Protocol of the Session on April 20, 2016

Wer schädliche Emissionen durch den Individualverkehr verhindern möchte, ist am erfolgreichsten, wenn

er Anreize schafft, dass diese Verkehre gar nicht erst entstehen.

Aber die Wörter „Investitionen“ und „ÖPNV“ und damit Felder, auf denen Sie im Land eine echte Verantwortung haben, erwähnen Sie in Ihrem Antrag nicht; sie kommen nicht einmal vor.

Stattdessen wollen Sie wieder einmal den Kommunen die Verantwortung zuschieben. Wie das in der Praxis aussieht, hat Kollege Rasche eben berichtet. Ich kann Ihnen aus eigener Anschauung aus meiner Heimatstadt sagen: Da verlangt die Bezirksregierung von Ihnen ganz bestimmte Maßnahmen. Aber wenn es darum geht, das Geld mitzuliefern, ist Fehlanzeige.

Die Redezeit.

Kein Wunder, meine Damen und Herren, dass sich gerade der Städte- und Gemeindebund – also die Vertretung der Kommunen, denen Sie angeblich neue Mittel verschaffen wollen – so strikt gegen Ihre Vorschläge ausgesprochen hat und sie ablehnt. Ziehen Sie diese Vorschläge zurück! Erarbeiten Sie vernünftige Konzepte, wie wir zu mehr modernen Fahrzeugen kommen! Dann kommen wir allemal weiter.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Deppe. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Markert.

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manchmal stimmt die Choreographie eines solchen Plenartages sowohl mit Blick auf die Tagesordnung als auch auf den Plenartag insgesamt. Wir haben uns eben über Kinder- und Jugendpolitik unterhalten. Jetzt reden wir über Luftreinhaltung. Dazu habe ich heute Morgen im Bus eine nette Begegnung gehabt. Ein kleiner Junge sagte zu seiner Mutter, während der Bus am Stau vorbeifuhr: Juhu, Mama, der Bus überholt die Autos! – Da möchte man sagen: Freie Fahrt für aufgeweckte Kinder.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Da bin ich auch schon beim Thema. Das ist nämlich eine Perspektive, die wir auch einnehmen sollten, wenn wir über Luftreinhaltungspolitik reden: die Perspektive der Kinder, Herr Rasche und Herr Deppe. Das ist eine wichtige Frage. Denn wir haben doch in den letzten Jahren festgestellt: Alle Anstrengungen zur Luftreinhaltung, die alle Umweltminister und -ministerinnen parteiübergreifend auf den Konferenzen beschlossen haben und die wir in unseren Städten umgesetzt haben, haben letztlich nicht dazu geführt,

dass wir einen großen Schritt nach vorne gegangen sind.

Betroffen von den hohen Emissionswerten bei Stickoxiden – übrigens genauso wie bei den Feinstaubwerten – sind Kinder. Es sind im Übrigen, Herr Deppe, auch die Menschen an den vielbefahrenen Straßen. Dort leben die Menschen mit kleinem Portemonnaie, und dort findet der meiste Verkehr und damit auch die größte Luftschadstoffbelastung statt.

Und wenn Sie sagen, Herr Deppe, die CDU ist der Anwalt der Dieselfahrer, so sind wir Grünen der Anwalt der kleinen Leute und der Kinder.

(Christof Rasche [FDP]: Deshalb unterbinden Sie auch jede Umgehungsstraße! Ist das rich- tig?)

Wissen Sie, Herr Rasche: Umweltschutz hat Vorrang vor Gewinnstreben und persönlichem Nutzen. – Das kennen Sie doch noch. Das stammt aus den Freiburger Thesen aus den 70er-Jahren.

(Zuruf von Christof Rasche [FDP])

Die FDP war doch schon mal weiter. Und Herr Lindner wollte die FDP neu aufstellen.

(Zuruf von Christof Rasche [FDP])

Ich merke, Sie sind da angekommen, wo die FDP seit Ende der 70er-Jahre ist: bei den Kieler Thesen, streng an der Seite der Schadstoffverursacher, aber nicht an der Seite der Betroffenen. Deshalb: Gehen Sie also erst mal in sich, bevor Sie sich Sorgen um die grüne Zukunft machen! Machen Sie sich erst mal über Ihre eigene Zukunft Gedanken, und lesen Sie mal in alten Werken nach!

Wie sagte schon der schottische Autor Alexander Smith: „Heute ist immer anders als gestern.“ Da kann ich dem großen schottischen Autor nur recht geben.

(Christof Rasche [FDP]: Wenn man Zitate ver- wendet, ist man nicht klug! – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Herr Rasche, stellen Sie Zwischenfragen! Darauf kann ich Ihnen Antworten geben.

(Zuruf von der SPD: Das muss aber nicht sein! Das können wir uns sparen!)

Aber die Frage, die ich an Sie stelle, lautet: Was ist Ihr Beitrag dazu, dass sich in Zukunft die Luftschadstoffe in unseren Innenstädten reduzieren?

In 58 von 127 Messstellen ist im vergangenen Jahr die Schadstoffbelastung überschritten worden.

Sechs Städte sind deswegen von der Deutschen Umwelthilfe verklagt worden. Uns droht ein europäisches Vertragsverletzungsverfahren, das übrigens alle Bürgerinnen und Bürger zahlen müssen. Was ist Ihr Beitrag zum Umweltschutz und dazu, dass alle

Bürgerinnen und Bürger zahlen müssen? Das ist die Frage an Sie.

(Christof Rasche [FDP]: Das habe ich eben genannt. Aber Ihre Traumtänzerei!)

