen Dank, Herr Kollege Bayer, für diese Kurzintervention, die jetzt auch akustisch deutlich besser zu verstehen war als der erste Anlauf. Ich möchte mich gegen den Anfang Ihrer Ausführungen verwehren. Ich habe nicht die Aussagen aus dem Gutachten verdreht, so wie es gerade behauptet wurde; das sehe ich nicht so.
Natürlich kann man wahrscheinlich das eine oder andere anders herauslesen. Aber diese Unterstellung möchte ich doch zurückweisen. Ich habe Ihrer Rede zugehört, Sie haben meiner zugehört. Wir haben da unterschiedliche Schlüsse und Argumentationswege. Ich habe die Gefahren, die wir sehen, dargestellt, und dabei bleibe ich auch. – Ich freue mich auf die Debatte im Ausschuss.