Bei „Traumtänzerei“ fällt mir ein: Wir haben heute Morgen schon über Panama Papers und anderes gesprochen. Herr Lindner war nicht da. Da habe ich auch manchmal über Traumtänzereien bei Ihnen nachgedacht. Aber das ist ein anderes Thema.

Herr Rasche, Sie haben eben das Ranking der Wirtschaftskraft von 0,0 % in Nordrhein-Westfalen angesprochen. Wissen Sie, was Wirtschaftsfachleute als Grund dafür ansehen? Nordrhein-Westfalen hat parteiübergreifend zu lange auf alte Techniken gesetzt. Wir brauchen Innovation, wir brauchen moderne Technik, auch in der Fahrzeugflotte. Darum geht es.

Wenn heute das Kraftfahrtbundesamt feststellt – das können Sie in der „Süddeutschen Zeitung“ noch mal nachlesen –, dass fast alle großen Automobilhersteller getrickst und betrogen haben, haben sich die Umweltministerinnen und -minister auf Ihrer Sonderkonferenz zu Recht folgende Fragen gestellt: Wie können wir diesen Skandal aufklären? Wie können wir sichtbar machen, warum es zu diesen Überschreitungen gekommen ist? Wie können wir moderne Techniken nach vorne bringen?

Dazu kann – nicht: muss – die blaue Plakette, das müssen Sie in dem Protokoll nachlesen, vielleicht ein Instrument sein – ein Instrument für besonders innovative, für moderne Fahrzeuge. Daran sollten wir gemeinsam arbeiten, …

Die Redezeit.

… damit die Kinder in Zukunft gut durchatmen können und auch die Menschen mit kleinem Portemonnaie, die an vielbefahrenen Straßen wohnen, in Zukunft guten Gewissens dort leben können. Das sollte ein gemeinsames Anliegen sein.

Machen Sie sich weniger Gedanken über die Zukunft der Grünen! Machen Sie innovative Anträge, denen man vielleicht auch mal zustimmen könnte. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Markert. – Für die Piraten spricht Herr Kollege Bayer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauer! Die FDP möchte also bei der gelben Plakette bleiben und keine Umweltplakette in blau und

magenta haben. Und ja, die Euro-6-Norm schreibt den Herstellern ja bereits Grenzwerte für Neuwagen vor. Jetzt muss die Politik nur noch dafür sorgen, dass die auch eingehalten werden. Die Verantwortung und die Innovationskraft der Hersteller sollen nicht mehr unter den Samthandschuhen der deutschen Politik von CDU, SPD, FDP bis Grüne verkümmern.

Eine blaue Plakette allerdings setzt tatsächlich kaum weitere Anreize für die Automobilindustrie; sie ist ein bürokratischer Zusatzaufwand, der entweder verlangt, dass sich Verbrauchende erneut Neuwagen anschaffen, oder aber sie ist reine Symbolpolitik. Die Einführung einer blauen Plakette wäre in beiden Fällen eine gut ausgeklüngelte Subvention für die Automobilindustrie auf Kosten der Verbrauchenden und würde verhindern, dass sich Automobilindustrie und Politik bewegen müssen. Warum sollen denn die Verbrauchenden für die Versäumnisse der Automobilindustrie und der Politik bezahlen?

(Beifall von den PIRATEN)

Zur Show-Funktion der Plakettendiskussion gehört allerdings auch dieser Antrag. Herr Rasche, Sie haben selbst gesagt, die Diskussion sei unnötig. Der Antrag steht eben leider auch nicht für rationale Politik. Die Debatte um blaue Plaketten verdeckt nämlich den Bedarf an wirksamen politischen Maßnahmen. Zum Beispiel: Wo ist die Debatte um einen massiven Ausbau von ÖPNV in unseren Ballungsräumen? Die bräuchten wir an dieser Stelle.

Und an jener Stelle müssen sich CDU und FDP, die auf diesem Antrag stehen, als Mitverursachende des Problems an die eigene Nase fassen. Warum gab es denn für die Automobilindustrie jahrzehntelang Ausnahmen über Ausnahmen? Warum gab es Grenzwertverschleierungen? Dass die nur in der Werbung sauberen Diesel jetzt erst am Pranger stehen, ist nämlich die Schuld aller Regierungsparteien der letzten Jahrzehnte im Bund.

Der Antrag allerdings stellt sich hinter die Automobilindustrie inklusive ihrer Greenwashing-Methoden und den Versäumnissen der Bundespolitik und skandalisiert nur einfach einmal die blaue Plakette – das ist unlauter – und spricht dann auch noch von Enteignung. Wir wissen aber auch:

„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“

Was sagen Sie denn denen, die unter den Abgasen leiden und deswegen sterben müssen? Die werden ihrer Gesundheit kalt enteignet.

(Vereinzelt Lachen von den PIRATEN)

Die Debatte, die eigentlich geführt werden sollte, ist nicht die um irgendwelche Etiketten oder Zonen. Es geht um den Schutz der Gesundheit der Menschen. Es darf nicht immer wieder um das vermeintliche

Wohl bestimmter Interessensgruppen gehen. Genau darin liegt der Fehler im System, und dieses System bedienen FDP und CDU mit dem Antrag erneut. Das System heißt „Lobbyismus“, und der Fehler liegt in dem Glauben, dass das Bedienen der Interessen bestimmter Gruppen irgendwie auch der Allgemeinheit nutzen würde.

Über Jahrzehnte hinweg wurde die Autoindustrie dank ihrer starken Lobby verschont, und genau deshalb steht sie bald mit dem Rücken zur Wand. Gerade wer auch noch in Zukunft weltweit Autos verkaufen will, muss stets auf dem Stand der Technik sein und darf nicht zehn oder 20 Jahre hinterherhinken.